Value Stream Mapping: Definition und Vorteile

Benno Heider 4.4.2022

Wir erklären Euch, was Value Stream Mapping bedeutet und wie Ihr es richtig einsetzt

GIF Value Stream Mapping
Inhalt
  1. Was ist ein Value Stream?
  2. Was wird in einem Value Stream dargestellt und warum macht man eine Wertstromanalyse? 
  3. Wie macht man eine Wertstromanalyse? 
  4. Welche Tools eignen sich für Value-Stream-Mapping?

Die Prozesse in Agenturen sind geprägt von großen Unwägbarkeiten in Bezug auf Inhalte (Änderungswünsche der Kunden) und in Bezug auf zeitliche Aspekte (morgens gebracht, abends gemacht). Grundsätzlich gilt in der Wissensökonomie - zu der auch die Kreativszene gehört -, dass Menschen das Geschäft machen und Leistungen oder Ergebnisse nicht „auf Halde“ produziert werden können. Viele Sichtweisen beeinflussen die Leistung einer Agentur: Kundenmitarbeiter:innen in den Unternehmen, Kundenberater:innen und Kreative in der Agentur und viele andere Menschen haben einen Einfluss auf die Prozesse und Strukturen. 

Um so wichtiger ist es, dass Ihr klare und transparente sowie zielorientierte Strukturen und Prozesse in der Agentur habt. Was Ihr in Eurer Agentur wirklich benötigt, sind mehr Freiräume für Kreativität und eine effiziente sowie effektive Abwicklung der Projekte. 

Mit der Wertstromanalyse (Value Stream Mapping) könnt Ihr einzelne Prozesse und/oder Projekte in der Agentur besser darstellen, um Schwachstellen zu entdecken und Verbesserungspotenziale für Kreativität und Profitabilität zu erkennen. Unser Gastautor Benno Heider führt Euch tiefer in das Thema ein und zeigt, wie Ihr eine Wertstromanalyse richtig umsetzt. 

Was ist ein Value Stream?

Die Wertstromanalyse kommt aus der Industrie mit Produktion und Fertigung. Es ist eine sinnvolle Weiterentwicklung der TQM-Philosophie. Mit seiner Agentur-Erfahrung aus fast 30 Jahren als Manager, Agenturinhaber und Berater hat Benno diese Philosophie für die Agenturbranche brauchbar gemacht.

Um in einem Value Stream nachvollziehbare Ergebnisse zu bekommen, müsst Ihr die einzelnen Schritte in einem Projekt visualisieren und klar beschreiben. Diese visuellen Darstellungen werden mit eindeutigen Kennzahlen und Leistungsparameter zu Vergleichszwecken herangezogen. Das Ergebnis ist die Erkenntnis, welche Prozessschritte in dem jeweiligen Projekt in Eurer Agentur zukünftig eliminiert, gesichert oder im Detail genauer analysiert werden müssen.

Im Klartext: Wie kann in Eurer Agentur mehr Freiraum für Kreativität (Kundennutzen) entstehen und wie kann die Profitabilität des Projektes (Agenturnutzen) gesteigert werden?

Was wird in einem Value Stream dargestellt und warum macht man eine Wertstromanalyse? 

Um die Qualität Eurer Agenturprozesse bewerten zu können, wird dargestellt, welche Einzelschritte wertschöpfend sind und welche nicht. Wertschöpfend bedeutet, dass das Agenturprodukt für Euren Kunden durch den jeweiligen Prozessschritt wirklich an Wert gewinnt. Durch mehr Ergebnisqualität, oder durch weniger Aufwand in der Umsetzung der Ideen.

Welche Vorteile bietet Value Stream Mapping? 

Um die Qualität Eurer Agenturprozesse bewerten zu können, wird dargestellt, welche Einzelschritte wertschöpfend sind und welche nicht. Wertschöpfend bedeutet, dass das Agenturprodukt für den Kunden durch den jeweiligen Prozessschritt an Wert gewinnt. Zum Beispiel durch mehr Freiraum für Kreativität. 

Wie macht man eine Wertstromanalyse? 

Phase 1: Wie bearbeitet die Agentur einzelne Prozesse?

In der ersten Phase müsst Ihr als Chef oder Chefin wirklich detaillierte Einblicke in die Aufbau- und Ablauforganisation Eurer Agentur bekommen. Hier muss die Projektsteuerung, müssen die Verantwortlichkeiten, und, wie und wo Daten und Informationen entstehen, auf den Prüfstand gestellt werden. Zusätzlich muss analysiert werden, wie sie intern dokumentiert und weitergereicht werden. 

Dazu müsst Ihr in Eurer Agentur ein VSM-Team zusammenstellen. Üblicherweise beginnt man den VSM-Prozess mit einem eingegrenzten Prozess, z. B. der Programmierung einer neuen Website oder der Erstellung eines umfangreichen Katalogs für Agenturkund:innen. So wird klar, welche Mitarbeiter:innen in dem VSM- Team zusammenarbeiten sollten, um die Wertstromanalyse durchzuführen. Empfehlenswert sind drei bis sechs Mitarbeiter:innen – je nach Umfang des jeweiligen Prozesses. Die Teammitglieder:innen sollten den betrachteten Prozess sehr gut kennen und Erfahrungen mit der Erstellung einer Wertstromanalyse haben.

In dieser Phase wird dokumentiert, welche Möglichkeiten der Verschwendung in dem jeweiligen Prozess vorherrschen:

  • Schlechtes, unklares Briefing der Kund:innen
  • Fehlerhafter interner Auftrag (Briefing)
  • Arbeiten in eine falsche Richtung
  • Eure Kund:innen liefern notwendige Unterlagen nicht pünktlich
  • Eure Kund:innen entscheiden nicht schnell genug
  • Inhaltliche Wartezeiten (in der Agentur und/oder bei Kund:in)
  • Unklare Absprachen (agenturintern und -extern)
  • Unklare Verantwortlichkeiten (agenturintern und -extern)
  • Warten mit der Abrechnung des Projektes

Der Inhalt dokumentiert folgende Punkte:

  • Welche Prozesse gibt es?
  • Wer ist der:die Kund:in und welche Rolle spielt er:sie?
  • Was sind die konkreten Kundenanforderungen?
  • Welche Funktionen, Merkmale oder Ergebnisse im Prozess sind aus Kundensicht (!!) wertschöpfend?
  • Sind Verschwendungen im Prozess sichtbar?
  • Was oder welche Schritte im Prozess könnte(n) unnötig sein?
  • Was sollte geändert, verbessert oder beseitigt werden?
  • Wo in den Prozessen gibt es Optimierungspotenziale?

Mit den folgenden Schritten führt Ihr eine Wertstromanalyse durch:

2. Prozessschritte ermitteln und beschreiben

In der Phase 2 durchläuft das VSM-Team Eurer Agentur den ausgewählten Prozess im Detail Schritt für Schritt und beschreibt die einzelnen Prozessschritte und Aktivitäten, die in der Agentur durchgeführt werden. Idealerweise wird das online per MIRO Whiteboard o.Ä. durchgeführt. Die Abläufe und Aktivitäten müssen definitiv im Einzelnen genau aufzeigt und erläutert werden. So stellt das VSM-Team fest, was in welcher logischen Reihenfolge erdacht, konzipiert und gemacht wird. Das Team stellt fest, wo es Wartezeiten und Leerläufe gibt, welche Informationen und Daten genutzt oder weitergegeben werden.

3. Daten und Kennzahlen zu den einzelnen Prozessschritten sammeln

Das VSM-Team Eurer Agentur sammelt in der 3. Phase zu den einzelnen Prozessschritten Daten und Kennzahlen, die für eine Prozessbewertung, für die Problemanalyse und für Verbesserungspotenziale wichtig oder hilfreich sind. Dabei achtet das VSM-Team auf folgende Kennzahlen:

  • Bearbeitungszeiten
  • Wartezeiten
  • Rüstzeiten
  • Ressourcen
  • Größe von Projektschritten
  • Anzahl eingesetzte Mitarbeiter:innen
  • verfügbare Arbeitsstunden
  • eingesetzte Mittel
  • Freelancereinsatz
  • Fehler- oder Ausschussrate
  • Nacharbeiten 

Diese Daten analysiert das VSM-Team durch Beobachtung, Messung oder Auswertung von Diskussionen und Daten-Analysen.

4. Den Prozess visualisieren

Wenn das Team meint, alle relevanten Daten und Informationen zu dem anvisierten Prozess ermittelt und gesammelt zu haben, wird an einem (Online)Whiteboard ein Prozess-Bild erstellt. Gemeinsam visualisiert das VSM-Team den Prozess mithilfe der VSM-Symbole und Bezeichnungen. Diese Symbole finden Sie im Anhang.

Wie sollte das VSM-Team beim Aufbau des VSM-Diagramms vorgehen:

  1. Üblicherweise beginnt Ihr mit dem Symbol für die Kund:innen (oben rechts); damit macht das Team sichtbar, was für die Kund:innen wichtig und insofern auch wertschöpfend ist.

  2. Dann werden die Teammitglieder:innen die einzelnen Prozessschritte und Aktivitäten eintragen.

  3. Zusätzlich ergänzt Ihr in diesem Wertstrom die Stellen, an denen Brainstormings, Workshops oder Meetings sinnvolle und zielführende Ergebnisse produzieren. Sind Freelancer oder Lieferant:innen mit eingebunden, wird das Bild durch eine Verbindung zum Lieferanten (Freelancer) ergänzt.

  4. Nach dem Ende des Prozesses, wenn das Prozessergebnis vorliegt, wird eine Verbindung zum:zur Kund:in eingetragen.

  5. Danach werden alle Aktivitäten zur Planung und Steuerung der einzelnen Prozessschritte (Beratung/Strategie, textliche und gestalterische Kreation und Umsetzung/Programmierung) mit Daten ergänzt.

  6. Dann zeichnet Ihr ein, welche Informationen fließen (Hol-und Bringschuld) und welche IT-Systeme von Eurer Agentur dabei genutzt werden.

  7. Das VSM-Team sollte am Ende die VSM-Darstellung mit einer Zeitleiste (Timeline) versehen, damit sichtbar ist, wie lange die einzelnen Prozessschritte benötigen und welche Ressourcen benötigt und (!) verbraucht werden. Diese Bearbeitungszeiten für die einzelnen Prozessschritte werden am Ende summiert und in dem Gesamtprozess dargestellt

  8. Wenn alle Informationen in dem VSM-Diagramm dargestellt sind, ist das Diagramm komplett und es kann das Prozessbild für Eure Agentur ausgewertet werden.

5. Prozess und Prozessdaten auswerten

Wertstromanalyse meint, dass der Agentur-Prozess genau analysiert wird, um zu erkennen, wo Schwächen bestehen und wo Verbesserungspotenziale für Kund:innen und für Eure Agentur vorhanden sind. Das VSM-Team muss jeden Schritt bewerten:

  • wertschöpfend: Trägt dieser Prozessschritt dazu bei, dass der:die Agenturkund:in (Kundennutzen) einen Mehrwert bekommt?
  • angemessen: Der Prozessschritt sollte auf dem Stand der Technik sein, sodass ein qualitativ gutes Ergebnis erzielt wird und der Prozess für Eure Agentur (Agenturnutzen) wirtschaftlich ist.
  • flexibel: Der Prozessschritt sollte insofern flexibel sein, dass er adhoc-Anforderungen berücksichtigt.
  • verfügbar: Kann der Prozessschritt durchgeführt werden, wenn er gebraucht wird – oder kommt es zu hohen Freelancer-Buchungen, da feste Mitarbeiter:innen Eurer Agentur voll eingespannt sind.
  • fließend: Zwischenprodukte und Einzelergebnisse sollten den Prozess ohne Unterbrechung durchlaufen, der Prozess darf nicht stocken oder unterbrochen werden; es darf keine Wartezeiten wegen fehlendem Material oder fehlenden Informationen geben.
  • bedarfsorientiert: Im Idealfall wird der Prozess eigenständig ablaufen; Eingriffe durch die Kundenberater:innen sollten minimal sein; nur der Prozess-Start und ein bis zwei Zwischensteps werden vom Kundenauftrag ausgelöst.
  • Informationsversorgung: Sind alle Beteiligten im Prozess gut mit Informationen ausgestattet, die sie benötigen? Denn es gilt das Bring-Prinzip.
  • Durchlaufzeit: Die Durchlaufzeit sollte zu den Erwartungen des:der Kund:in passen; es darf keine Verspätung und keinen Terminverzug geben. Wenn ja, wie entsteht der Verzug in Eurer Agentur?
  • Bearbeitungszeit: Gegebenenfalls können einzelne Prozessschritte so verbessert werden, dass die Bearbeitungszeiten sinnvoll reduziert werden.
  • Wartezeit: Kommt es zu hohen Wartezeiten, ist der Prozess schlecht geplant und gesteuert; eventuell sind die Kapazitäten nicht ausgeglichen oder es gibt ungeplante Ausfälle der Mitarbeiter:innen in Beratung, Kreation und/oder Umsetzung.
  • Ausfallzeit: Wenn Prozessschritte oder Ressourcen ausfallen und nicht verfügbar sind, sollten die Ursachen analysiert und beseitigt werden.
  • Zeit für Nacharbeit: Zwischenergebnisse dürfen keine Mängel haben; wenn nachbearbeitet werden muss, müssen die Ursachen gefunden und beseitigt werden. Schlechtleistungen durch Freelancer müssen auch von denen unmittelbar beseitigt werden; keinen Einsatz der internen Ressourcen, wenn Freelancer Fehler machen. Achtung: hohe Verlustgefahr!!!

Das VSM-Team Eurer Agentur muss diskutieren, wo es im Agenturprozess zu Verschwendung, Verspätung, Ausschuss oder Nacharbeit kommt und was die Ursachen dafür sind. 

Das Team markiert im Wertstrom-Diagramm die Schritte oder Bereiche, wo Probleme, Schachstellen oder Verbesserungspotenzial zu erkennen ist.

6. Prozess verbessern

Mit der Wertstromanalyse aus Schritt 5 erkennt das VSM-Team Eurer Agentur die Schwachstellen und Verbesserungspotenziale für den Prozess und für die einzelnen Prozessschritte und Aktivitäten. Dem entsprechend sollte das Team dafür sorgen, dass der Prozess unverzüglich verbessert wird. Dazu wird der Soll-Zustand als Optimum für den Prozess beschrieben. Daraus werden Maßnahmen abgeleitet, die notwendig sind, um vom Ist-Prozess zum Soll-Prozess in Deiner Agentur zu kommen.

Dazu entwickelt das VSM-Team eine detaillierte Entscheidungsvorlage für Euch und ggf. für die Kolleg:innen. In dieser Entscheidungsvorlage wird zunächst das Wertstrom-Diagramm für den bestehenden Prozess (Ist-Prozess) dargestellt. Darin werden dann die erkannten Schwachstellen und Verbesserungspotenziale beschrieben. Ebenso wird detailliert beschrieben, wie der verbesserte Prozess in Eurer Agentur ablaufen sollte (Soll-Prozess). 

Welche Tools eignen sich für Value-Stream-Mapping?

Es gibt im Markt ein paar gute Tools zur Entwicklung und Darstellung von Value Stream Mappings in Agenturen. Da die Symbole genormt sind, sind alle Produkte mehr oder weniger gleich in der Darstellung der Kunden, Lieferanden, usw. Die Reihenfolge dieser Liste dokumentiert keine Wertung. Ebenso ist die Liste wahrscheinlich unvollständig.

  • Lucidchart: Lucidchart ist eine einfache App zur Darstellung eines (oder mehrerer) Value streams. Das Tool kommt aus der Industrie, ist aber so flexibel, dass es für Agenturen passt. In der einfachen Version könnt Ihr das Tool kostenfrei nutzen.
  • Vistable: Die Software ist eher eine Planungssoftware zur Gestaltung der Abläufe in der Industrie (Fertigung). Deshalb eignet sie sich nicht so gut für Wissensunternehmen.
  • iFakt VSM: iFakt VSM ist eine aus der Industrie kommende App zur Beschreibung von Wertstromanalysen. Das Tool ist kostenpflichtig.
  • Bpanda: Die Software bietet eine App zur Beschreibung von Prozessen. Bpanda eignet sich auch für Wertstromanalysen, ist jedoch nur kostenpflichtig nutzbar.
  • Edrawsoft: Edrawsoft ist ebenfalls eine App zur Beschreibung von Wertstromanalysen. Die Nutzung des Tools ist ebenfalls mit den Kosten verbunden.

Schaut für die komplette Übersicht unserer Favoriten gerne in der Projektmanagement-Kategorie auf OMR Reviews vorbei.

Benno Heider
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Benno Heider

Benno Heider ist seit mehr als 30 Jahren als Manager, Unternehmer, Berater und Coach in der Agenturwelt aktiv: Er hat 1995 – parallel zu seiner Beratertätigkeit – eine eigene Agentur mit 12 Mitarbeiter:innen gegründet und 2001 erfolgreich verkauft. Zudem hat er ein europäisches Agenturnetzwerk aufgebaut und zahlreiche erfolgreiche Agenturen bei der Geschäftsentwicklung begleitet.

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