Behavioural Design: So lenkt du das Verhalten deiner Website-Besucher*innen

Erfahre, wie Behavioural Design durch die Kombination von Psychologie und Design Thinking das Nutzerverhalten auf Websites beeinflusst

GIF: Behavioural Design
Inhalt
  1. Was ist Behavioural Design?
  2. Welche Ziele hat Behavioural Design?
  3. Wo findet Behavioral Design seine Anwendung und wie setzt man es um?
  4. Behavioural Design: Best-Practice-Beispiele
  5. Mit Behavioural Design zu mehr User Engagement
  6. Diese Tools helfen dir dabei, Behavioural Design anzuwenden
  7. Fazit: Erfolgreiches Behavioural Design

Im professionellen Webdesign geht es darum, möglichst gut die Kontrolle darüber zu haben, wie sich Nutzer*innen auf einer Website bewegen. Jedoch verhalten sich Menschen meistens anders, als wir es von ihnen erwarten. Mit Hilfe von Behavioural Design lernst du, menschliche Entscheidungsfindung besser zu verstehen und anschließend aktiv zu gestalten. In diesem Beitrag erklären wir dir nicht nur das theoretische Fundament der Methode, sondern zeigen dir anhand von praktischen Beispielen, wie du das Verhalten deiner Website-Besucher*innen lenken kannst.

Was ist Behavioural Design?

Behavioural Design ist eine interdisziplinäre Innovationsmethode, die wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Psychologie sowie der Verhaltensökonomie mit Kreativmethoden aus dem Design Thinking kombiniert. Anders als im klassischen Design Thinking stehen jedoch nicht nur die Bedürfnisse der Nutzer*innen, sondern vor allem deren Psyche im Mittelpunkt. Die Grundlage für diese Art der Innovation liefern unter anderem die Erkenntnisse von Daniel Kahneman, Robert Cialdini, Richard Thaler, Dan Ariely, Brian Jeffrey Fogg, Nir Eyal und viele weitere Psycholog*innen und Sozialwissenschaftler*innen.

Behavioural Design

Welche Ziele hat Behavioural Design?

Das grundlegende Ziel von Behavioural Design ist es, menschliche Verhaltensweisen und Entscheidungen zu beeinflussen, ausgehend von der Annahme, dass unser Verhalten "vorhersehbar irrational ist". (Dan Ariely, Predictably Irrational, 2010). Anders als erwartet entscheiden Menschen basierend auf mentalen Abkürzungen (Heuristiken) und kognitiven Verzerrungen (Biases) und nicht wie oft angenommen unterbewusst und impulsiv. Angewandt auf die Welt des UX Design und Webdesigns lassen sich folgende Ziele ableiten.

Beeinflussung von Einzelentscheidungen

Mit Hilfe des Default-Effektes, der beschreibt, dass Menschen eine hohe Tendenz haben, Standardeinstellungen nicht zu ändern, ist es beispielsweise möglich, die Auswahl eines Produkts in einem Online-Shop zu beeinflussen. So kann auch die Motivation bezüglich einer Kaufentscheidung mit Hilfe des Scarcity-Bias (Verknappung) beeinflusst werden. Zeitlich limitierte Angebote und Product Drops sind einfache Beispiele für die Anwendung dieses psychologischen Effekts.

Verbesserung der Benutzererfahrung

Neben der Einflussnahme auf Einzelentscheidungen zielt Behavioural Design darauf ab, ein klares Verständnis über die Motivation und die Fähigkeiten von Nutzer*innen aufzubauen, um spannende und intuitive Benutzererfahrungen zu erschaffen. Hierbei geht es primär darum, die wichtigsten Entscheidungsmomente entlang der User Journey zu nutzen, um eine friktionslose und animierende Nutzung der Website zu gewährleisten. Beispielsweise reduziert die Video-Plattform TikTok das Schauen von unterhaltenden Videos auf nur eine radikal einfache Nutzerinteraktion – Swipe, swipe, swipe.

Erhöhung des User Engagements und Aufbau von Nutzungsgewohnheiten.

Ein weiteres zentrales Ziel von Behavioural Design im digitalen Kontext ist die Steigerung des User Engagements. Mit Hilfe von Behavioural Design lassen sich Nutzungsgewohnheiten entwickeln, welche dazu führen, dass User immer wieder zurück in eine Applikation oder auf eine Website kommen. Wie genau das funktioniert, findest du im nächsten Abschnitt unter der Überschrift Hooked Model.

Welche Behavioural Design Methoden gibt es?

Grundsätzlich gibt es keine einheitliche Behavioural-Design-Definition. Die Innovationsmethode ist eine Zusammensetzung aus unterschiedlichen interdisziplinären Methoden und Frameworks. Die verschiedenen Methoden eignen sich je nach Kontext für unterschiedliche Arten der Verhaltensänderung oder Gewohnheitsbildung. Es gibt vier Modelle, die die wichtigsten grundlegenden Konzepte des Behavioural Design abbilden.

Hooked Model

Das Hooked Model ist ein vierstufiger Prozess, dessen Ziel es ist, die Nutzung eines digitalen Produkts zu einer Gewohnheit zu machen. Entwickelt wurde es vom Investor und Autor Nir Eyal. Die folgenden vier Schritte sind für den Erfolg des Modells notwendig.

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  1. Trigger: Trigger sind externe und interne Reize, die User zur Nutzung deines Produkts führen. Beispiele sind externe Trigger wie Push-Mitteilungen und Werbeanzeigen. Emotionen wie Langeweile sind interne Trigger.
  2. Action: Diese Phase beschreibt die konkrete Handlung der Nutzer*innen in Erwartung darauffolgender Belohnung oder eines Mehrwerts. Ein typisches Beispiel ist der Klick auf eine App nach dem Lesen einer vielversprechenden Push-Mitteilung.
  3. Variable Reward: In dieser Phase erhalten User eine Belohnung, die sich stets verändert, um ihn zur wiederholten Nutzung zu motivieren. Beispiele sind eine variable Anzahl an Likes auf Instagram oder immer neue Videos auf TikTok.
  4. Investment: Am Ende des Hook-Modells steht ein Investment, das die User tätigen. Dieses bindet Nutzer*innen an ein Produkt. Beispielsweise das Schreiben eines Kommentars, das Liken von Beiträgen oder das Hochladen eigener Inhalte.

Nudging

Das Wort Nudging wurde durch den Verhaltensökonomen Richard Thaler in seinem 2008 erschienenen Buch "Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt" geprägt. In diesem wird Nudging als eine Methode bezeichnet, bei der subtiler Einfluss auf das Verhalten von Menschen genommen wird, ohne ihre Entscheidungsfreiheit einzuschränken.

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Klassische Beispiele für Nudging sind das Platzieren von gesunden Lebensmitteln auf Augenhöhe, die automatische Einschreibung in ein Altersvorsorgeprogramm oder die kleine Fliege im Männer Urinal. In der Digitalwirtschaft wird demnach oft von Digital Nudging gesprochen. Dies bezieht sich vor allem auf die Entwicklung von Gestaltungselementen, die auf Websites Nutzungsverhalten subtil beeinflussen sollen. Von einem kleinen roten Punkt an einer neuen Funktion über eine motivierende Headline bis zu einem Countdown im Checkout-Prozess variiert die Form der digitalen Nudges stark.

EAST Framework

Das EAST Framework ist ein Modell zur Gestaltung von verhaltensändernden Interventionen und wurde vom Behavioural Insights Team aus England, hauptsächlich im politischen und gesellschaftlichen Kontext, entwickelt. EAST steht für Easy (einfach), Attractive (attraktiv), Social (sozial) und Timely (rechtzeitig). Obwohl es nicht alle Aspekte der Verhaltenswissenschaften abdeckt, bietet das Modell einen leichten Rahmen, um die wichtigsten Treiber der Verhaltensänderungen zu gestalten.

East_Framework

BJ-Fogg Behavioural Modell

Das BJ-Fogg Behavioural Modell wurde von dem Sozialwissenschaftler und Professor Brian Jeffrey Fogg im Behavioural Design Lab der Stanford Universität entwickelt. Im Grunde beschreibt sein Modell Folgendes: Damit ein Mensch sich beispielsweise für den Kauf eines Produkts entscheidet, bedarf es einer Verhaltensänderung. Damit diese Verhaltensänderung zustande kommt, müssen, laut Fogg, zu einem bestimmten Zeitpunkt und in ausreichendem Maße die folgenden drei Faktoren gegeben sein:

  • A: Ability (Fähigkeiten/Voraussetzungen)
  • T: Trigger (Reiz)
  • M: Motivation

Ist mindestens einer dieser drei Faktoren nicht ausreichend vorhanden, tritt keine Verhaltensänderung (B) ein. BJ Fogg fasst das in seiner Formel B = MAT zusammen. Bei der Gestaltung einer Website müssen sich Behavioural Designer demnach Folgendes fragen: Nimmt der User im Entscheidungsmoment einen Trigger wahr, ist er ausreichend motiviert sowie befähigt, eine bestimmte Entscheidung zu treffen.

B = MAT

Wo findet Behavioral Design seine Anwendung und wie setzt man es um?

Auch wenn die zugrunde liegende sozialwissenschaftliche Forschung und die dazugehörigen Methoden nicht direkt für die Digitalwirtschaft entwickelt wurden, lassen sich im Digital Behavioural Design viele der Prinzipien bei der Gestaltung von Websites anwenden. Egal, ob im Grafikdesign, bei der Erstellung der Seitenstruktur oder dem Formulieren von Headlines.

Behavioural-Design-Prozess

Um die unterschiedlichsten Methoden und das relevanteste Wissen zusammenzufassen, hat mein Team von HelloDesign den Behavioural-Design-Prozess entwickelt. Angelehnt an den Design Thinking Prozess, besteht dieser aus fünf klar definierten Phasen.

  1. Behavioural Challenges: In dieser Phase werden Probleme in Verhaltensprobleme umformuliert, um diese im Anschluss einfacher bearbeiten zu können. Ein Beispiel für eine Behavioural Challenge könnte folgendermaßen lauten. “Wie können wir dafür sorgen, dass sich mehr Nutzer*innen für unseren Newsletter anmelden?”
  2. Behavioural Statements: Mit Hilfe von Behavioural Statements wird das vom Behavioural Designer gewünschte Zielverhalten unter Betrachtung der Faktoren, Zielgruppe, Motivation, Grenzen, Verhalten und Messung definiert. Die Art der Formulierung dient dazu, im späteren Verlauf eines Projekts zu prüfen, ob die entwickelte Intervention erfolgreich war.
  3. Behavioural Insights: Behavioural Insights sind versteckte Hinweise im unterbewussten und irrationalen Verhalten von Nutzern. Diese werden mit Hilfe von qualitativer und quantitativer Forschung erfasst und dokumentiert. Sie dienen als Grundlage für die anschließende Kreativphase.
  4. Behavioural Ideation: In der Behavioural Ideation Phase werden Ideen für Nudges basierend auf dem BJ-Fogg Behaviour Modell entwickelt. Ziel ist es, die Erkenntnisse aus den Behavioural Insights aufzugreifen und Interventionen zu entwickeln, die gezielt die Motivation, Fähigkeit und Trigger beeinflussen.
  5. Behavioural Measure: Einfach ausgedrückt wird in der letzten Phase des Prozesses der Erfolgsgrad des anfänglich definierten Zielverhaltens (Behavioural Statement) gemessen. Beispielsweise wird betrachtet, inwiefern sich eine Conversion Rate mit und ohne den Einsatz der entwickelten Intervention verändert.

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Behavioural Design Canvas

Neben dem Behavioural-Design-Prozess stellt der Verhaltenswissenschaftler Robert Meza in seinem Medium Behavioural Design Artikel die Behavioural Design Canvas vor. Angelehnt an ein Business Model Canvas können Teams in einer übersichtlichen Zusammenfassung die wichtigsten Komponenten bei der Entwicklung einer Intervention ausfüllen. Meza unterteilt die Canvas in vier große Bereiche: Geschäft, Menschen und Verhalten, Treiber sowie Strategien und Taktiken. Für das gemeinsame Ausfüllen der Canvas eignet sich ein Behavioural Design Workshop.

Behavioural Design: Best-Practice-Beispiele

Generell können die Anwendungsbereiche von Behavioural Design sehr vielseitig aussehen. Von verkaufsfördernden Maßnahmen hin zu motivierenden Nudges zur Förderung von gesunden Essgewohnheiten. Die Ziele sind je nach Intention der Designer*innen unterschiedlich. Im Rahmen dieses Artikels findest du im Folgenden drei Beispiele für Behavioural Design.

Dreh das Glücksrad!

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Gutscheine gewinnen, Rabatte sichern oder Nieten ziehen. Im chinesischen Online-Marktplatz Temu sind diverse gamifizierte Features verbaut, die auf ein hohes Nutzerengagement abzielen. Diesen Features liegt ein psychologisches Prinzip zugrunde: Variable Belohnungen. Aufgrund des Optimism Bias sind variable Belohnungen für Menschen emotional attraktiver als gleichbleibende Belohnungen. Auf diesem Prinzip basiert nicht nur das Glücksrad der Shopping-App, sondern auch der Roulettetisch im Casino.

Nur noch 3 Zimmer verfügbar

Die meisten von euch werden schon einmal auf einer Hotelbuchungs-Plattform wie booking.com eine Übernachtung gebucht haben. Im Buchungsprozess werden neben den Testimonials, den schönen Bildern auch die Worte “nur noch 3 Zimmer verfügbar” oder “24 Personen schauen sich dieses Zimmer gerade an” auffallen. Diese Botschaften zielen auf die Motivation der Nutzer*innen ab. Ganz speziell auf die beiden kognitiven Verzerrungen Scarcity und Loss Aversion. So besagt der Scarcity Bias, dass Dinge, die in einer geringen Menge verfügbar sind, von uns emotional höher bewertet werden.

Der Loss Aversion Effekt (Verlustaversion) beschreibt die Tendenz, einen Verlust doppelt so hoch zu bewerten wie einen Zugewinn. Aufgrund dieser beiden Fakten lassen sich mit den vorangegangenen Botschaften Kaufentscheidungen antreiben und verändern.

Als Gast bestellen

Damit der Check-out in einem Online-Shop schneller abläuft, werden die meisten von euch schon mal als Gast eine Bestellung getätigt haben. Das mittlerweile gewohnte Feature war bei seiner Erfindung eine kleine Revolution. Denn zuvor war in den meisten Onlineshops ein Log-In für den Kauf eines Produkts notwendig. Aus verhaltensökonomischer Perspektive ist dieses Features jedoch genial. Denn um ein gewünschtes Verhalten hervorzurufen, ist vor allem die Reduktion von Friktion und kognitiver Energie notwendig.

Ein Log-In stellt eine deutlich größere Hürde dar als eine Bestellung als Gast ohne Registrierung. Aufgrund dessen entscheiden sich tendenziell mehr Nutzer*innen für einen Kauf als ohne Gast-Funktion. Sie ist also ein Umsatztreiber für deinen Online-Shop.

Mit Behavioural Design zu mehr User Engagement

Digitale Geschäftsmodelle, dementsprechend auch Online-Shops und Websites, leben von einer hohen Nutzerinteraktion. Mit Hilfe der unterschiedlichen Behavioural Design Methoden lässt sich diese Interaktionsrate gezielt erhöhen. Wichtig ist es, gemäß des BJ-Fogg Behaviour Modells darauf zu achten, ob du für eine höhere Interaktionsrate die Motivation oder die Ability für deine Nutzer verbessern musst. Zur Beeinflussung dieser Faktoren kannst du auf Heuristiken wie beispielsweise Social Proof, Loss Aversion, Scarcity oder auch Gamification zurückgreifen. Geht es um die Beeinflussung der Ability, sind Prinzipien wie der Default-Effekt oder das Auswahlparadox von Vorteil. Bevor du dich mit komplexen verhaltensökonomischen Funktionen beschäftigst, sollten die Grundlagen deiner Website einwandfrei sein. Weiterführende Informationen dazu findest du in unserem Artikel zum Thema professionelles Webdesign.

Diese Tools helfen dir dabei, Behavioural Design anzuwenden

Zur Anwendung von Behavioural Design können dir folgende Tools weiterhelfen. Um ein Verständnis für die Verhaltensweisen deiner Nutzer*innen aufzubauen, sind Web Analytics Tools wie Hotjar oder FullStory hilfreich. Bei der Konzeption deiner digitalen Nudges helfen dir digitale Whiteboards wie Miro und FigJam. Für die finale Integration auf deiner Website sind Website-Baukästen wie Webflow von Vorteil.

Fazit: Erfolgreiches Behavioural Design

Behavioural Design ist eine Innovationsmethode, die psychologische und verhaltensökonomische Erkenntnisse mit Design Thinking kombiniert, um Nutzerverhalten vorhersehbar zu beeinflussen. Unter Betrachtung psychologischer Prinzipien wie beispielsweise variablen Belohnungen werden in Behavioural Design Workshops digitale Nudges entwickelt, die die menschliche Entscheidungsfindung subtil beeinflussen und das User Engagement erhöhen.

Fabrice Pöhlmann
Autor*In
Fabrice Pöhlmann

Fabrice Pöhlmann ist ein führender Experte im Bereich Behavioural Design und UX Design. Als Geschäftsführer von HelloDesign begleitet er mit seinem Team Unternehmen dabei, bessere digitale Produkte zu entwickeln und neues Wissen in den Bereichen Behavioural Design, Design Thinking und Digitale Transformation zu erlangen. Neben seiner Rolle als Geschäftsführer gibt er sein Wissen als Keynote Speaker auf führenden Design & Tech Konferenzen weiter.

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