Erfolgreiche Produkte statt Female Founders: Jana Schellong und Mihriban Minaz über die Gründung von beams und Women in SaaS

Was Jana Schellong und Mihriban Minaz von beams über Diversität in der Software-Branche und Interviews wie dieses denken

Es gibt viele Produktivitäts-Tools speziell für Techies. Sie sind häufig jedoch vor allem für Einzelpersonen konzipiert und fügen sich nicht ausreichend in die Dynamik ganzer Teams ein. Was in den Augen von Jana Schellong und Mihriban Minaz auf dem Software-Markt also noch fehlte, entwickelten die beiden Gründerinnen kurzerhand selbst: Mit ihrem Produkt beams wollen sie Tech-Teams mehr Fokus in ihrem Arbeitsalltag ermöglichen. Wir haben mit den Berlinerinnen über die Gründung ihres Start-ups, Women in SaaS und die Zukunft von beams gesprochen.

„Es gibt unzählige Dinge, die wir zum ersten Mal gemacht haben“

Jana und Mihri lernten sich vor rund fünf Jahren über einen guten Freund von Mihri kennen, der gleichzeitig Janas Kollege war. Da die beiden ihn aneinander erinnerten, insbesondere aufgrund ihres unternehmerischen Mindsets und ihrer Projekte, stellte er sie einander vor. „Diese Intro war Gold wert. Wir haben schnell gemerkt, dass wir ähnliche Werte haben und gleiche Ambitionen teilen“, sagen die beiden. Was sie verband, war der Wunsch, eine Product- und Tech-getriebenes Unternehmen aufzubauen. Also blieben sie in Kontakt und tauschten sich regelmäßig über Gründungsideen aus. „Bis wir dann vor etwa drei Jahren gesagt haben: ‚Let’s do it‘.“

Dabei war beams nicht die erste Gründung der beiden: Gemeinsam bringen sie mehr als 20 Jahre Berufserfahrung im Tech-Umfeld mit – Mihri als Software-Entwicklerin und Jana als Product Managerin. Für Mihri war beams die dritte Gründung, für Jana die zweite, weshalb die Berlinerinnen einen großen Erfahrungsschatz mitbrachten. Trotzdem hielt auch die Gründung von beams viel Neues bereit: „Es ist zum Beispiel das erste Mal, dass wir VC-Gelder (Venture Capital) aufgenommen haben“, sagen die beiden. So konnten sie sich erst im vergangenen Jahr eine Finanzierung in Höhe von einer Million US-Dollar sichern.

Wenig europäische Wertschätzung für Product-led Growth

Mit ihrem Produkt verfolgen Jana und Mihri einen Product-led-Growth-Ansatz. Dabei steht das Produkt im Mittelpunkt der Wachstumsstrategien. Eine Software beispielsweise ist dann allein so überzeugend, dass sie neue User für sich gewinnt. Gezielte Vertriebs- und Marketingmaßnahmen sind dabei natürlich nicht ausgeschlossen, grundsätzlich soll sich das Produkt allerdings schon aufgrund seines Mehrwerts verkaufen und seine Nutzerzahl wachsen.

Dieser Ansatz wird laut Jana und Mihri allerdings in Deutschland und Europa noch eher stiefmütterlich behandelt. „Wir sind als Product and Tech co-founding Team zwar stark darin, unser Produkt nah an den Bedürfnissen unserer Nutzer*innen zu entwickeln. Fundraising ist jedoch eine Herausforderung für uns“, sagen die beiden. „Deshalb verbringen wir immer mehr Zeit in den USA. Gerade sind wir zum Beispiel in San Francisco, wo fast alle unsere SaaS-Vorbilder herkommen.“

Ob sie es als weibliche Gründerinnen in der SaaS-Welt schwer hatten? „Ja und nein“, sagen sie. „Die Zahlen sprechen allerdings für sich: Weiblich geführte Start-ups erhalten nur zwei Prozent aller VC-Gelder. Und wir erleben natürlich auch jeden Tag Unconscious Biases, also unbewusste Vorurteile.“

beams hilft dabei, Gewohnheiten zu hinterfragen

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Mihriban Minaz ist Entwicklerin und Co-Gründerin von beams. Foto: beams

Angefangen hat der Weg von beams als Produktivitäts-App für Menschen im Tech-Umfeld. Mit dem Tool können User ihre täglichen Workflows optimieren, beispielsweise mithilfe von Fokus-Modi oder der Teilnahme an Videocalls mit nur einem Klick bzw. per Shortcut. Darüber hinaus gibt beams einen Überblick über anstehende Meetings und deren Teilnehmer*innen. „Da die App aus Integrationen mit Tools wie Google Kalender und Slack besteht, haben wir sie in einem nächsten Schritt dahingehend entwickelt, dass sie Nutzer*innen dabei hilft, ihr Verhalten mit diesen Tools besser zu verstehen“, sagen die Gründerinnen. „Unser Calendar Health Check hilft beispielsweise dabei, gesündere Kalendergewohnheiten zu etablieren, also unter anderem mehr Fokusblöcke zu setzen oder teure, nicht-wertschöpfende Meetings zu hinterfragen.“

Diese Insights und Empfehlungen möchten Jana und Mihri künftig auch ganzen Teams bereitstellen. So können diese zum Beispiel sehen, wie viel Zeit sie mit der Bearbeitung bestimmter OKRs verbringen und bekommen die Möglichkeit, Engpässe schneller zu identifizieren und aufzulösen. „Unsere Vision ist, dass sich beams mit allen gängigen Tools integriert, um ein holistisches Verständnis über den Arbeitskontext von Teams zu erhalten, so intelligente Empfehlungen auszusprechen und Workflows zu automatisieren“, sagen Jana und Mihri.

Vielfältige Teams entwickeln Software für vielfältige Zielgruppen

Wusstest du, dass sich Herzinfarkt-Symptome von Frauen und Männern unterscheiden? Oder dass Frauen ein deutlich höheres Risiko haben, sich beim Frontalaufprall eines Autos schwer zu verletzen? Letzteres liegt daran, dass in Crashtests noch immer vorwiegend Dummys verwendet werden, die einem durchschnittlichen erwachsenen Mann aus den 1970er-Jahren entsprechen. Für Frauen kann es sich da also auch im 21. Jahrhundert noch oft so anfühlen, als würde die Welt von und für Männer gemacht. Ob das auch bei Software der Fall ist?

Wie andere Produkte auch, sollten Software-Produkte auf einzigartige Weise auf die Bedürfnisse Einzelner zugeschnitten sein. Dabei geht es natürlich nicht nur um Geschlechterunterschiede, sondern auch um Alter, Persönlichkeit, kulturellen und sozialen Hintergrund, Menschen mit Behinderungen und so vieles mehr“, sagen die Gründerinnen. „Und das gelingt am besten, wenn das Team, das eine Software konzipiert, gestaltet und umsetzt, ebenso vielfältig ist und so die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nutzer*innen versteht. Spiegelt die Zusammensetzung eines Teams dessen Kund*innen wider, ist es umso wahrscheinlicher, dass es effektiv mit ihnen kommuniziert.“

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Jana Schellong ist Product Managerin und hat zusammen mit Mihriban Minaz beams gegründet. Foto: beams

Um mit beams möglichst viele Bedürfnisse zu erfüllen, setzen Jana und Mihri unter anderem auf User Research. So wollen sie die Verhaltensweisen und Anforderungen verschiedener Benutzerdemografien verstehen. „Wir konzentrieren uns auf Teams bestehend aus Entwickler*innen, Designer*innen und Product Manager*innen – eine vielfältige Nutzerbasis, deren Vorlieben und Bedürfnisse nicht auf das Geschlecht herabgestuft werden können“, sagen die beiden. „Wir möchten die Gestaltung unserer Benutzeroberflächen anpassbar machen und Sprache oder Bilder vermeiden, die Geschlechterstereotypen in Bezug auf Produktivität verstärken.“

Die Gründerinnen sind davon überzeugt, dass eine weiblichere bzw. geschlechtergerechte Software-Welt zu vielfältigen Teams, inklusiven Unternehmenskulturen und erfolgreicheren Produkten führt. Dass Frauen in der Tech-Branche noch immer unterrepräsentiert sind, könne Jana und Mihri zufolge dabei helfen, dass sie sich besser in andere Minderheiten hineinversetzen und diese mit ihren Produkten stärker berücksichtigen. „Und damit meinen wir nicht nur Empathie auf emotionaler Ebene, wie Mitgefühl und Verständnis für die Bedürfnisse von Nutzer*innen, sondern auch die Erstellung integrativer Lösungen und Produkte sowie die Schaffung integrativer Arbeitsumgebungen“, sagen die Gründerinnen. „Wir brauchen also nicht nur mehr Frauen in Software-Teams, sondern in Entscheidungspositionen sowohl in der Unternehmensführung als auch für Produktentscheidungen.“

„Wir würden lieber darüber sprechen, wie wir ein erfolgreiches Produkt und Business aufbauen“

„Women in Tech“ ist ein Thema, das neben Unternehmen auf Bewerbersuche viele News-Seiten, Blogs und Plattformen wie OMR Reviews umtreibt. Wie schaffen wir es, die Software-Branche diverser zu gestalten und Frauen einen besseren Zugang, nicht nur zu Tech-Berufen, sondern insbesondere zu den von Jana und Mihri erwähnten Entscheidungspositionen zu ermöglichen? Förderprogramme und Netzwerke wie Women of SaaS setzen sich genau dafür ein, Initiativen wie proTechnicale sollen Mädchen früh für den MINT-Bereich begeistern. Und laut Financial Times schließt sich der Gender Gap in Tech-Berufen immerhin allmählich. Jana und Mihri zufolge gibt es allerdings ein bestimmtes, grundlegendes Problem: „Was wir wirklich brauchen, ist (Zugang zu) Kapital. Außerdem werden wir häufig auf Panels oder zu Interviews wie diesem eingeladen, wo es um Female Founders geht. Worüber wir allerdings lieber sprechen würden, ist, wie wir ein erfolgreiches Produkt und Business aufbauen.“

Dass Gründerinnen weniger Geld als Gründer erhalten, zeigt der Gender Investment Gap: 2023 bestanden fünf Prozent aller mit Risikokapital geförderten Start-ups in Deutschland aus weiblichen Gründungsteams. Gleichzeitig erhielten sie laut Ernst & Young (EY) aber nur zwei Prozent des eingesetzten Kapitals, also 102 Millionen Euro. Rein männliche Gründungsteams durften sich hingegen über insgesamt 4,9 Milliarden Euro (87 Prozent) freuen.

Diversität statt nur „Women in Tech“

Jana und Mihri wissen um die Wichtigkeit von Förderprogrammen und Coachings für Frauen in der Tech-Branche. Deutlich wird aber auch: Wie in jedem anderen Bereich sollten die Kompetenzen im Vordergrund stehen und nicht das Geschlecht. Sprechen wir immer nur über „Women in Tech“ und ihre Schwierigkeiten, riskieren wir gegebenenfalls, zu wenig Fokus auf die von ihnen geschaffenen Lösungen und Produkte zu lenken. Diversität und Geschlechtergerechtigkeit sollten also zur Norm und nicht von News-Portalen oder auch ContentHubs wie unserem extra betont werden müssen. „Es ist Fakt, dass diverse (Tech-)Teams besser performen, da sie diverse Kundengruppen besser verstehen und entsprechende Problemlösungsansätze mitbringen. Außerdem sind die Rollen und Aufgaben in der Softwareproduktentwicklung so vielfältig, dass sie nicht von einem bestimmten Persönlichkeitstyp bzw. Geschlecht erfüllt werden können“, sagen die Gründerinnen. „Es benötigt neben tiefer technischer Expertise empathische Problemlöser*innen, die gut zuhören und alle miteinbeziehen können. Es benötigt visionäre Führungspersönlichkeiten und so viele mehr.“

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Mihriban Minaz (l.) und Jana Schellong setzen mit ihrer Fokus-App beams auf Product-led Growth. Foto: beams

Das Team von beams besteht zurzeit aus sechs Personen. „Bei dieser Größe ist Diversität natürlich nur zum Teil umsetzbar. Unsere Teammitglieder spiegeln uns aber häufig, dass sie es wertschätzen, in einem frauengeführten Unternehmen zu arbeiten.“ Und dieses Unternehmen existiert auch dank viel Entschlossenheit: „Es benötigt schon eine Menge Mut, eine Idee in die Realität umzusetzen, wenn alle Chancen gegen einen stehen“, sagen Jana und Mihri. „Außerdem helfen eine unermüdliche Resilienz, die Aufgeschlossenheit (und etwas Naivität), sich allen Herausforderungen zu stellen und ein scharfes Gespür für eine überzeugende Produkt-Vision.“ Was zusätzlich von Vorteil ist? „Die Fähigkeit, Menschen von sich zu überzeugen – von Teammitgliedern über Investor*innen bis zu Kund*innen.“

„Feel the fear and do it anyways“

Die Zahlen des Start-up-Barometers von EY stützen Untersuchungsergebnisse zu Geschlechtergerechtigkeit und Diversität. Werte wie der Gender Pay Gap und Statistiken über die Zusammensetzung von Teams in unterschiedlichen Branchen – ob männlich dominierte Tech-Teams oder die Tatsache, dass noch immer kaum Männer Hebammen werden – machen deutlich: Hier gibt es noch viel zu tun. Mit beams zeigen Jana und Mihri, dass auch weiblich geführte SaaS Start-ups die Software-Welt bereichern (obwohl sie natürlich Normalität sein sollten): „Wir haben ein Produkt gebaut, das unsere User, jeden Tag nutzen, um ihre Arbeitsprozesse zu optimieren. User Engagement und -Interaktion waren schon immer unsere Stärke“, sagen die Gründerinnen. „Nun sehen wir, wie unsere bestehenden User immer mehr Kolleg*innen dazu einladen, auch beams zu nutzen. Vor allem Team Leads fragen jetzt aktiv Lösungen auf Team-Ebene an. Unser nächster großer Meilenstein ist also, unser Produkt für Teams in die Wirklichkeit umzusetzen. Das arbeiten wir gerade mit unserem Customer Advisory Board aus.“

Dieser Blick in die Zukunft, mit den Hürden der Gründung und den bisherigen Erfolgen von beams im Hinterkopf, lässt nur noch eine Frage offen: „Was wir den jüngeren Janas und Mihris raten würden? ‚Feel the fear and do it anyways‘ – hab keine Angst vorm Scheitern. Trau dich, noch größer zu denken und vertraue deinen Instinkten. Und womöglich am wichtigsten: Finde deinen Partner in Crime, damit ihr gemeinsam die zahlreichen Rückschläge überwinden und euch daran erinnern könnt, nie den Spaß an der Sache zu verlieren.“

Chantal Seiter
Autor*In
Chantal Seiter

Chantal ist Redakteurin bei OMR Reviews. Wenn sie gerade mal nicht in die Tasten haut, betreibt sie Café Hopping oder erkundet neue Städte. Am liebsten beides zusammen. Vor ihrem Start bei OMR Reviews hat die Eigentlich-Kielerin in Kreativagenturen und als Freelancerin gearbeitet. 2022 hat sie außerdem eine Weiterbildung zur Fashion Stylistin abgeschlossen.

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