Von Horizontal bis Vertical AI – das denkt Jan Marius Marquardt von Zive über die Rolle von KI in Unternehmen

Chantal Seiter 23.10.2024

Warum das Potenzial von Künstlicher Intelligenz die Bedenken des Gründers überwiegt und wie wir in Zukunft arbeiten werden

In der heutigen Arbeitswelt spielt Künstliche Intelligenz eine immer wichtigere Rolle, um Abläufe zu optimieren und unseren Arbeitsalltag effizienter zu gestalten – das ist kein Geheimnis mehr. Während viele Unternehmen dabei an klassische Automatisierungen denken, beschäftigt Jan Marius Marquardt vor allem unser Umgang mit internem Wissen. Der Gründer von Zive ist seit mehr als 20 Jahren in der Tech-Branche tätig, gründete zuvor das Intranet-Start-up Haiilo und hat sich zuletzt verstärkt auf den Einsatz von KI im Unternehmensumfeld konzentriert. Mit Zive hat er eine Plattform entwickelt, die das kollektive Wissen einer Firma automatisch organisiert und für die Produktivitätssteigerung mit KI-Funktionen verbindet.

Im Interview spricht Jan Marius Marquardt über die Entwicklung von KI für Unternehmensprozesse und darüber, wie die Technologie unseren Arbeitsalltag grundlegend verändern wird.

Du bist seit mehr als 20 Jahren in der Tech-Branche aktiv und hast mehrere erfolgreiche Start-ups gegründet. Was hat dich dazu inspiriert, dich auf Künstliche Intelligenz zu fokussieren?

Jan Marius Marquardt: Als ich im Büro zum ersten Mal mit Computern in Berührung kam, war das Internet ganz neu. Ich konnte live miterleben, wie es wirklich die ganze Welt revolutioniert hat. Später, während der Schulzeit, kamen Web-2.0-Plattformen wie MySpace, Facebook oder Reddit auf und dann mit dem iPhone und mit Android-Geräten die ersten Smartphones.

Ich konnte beobachten, wie diese neuen Grundlagentechnologien jedes Mal unglaubliche Veränderungen und Möglichkeiten schufen. Das gleiche Gefühl habe ich jetzt mit Künstlicher Intelligenz, nur zehnmal stärker. Ich bin davon überzeugt, dass wir es erneut mit einer Grundlagentechnologie zu tun haben, die uns noch ungeahnte Möglichkeiten bietet – auch wenn ich in Künstlicher Intelligenz durchaus Risiken für unsere Gesellschaft sehe. So oder so wird KI unser Leben verändern, sowohl beruflich als auch privat.

Klar ist deshalb: Ich will und muss mich auf Künstliche Intelligenz fokussieren. Einmal wegen des immensen kommerziellen Potenzials. Aber eben auch, weil ich genau verstehen will, welche Chancen und Risiken sie für uns als Gesellschaft bietet.

KI hat den Arbeitsalltag vieler Menschen verändert und sorgt noch immer für weitreichende Entwicklungen. Wie kann sie die tägliche Arbeit in Unternehmen effizienter und produktiver gestalten?

Jan Marius Marquardt: Um diese Frage zu beantworten, ist es erst mal hilfreich, zwischen zwei Ansätzen für die Nutzung von KI in Unternehmen zu unterscheiden: Der erste Ansatz besteht darin, vorhandene Prozesse mithilfe Künstlicher Intelligenz gänzlich neu zu denken. Da geht es häufig um teilweise oder komplette Automatisierung mithilfe von KI. Ich nenne das „Vertical AI“. Der andere Ansatz besteht darin, dass man die bestehenden Prozesse im Unternehmen erstmal so lässt, wie sie sind, und die jeweiligen Prozessschritte durch die Nutzung von KI deutlich effizienter macht. Das nenne ich „Horizontal AI“.

Wie man sich denken kann, ist der zweite Ansatz viel einfacher umsetzbar: Prozesse müssen nicht verändert werden und man gibt den beteiligten Mitarbeitenden KI-Tools an die Hand, mit denen sie ihre Arbeitsabläufe deutlich beschleunigen können. Ich rate Unternehmen deshalb dazu, sich im ersten Schritt auf „Horizontal AI“ zu konzentrieren. Der Return on Invest ist einfach viel schneller zu erreichen, man gewöhnt die Mitarbeitenden an die Nutzung von KI und baut Widerstände ab, bevor man sich im zweiten Schritt um die vertikale Prozessintegration – also „Vertical AI“ – kümmert.

Mitarbeitende verbringen jeden Tag viel Zeit damit, nach Informationen zu suchen. Hier kann KI bestimmt auch unterstützen, oder?

Jan Marius Marquardt: Das Suchen und Zusammenstellen von Informationen ist eine der wesentlichen Tätigkeiten von Wissensarbeiter*innen. Laut McKinsey verbringen sie damit täglich fast zwei Stunden. Deshalb liegt hier aus meiner Sicht eines der größten Produktivitätspotenziale von KI, das auch unmittelbar genutzt werden kann. Man muss sich das doch einfach mal vor Augen führen: Im Privatleben haben wir uns längst daran gewöhnt, mit wenigen Klicks über Google oder ChatGPT auf das gesamte Wissen der Menschheit zuzugreifen. Aber im Unternehmenskontext bestehen solche Möglichkeiten bis heute nicht. Wie kann das sein?

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Wenn Künstliche Intelligenz uns so viel Arbeit abnimmt, werden wir dann überhaupt noch gebraucht?

Jan Marius Marquardt: Jedes Mal, wenn es bahnbrechende, neue Technologien auf der Welt gab, haben Menschen diese Frage gestellt. Egal, ob es die Dampfmaschine war, das erste Fließband, Autos oder Computer. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt uns, dass wir es immer geschafft haben, diese fortschrittlichen neuen Technologien in eine breite Wohlstandssteigerung umzuwandeln. 

Vor 100 Jahren haben Menschen im Schnitt 70 Stunden die Woche gearbeitet. Heute liegen wir bei circa 35 Stunden pro Woche, also ungefähr der Hälfte. Gleichzeitig haben sich unsere Lebensbedingungen deutlich verbessert. Im Endeffekt glaube ich also daran, dass wir durch Künstliche Intelligenz Zeit sparen und sich das entweder in mehr Freizeit widerspiegelt oder indem wir uns mehr auf die Dinge konzentrieren können, in denen wir wirklich gut sind.

Ich finde, Ärzt*innen sind da ein gutes Beispiel: Sie verbringen unglaublich viel Zeit damit, Dinge zu dokumentieren. Gleichzeitig haben Patient*innen häufig das Gefühl, dass man ihnen nicht richtig zuhört und sie eher durch einen Termin durchgeschleust werden. Ich wünsche mir, dass KI hier irgendwann viel lästige Arbeit abnimmt, sodass sich Ärzt*innen intensiver auf ihre Patient*innen konzentrieren können – also auf das, was zählt.

Was sind deiner Meinung nach die größten Missverständnisse über KI im Arbeitskontext und wie kann man diese ausräumen?

Jan Marius Marquardt: Am meisten wundert mich, wie viele Firmen denken, es sei unglaublich kompliziert, KI produktiv im Unternehmen einzuführen. Außerdem herrscht vor allem in Deutschland ein ganz großes Missverständnis beim Thema Datensicherheit: Viele glauben unberechtigterweise, dass ihre Daten von irgendeiner höheren Macht ausgespäht werden könnten. Dabei gibt es wirklich zahlreiche seriöse und auch europäische Anbieter, auf die man sich komplett verlassen kann.

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Jan Marius Marquardt hat das Hamburger Start-up Zive gegründet, um Mitarbeitenden in Unternehmen mithilfe von KI besseren Zugang zu internem Wissen zu ermöglichen. Foto: Jan Marius Marquardt

Jetzt zur Glaskugel: Welche Entwicklungen erwartest du in den nächsten Jahren bezüglich KI am Arbeitsplatz? Gibt es Trends, die du besonders spannend findest?

Jan Marius Marquardt: Ich sehe die weitere Entwicklung von KI am Arbeitsplatz in drei Schritten:

  1. Im ersten Schritt werden bestehende Prozesse mithilfe Künstlicher Intelligenz effizienter gestaltet. Menschen nutzen KI-Plattformen wie Zive, um Arbeitsschritte schneller und besser zu erledigen. 
  2. Im zweiten Schritt werden Unternehmen bemüht sein, ihre bestehenden Prozesse stärker auf KI auszurichten, um folglich Automatisierungen voranzutreiben. 
  3. Im dritten Schritt sehe ich komplett digitale KI-Mitarbeitende, die auf Augenhöhe mit menschlichen Kolleg*innen konkrete Rollen und Aufgaben im Unternehmen übernehmen und mit ihnen Seite an Seite zusammenarbeiten.

Wie können Unternehmen deiner Meinung nach am besten von diesen Fortschritten hinsichtlich KI profitieren, ohne in den typischen Hype zu verfallen?

Jan Marius Marquardt: Das Beste, was Unternehmen heute machen können, ist sich für eine moderne KI-Plattform zu entscheiden, die sich schnell und unkompliziert einführen lässt und die laufend weiterentwickelt wird. Auf diese Weise profitieren Betriebe unmittelbar von den Vorteilen, ohne sich selbst um die rasanten technologischen Veränderungen in dem Bereich kümmern zu müssen. Bei der Auswahl einer Software würde ich deshalb nicht nur auf den aktuellen Funktionsumfang achten, sondern auch auf die Expertise und die künftige Vision des dahinter stehenden Teams.

Speaking of Vision: Welche Pläne habt ihr für Zive?

Jan Marius Marquardt: Wir wollen Zive zur weltweit führenden KI-Plattform für Unternehmen ausbauen. Zu einer Plattform, die das gesamte Wissen der Firma automatisch organisiert, es den Mitarbeitenden zur Verfügung stellt und mit einfach nutzbaren KI-Funktionen verbindet.

Dadurch wollen wir zwei Dinge erreichen: Erstens sollen Mitarbeitende viel schneller auf Wissen und Daten zugreifen können, zum Beispiel, indem sie die KI einfach fragen. Zweitens soll Zive die Arbeitsabläufe und Aufgaben der Mitarbeitenden deutlich beschleunigen, zum Beispiel, indem sie wiederkehrende Aufgaben einfach an den Zive KI-Assistenten delegieren.

Chantal Seiter
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Chantal Seiter

Chantal ist Redakteurin bei OMR Reviews. Wenn sie gerade mal nicht in die Tasten haut, betreibt sie Café Hopping oder erkundet neue Städte. Am liebsten beides zusammen. Vor ihrem Start bei OMR Reviews hat die Eigentlich-Kielerin in Kreativagenturen und als Freelancerin gearbeitet. 2022 hat sie außerdem eine Weiterbildung zur Fashion Stylistin abgeschlossen.

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