Die Zapier-Story: Mit No Code, Automatisierungen und cleverem SEO zur Milliardenbewertung
Dieses SaaS-Startup hat mehr als zwei Millionen Website-Besucher im Monat
- Der No-Code-Hype: „Bau etwas, ohne zu coden!“
- „Mit Zapier brauch ich fürs Marketing keine Developer mehr“
- Aus dem Tech-Niemandsland in die Welt
- Eine Szenegröße als ersten Kunden
- Wichtigster Wachstumshebel: SEO
- Backlinks dank Co-Marketing
- Mit 18.000 Landingpages bei Google auf Seite 1
- Produktivitäts-Listicles for the win
- 30 Millionen Website-Besucher im Jahr
Eine 2011 gegründete Software-Firma verzeichnet mittlerweile mehr als drei Millionen Nutzer:innen, erwirtschaftet 140 Millionen US-Dollar Annual Recurring Revenue (jährlich wiederkehrendes Einkommen), ist profitabel und wird mit fünf Milliarden US-Dollar bewertet – hat dafür aber nur 1,3 Millionen US-Dollar Investment benötigt. Das Automatisierungs-Tool Zapier ist selbst nach den Maßstäben des boomenden Software-as-a-Service-Marktes eine Ausnahmeerscheinung. Der vielleicht erstaunlichste Aspekt: Zapier lockt mehrere Millionen Besucher im Monat auf die eigene Website, ohne dafür zahlen zu müssen – auch das für eine B2B-Software-Firma mit einem erklärungsbedürftigen Produkt nicht unbedingt erwartbar. OMR zeichnet die Geschichte des SaaS-Champions nach und erklärt seine Marketingstrategie.
Für viele dürfte es eine reizvolle Vorstellung sein: den eigenen Job so stark zu automatisieren, dass man fast die Füße hochlegen kann und das Geld quasi von alleine auf dem Konto landet. Manche scheinen diesem Traum durch den Einsatz von vergleichsweise günstiger Software schon deutlich näher gekommen zu sein – zumindest lassen sich im Internet wild anmutende Schilderungen von solchen Erfolgen finden: „Ich habe mit zwei verschiedenen Menschen gesprochen, die erstaunliche Automatisierungen entwickelt haben, damit sie nicht viele Mitarbeiter einstellen müssen. Ein Typ mit acht Airbnb-Immobilien, der jährlich eine Million US-Dollar Gewinn einfährt. Eine Menge Zapier. Hat nur Reinigungskräfte angestellt“, tweetet vor wenigen Wochen Sam Parr, Gründer von The Hustle (hier im OMR Porträt). Ein anderer US-Unternehmer, Will Maxwell, berichtet auf Twitter davon, dass er innerhalb von zwei Jahren Millionär geworden sein will, in dem er systematisch potenzielle Neukund:innen für Anwaltskanzleien aufgespürt und weitervermittelt habe – ebenfalls mithilfe so genannter „No Code“-Automatisierungs-Tools.
Der No-Code-Hype: „Bau etwas, ohne zu coden!“
Rund um No-Code-Services wie beispielsweise Notion (hier im OMR-Porträt), Figma (OMR-Porträt) und eben Zapier ist in den vergangenen ein bis zwei Jahren in der Software-Szene ein enormer Hype (mit teilweise hohen Funding-Runden) entstanden. Das Versprechen der Anbieter: Die Nutzenden sollen mit den Tools ihren (ja immer stärker am Bildschirm stattfindenden) Arbeitsalltag erleichtern können, ihn schneller, organisierter und strukturierter gestalten – eben ohne, dass sie dafür programmieren können müssen.
Im Fall von Zapier geschieht das, in dem die Nutzenden mit der Software eine Vielzahl unterschiedlicher Apps untereinander verknüpfen und miteinander „sprechen“ lassen können – von den meist verbreiteten „Work Apps“ wie Microsoft Teams, Slack und Googlemail bis hin zu Produktivitäts-Tools, Sales- und CRM-Systemen, Online-Shops und Marketing-Software. Und nicht nur das: Mit Zapier lassen sich auch automatisierte Prozesse aufsetzen, nach dem Muster: „Wenn Fall XY eintritt, dann soll automatisch Aktion Z durchgeführt werden“. Zapier selbst spricht hier von „Triggern“ und „Actions“, die in einem „Zap“ zusammengefasst werden.
„Mit Zapier brauch ich fürs Marketing keine Developer mehr“
Manche Anwender nutzen Zapier, um in weniger als einer Minute automatisiert 27 Werbebanner-Varianten erstellen zu können. „Mit Zapier ist es kinderleicht, automatisierte Workflows über mehrere cloud-basierte Tools aufzubauen. Ich habe dank dem Tool seit fünf Jahren für kein Marketing-Thema mehr einen Developer gebraucht“, sagt Hannes Fehr von Leadvolution in seiner Rezension zu Zapier bei OMR Reviews. Andere automatisieren mit Zapier interne Prozesse: „Wenn bei uns ein neues Projekt in (der Projekt-Management-Software) Moco angelegt wird, wird dies in Zapier getriggert und löst eine Kette von Reaktionen aus: eine Projektkarte im Notion-Board anlegen, die entsprechende Projekt-Ordner-Struktur basierend auf dem Projekttyp in Google Drive erstellen und eine Slack Nachricht in den Kundenchannel schreiben“, so Julian Junghöfer von der Digital-Agentur Vereda in seiner Review zu Zapier.
Offensichtlich haben viele Unternehmen und Unternehmer das Potenzial solcher Effizienz-Hacks zu schätzen gelernt und sind dementsprechend bereit, für die Nutzung von Zapier ein Bezahl-Abo abzuschließen. Bis zum April 2020 hat Zapier einem Interview mit Mitgründer Wade Foster zufolge drei Millionen Kunden Nutzer:innen gewonnen, von denen mehr als 100.000 für einen größeren Funktionsumfang zahlen – die meisten angeblich zwischen 20 und 50 US-Dollar, manche bis zu 600 US-Dollar im Monat. 140 Millionen US-Dollar Annual Recurring Revenue erwirtschafte das Unternehmen auf diese Weise, heißt es in einem Forbes-Artikel aus dem März 2021. Seit 2014 ist Zapier nach eigenen Angaben profitabel.
Aus dem Tech-Niemandsland in die Welt
Dass das Startup einmal diesen Aufstieg erleben würde, war nicht unbedingt zu erwarten. Die Zapier-Gründer sind quasi die Antithese zum Klischee der US-Gründer:innen, die an Elite Unis studiert und dann in Kalifornien mit teilweise waghalsigen Geschäftsideen riesige Investitionen einsammelt haben. Wade Foster und seine beiden Mitgründer Bryan Helmig und Mike Knoop lernen sich Anfang der Zehner-Jahre kennen, als sie gemeinsam für „Veterans United“ arbeiten, einen Online-Hypothekenanbieter, der sich speziell an Veteranen richtet (die staatlich vorgeschrieben günstigere Konditionen erhalten). Das Unternehmen sitzt in Columbia Missouri, einer Kleinstadt mit 120.000 Einwohnern im mittleren Westen, weit weg von den Epizentren der US-Tech- und Startup-Szene.
Bei einem „Startup Weekend“ an der örtlichen Uni entwickeln sie einen ersten Prototypen, damals noch unter dem Namen „API Mixer“ (weil sie verschiedene Schnittstellen, APIs, miteinander verknüpfen möchten). Später wechseln sie zu Zapier, weil der Name ebenfalls API beinhaltet und sich auf „happier“ reimt. Viel wichtiger aber als die Frage des Namens: Wie findet man aus dem Tech-Niemandsland heraus erste Kund:innen für ein Produkt, was quasi unsichtbar ist, und von dem viele potenzielle Nutzer:innen vermutlich noch nicht einmal wissen, dass es existieren könnte? Hart sei das gewesen, so Wade Foster in einem rückblickenden Text im Zapier-Blog.
Eine Szenegröße als ersten Kunden
Anfangs aktivieren die Gründer ihr kleines Netzwerk und führen mit potenziellen Kund:innen Skype-Calls durch, um deren Bedürfnisse zu verstehen. Dann kommt ihnen eine noch bessere Idee: Um Leute aufzustöbern, die Integrationen brauchten, und herauszufinden, welche die gefragtesten waren, trollen sie sich in Software-Foren herum: „Wir sind ins Forum von ’37 Signal‘ und fanden Leute, die um eine Integration mit Google Contacts bettelten. Im Salesforce-Forum fanden wir welche, die händeringend um eine Evernote-Integration baten. Es war eine Goldmine.“
Ihren allerersten zahlenden Kunden finden sie über das Programmier-Forum Stackexchange. Zu ihrem Glück sucht dort Andrew Warner, Host des bekannten Startup-Podcasts Mixergy, nach einer Integration von zwei Tools. Als die Zapier-Gründer seinen Wunsch umsetzen, zahlt er ihnen dafür 100 US-Dollar und tweetet darüber. „Dadurch bekam Zapier in einer Stunde mehr Traffic als wir je zuvor hatten“, so Foster. „Nachdem eine Woche vergangen war, hatten wir ein Dutzend weitere Kunden an Land gezogen.“ Nicht nur Warner, sondern auch alle weiteren Teilnehmenden an Zapiers Betaphase zahlen für die Nutzung des Tools. „Wir wollten kein Geld mit der Beta machen, sondern wollten Leute, denen das Produkt wichtig genug war, um dafür zu bezahlen.“ So hätten die Gründer Nutzer:innen gewonnen, die wertvolles Feedback gegeben hätten.
Wichtigster Wachstumshebel: SEO
Nachdem zuvor ihre erste Bewerbung bei Y-Combinator, dem wohl renommiertesten Startup-Accelerator der US-Tech-Szene, gescheitert war, haben die Zapier-Gründer im zweiten Anlauf mehr Erfolg. Dabei dürfte geholfen haben, dass die drei sich nicht nur bei einigen anderen SaaS-Firmen durch entsprechenden Integrationen einen Namen gemacht, sondern dass sie auch relevantes Kundeninteresse vorweisen können: „Wir hatten eine funktionierende Beta-Version, für die 1.000 Menschen gezahlt haben, und hatten weitere 10.000 auf einer Warteliste“, so Foster in einem Interview. Er und seine beiden Mitgründer ziehen also an die Westküsten und verbringen dort drei intensive Monate.
Doch Kunden einzeln selbst in Foren aufzustöbern ist schwer skalierbar – wie also kann Zapier neue Kunden im größeren Stil akquirieren? Die naheliegende Antwort: Suchmaschinenoptimierung. Die Zapier-Macher erweitern ihre Website um eine Vielzahl spezialisierter Landingspages. Dabei gibt es drei Stufen: auf der ersten Stufe befinden sich Landingpages für jede einzelne App, die Zapier mit anderen verknüpfen kann. Die zweite Stufe: Unterseiten für jede einzelne Kombination zweier Apps, die jemand potenziell miteinander verknüpfen möchte, dafür eine Lösung bei Google sucht (und bei denen das mit Zapier möglich ist). „Wenn also jemand nach ‚groove und jira‘ sucht, taucht Zapier idealerweise in den Ergebnissen auf“, so Foster. „Auf diese Weise finden uns die Leute, die genau danach suchen, und wir müssen diesen Bedarf nur noch ernten.“
Backlinks dank Co-Marketing
Auf der dritten Stufe befinden sich Landingpages für jeden einzelnen „Zap“, also Workflow, der sich mit Zapier abbilden lässt. Beispielsweise: „Schicke Nutzer:innen, deren Nachricht ich bei Slack speichere, eine E-Mail“. Diese Landingpages werden offenbar von Zapier automatisiert erstellt; eine solche automatisierte Erstellung von Content und Landingpages auf Basis von vielen Varianten wird auch „Programmatic SEO“ genannt. Alle drei Arten von Landingpages sind zudem stets miteinander verknüpft: Besucher:innen von Integrations-Landingpages können sich zu Zaps oder zu Unterseiten über einzelne Apps durchklicken und umgekehrt.
Alle Unternehmen, die mit ihren Apps Integrationspartner von Zapier werden wollen, müssen zu Anfang den Content für solche Landingpages bereitstellen. Das Zapier-Team setzt stark auf Co-Marketing: Im sogenannten Partner-Kit verspricht es potenziellen neuen Partnern nicht nur zahlreiche Aufmerksamkeitshebel wie Blog-Artikel, Newsletter und andere E-Mails zur neuen Partnerschaft. Es animiert die Partner auch dazu, selbst tätig zu werden, Pressemeldungen zu verschicken, die Zapier-Integration und Zaps auf der eigenen Website, beispielsweise beim Onboarding-Prozess, einzubauen. „Diese Partner-Promotion-Taktiken generieren nicht nur einen Strom neuer Nutzer für Zapier, sondern sorgen auch für ein Set neuer Backlinks, die das Ranking der Seite verbessern“, so Ryan Berg, Experte für SaaS-SEO in einer Case Study zu Zapier.
Mit 18.000 Landingpages bei Google auf Seite 1
Am Anfang müssen die Zapier-Partner für die Landingpage ihrer App noch eine ausführliche Beschreibung erstellen, um Texte von hoher Qualität für die eigene Website zu gewinnen. Mittlerweile hat Zapier 5.000 Apps angebunden; die Texte auf den jeweiligen Landingpages sind heute kürzer und offenbar teilweise automatisiert erstellt. Das ist leichter zu skalieren und hat trotzdem keine negativen Auswirkungen auf Google-Sichtbarkeit, wie Ryan Berg konstatiert: „Nach Angaben [des SEO-Tools] Ahrefs gibt es 69.263 dieser Landing Pages, die in den Top 100 von Google gelistet sind. Und 18.585 der Seiten haben ein Ranking auf der ersten Seite für mindestens ein Keyword.“
Mit den spezialisierten Landingpages deckt Zapier den unteren bis mittleren Funnel ab: Nutzer:innen, die schon für ein spezifisches Problem eine Lösung suchen und mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu Kunden konvertierbar sind. Doch Zapier hat noch Probleme mit der Markenbekanntheit: „Wir hatten das Gefühl, dass wir die Messlatte höher legen mussten“, so Wade Foster. „Unsere Partnerschaften liefen gut, die SEO-Strategie funktionierte gut, aber Zapier war immer noch ziemlich unbekannt. Wenn man keinen Bedarf an uns hatte, gab es keinen Grund, von unserer Existenz zu wissen.“
Produktivitäts-Listicles for the win
So entscheidet sich das Zapier-Team dazu, ins Content Marketing einzusteigen: „Wir haben uns angeschaut, was die besten Leute in diesem Bereich machen, und überlegt, wie wir ihren Stil nachahmen können – aber mit unserer eigenen Stimme und zu den Themen, von denen wir glauben, dass sie für unsere Kunden am interessantesten sind“, sagt Wade Foster. „Und so nahm unser Blog Gestalt an, der sich um Apps und Tools, Produktivität und Ähnliches dreht.“
Der Zapier-Blog bearbeitet dieses Themenfeld von vielen Seiten: Es gibt Case Studies („Passive income automation: How I built my fitness business using Zapier“), App Tutorials („How to customize your slack sidebar“) und diverse andere Kategorien. Am erfolgreichsten in Sachen Google-Sichtbarkeit sind dabei offensichtlich mit Listicles rund um Tools. Laut dem SEO-Tool Sistrix liegt die Zapier-Website in den USA beispielsweise zur Suchanfrage „apps with free texting“ (die mehr als 60.000 Suchen monatlich verzeichnet) mit dem Blog-Artikel „The 5 best texting apps in 2022“ in Googles Suchergebnissen auf Platz 1. Zur Suchanfrage „to do list“ (knapp 42.000 Suchanfragen monatlich) rangiert der Zapier-Blog-Artikel „The 8 best to do list apps of 2022“ auf Rang 3.
30 Millionen Website-Besucher im Jahr
Mittlerweile rührt der größte Teil von Zapiers Sichtbarkeit bei Google aus dem Blog. Zwar sind die Besucher des Blogs weniger „Conversion-stark“ – aber wenn all jene, die ihren Arbeitsalltag mit Tools immer weiter optimieren wollen, bei ihren Recherchen immer wieder bei Zapier landen, prägt das auch die Marke. „Es ist sehr anstrengend und braucht Zeit, aber es lohnt sich“, resümiert Wade Foster. Zudem bindet das Zapier-Team in die Listicles auch „Zaps“ (also die mit Zapier möglichen Automatisierungen) der jeweiligen aufgelisteten Apps an. Dadurch demonstriert das Unternehmen zum einen, was das eigene Tool zu leisten im Stande ist, zum anderen erzielt es durch die internen Verlinkungen zu anderen Seiten weitere positive SEO-Effekte.
30 Millionen Besucher:innen verzeichne die Zapier-Website im Jahr, erklärte das Unternehmen im Februar 2021 in einer Pressemitteilung – das wären im Schnitt also mehr als zwei Millionen im Monat. Das Statistik-Tool Similarweb schätzt die Zahl der monatlichen Besuche aktuell auf 5,7 Millionen; 57 Prozent davon sollen über Suchmaschinen zustande kommen. Die SEO-Strategie dürfte also enorm zum Wert des Unternehmens beigetragen haben. Nachdem Zapier erst zwei Mal (in einer Seed-Runde mit Y-Combinator und einem Early-Stage-Funding u.a. mit Bessemer Ventures und Salesforce) selbst Geld eingesammelt hat, ist das Unternehmen seit dem vergangenen März mit fünf Milliarden US-Dollar bewertet. Erstaunlicherweise hat Zapier dabei gar keine neuen Anteile ausgegeben, sondern die renommierten VC-Firmen Sequoia und Steadfast haben bestehenden Investoren Anteile zu einer neuen, höheren Bewertung abgekauft. Keiner der Gründer habe dabei Anteile abgetreten: „Ich persönlich glaube sehr an das, was wir tun. Es gibt nichts anderes, was ich mit diesem Geld tun könnte. Wenn ich Geld herausnehmen würde, würde ich als Erstes weitere Zapier-Aktien kaufen“, so Foster gegenüber Forbes.
Ihr wollt mehr darüber wissen, wie Zapier funktioniert, was Nutzer:innen in der Praxis damit anstellen und was ihre Erfahrungen mit dem Tool sind? Dann lest Euch die Zapier-Reviews bei OMR Reviews durch!