Echt? Fake? Egal! KI-Porträtfotos als Effizienz-Hack auf Linkedin

Christian Cohrs11.11.2024

Ein Mannheimer Personal-Branding-Pionier bespielt sein Profil auf dem Business-Netzwerk mit Computer-generierten Fakes-Fotos von sich – und (fast) niemand hat ein Problem damit

Gegenüberstellung von realen Fotos und KI-generierten Bildern von Niklas Götz
Echt versus KI: Niklas Götz hat ein KI-Modell mit eigenen Fotos so gut trainiert, dass die Algorithmen sogar seine Tätowierungen fast korrekt reproduzieren können. (Foto: Niklas Götz)
Inhalt
  1. KI-Workflows aufbauen muss man wollen
  2. Vier Cent pro generiertem Fake-Foto
  3. Bis zu 50 Prozent effizienter arbeiten
  4. "Die Möglichkeit, kreativer zu werden"
  5. Klare Grenzen und eine Guideline
  6. Ein Video-Call mit Karl Marx 

Personal-Branding-Marketer Niklas Götz experimentiert seit einer Weile mit KI-generierten Fotos seiner Kund*innen auf Linkedin. Und siehe da: Niemand erkennt die vermeintlich echten Porträtaufnahmen aus dem Computer. Zudem, sagt er, performten die Posts mit KI-Bildern besser, die Erstellung der Motive sei flexibler und zugleich sehr viel billiger als ein reales Shooting. Vielleicht noch wichtiger: KI-Portraits lösten ein nerviges Alltagsproblem der Mannheim Content-Marketing-Agentur. Götz und seine Kolleg*innen müssen ihren Klienten nicht mehr hinterherlaufen, um frisches Bildmaterial für neue Posts zu erbetteln. Werden KI-Fotos beim Personal Branding auf Linkedin zum Standard?   

Niklas Götz hat selbst nicht damit gerechnet, wie groß das Interesse an der Offenlegung seines kleinen Experiments sein würde. Vor einigen Wochen postete er bei Linkedin einen Beitrag, in dem er verriet, er habe eine KI darauf trainiert, auf Basis kurzer Textprompts fotorealistische Bilder von ihm zu erzeugen. 3.800 Menschen kommentierten unter Götz' Post, um von ihm die Anleitung geschickt zu bekommen. Für einen Account mit weniger als 10.000 Follower*innen eine phänomenale Engagement-Rate, die beweist: Götz hat nicht nur seinen Job als Marketer drauf; er hat auch erkannt, wie heiß das Thema KI-Porträts gerade in der Linkedin-Bubble ist. 

KI-Workflows aufbauen muss man wollen

Trotzdem mündete der viralen Posts in eine doppelte Enttäuschung. Für Götz selbst, weil 95 Prozent der generierten Leads für seine Agentur unbrauchbar gewesen seien, erklärt er im Gespräch mit OMR. Wobei das nicht so schlimm sei, da sich seine Firma We Go Beyond eher als Boutique-Agentur für Marketing-Berater*innen verstehe, sagt er. Denen verspricht er: "Mit unserem einzigartigen WGB Framework machen wir LinkedIn zum Umsatztreiber deiner Agentur und bringen euch die Sichtbarkeit, die ihr verdient." Zur Handvoll Kund*innen zählen vor allem Coaches auf diesem Feld, wie der Performance-Marketing-Experte Moritz Lambrecht.

Tatsächliche Ernüchterung dürfte sich dagegen bei all den Social-Media-Manager*innen eingestellt haben, die auf ein bequemeres Leben dank Götz' Anleitung gehofft zu haben. "Das musst du wirklich wollen", sagt Götz selbst über sein Experiment. Für den Zugang zum Generative-AI-Tool-Flux, das er für die Erstellung der "Fotos" nutzt, sind nämlich mehrere Accounts bei nerdigen Coder-Plattformen und Cloud-Diensten nötig. Viele hätten ihm geschrieben, die Anleitung sei hilfreich, aber viel zu kompliziert.

Vier Cent pro generiertem Fake-Foto

Einfacher kann man es sich mit den zahlreichen KI-Headshot-Tools machen, die im Web mit reichlich Google-Ad-Spending beworben werden. Aber die sind am Ende gar nicht mal so preiswert und sie liefern – anders als Götz' Workflow – oft nur mehr oder minder gut gelungene Frontalporträts. Götz ging es aber nicht nur darum, irgendein Bild von sich auf Knopfdruck erzeugen zu können, sondern um Freiheit bei der Bildgestaltung, um Motive kreieren zu können, die nicht nur illustrieren, sondern beim Scrollen durch den Feed Aufmerksamkeit erregen.   

Das geht dank Götz' Workflow nun zu initialen Kosten von 3,50 bis 5,50 Euro für das Training des Modells. Dazu kommen dann circa vier Cent für jedes anschießend erzeugte Porträt. Also "unfassbar wenig", so Götz. Aufgrund der technischen Herausforderungen für IT-Laien dürfte die Umstellung auf KI-generierte Fotos dennoch zunächst eine Nischenlösung bleiben. Zwar gibt es inzwischen erste kommerzielle Tools, die eine flexiblere Inszenierung ermöglichen, doch viele Firmen dürften sich erst dafür erwärmen, wenn sie mit absoluter Sicherheit wissen, dass so sensible Daten, mit denen sich die Gesichter ihrer Mitarbeitenden in jeden denkbaren Kontext imaginieren lassen, in einer internen, gut abgesicherten Infrastruktur lagern und nicht irgendwo im Web. 

Bis zu 50 Prozent effizienter arbeiten

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Früher Vogel und so? Von wegen. Auch dieses Highperformer-Selfie von Niklas Götz ist KI-gneriert. (Foto:Niklas Götz)

Für technisch versierte Pioniere wie Götz tun sich dank Gen-AI allerdings neue Wege auf, die eigene Effizienz radikal zu steigern. Damit experimentieren die Mannheimer schon länger, die Foto-Fakes sind nur der nächste Schritt. Angefangen habe es mit KI-Transkripts der wöchentlichen Briefing-Calls, die er mit seinen Kund*innen unterhält, sagt Götz. Darauf folgten automatisch generierte Zusammenfassungen, die dann wiederum zum Ausgangsmaterial für eine Reihe von Custom-GPTs werden, KI-Bots, mit denen die Entwürfe dann beispielsweise in der Tonalität verändert werden können. Am Ende erfordere jeder Post zwar noch immer Handarbeit, so Götz, doch "das sind krasse Erleichterungen, die wir in der täglichen Arbeit merken." Der Agenturchef schätzt den Effizienzgewinn auf 40 bis 50 Prozent.

Nach seinem Post über das KI-Foto-Experiment habe er aus seiner Bubble auch kritische Rückmeldungen bekommen, so Götz. Diese "Hardliner" würden sich extrem abwehrend äußern und die "Authentizitätsfahne hochhalten". Die Mehrheit, vor allem bei jüngeren Maketern, zeige jedoch eine extreme Offenheit – "weil sie wahrscheinlich auch einfach viele Möglichkeiten sehen", sagt Götz.

"Die Möglichkeit, kreativer zu werden"

Die sind tatsächlich vielfältig: Der praktische Vorteil, nicht alle paar Monate ein Shooting planen zu müssen. Oder überhaupt bildstarkes Fotomaterial von Menschen generieren zu können, die sich vor einer Kamera eher unwohl fühlen. Dazu kann er dann seines KI-Workflows nun Bildvarianten iterativ testen und feintunen. Hinzu kommt eine ungekannte Freiheit, so Götz. "Für uns gibt es die Möglichkeit kreativer zu werden." Während er früher große Überzeugungsarbeit habe leisten müssen, Klienten für gewagtere Bildideen – etwa mit einer brennenden Zeitung in der Hand – zu gewinnen, könne er solche "Scroll Stopper" nun einfach mal prompten und dem Klienten vorlegen. 

Vermutlich hat Götz auch Glück, dass seine Kund*innen schon durch ihre Profession für Performance-Aspekte eine große Offenheit für KI-generierte Porträts mitbringen. Ein Großteil von denen habe direkt gesagt: "Ja, könnte ich mir vorstellen", sagt Götz. Die meisten seien zwischen 30 und Mitte 40 und würden KI-Tools mittlerweile selbst sehr intensiv in ihrer Arbeit nutzen. "Die haben ein großes Verständnis dafür, dass wir es das vorantreiben", sagt Götz. Und auch sie sehen natürlich den ganz praktischen Vorteil: "Ey geil, ich muss keine Fotos mehr machen, Hammer."

Klare Grenzen und eine Guideline

Klar gibt es für Götz auch Grenzen, die er nicht überschreiten würde. Etwa seine Klienten virtuell auf Bühnen von Event zu stellen, bei denen sie nie gesprochen haben. Seine Faustformel für das machbare lautet: "Es geht um Bilder, die genauso gut ein Fotograf hätte aufnehmen können." 

Er selbst verwendet auf seinem Linkedin-Profil kaum noch ein echtes Foto, sagt Götz. Wobei man das eben nicht erkennen soll. So zeigen KI-Fotos ihn in einem Konferenz-Setting oder bereits bei Sonnenaufgang am Laptop in Arbeit vertieft. Vor allem nutzt er die KI-Bilder bei sich und den Kund*innen seiner Agentur bislang als Hintergrund für Visuals mit eingebetteten Grafiken. Ob die Klienten auf der Plattform transparent machen, dass es sich um KI-generierte Bilder handelt, überlasse er ihnen. 

Ein Video-Call mit Karl Marx 

Wer jetzt glaubt, mit KI-generierten Porträts auf Linkedin werde der ramponierte Begriff der "Authentizität" noch weiter ausgehöhlt, sollte sich vielleicht an einen neuen Gedanken gewöhnten. Es könnte sein, dass die Technologie gerade dabei ist, Authentizität neu zu definieren. Coaches, wie sie die Klientel von Niklas Götz' Agentur sind, haben daran großen Anteil. Das US-Startup Delphi AI hat gerade eine Plattform gelauncht, auf der User*innen mit mehr oder minder bekannten Business-Coaches chatten, telefonieren oder Video-Calls mit ihnen buchen können.  

Die Bandbreite der Ratgeber*innen bei Delphi AI reicht von Personal-Performance-Coaches wie Brendon Burchard und Randy Garn über Silicon-Valley-VCs bis Beff Jezos, dem Kunstcharakter hinter der hyperkapitalistischen "e/acc"-Bewegung. Wobei sich Fragen zu Unternehmensgründungen oder persönlichen Problemen auch mit Karl Marx und Siegmund Freud erörtern lassen. Denn bei Delphi AI interagieren die User nicht mit den realen Personen, sondern mit Klonen, die jede*r von sich erstellen kann. Und die, verspricht der Anbieter, antworten genauso, wie es die echten Personen tun würden, beziehungsweise getan hätten.

Authentizität galt einmal als Gut, das definiert wird durch seine natürliche Knappheit. Generative KI macht daraus ein unendlich skalierbares Businessmodell. Was sind da schon ein paar täuschend echte, aber falsche Fotos auf Linkedin … 

LinkedIn MarketingKünstliche IntelligenzPersonal Branding
Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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