Tiktok-Phänomen Spezi-Metzger: Leberkäse, Mettwoch und der "Böhmische Traum"
Fleischermeister Alex Richter hat sich zum Meme gemacht und verschafft der Dorfschlachterei seiner Familie so eine deutschlandweite Fanbase
- 100.000 Follower und 25 Millionen Views mit Leberkäse
- Schlachterei als typisches Garagen-Startup
- Aus "Jux" zum Fleisch-Influencer
- Plattformen für alle Generationen
- 300 Kilogramm Mett an einem Tag
- Fans kommen mit dem Bus
- "Denkst du an Wolsdorf, denkst du an uns"
Wenn zwei Schweizer auf ihrem Weg nach Dänemark 200 Kilometer Umweg fahren, allein um in einem kleinen Kaff in Niedersachsen ein Leberkäse-Brötchen zu essen, gibt es dafür einen guten Grund: Tiktok. OMR hat mit Fleischermeister Alexander Richter darüber gesprochen, wie er die App und andere Social-Media-Plattformen nutzt, um Kunden aus ganz Europa für die Steaks und Würste seiner Dorfschlachterei zu begeistern.
Es ist morgens kurz nach sechs. Aus den Boxen wummert Schlagermusik. Auf dem weißen Schneidebrett dampft ein zwei Finger dickes Stück Fleischkäse. Alex Richter beschmiert ein aufgeschnittenes Brötchen mit Senf, legt den Fleischkäse zwischen die Hälften und dann sagt er seinen Satz: "Das geht jetzt für’n Fünfer nach vorne zu Marianne in den Laden. Also Leute, auf nach Wolsdorf ins schöne Niedersachsen, euer Alex."
100.000 Follower und 25 Millionen Views mit Leberkäse
Und die Leute tun genau das. An manchen Tagen kämen mittlerweile vier oder fünf Fans, manchmal ganze Busse, sagt Richter im Interview mit OMR. Dann gibt es ein Fleischkäse-Brötchen und ein Selfie mit dem 22-jährigen Metzgermeister und Fleischsommelier. Demnächst kommt dann wohl noch ein T-Shirt, eine Cap oder eine Kaffeetasse dazu. Die erste Merch-Kollektion der Spezi-Metzgerei erhalte gerade den letzten Schliff, so Richter.
Der Content, mit dem Richter der kleinen Dorfschlachterei bei Tiktok, Instagram und Facebook zusammen mehr als 100.000 Follower und laut dem Tool Infludata) knapp 25 Millionen Views verschafft hat, ist denkbar simpel. Seit Mitte 2022 dreht der junge Fleischermeister den mehr oder weniger selben Clip: Er präsentiert das Produkt des Tages, indem er den im Hintergrund laufenden Schlager – meist der "Böhmische Traum" – überschreit. Dienstag ist Leberkäse-Tag, Mittwoch ist Mettwoch, donnerstags ist Bayerischer Vormittag.
Schlachterei als typisches Garagen-Startup
Alex Richter ist Fleischermeister in vierter Generation. Die Spezi-Metzgerei wurde von seinem Vater gegründet, nachdem der seinen Job in einem insolvent gegangen Fleischereigroßbetrieb verloren hatte. Der Familienbetrieb, der heute zwei Filialen unterhält, startete vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten als Partyservice in einer umgebauten Garage. "Ähnlich wie bei Bill Gates oder Jeff Bezos", erklärt Alex Richter pointensicher.
Sein Vater war es auch, der das Potenzial von Facebook für das Marketing erkannte. 2011 hatte die Familie ihr Ladengeschäft in Wolsdorf bei Helmstedt eröffnet. Ein zugezogener Schlachter in einem niedersächsischen Dorf – keine leichten Startbedingungen. Die Kundschaft bestand vor allem aus Rentner*innen. "Mit zwei Scheiben Mortadella und 50 Gram Mett können wir nicht leben", so damals die Einsicht seines Vaters, erzählt Richter.
Aus "Jux" zum Fleisch-Influencer
In dieser Zeit erlebte das Thema Fleisch jedoch einen Hype: Grillen wurde zum Hobby. Die Richters begannen Dry Aged Beef zu produzieren und darüber bei Facebook zu posten. Die Seite der Metzgerei hatte damals zwar nur wenige Hundert Follower, aber ausreichend Reichweite, dass nun sogar Kund*innen aus dem 40 Kilometer entfernten Braunschweig nach Wolsdorf kamen. 2018 wurde die Spezi-Metzgerei um ein Steak-Restaurant erweitert.
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Zwei Jahre später kam Corona. Das Restaurant musste schließen, dafür zog der Verkauf im Laden an. "Die Leute mussten ja wieder zuhause kochen", sagt Richter. Mit dem Ende der Pandemie flaute die Nachfrage allerdings direkt ab. "Wir müssen was machen", habe er sich damals gedacht, so Richter. Zu dem Zeitpunkt hatte er gerade seinen Fleischermeister in der Tasche. Im Gespräch mit einem Kollegen von der Meisterschule kam er "aus Jux und Dollererei" auf die Idee, sich als Fleisch-Influencer auszuprobieren.
Plattformen für alle Generationen
Als Richter dann im Frühsommer 2022 "das allererste Fleischkäse-Video", wie er es selbst nennt, gemacht hat, geht das direkt auf Facebook viral: 320.000 Views. Alex Richter schlägt seinem Vater vor, die Social-Media-Präsenz der Dorfschlachterei auf Instagram und Tiktok auszuweiten – „dann haben wir Plattformen für alle Generationen“. Ein kluger Impuls. Nach nur drei Monaten hat der Spezi-Metzger auf Tiktok 25.000 Follower. Die Clips erreichen dort vom Start weg solide fünfstellige Aufrufzahlen mit regelmäßigen Ausreißern nach oben.
Die Formel dahinter – man könnte sie als "Murmeltiertag meets Selbst-Memifizierung" umschreiben – hat die Spezi-Metzgerei, Alex Richter und seiner jüngeren Schwester Madita, die nach dem Abi gerade eine Lehre im Betrieb der Eltern macht, eine treue Fanbase eingebracht. "Nur Alex und Madita dürfen mich morgens um 6:31 Uhr anschreien", "Irgendwann fahr ich die 874 km" – die Kommentarspalte ist ein Hort der Sympathie. Immer mal wieder gebe es Hater, so Richter. Aber die Fans würden die im Zaum halten.
300 Kilogramm Mett an einem Tag
Wie viel Geld die Metzgerei dank Facebook, Instagram und TIktok zusätzlich einnimmt, mag Richter nicht beziffern. "Man hat ein Umsatzplus", sagt er nur. Und etwas anschaulicher: An einem guten Mettwoch würden inzwischen 300 Kilo Hackepeter über den Tresen gehen. Und die knapp 180 Kilo Fleischkäse, die er in dieser Woche produziert hat, seien bereits nach zwei Tagen ausverkauft gewesen.
Der Erfolg des Spezi-Metzgers basiere aber nicht allein auf Social Media, glaubt Richter. Qualität und Transparenz spielten ebenso eine Rolle. Das von ihnen verarbeitete Fleisch stammt von Strohschweinen, die auf einem Betrieb im benachbarten Harz aufwachsen, erklärt Richter. Regelmäßig führt er in den Videos vor, wie bei ihnen gearbeitet wird. "Wir sind ja sehr gläsern", sagt Richter. Und wer danach frage, werde auch gerne durch die Produktion geführt.
Fans kommen mit dem Bus
Mit den Besucher*innen, die weniger an Fleischwaren interessiert waren, als daran, Alex Richter einmal die Hand zu schütteln, sei es Ende 2022 losgegangen, so der Fleischermeister. Damals habe er sich noch gedacht: "Ich bin Dorfschlachter, warum wollt ihr Fotos mit mir machen." Inzwischen sind die Tiktok-Touristen Alltag. 16-, 17-Jährige würden für ein Selfie sogar mit dem Bus nach Wolsdorf kommen, sagt Richter. Die meisten aber, machten auf der Durchreise einen Abstecher.
"Unser Vorteil ist, wir liegen relativ zentral in Deutschland", sagt Richter. Wolsdorf ist nur zehn Minuten von der A2, die das Ruhrgebiet mit Berlin verbindet, entfernt. Busse und Lkw-Fahrer*innen würden inzwischen den Schlenker zum Spezi-Metzger machen. "Wir wollen die Leute wieder aufs Dorf kriegen", sagt Richter. "Und mit Social Media haben wir es geschafft."
"Denkst du an Wolsdorf, denkst du an uns"
Dass Familie Richter damit noch nicht am Ziel ist, zeigen die Ausbaupläne. Wenn endlich mal Zeit ist, soll ein Online-Shop an den Start gebracht werden. Bislang bestellen Stammkund*innen per WhatsApp. Manche ordern bis zu 20 Kilogramm Fleischwaren und eine Bestellung ging sogar schon einmal nach Gran Canaria. Alex Richter denkt auch über vegane Produkte nach. Und natürlich sollen auch die Kanäle weiter wachsen. In Ads wolle man aber weiterhin kein Geld stecken.
Zunächst einmal wird ab Anfang 2024 das Ladengeschäft von 40 auf 130 Quadratmeter erweitert – mehr Platz für die wachsende Kundschaft. Außerdem will die Fleischerfamilie ihr Haus, das prominent am Dorfeingang steht, außen komplett umgestalten. Denn Alex Richter will dort, mitten im schönen Niedersachsen schaffen, was ihm auf Tiktok längst gelungen ist: "Wenn du an Wolsdorf denkst, dann denkst du an uns."