Hat ChatGPT das Zeug zur Creator-Plattform?
Warum es ein logischer Schritt für OpenAI wäre, die eigene Plattform für Content-Schaffende zu öffnen
- Automatisiertes "Morning Briefing" von der KI
- Creator*innen haben viele Plattformen erst groß gemacht
- KI und Medien: ein kompliziertes, angespanntes Verhältnis
- Ohne "Personal Brand" wird es kaum mehr gehen
- Mehr "Schallplatten-Label" als gesichtslose Medienmarke
- Monetarisierung als Schlüsselfunktion
Können ChatGPT oder andere vielgenutzte KI-Assistenten zur Bühne für Creator*innen werden – ähnlich wie Youtube, Instagram, Tiktok oder auch Substack? OMR-Chefredakteur Roland Eisenbrand glaubt: Ja. Und erklärt, warum er erwartet, dass OpenAI diesen Schritt bald gehen wird.
Satya Nadella, CEO des derzeit wertvollsten Unternehmens der Welt (Microsoft), mag Podcasts. Aber er hört sie sich nicht an. Stattdessen lädt er deren Transkripte in die Copilot-App auf seinem iPhone, damit er sich auf dem Weg zur Arbeit nach Redmond im Auto mit dem Sprachassistenten über den Inhalt einer Folge unterhalten kann. Das erklärte Nadella kürzlich gegenüber mit Bloomberg.
Automatisiertes "Morning Briefing" von der KI
Auch Nick Turley, Head of Product ChatGPT bei OpenAI, konsumiert Content über den KI-Assistenten, ebenfalls im Voice-Modus auf dem Weg zur Arbeit. "Ich frage ChatGPT jeden Morgen: 'What's new in AI?", so Turley Anfang März im OMR Podcast.
Natürlich kann man das einfach als PR abtun. Aber zwei Dinge sind unbestreitbar: Die Nutzung von ChatGPT wächst weiterhin rasant. Und "Morning Briefings" bzw. die typischen "Vor 9 Uhr"-Newsletter waren lange erfolgreiche Content-Formate und einer der letzten verbliebenen Wege, mit denen Publisher zur festen morgendlichen Medienroutine ihrer Zielgruppe wurden – so wie früher mit der Tageszeitung.
Creator*innen haben viele Plattformen erst groß gemacht
KI-Assistenten wie ChatGPT können diese Morgen-Briefings inzwischen individuell für jede*n Nutzer*in erstellen. Nick Turley hat diesen Prozess mit der "Scheduled Tasks"-Funktion von ChatGPT sogar automatisiert und erhält sein Update nun jeden Morgen unaufgefordert. Das Besondere: Die KI kann Inhalte kuratieren, zusammenfassen, aufbereiten – ganz ohne Rücksprache mit deren Urheber*innen. Alles, was öffentlich im Netz verfügbar ist, kann in die Modelle einfließen.
Aber: Fast alle Plattformen, die heute Milliarden Menschen täglich nutzen, sind mit und durch Creator*innen groß geworden. YouTube, Instagram, TikTok – sie alle profitieren enorm von den Inhalten der professionellen Creator*innen. Sie sind es, die die Otto-Normal-User immer wieder auf die Plattformen zurückbringen. Warum also sollte OpenAI auf diesen Hebel verzichten?
KI und Medien: ein kompliziertes, angespanntes Verhältnis
Klar: Das Verhältnis von Medienschaffenden zu KI-Firmen ist, gelinde gesagt, angespannt. Zahlreiche Medienhäuser, Autor*innen-Verbände und Künstler*innen haben OpenAI verklagt. Sie werfen dem Unternehmen vor, ihre Inhalte ohne Erlaubnis zum Training der Modelle genutzt zu haben.
Gleichzeitig setzt KI die Medienwelt enorm unter Druck. Nachdem durch das Internet die Kosten für die Veröffentlichung von Inhalten auf nahezu null gefallen sind, geschieht dies durch generative KI nun mit der Produktion von Inhalten. Das Ergebnis ist eine Content-Flut, die den Wettbewerb um Aufmerksamkeit nur noch härter macht. Journalist*innen, Creator*innen, Podcaster*innen konkurrieren um dieselbe begrenzte Mediennutzungszeit; die Grenzen zwischen ihnen verwischen zusehends.
Ohne "Personal Brand" wird es kaum mehr gehen
Auf welchem Niveau KI Inhalte mittlerweile aufbereiten kann, habe ich neulich selbst erlebt: Für eine Recherche hatte ich 16 Links zu einem Thema (die Upfront-Veranstaltungen der TV-Sender in den USA) gesammelt – Artikel, Videos, Podcasts. Ich habe sie in Googles NotebookLM geladen, das daraufhin einen 20-minütigen deutschsprachigen KI-Podcast generierte, mit einer männlichen und einer weiblichen Stimme. Das Ergebnis war so gut, dass ich als Inhaltemensch kurz dachte: Vielleicht sollte ich zur Pflegekraft umschulen.
Mein Learning: Wenn Medienschaffende in Zukunft noch relevant bleiben wollen, reicht es nicht mehr, einfach "nur" gute Inhalte zu machen. Entscheidend wird sein, ob sie eine erkennbare "Personal Brand" aufbauen, der Menschen vertrauen und deren Inhalte sie gezielt konsumieren wollen – unabhängig vom Distributionskanal.
Mehr "Schallplatten-Label" als gesichtslose Medienmarke
In den USA haben sich bereits zahlreiche prominente Journalist*innen vom klassischen Verlagsmodell gelöst, um ihre Inhalte über Substack oder eigene Podcasts direkt zu vermarkten. Bei uns hat Springer-CEO Mathias Döpfner im OMR Podcast kürzlich gesagt, das Leitbild eines modernen Medienhauses sei künftig eher das eines "Schallplatten-Labels": weniger Kontrolle, mehr Bühne für starke Persönlichkeiten.
Und wenn Creator*innen eine Bühne suchen, wäre es nicht naheliegend, dies auf der aktuell schnellstwachsenden Plattform zu tun – also bei ChatGPT?
Monetarisierung als Schlüsselfunktion
Sam Altman hat kürzlich auf X öffentlich sogar (vermutlich augenzwinkernd) darüber nachgedacht, eine eigene Social-App zu entwickeln – als Kontrapunkt zu der aktuellen KI-Offensive Metas. Technisch hat ChatGPT längst das Zeug zur Creator-Plattform. Das Beispiel der Custom GPTs zeigt, wohin die Reise gehen könnte: Jeder kann sich eine eigene ChatGPT-Version bauen – Unternehmen wie Klarna, Kayak und Open Table machen das bereits. Aber Monetarisierung? Fehlanzeige. Kein Wunder also, dass Creator*innen bislang kaum auf diesen Zug aufgesprungen sind.
Damit sich das ändert, müsste OpenAI den Content-Macher*innen deutlich mehr als bisher entgegenkommen: mit besserer Sichtbarkeit, einer klaren Kennzeichnung der Herkunft von Inhalten und vor allem einer fairen Vergütung (z. B. durch eine Beteiligung an Werbeeinnahmen). Mit dem jüngst eingeführten Shopping Feature ist bereits der erste Schritt zur Einführung von Werbung bei ChatGPT gemacht. Ich rechne fest damit, dass bald weitere folgen.