Win-Win-Win oder Worst Case? Wenn KI, Marken und Community aufeinandertreffen

Letz.AI bringt GenAI, Marketing und UGC zusammen. Problem von Gründer Misch Strotz: die Furcht der Marketer vor dem Kontrollverlust. Immerhin, erste bekannte Brands trauen sich

"Hide the Pain Harold"-Meme mit "Founder Mode"-Cap
"Hide the Pain Harold"-Meme meets "Founder Mode". Wobei die wahre Pointe weniger in der Kombination von Internethumor und Hustler-Kultur steckt, sondern in der detailtreuen Unverfälschtheit, mit der Letz.AI den Meme-Charakter sowie den Schriftzug auf der Cap reproduziert hat. (Bild: Letz.AI)
Inhalt
  1. Werbetreibende und das "Medium KI"
  2. Sponsored Tokens und Challenges
  3. Fiktive Case Studies realer Brands
  4. Sloggi wittert First Mover Advantage
  5. Der "heilige Gral" des Fashion-E-Commerce

Ob Disney, Coca Cola oder Apple – viele Firmen schützen nichts so verbissen wie ihre Marke. Schade eigentlich. Denn neuartigen GenAI-Tools wie Midjourney und Flux kann man beibringen, Produkte, Testimonials oder Maskottchen (fast) fehlerfrei zu reproduzieren. Das Startup Letz.AI hat ein Tool gebaut, mit dem Marken ihre Kund*innen ermöglichen können, gebrandeten Content zu erschaffen. Ein paar Pioniere auf dem luxemburgischen Heimatmarkt von Letz.AI wagen Tests. Doch große Brands scheuen sich, ihren wertvollsten Besitz in die Blackbox generative KI zu kippen und die Deutungshoheit über ihre Marke einer Community zu überlassen. Was tut das Team um Letz.AI-Mitgründer Misch Strotz? Es macht trotzdem weiter und hat mehr oder weniger durch Zufall ein viel lukrativeres Anwendungsfeld für ihre Technologie gefunden: die Erstellung fotorealistischer Marketing-Assets auf Knopfdruck – und virtuelle Try-ons.

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Okay, auch bei Letz.AI finden sich Promi-Fakes. Im Fall des luxemburgischen Ministerpräsidenten Luc Frieden allerdings mit dessen Einverständnis – er ist stolz auf das heimische KI-Startup. (Bild: Letz.AI)

"Wir haben gelernt, dass viele Marken noch nicht bereit sind für diese neue Opportunity." Mit neutralen Worten bringt Letz.AI-Mitgründer Misch Strotz die größtmögliche Enttäuschung für Gründer*innen auf den Punkt. Niemand will die Idee, an die sie glauben, für die sie brennen und die Nächte durchgearbeitet haben. Der Grund? Angst. Seit 30 Jahren habe man Marketern eingehämmert, keinen Millimeter von ihren Brand Guidelines abzuweichen, so Strotz. Eine sorgsam gehütete Marke einer Technologie zu überantworten, die von den Nutzer*innen vor allem dazu verwendet wird, Fake-Bilder von Prominenten und Politiker*innen oder Nacktbilder zu erzeugen – da könnte man genauso gut das Logo-Redesign durch einen Kindermalwettbewerb entscheiden lassen. 

Dabei ist die Idee hinter Letz.AI smart. Statt dass sich eine KI aus ihrem Trainingsmaterial erarbeitet, wie ungefähr ein Auto dieses Herstellers oder die Verpackung jenes Müslis aussieht, drehen die Luxemburger diese Logik gewissermaßen um. Sie nutzen die Möglichkeit, Modelle speziell auf die wesentlichen Charakteristika einer Marke oder eines Produkts zu trainieren. Über die Verwendung eines Handles, das mit diesem angelernten Modells verknüpft ist, lässt sich dann beispielsweise mit @Luxi, das Maskottchen der luxemburgischen Fluglinie Luxair in selbst gepromptete Szenerien versetzen.

Werbetreibende und das "Medium KI"

Natürlich hatten Strotz und sein Team die Brandsafety-Bedürfnisse von Unternehmen im Blick und direkt die Möglichkeit geschaffen, das eigene Modell für Inhalte zu sperren, die Nacktheit oder Gewalt beinhalten. Doch der Respekt vor der neuen Technologie scheint bei vielen Markten tiefer zu sitzen. Womöglich auch völlig zurecht. Denn künstliche Intelligenz ist mehr als nur ein neues Tool, mit dem sich Kampagnen optimieren oder die Content-Erstellung effizienter gestalten lässt.     

"KI ist ein neues Medium", sagt Strotz. Es sei darum logisch, dass dieses Medium von Werbetreibenden bald erschlossen wird. Zugleich sieht er KI als nächste Stufe einer Entwicklung, die vor vielen Jahren begonnen hat: von Photoshop über User-Generated-Content (UGC) in sozialen Netzwerken bis den wilden Spielereien, die Leute heute mit generativer KI heute anstellen. "Marken haben immer weniger Kontrolle", sagt Strotz. Konkretes Beispiel: Die Flut von Youtube-Kanälen, die mit KI-generierten Videos von vermeintlichen Neuheiten bekannter Autohersteller Klicks machen.

Gewissermaßen ist die Idee hinter Letz.AI die Umkehr des Trends, ein Versuch, den Unternehmen auch im KI-Zeitalter ein gewisses Maß an Kontrolle zu bewahren: Indem sie zu einem Teil der Prompts werden. Zunächst auf der Plattform von Letz.AI und irgendwann vielleicht in den großen Weiten von ChatGPT und all den anderen Tools. Damit adressieren die Luxemburger einen Need: Marken suchen Wege, auch im KI-Zeitalter online präsent zu bleiben. In der jüngsten OMR Keynote ging es auch darum, wie Unternehmen sich auf Reddit breit machen in der diffusen Hoffnung, Teil der Trainingsdaten des nächsten KI-Modells zu werden. So gesehen erscheint der Ansatz von Letz.AI deutlich zielgerichteter. 

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In Marokko betreibt Puma auf Instagram die eigene virtuelle Influencerin Laila Khadraa. Die Marke überlegt, auf die Technologie von Letz.AI umzusteigen, denn dieser Show Case der Luxemburger zeigt, wie originalgetreu und "echt" ihr Modell ein Trikot darstellen kann. (Screenshot: OMR)

Neben seinen inzwischen 1.200 Abonnent*innen, die für einen niedrigen fünfstelligen Umsatz im Monat sorgen, will das Startup perspektivisch damit Geld verdienen, dass Marken bestimmte Tokens kaufen. Baut ein*e User*in dann in den Prompt das Wort "Bier" ein, integriert Letz.AI darüber eine bestimmte Marke in dem erzeugten Bild. Außerdem können Brands auf der Plattform der Luxemburger Challenges veranstalten, bei denen die Community aufgerufen wird, das Handle des Partners zu benutzen. Doch die Nachfrage ist verhalten. 

Fiktive Case Studies realer Brands

Neben der erwähnten Airline und einer lokalen Supermarktkette, die ihre Werbefiguren auf Letz.AI brachten, gab es einen Case einer Pizzeria, die eine Challenge durchführte. Und mit einem Radiosender verhandelte Strotz über eine White-Label-Version. Der wollte die KI-UGC-Challenges in seine App integrieren und den eigenen Werbekunden verkaufen. Wichtiger war Strotz jedoch, möglichst viele Creator auf die eigene Plattform zu holen, um deren Möglichkeiten auszureizen.

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Was die Community eben so anstellt, wenn man sie bittet, das eigene Produkt in ein kreatives Szenario zu versetzen (Bild: Letz.AI)

Und tatsächlich gibt es dort beeindruckende Beispiele von Modellen, die im Sinne von Filtern genutzt werden können, um beliebige Bilder in bestimmten Stilen, Farben oder Epochen zu generieren. Zumindest technisch gesehen wäre es wohl ein kleiner Schritt, visuell klar definierte Markenwelten wie die von Coca Cola oder Ikea auf die Plattform zu bringen.

Um die Fortschritte von Letz.AI zu dokumentieren und zugleich etwas Werbung zu machen, postet Strotz regelmäßig fiktive Case Studies realer Marken. Und die machten einen deutlichen Qualitätssprung, nachdem Letz.AI Mitte August die dritte Version seines Tools gelauncht hatte. Die basiert auf Flux, dem stark gehypten Modell des Schwarzwälder Gen-AI-Startups Black Forest Labs. Dessen besondere Qualität besteht neben fotorealistischen Ergebnissen darin, dass sich sogenannte "LoRa"s trainieren lassen, eigene Flux-Modelle.

Sloggi wittert First Mover Advantage

Erwartungsgemäß brachten seine fiktiven Case Studies Strotz Aufforderungen ein, das bitte zu unterlassen – aber auch positives Feedback. Mitte August retweetete der KI-Experte und -Influencer Linus Ekenstam eine von Strotz Spielereien. Der hatte die KI szenische Bilder mit einem ikonischen Sonnenbrillenmodell und einer luxuriösen Winterjackenmarke erstellen lassen. "Product photographers are ☠️", kommentierte Ekenstam die Bilder. Sogar die Markenlogos – sonst oft ein Indikator für KI-erzeugte Bilder – konnte Letz.AI exakt reproduzieren. Nach Ekenstams Tweet sei die Sache "explodiert", sagt Strotz. Diverse Marken, Agenturen und sogar ein großer US-Retailer hätten sich gemeldet. Letz.AI solle für sie Beispielbilder erzeugen. 

Ekenstam lobte auch das Beispiel, dass Strotz auf X geteilt hatte, um das Potenzial von GenAI im Fashion-Bereich zu verdeutlichen. Er hatte eine Gegenüberstellung von zwei Models gepostet. Zum einen ein originales Produktfoto des Unterwäsche-Labels Sloggi. Und daneben ein von der KI erzeugtes Model, das dasselbe BH-Modell trägt. Fünf originale Produktfotos hätten dafür ausgereicht, sagt Strotz. Und um zu zeigen, dass es kein Zufall ist, sondern sein Tool gewissermaßen verstanden hat, was diesen BH ausmacht, zog er ihn Hunden an. Natürlich sieht der komplett anders aus. Aber Textur, Designelemente und Passform entsprechen dem Original. "Wir merken, das hier verstehen die Brands", sagt Strotz.

Sobald die Verantwortlichen dann auch verstehen, wie einfach sich beliebige Assets mit stimmigen Proportionen, Farben, Details und unverfälschtem Markenlogo erzeugen lassen, wird ihnen klar: KI taugt inzwischen zu mehr als nur zur Inspiration. Man kann damit mittlerweile flexibel und effizient Content herstellen, der ohne weitere Nachbearbeitung überall dort verwendbar ist, so es nicht absolut Hochglanz sein muss.

Der "heilige Gral" des Fashion-E-Commerce

Über den Sloggi-Post, der dank Ekenstam viral ging, entstand ein Kontakt mit Sloggis Digitalagentur Stan Studios. Deren Gründer und CEO Michael Kugler klingt extrem bullish, was eine Zusammenarbeit mit den Luxemburgern angeht: "Unsere AI-Hackathons mit Misch und dem Letz.AI-Team werden die Virtual-Try-On-Erfahrung revolutionieren und die Branche wie nie zuvor verändern", sagt Kugler gegenüber OMR. "Das ist die Zukunft des E-Commerce."

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Eine Handvoll Bilder reicht, um ein KI-Modell so anzulernen, dass es eine Person weitgehend wirklichkeitsgetreu reproduzieren kann. Hier der Trainingsdatensatz, mit dem Misch Strotz sein KI-Alter-Ego erschaffen hat. (Bild: Letz.AI)

⁠Tatsächlich hätte ihn bislang jeder aus der Modebranche gefragt, ob man seine Technologie für virtuelle Try-ons verwenden kann, sagt Strotz. "Wenn du das hast, dann ist es der heilige Gral." Technisch sei das kein Problem, bringt aber eine Herausforderung mit sich, die vermutlich viel größer ist, als Marketer dafür zu begeistern, eine KI mit ihren gebrandeten Assets zu trainieren: "Wir sind der Meinung, Virtual-Try-on funktioniert am besten, wenn die Marke das Produkt zur Verfügung stellt und der Nutzer ein Model von sich hat", sagt Strotz. Heiß also: Die User müssen es dem Letz.AI-Gründer gleich tun und selbst zum Token auf der Plattform werden. So bekommt ein Satz, den Strotz im Gespräch im Bezug auf Marken geäußert hat, auf einmal eine ganz andere Bedeutung. Er sagte: "Es ist für jeden sinnvoll, dass du selbst zum Prompt wirst."

Bis zum Erreichen dieses futuristisch klingenden, aber technisch bereits möglichen E-Commerce-Szenarios dürften noch einige Widerstände zu überwinden sein – vermutlich weniger auf Seiten der Brand als bei deren Kund*innen. Doch für Letz.AI hat sich unverhofft eine neue Möglichkeit aufgetan: Das eigene Tool zu ein einem nie versiegenden Asset-Quell für Marketer zu machen. ⁠ – ganz ohne das Risiko, dass sich hier eine Community auf gefährlich-kreative Weise austobt.  ⁠ Die Agentur, die für Puma gerade die virtuelle Influencerin Laila Khadraa für den marokkanischen Markt aufbaut, ist zumindest⁠sehr angetan von den neuen Möglichkeiten, die Letz.AI eröffnet. Sie hat schon ein erstes Bild über den offiziellen Instagram-Kanal gepostet. Weitere sollen folgen.

Künstliche IntelligenzUser Generated Content (UGC)
Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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