Aus dem Stream heraus einkaufen: Wie Amazon mit Heidi Klum das Mode-Biz umkrempeln will
Der Konzern will Content stärker mit Commerce verknüpfen
- „Zum ersten Mal können unsere Zuschauer direkt einkaufen“
- Shopping soll in die X-Ray-Ansicht integriert werden
- Kommen noch weitere Shopping-Serien?
- Ist Amazon schon der größte Modehändler der USA?
- 100 Millionen US-Dollar Marketingbudget für einen Luxusmarktplatz?
- Amazon sucht fast 600 Fashion-Mitarbeiter
Ein Kleidungsstück aus einer TV-Show heraus direkt per Klick kaufbar machen: Dieses Modell startet Amazon im großen Stil im kommenden März. Dass Amazon mit „Making the Cut“ das Konzept der US-Erfolgsshow „Project Runway“ kopiert und deren ehemalige Moderatoren Heidi Klum und Tim Gunn abgeworben hat, ist ein weiterer eindrücklicher Beleg für die Ambitionen des E-Commerce-Konzerns im Modebereich. OMR erklärt, wie der Konzern im hochmargigen Trend- und Luxusmodengeschäft Fuß fassen will.
Zwölf Nachwuchs-Mode-Designer müssen verschiedene Aufgaben erfüllen bzw. Kleidungsstücke anfertigen und dabei durch mehrere Modemetropolen reisen. Ihre Arbeit wird außer von Heidi Klum und Tim Gunn auch von Gastjuroren wie Naomi Campbell, Nicole Richie und Chiara Ferragni (hier im OMR-Porträt von 2015) beurteilt. Der oder die Siegerin des Wettbewerbs soll eine „weltweite Brand“ auf den Markt bringen können und eine Million US-Dollar gewinnen – so in aller Kürze das Konzept von „Making the Cut“ (der Show-Titel bedeutet gleichzeitig „einen Schnitt machen“ und „es schaffen“).
„Zum ersten Mal können unsere Zuschauer direkt einkaufen“
Wer ein wenig die Modewelt verfolgt oder Fan von Reality TV ist, erkennt darin vermutlich die Grundzüge der Serie „Project Runway“ wieder, deren 18. Staffel in den USA aktuell auf dem Pay-TV-Sender Bravo läuft. Von Staffel 1 bis 16 hatten Heidi Klum und Tim Gunn das Format moderiert; die Sendung gewann mehrere Auszeichnungen des renommierten TV-Preises Emmy. Nach dem Ausscheiden der Stammmoderatoren ist nun Modell Karlie Kloss das Gesicht der Sendung.
Wie bereits 2018 bekannt geworden war, hat Amazon Heidi Klum, Tim Gunn sowie die ehemalige Produktionsfirma von Project Runway SKR Productions für eine eigene Show verpflichtet. Die wird nun ab dem 27. März über Amazon Prime Video abrufbar sein. Die neuen Partner setzen auf ihr altbewährtes Konzept. Neu ist jedoch, dass die von den Designern entworfenen Kleidungsstücke mit der Sendung gleich bei Amazon USA verfügbar sein werden. „Zum ersten Mal – endlich! – können unsere Zuschauer direkt einkaufen“, soll Heidi Klum bei einer Branchenveranstaltung im Januar laut einem Bericht der LA Times gesagt haben.
Shopping soll in die X-Ray-Ansicht integriert werden
Jede Woche wird es einen Gewinner-Look geben, der mit Erscheinen der Folge direkt verfügbar sein soll – in Größen zwischen XXS und XXL, für Preise um die 100 US-Dollar oder weniger. Zuschauer, die Amazons Fire TV nutzen, sollen die Kleider sogar direkt über den Fernseher aus der X-Ray-Ansicht heraus einkaufen können. Mit dieser Funktion können die Zuschauer eigentlich die aktuelle Szene stoppen, um nachzuschauen, welche Schauspieler gerade im Bild sind und welche Musik zu hören ist. Künftig soll offenbar auch ein Shopping Feature integriert werden.
Eigentlich sind die Streaming-Inhalte von Prime Video für Amazon in erster Linie ein Kundenbindungsinstrument. Die Kunden sollen durch teilweise exklusive Serien zum Abschluss eines kostenpflichtigen Prime-Abonnements bewegt werden, so enger an Amazon gebunden werden und von da an noch mehr Käufe über Amazon abschliessen. Offenbar will der Konzern solche Shows nun noch stärker als direkten Absatzhebel nutzen. An der Verknüpfung von Inhalten mit direkter Kaufmöglichkeit arbeiten aktuell auch alle anderen großen US-Tech-Plattformen.
Kommen noch weitere Shopping-Serien?
Amazon hatte im vergangenen Jahr bereits die Aufzeichnung einer Fashion-Show von Savage X Fenty eingekauft, der Unterwäschemarke von Pop-Superstar Rihanna (hier findet Ihr eine Folge des OMR Podcasts mit Rihannas Partnerunternehmen Techstyle). Die neueste Kollektion war dann nach Veröffentlichung des Streams auch auf Amazon verfügbar. Mit „Making the Cut“ setzt Amazon erstmals eine ganze Serie nach diesem Modell um. Die LA Times zitiert Amazon-Studios-Chefin Jennifer Salke, laut der es künftig auch in anderen Shows ähnliche Kooperationen geben könne.
In einem kleinteiligeren Maße hat Amazon ein ähnliches Konzept bereits mit „Amazon Live“ umgesetzt. Nachdem OMR bereits 2018 gemutmaßt hatte, dass der E-Commerce-Konzern im großen Stil ins digitale Teleshopping einsteigen könne, ist das Unternehmen diesen Schritt Anfang 2019 gegangen. Auf der US-Plattform von Amazon lassen sich nun unter Amazon.com/Live diverse Live- und aufgezeichnete Streams finden.
Ist Amazon schon der größte Modehändler der USA?
Es ist keine allzu waghalsige Spekulation, dass Amazon alleine für die Produktion und Gagen der Moderatoren und Juroren von „Making the Cut“ insgesamt eine hohe sieben- bis niedrige achtstellige Summe gezahlt hat. Solche Investitionen sind auch auch vor den Bemühungen Amazons zu sehen, im Modegeschäft Fuß zu fassen. Zumindest in den USA ist Amazon in der Textilbranche schon ein sehr relevanter Player. Die Investment Bank Morgan Stanley schätzte bereits 2018, dass Amazon im Jahr 2019 zum größten Bekleidungshändler in den USA aufsteigen würde.
Doch nach Einschätzung des Marktforschers Emarketer verkauft Amazon noch vor allem Mode-Basics. Trend- und High-Fashion-Mode, mit der sich im Idealfall eine deutlich höhere Marge erzielen lässt, kaufen die Kunden noch eher auf anderen Plattformen. Zudem scheuen sich viele Modemarken, vor allem aus dem Luxussegment, vor dem Vertrieb über Amazon. Zum einen stört die Marken, dass Amazon zu wenig gegen Kopien und den Graumarkt unternimmt. Zum anderen sehen offenbar viele Luxusmarken Amazon nicht als hochwertiges Umfeld an.
100 Millionen US-Dollar Marketingbudget für einen Luxusmarktplatz?
Möglicherweise will Amazon das ändern: Das renommierte US-Branchenmedium „Women’s Wear Daily“ berichtete im Januar über Gerüchte (Paywall, hier eine Zusammenfassung), laut denen Amazon einen eigenen Luxusmarktplatz plant – zunächst nur in den USA. Für die Markteinführung der Plattform sei ein Marketingbudget von 100 Millionen US-Dollar vorgesehen.
Im Februar wurde außerdem bekannt, dass die Amazon-Tochter Zappos den Luxus-Online-Shop VRSNL (gesprochen „Versional“) ins Netz gebracht hat. Dort sind u.a. Produkte der Marken Balmain, Dolce & Gabbana, Moschino, Rick Owens und Stella McCartney verfügbar. Amazon selbst habe jedoch mit dem Shop nichts zu tun, so eine Sprecherin gegenüber „Business of Fashion“ (Paywall). Der Shop sei auch noch im Beta-Modus, so eine weitere anonyme Quelle gegenüber dem Branchenmedium.
Amazon sucht fast 600 Fashion-Mitarbeiter
Im Trendmode-Bereich arbeitet Amazon seit dem vergangenen Jahr auch in größerem Umfang mit Influencern zusammen. Unter dem Namen „The Drop“ bringt der Konzern regelmäßig mit verschiedenen Influencern begrenzt verfügbare Kollektionen auf den Markt (mehr im OMR-Artikel dazu). Der „The Drop“-Instagram-Account verzeichnet mittlerweile 101.000 Follower. Auch die Deutsche Leonie Hanne hat schon gemeinsam mit Amazon eine eigene Kollektion verkauft. In Deutschland hat Amazon außerdem schon 2017 mit TV-Moderatorin Sylvie Meis eine eigene Unterwäschekollektion auf den Markt gebracht.
Wie sehr Amazon in Sachen Fashion zu investieren bereit ist, zeigt auch die Zahl der Mitarbeiter und ausgeschriebenen Stellen in dem Bereich. Die Business-Plattform Linkedin weist aktuell 771 Amazon-Mitarbeiter mit „Fashion“ im Titel auf. Und die Jobs-Seite von Amazon führt aktuell bei einer Suche nach dem Begriff Fashion 591 offene Stellen auf.