Live-Shows auf der Homepage: Plant Amazon das Teleshopping-Revival?

Martin Gardt25.6.2018

Der E-Commerce-Riese überträgt Verkaufsshows auf der Homepage – und plant den Kauf eines Shopping-TV-Kanals

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In den USA testet Amazon derzeit verschiedene Teleshopping-artige Formate auf der eigenen Homepage. Offenbar sind dort gezeigte Produkte zum Teil schnell vergriffen. Gleichzeitig meldet das Unternehmen Teleshopping-Patente an und plant wohl den Kauf eines Shopping-TV-Senders. Wir zeigen, wie Amazon den Verkaufsshows neues Leben einhauchen will und wie Teleshopping im Internet-Zeitalter funktionieren kann.

Wer auf die US-Seite von Amazon und dann auf die Kategorie „Today’s Deals“ klickt, bekommt zu bestimmten Tageszeiten ein Live-Verkaufs-Video zu sehen. Zum Teil laufen diese Videos auch auf der Homepage von Amazon.com. Das zeigt, wie ernst es Amazon mit seinen Teleshopping-Experimenten ist. Da steht dann im typischen QVC-Stil ein Moderator oder eine Moderatorin und preist ein derzeit vergünstigtes Produkt an. Direkt daneben lässt sich dieses mit einem Klick direkt auf der Plattform bestellen. In Deutschland heißt die Kategorie „Angebote des Tages“, bisher wurde hier aber noch kein Live-Video gesichtet. Amazon hatte zuvor am Prime Day, der immer mit vielen Angeboten daher kommt, mit Teleshopping-artigen Videos experimentiert

Amazon Teleshopping

Die Amazon-Videos erinnern an das klassische Teleshopping-Setup (Quelle: Marvin Flenche / Facebook)

In einem anderen Bereich von Amazons US-Seite versucht sich das Unternehmen mit ähnlichen Verkaufsshows. Im „Amazon Exclusives“-Bereich läuft „Watch & Shop“. Drei Mal täglich wird hier Live jeweils ein Produkt vorgestellt. Amazon-Exklusives-Produkte werden ausschließlich auf der Plattform verkauft. Meist sind das Nischen-Gadgets wie Elektro-Skateboards oder eine einklappbare Schaufel von Startups, die sich durch die Bindung an Amazon eine größere Reichweite erhoffen. Die soll durch die Live-Shows noch erhöht werden. 

Nach der Show ausverkauft?

Was erhofft sich Amazon von Teleshopping auf der eigenen Webseite? Ist die Marktposition nicht stark genug, um Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen? Der Gründer der Marktplatz-Beratung Quiverr, Ryan Mulvany, analysiert in einem Youtube-Video, wie sich solche Shows auf den Verkauf der Produkte auswirken. Und wenn seine Ergebnisse stimmen, hätte Amazon ein Tool, mit dem es auf ausgesuchte Produkte großen Verkaufsdruck aufbauen könnte. Mulvany hat sich die Daten von drei Produkten, die in einem Shopping-Video auf der Homepage von Amazon vorgestellt wurden, angeschaut. Diese zeigen offenbar, dass zumindest zwei der drei Produkte kurz nach der Live-Show komplett ausverkauft waren – obwohl Amazon diese in den Monaten zuvor immer ausreichend auf Lager hatte. 

Um die Aufmerksamkeit auf das erst im Februar 2018 gestartete Format rund um „Today’s Deals“ zu stärken, arbeitet Amazon zum Beispiel mit einem bekannten Moderatoren zusammen. Matt Granite hat als „The Deal Guy“ über 425.000 Abonnenten auf Youtube, wo er aktuelle Sonderangebote bespricht. Das Konzept ähnelt dem von Amazon so sehr, dass ihn der Konzern einfach für die täglichen Deal-Shows verpflichtet hat. Offenbar will Amazon durch seine Video-Aktivitäten immer stärker Nutzer ansprechen, die gar nicht explizit nach einem Produkt sondern nach Inspiration suchen. Bisher galt Amazon vor allem als Anlaufstelle für Nutzer, die bereits ein Kaufinteresse haben.

Nicht der erste Versuch

Amazon arbeitet schon einige Jahre daran, ein Teleshopping-Konzept auf die eigene Plattform zu übertragen. Bereits 2016 startet die Live-Show „Style Code Live“ auf Amazon. Drei Moderatoren führten hier durch eine Sendung irgendwo zwischen QVC-Verkaufe und Talkshow zu Mode- und Beauty-Themen. Gezeigte Produkte konnten direkt bei Amazon erworben werden. Das Konzept schien zum Teil von Youtube-Influencern inspiriert, die ihre Community ständig zum Kauf auffordern. Nach etwas mehr als einem Jahr wurde die Show aber wieder eingestellt – ohne dass Amazon Angaben über Zuschauer- oder Verkaufszahlen gemacht hat.

Trotz des Scheitern dieses Experiments, scheint Amazon auch über Live-Shows auf der eigenen Plattform hinaus, nach Chancen im Teleshopping-Business zu suchen. Ende April wurde bekannt, dass der E-Commerce-Riese am Kauf des Teleshopping-Kanals Evine Live interessiert ist – einem US-Konkurrenten von QVC. In den USA liegt der Kanal hinter QVC und dem Home Shopping Network (HSN) (gehört mittlerweile zu QVC) auf Rang 3 im Kampf um die Shopping-TV-Krone. Amazon könnte mit dem Kauf aber Zugang zu den Wohnzimmern von 87 Millionen Haushalten in den USA erlangen. Auch wenn Amazon mittlerweile über 100 Millionen Prime-Mitglieder verzeichnet, eine ansehnliche Zahl. 

Teleshopping ist nicht tot

Im Januar meldete Amazon darüber hinaus ein Patent für ein interaktives Shopping-Interface an. Wie im Amazon Prime Player sollen die Nutzer während einer Live-Show über eine „X-Ray“ getaufte Funktion gezeigte Produkte einkaufen können (Bei Amazon Prime Video zeigt X-Ray, welcher Schauspieler derzeit im Bild zu sehen ist). Gleichzeitig soll ein Countdown zeigen, wie lange einzelne Angebote noch laufen und ein Chatfenster macht eine direkte Kommunikation mit den Moderatoren möglich. 

Amazon Teleshopping

Teleshopping-Patent von Amazon

Wer sich über so viel Engagement um das Thema wundert, sollte einen Blick auf das Teleshopping-Business insgesamt werfen. Selbst klassische Shopping-TV-Programme scheinen weiterhin ansehnliche Umsätze zu generieren – jedoch meist in der älteren Zielgruppe, die zum Teil kein Online-Shopping betreibt. QVC Deutschland konnte nach einem kleineren Tief im Jahr 2015 den Umsatz 2017 auf 899 Millionen US-Dollar steigern. Damit ist das Unternehmen noch etwas von den Umsatz-stärksten Jahren zwischen 2008 und 2014 entfernt, es ist aber wieder ein Aufwärtstrend erkennbar. In den USA ist QVC nach dem Zukauf von HSN der drittgrößte E-Commerce-Retailer hinter Amazon und Walmart. „Du wirst bei Amazon nicht inspiriert“, sagt Mike George, der CEO von QVC gegenüber Bloomberg. „Shopping sollte Spaß machen. Es sollte inspirierend sein. Und das können wir bieten.“ 

Plattformen als neue Teleshopping-Kanäle

Amazon wird sich aber nicht nur um die Konkurrenz aus dem Fernsehen sorgen. Stattdessen dürften die großen Plattformen Youtube und Facebook Inspiration für das Unternehmen sein. Zwar helfen Youtuber, die sich zum Teil mit Amazon-Affiliate-Deals (also mit Affiliate-Links unter ihren Videos) mitfinanzieren, Verkäufe auf Amazon zu generieren. Oft führen solche Influencer ihre Community aber auch auf andere Shops. Der Stil dieser Youtuber (direkt in die Kamera schauen, Schminktipps geben z.B.) unterscheidet sich zwar von den klassischen Teleshopping-Formaten mit einem Moderator und einem Produkt-Vertreter. Um Verkäufe geht es aber am Ende auch. Das guckt sich Amazon jetzt zum Teil für seine Live-Shows ab.

Mit Facebook Live ist für viele kleinere Shop-Betreiber ein weitere Kanal entstanden, um auf eine ähnliche Art Teleshopping im Netz zu betreiben. Da verkauft eine junge Frau bunte Perlen und über 3.500 Nutzer schauen live dabei zu. Allerdings bietet Facebook bisher keine Möglichkeit, den Kauf direkt in dem Kanal abzuschließen. Shop-Betreiber müssen potenzielle Kunden umständlich auf ihre eigenen Seiten leiten. Da könnte es Amazon seinen Nutzern – sollte das Teleshopping-Experiment aufgehen – deutlich leichter machen. 

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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