Das Scheitern der Thrasio-Klone: Jetzt spricht ein Händler über seine Enttäuschung

Martin Gardt16.9.2024

Wir hatten über die Schieflage der Amazon-Aggregatoren berichtet. Jetzt erzählt ein Händler exklusiv, was er nach dem Verkauf seiner Brand erlebt hat

Vor ein paar Tagen haben wir in einem Artikel die Gründe für die Schieflage der Amazon-Aggregatoren wie SellerX, Razor Group, Thrasio & Co. aufgezeigt. Was dabei noch zu kurz kam: Wie geht es eigentlich den Händler*innen, die ihre Marken an diese Unternehmen verkauft haben? Wir haben mit einem gesprochen, der vor allem enttäuscht ist.

Die großen Aggregatoren oder auch Thrasio-Klone, benannt nach dem US-Vorbild des Geschäftsmodells, haben derzeit viele Probleme. Einige sind insolvent. Viele können die hohen Erwartungen ihrer Investoren nicht erfüllen. SellerX, früher mal Unicorn, wird in wenigen Tagen versteigert. Die Gründe sind vielschichtig – am Ende ist es eine Kombination aus wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, eigenem Unvermögen und Fehlern im Geschäftsmodell selbst. Genauer lest Ihr das wie gesagt in unserem Artikel aus der vergangenen Woche nach.

Kaufrausch mit anschließender Lähmung

In jedem Fall haben diese Firmen Spuren in der deutschen E-Commerce-Branche hinterlassen. Allein SellerX hat laut eigener Angaben über 80 Marken im Portfolio, bei der Razor Group sind es mehr als 40. Viele Händler*innen, die sich auf Deals mit Aggregatoren eingelassen haben, müssen jetzt mit den Folgen kämpfen. Zum Teil finanziell, noch häufiger emotional, weil ihre mit viel Einsatz aufgebauten Brands unter der Führung der Aggregatoren in der Versenkung verschwunden sind.

Wir haben von verschiedenen Händler*innen gehört, wie sie nach dem Exit zwar offiziell eingebunden wurden – ihr Feedback aber nicht mehr wirklich erwünscht war. Aus einer Quelle wissen wir von riesiger Enttäuschung, dass die Marke heute nicht einmal mehr auf Amazon gelistet ist. Organisation und Logistik seien so im Eimer, dass sich viele Kund*innen bis heute bei den Gründer*innen melden und fragen, was da los ist. Alle Händler*innen, mit denen wir gesprochen haben, wollen anonym bleiben – vor allem wegen unterzeichneter Verschwiegenheitsvereinbarungen beim Exit.

Ein Händler spricht

Mark Steier ist selbst lang als Händler aktiv, schreibt heute noch für seinen Blog Wortfilter über die E-Commerce-Branche. Auch er hört schon lange vom Unmut der Händler*innen. "Die Alteigentümer sind die eigentlichen Verlierer in diesem Spiel, da sie auf einen Großteil ihres erwarteten Kaufpreises verzichten müssen. Der Earn-Out ist die erfolgsabhängige Komponente, die nach dem Verkauf ausgezahlt wird. Kein Wachstum, keine Rendite, also auch kein Earn-Out. Und der machte teilweise 30 bis 40 Prozent des Kaufpreises aus", sagt er gegenüber OMR.

Mark Steier ist es auch, der uns mit einem Händler vernetzt, der seine Marke an einen Aggregator verkauft hat – und der bereit ist, über diese Erfahrung zu sprechen. Auch er will anonym bleiben, der Redaktion ist aber sein Name und die verkaufte Firma bekannt. Das hat er uns über seine Erfahrungen erzählt:

OMR: Du willst anonym bleiben. Kannst du trotzdem grob umreißen, womit du gehandelt hast, welche Größe dein Unternehmen hatte, als du verkauft hast?

Ich war im Home & Living Bereich als FBM Seller seit vielen Jahren unterwegs. Dank Pandemie und dadurch geschlossenem, stationären Handel konnte ich zum Ende hin eine Million Euro Umsatz im Monat generieren. 

Unschlagbares Angebot oder wirklich der Glaube, da entsteht was Großes: Was hat dich ganz explizit dazu bewogen, dann an einen Aggregator zu verkaufen?

Beides. Das Angebot inklusive der Earn-Out-Zahlungen war sehr gut. Zudem hatte Thrasio in den USA einen guten Job gemacht, wodurch es für mich vorstellbar war, dass es die Klone in der EU auch weit schaffen können. Wir hatten stets unsere Schwierigkeiten mit der Internationalisierung und ich war happy jetzt mehrere Abnehmer zu haben, für die ich jährlich neue Marken aufbauen kann. 

Bist du nach dem Verkauf noch weiter in die Entwicklung der Brand involviert gewesen? 

Vertraglich war das so vorgesehen, in der Realität hat man jegliches Feedback meinerseits meist unkommentiert gelassen. Es gab immer mehr eklatante Fehler im Listing – beispielsweise ob etwas waschbar ist oder nicht – aber trotz meiner Hinweise steht dies bis heute falsch im Listing. 

Wie hat sich die Marke nach dem Verkauf aus deiner Sicht entwickelt?

Von Tag 1 an gab es einen klaren Trend – bergab. Nachbestellungen erst zu zögerlich, dann viel zu viel, mittlerweile vieles Out of Stock. Es würde mich wundern, wenn noch zehn Prozent von den damaligen Umsätzen erzielt werden. Es gab zudem nicht eine einzige Weiterentwicklung hinsichtlich des Sortiments. Viele Ideen zu Beginn, als das Earn-Out noch verhandelt wurde, aber keine Idee wurde jemals umgesetzt. 

Wo liegen aus deiner Sicht Stärken des Aggregator-Modells?

Rückblickend kann man glaube ich sagen, dass es keine Stärken gibt, weil das Modell einfach nicht funktioniert. Dafür gibt es nicht genügend Fachkräfte. Ab und an mal eine Marke dazukaufen, deren Sortiment gut zum restlichen Portfolio passt, ist machbar und mag auch für einige sinnvoll sein, die Schwierigkeiten haben, sich selbst zum Bestseller Badge hochzuarbeiten. Aber insbesondere auf Amazon würde ich es stets bevorzugen, die Marke selbst aufzubauen. 

Warst du sehr überrascht, als jetzt so viele Aggregatoren in Schieflage geraten sind?

Kein bisschen. Innerhalb der Community spricht man viel untereinander und niemand war happy mit der Art und Weise, wie sich seine Marken nach dem Verkauf entwickelt haben. Das, in Kombination mit den damals gezahlten Preisen, konnte langfristig nur noch schief gehen. 

Wie geht es dem Aggregator, der deine Marke gekauft hat, heute? 

Von außen betrachtet noch ganz gut, aber 90 Prozent meiner damaligen Ansprechpartner scheinen nicht mehr dort zu arbeiten. Einfach haben die es sicherlich nicht. Er könnte aber einer der wenigen sein, die es überleben.

Welche Folgen hatte es für dich, dass die Pläne des Aggregators nicht aufgegangen sind?

Monetär kurzfristig einen Verlust in Millionenhöhe, da über 70 Prozent des Earn-Outs nicht fließen werden. Langfristig hat man jedoch keinen starken Gegner in seiner Kategorie und kann dort wieder verkaufen, was ich zum Zeitpunkt des Verkaufes nicht gedacht hätte. Wer weiß, vielleicht kaufen die mir ja das gleiche Sortiment ein zweites Mal ab.

Schon überlegt, deine Marke irgendwann zurück zu kaufen?

Man hörte hier und da mal Gerüchte, dass einzelne Marken wieder zum Verkauf stehen. Da gab es dann kurzzeitig meinerseits Überlegungen. Aber das heutige Amazon hat eine solch starke Honeymoonphase, die wir sehr gut zu nutzen wissen, dass ich keinen Bedarf an den Marken sehe. 

Mit dem Wissen von heute: Würdest du wieder an einen Aggregator verkaufen?

Ja, ich würde gerne wieder verkaufen. Auch zu den selben Konditionen. Die Upfront-Zahlung und das bisschen Earn-Out haben mein Leben stark zum Positiven verändert. Auf ein Earn-Out würde ich mich zukünftig aber weniger verlassen als ich es damals blauäugig getan habe.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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