Granfluencer: Warum Omas und Opas gerade die heißesten Werbegesichter für hippe Klamotten sind

Schließe die Augen und stelle dir typische Influencer vor. Sie sind wahrscheinlich jung, gutaussehend, halten Produkte in die Kamera, die ihre ebenfalls jungen Follower dann kaufen sollen. So muss es aber nicht laufen. Derzeit beweisen Creator und Werbegesichter nördlich der 70, dass sie hippe Klamotten und Designer-Mode an die junge Zielgruppe verkaufen können. Der Hype hat einen Namen: Granfluencer. Warum funktioniert das so gut?

Es ist eigentlich absurd: Ein älterer Herr, 79 Jahre alt, Typ liebevoller Opa posiert mit Kapuzenpulli, rosa Beanie und Skateboard auf Instagram. Und das Reel verzeichnet auch noch 6,7 Millionen Aufrufe. Alojz Abram alias "Gramps" ist der Trendsetter bei den Opa- und Oma-Influencern. Wir hatten schon 2019 erstmals über ihn geschrieben – und über seinen Enkel Jannik, der den Instagram-Account "Jaadiee" betreibt.

"Wir machen seit acht Jahren Social-Media-Content. Angefangen hat das ganze aus einer spontanen Idee. Dabei hatten wir nicht die Absicht, bekannt oder erfolgreich auf Social Media zu werden. Für uns war die Entwicklung organisch und vor allem authentisch. Ich glaube, dass das ein wichtiger Faktor ist, der uns heute noch auszeichnet und den auch unsere Follower sehen", sagt Jannik Diefenbach zu OMR über den Erfolgsfaktor des Konzepts. "Auch wenn wir aus unserer Tätigkeit ein Geschäftsmodell entwickelt haben, machen wir Social Media noch immer, weil es uns auch Spaß macht und wir gerne zeigen, dass Altwerden als etwas Schönes angesehen werden soll."

2019, als wir den ersten Artikel über sie veröffentlichen, verzeichnen Jannik und Alojz noch knapp 546.000 Follower – heute sind es über 2,5 Millionen. Und Alojz trägt nicht nur einfach Klamotten, die eher für 50 Jahre jüngere Menschen designt sind, er wirbt für Marken wie Dior, New Balance, Lacoste und weitere, die ihre Produkte nicht unbedingt an weitere 80-Jährige verkaufen wollen. "Menschen lieben Kontraste. Ältere Menschen in 'jugendlichen' Klamotten stellen einen super Kontrast dar, der super funktioniert", so Diefenbach. "Und – so zumindest meine Hoffnung – haben wir es über die Jahre auch geschafft, den Marken und Unternehmen durch Gramps zu zeigen, dass Mode kein Alter kennt.

Jannik Diefenbach kommt am 6. und 7. Mai auch auf eine Bühne des OMR Festivals 2025 (mit Opa Alojz im Publikum). Wenn du live dabei sein willst, sicher dir hier ein Ticket für das OMR Festival 2025.

Outfit des Tages von den Großeltern

Und damit ist Alojz nicht mehr allein. Aktuell wohl heißestes Beispiel für ältere Influencer sind Aki und Koichi Kim. Sie ist 71, er 73 Jahre alt. Sie lernen sich vor 45 Jahren in Los Angeles kennen und zeigen erst seit weniger als einem Jahr ihre Outfits auf Instagram und Tiktok. Schon in der kurzen Zeit sind die Reichweiten der beiden explodiert. Auf Instagram verzeichnen Aki und Koichi über 1,2 Millionen Follower, auf Tiktok sind es 463.000. Einzelne Videos ihrer Outfits auf den Plattformen kommen auf 1,5 bis zehn Millionen Views.

Den Account gestartet hat übrigens Yuri – die Tochter der beiden. Sie ist es auch, die sich um die Inhalte kümmert und ihre Eltern bei Social-Media-Fragen unterstützt. Dabei sind die Inhalte extrem einfach gehalten. Bei so gut wie jedem Post stehen Aki und Koichi auf der Straße, zeigen ihr Outfit, winken in die Kamera, drehen sich im Kreis. Ihr Golden Retriever macht die Drehung noch einmal nach – fertig. Etwa drei bis vier Reels und Tiktok-Beiträge posten die beiden so jede Woche.

Eigener Kleiderschrank ist nicht mehr nötig

Zu Beginn zeigen Aki und Koichi natürlich vor allem Outfits aus dem eigenen Kleiderschrank. Sie fallen auf, weil sie stilsicher Klamotten auswählen, die viele eher bei jüngeren Menschen erwarten. So entsteht wie auch bei Alojz Abram ein charmanter Gegensatz, den viele auf Social Media feiern. Durch die schnelle Reichweitenexplosion entdecken viele Modefirmen den Account von Aki und Koichi. Mittlerweile ist ein Großteil der täglichen Outfits gesponsert – von Marken wie H&M, Adidas, Asos, Dior, Chanel oder Uggs. Außerdem laden große Einkaufszentren die beiden regelmäßig ein, um sich vor Ort mit einem neuen Outfit einzudecken.

"Eigentlich war es nur als witzige Möglichkeit gedacht, meine Eltern mit Freunden zu teilen", schreibt Tochter Yuki in einem Instagram-Post, um eine Million Follower zu feiern. "Es ist grandios zu sehen, was daraus geworden ist. Wir haben schon mit so vielen tollen Marken gearbeitet (von manchen waren wir schon jahrelang Fans)". Aki und Koichi sind aber offenbar nicht wegen der Brand-Deals auf Instagram gestartet. Sie interessieren sich einfach schon lange für neueste Modetrends. "Ich war schon immer Mode-interessiert. Aber als ich in Amerika angekommen bin, war ich so arm, dass ich mir keine Klamotten kaufen konnte. Ich habe mich auf das Studium konzentriert", sagt Koichi in der US-Sendung Good Morning America. "Wir mussten erst im Job ankommen, bevor wir uns der Liebe zur Mode widmen konnten."

Aus ihrer Reichweite bauen Aki und Koichi – mit Unterstützung ihrer Tochter – auch ein Affiliate-Geschäft auf. Auf Instagram und Tiktok ist der Link zu ihrer Seite beim US-Affiliate-Service Shopmy hinterlegt. Hier können Nutzende einen Großteil der einzelnen getragenen Outfits des Tages direkt nachkaufen. Für die Verkäufe, die über die Shopmy-Seite zu Stande kommen, bekommen Aki und Koichi eine Provision. Wie viel die Oma- und der Opa-Influencer so im Monat verdienen, darüber haben die beiden leider noch nicht gesprochen.

Auf der Shopmy-Seite von Aki und Koichi können die Fans die Kleiderschränke der beiden nachkaufen.

Keine Einzelfälle

Weltweit tauchen derzeit in verschiedenen Bereichen ältere Menschen auf, die durch die Kombination aus Alter und überraschendem Content Millionen-Reichweiten verzeichnen. In die gleiche Kerbe wie Aki und Koichi schlägt zum Beispiel das japanische Paar Bon und Pon, die ihren über 880.000 Followern auf Instagram ihre täglichen Outfits zeigen – ebenfalls ausgestattet mit vielen Brand-Partnerschaften. Eine der bekanntesten Granfluencer war Iris Apfel, eine exzentrische Designerin, die auf Instagram auch nach ihrem Tod im März 2024 noch drei Millionen Follower hat. Apfel war auch mit über 100 Jahren unter anderem Werbegesicht von H&M. Ähnlich exzentrisch und ähnlich erfolgreich ist die 94-Jährige Helen Van Winkle alias "Baddie Winkle", der auf Instagram ebenfalls drei Millionen Menschen folgen. Van Winkle wirbt unter anderem für Kosmetikmarken und Eiscreme.

Granfluencerin Baddie Winkle als Werbegesicht der Gen-Z-Klamottenmarke Missguided.

In Deutschland erreicht etwa Günther Krabbenhöft auf Instagram mehr als 300.000 Follower. Der 79-Jährige gilt als Hipster-Opa, ist immer stilsicher gekleidet und wurde durch seine Besucher in Berliner Techno-Clubs wie Berghain oder Kater Blau bekannt. Auf Instagram zeigt er sich oft tanzend aber immer in Weste und mit Hut. Ein Granfluencer der etwas anderen Art ist Antiquar Klaus Willbrand. Der ist mit seinen Buch-Empfehlungen besonders auf Tiktok erfolgreich, wo einzelne Videos von ihm auf über zwei Millionen Views kommen.

Werbekampagnen mit Alten für Junge

Große Brands haben das Potenzial von Granfluencern– nicht nur im klassischen Social-Media-Umfeld – erkannt. Vorreiter ist das US-Streetwear-Label Kith von Ronny Fieg (der stand 2023 auf der OMR-Festival-Bühne). Die Marke nutzte unter anderem bereits den fast 80-jährigen Schauspieler Brian Cox (derzeit v.a. aus Succession bekannt), Breaking-Bad-Star Bryan Cranston (68 Jahre alt) und US-Comedy-Ikone Jerry Seinfeld (70 Jahre alt) als Gesichter neuer Kollektionen. Luxus-Label Loewe zeigt neue Klamotten mit Anthony Hopkins (87 Jahre alt), Ami Paris wirbt mit Whoopi Goldberg (69 Jahre alt) und Celine kleidet Bob Dylan (83 Jahre alt) mit einer neuen Lederjacke ein.

Comedy-Opa Jerry Seinfeld in einer Kith-Kampagne.

Warum nutzen Brands ältere Menschen, um Mode für junge Menschen zu verkaufen? Allein der Einsatz dieser älteren Promis und die wie bei Granfluencern schiere Gegensätzlichkeit aus Alter und hippen Klamotten sorgen einfach für viel Aufmerksamkeit. Kith generiert mit Posts auf Instagram laut Analyse-Tool Infludata ein Like-Engagement von etwa 0,6 Prozent (Likes auf Posts im Verhältnis zu Gesamt-Follower-Zahl). Bei den Posts mit Bryan Cranston oder Jerry Seinfeld liegt der Wert doppelt so hoch. Der Einsatz von Granfluencern um sich einfach mal von der Konkurrenz abzusetzen, die mit schönen jungen Menschen wirbt – dieser Trend dürfte also auch in Zukunft nicht abebben.