Millionen-Exit für britische Kosmetik-Brand? Wild macht Deo zum Lifestyle-Produkt

Das Startup gehört zu den am schnellsten wachsenden DTC-Marken Großbritanniens – und soll Medienberichten zufolge kurz vor der Übernahme durch einen Megakonzern stehen.

Inhalt
  1. Nachfüllbare Deo-Hülsen mit Gravur
  2. Kundenbindung durch Subscription-Modell
  3. Von der DTC-Brand zum Omni-Channel-Business
  4. Platz 6 in den Beauty Brand Charts 2024
  5. "Wir waren nicht sehr gut darin, Deo zu machen."
  6. Übernahme durch Unilever?

Kann man Deo nachhaltig machen, gleichzeitig als Lifestyle-Produkt positionieren und zu einem hohen Preispunkt verkaufen, obwohl sich in den Drogeriemärkten in den Regalen lauter günstigere Angeboten bekannter Marken aneinanderreihen? Die Gründer von Wild haben diesen Ansatz gewählt und machen nach einem holprigen Start inzwischen Umsätze im zweistelligen Millionenbereich – auch dank kreativem Social-Media-Marketing. Nun steht das Unternehmen Medienberichten zufolge kurz vor der Übernahme durch einen Konsumgüterriesen. Was steckt hinter dem Erfolg der britischen Kosmetikbrand?

2024 wurde in Deutschland ein Rekord geknackt, der wohl an den meisten vorübergegangen sein dürfte: Zum ersten Mal wurde mehr als eine Milliarde Euro allein für Deodorants ausgegeben. Zu den bekanntesten Marken, auf die sich die Deutschen dabei verlassen, gehören einer Umfrage zufolge Nivea, Adidas, Dove, Rexona oder auch Fa. Doch auch junge Startups mischen auf dem Markt mit, um das Deo-Game mit innovativen Ansätzen neu aufzurollen. Ein Beispiel, das gerade Schlagzeilen macht: Wild.

Das britische Startup vertreibt nachhaltiges Deo in Refill-Cases. Gegründet haben es die Jugendfreunde Freddy Ward und Charlie Bowes-Lyon. Der eine war vorher Marketingleiter bei Hello Fresh UK, der andere hatte das Startup Climate Cups gegründet und verkauft. 2019 starten sie ihr gemeinsames Projekt, bei dem sie einen Spagat schaffen müssen: „Eine der großen Herausforderungen für Wild ist es, nachhaltig zu sein und gleichzeitig genügend Menschen anzusprechen“, hat Freddy Ward in einem Interview erzählt. Also – wie macht man nachhaltiges Deo sexy? Um das zu erreichen, setzen die Unternehmer auf natürliche Inhaltsstoffe und weniger Plastikmüll bei maximaler Instagram-Tauglichkeit. Statt der gängigen weißen Plastikhülle mit aggressiven Versprechen wie "96 Stunden extremer Schweiß-Schutz" oder "5 in 1 Odor Control & Wetness Protection" schaffen sie eine Produktästhetik, die die junge Zielgruppe auf Social Media ansprechen soll – und ein Online-Kauferlebnis, das an das von Apple erinnert.

Nachfüllbare Deo-Hülsen mit Gravur

Im Online-Shop wird das Alltagsprodukt nämlich durch geschicktes Marketing als Lifestyle-Objekt positioniert. Potenzielle Kund*innen können ihr persönliches Deo in einer Art Baukastenprinzip zusammenstellen: Sie haben die Wahl zwischen Aluminium-Cases in unterschiedlichen Farben und Designs, teilweise als limitierte Edition wie aktuell mit kleinen roten Herzchen zum Valentinstag, und unterschiedlichen Duftrichtungen – von Lemon Basil & Blood Orange über Cherry Blossom bis Oceanmist. Auch Duschgel, Lippenpflege oder Handseife, die auf diese Weise individualisiert werden können, gehören inzwischen zum Produktportfolio.

Maximilian Rast, Gründer von Klar, einem Reporting- und Attributions-Tool für Onlineshops, hat sich Wild genauer angesehen und analysiert, was andere Brands sich von Wild abgucken können. "Wenn man sich die Website anguckt und nicht darauf achtet, um welche Art Produkt es sich handelt, könnte man denken, man wäre auf einer Apple-Seite gelandet", findet er. "Man kann das Deo-Case sogar gravieren lassen, was wir schon lange von iPhones oder Airpod-Cases kennen."

Kundenbindung durch Subscription-Modell

Das Deodorant wird vom Alltagsprodukt zur Eigenkreation, zu der Kund*innen direkt eine Verbindung haben. Und für die sie bereit sein müssen, vergleichsweise viel Geld auszugeben: Im sogenannten Starterset kostet die Hülle von Wild mit nur einem Deostick 17,50 Euro plus Versand. Zum Vergleich: Im Drogeriemarkt könnte man dafür rund 20 Deos der Eigenmarken von dm oder Rossmann kaufen.

Das Konzept mit den Cases hat einen weiteren attraktiven Effekt für Wild: Wer einmal in ein individualisiertes Case investiert hat, ist künftig auf die Original-Refills der Marke angewiesen. "Einmal gekauft, immer wieder nachfüllbar" lautet das Motto auf der Internetseite. Doch auch die Nachfüll-Deos haben ihren Preis: 7,50 Euro pro Stück. 20 Prozent günstiger wird es, wenn Kund*innen ein Abo abschließen und sich in selbstgewählten Abständen automatisch neue Nachfüllpackungen schicken lassen.

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Von der DTC-Brand zum Omni-Channel-Business

Ist Wild beim Launch im Jahr 2020 als reine DTC-Brand gestartet, hat sie sich inzwischen zum Omni-Channel-Business weiterentwickelt. Laut Ward war das von Anfang an das Ziel, "aber es war besser zu lernen, das Produkt zu verfeinern, eine Audience aufzubauen und online zu wachsen und dies dann in den Einzelhandel zu übertragen, als zu versuchen, beides auf einmal zu tun." Im DTC-Bereich sei nach wie vor eine viel individuellere Kundenansprache möglich. "Das gibt uns die Zeit, den Verbraucher über die Vorteile des Produkts aufzuklären und unsere Markenbotschaft wirklich zu vermitteln", heißt es. Trotzdem wolle man überall dort verfügbar sein, wo Menschen Körperhygiene-Produkte kaufen. "Und im Einzelhandel haben wir die Möglichkeit, einen deutlich breiteren Kundenstamm zu erreichen."

In Deutschland hat es Wild zum Beispiel in die Regale aller dm- und Rossmann Filialen geschafft, ist aber auch bei Douglas, Edeka oder Budnikowsky verfügbar. Bei der Internationalisierung hatte die britische Marke den hiesigen Markt sogar besonders im Fokus: "Der deutsche Markt ist für Wild von großer Bedeutung. Er war der erste EU-Markt, in den wir eingetreten sind, und seitdem haben wir dort eine starke Präsenz und Community."

Platz 6 in den Beauty Brand Charts 2024

Eine Community für Deo? Die Follower*innen-Zahlen auf Instagram sprechen dafür, dass Wild Social Media für sich zu nutzen weiß: Fast 500.000 Menschen folgen @wildrefill, dem Kanal für den DACH-Raum (wildrefill_de) weitere 58.000. Zum Vergleich: Der Instagram-Kanal von Rexona Deutschland kommt nur auf 12.000 Follower, bei Fa sind es 16.000. Besonders aktiv ist die Marke im Influencer-Marketing. In einem Ranking der Marketing-Plattform Storyclash, den "Beauty Brand Charts" für das Jahr 2024, schafft es Wild auf Platz sechs der Brands, die am häufigsten von Influencer*innen erwähnt wurden.

Marketing-Experte Maximilian Rast sieht den Schlüssel zum Social-Media-Erfolg in "einem extrem guten Mix aus Creatives", darunter Anzeigen mit professionellen Content Creatorn, User Generated Content, Nachhaltigkeits-Kommunikation, Ads im ASMR-Style oder auch Content mit Mitarbeitenden aus dem Wild-Headquarter in London, die ihren Arbeitsalltag zeigen. Wild gelinge es durch die Vielzahl an Formaten, die Brücke zwischen Unterhaltung und Benefit-Kommunikation zu schließen, sagt Rast. "Unterschiedliche Menschen reagieren auf unterschiedlichen Content, unterschiedliche Formate, Hooks oder Brand Faces und stecken wahrscheinlich auch in unterschiedlichen Phasen des Kaufprozesses. Wer sich besonders divers aufstellt, kann wahrscheinlich auch die maximale Anzahl an Menschen catchen."

"Wir waren nicht sehr gut darin, Deo zu machen."

In UK gehört Wild heute zu den am schnellsten wachsenden Brands im Beauty- und Gesundheitssektor. Im "Sunday Times 100 2024"-Ranking der privaten Unternehmen in Großbritannien mit dem größten Wachstum schafft es Wild auf Platz 23. Nach Angaben der britischen Zeitung machte das Unternehmen im Jahr 2023 einen Jahresumsatz von 45,8 Millionen Pfund, umgerechnet rund 54 Millionen Euro. Inzwischen dürften es noch ein paar Millionen mehr sein: Von Wild selbst heißt es, das Unternehmen verzeichne ein "rapides Wachstum in jedem Quartal". Angetrieben durch neue Produktkategorien, die Expansion in den Einzelhandel und neuem Marktwachstum erziele die Firma ein zweistelliges Umsatzwachstum und sei weiterhin profitabel.

Der Start von Wild war hingegen eher holprig. Die beiden Gründer wollen mit einem einzigen Produkt durchstarten: Deo. Doch nach dem Launch folgt sehr bald eine Erkenntnis, die sie ins Schwitzen bringt: "Wir haben gelernt, dass wir nicht sehr gut darin waren, Deo zu machen", erinnert sich Freddy Ward. Das Problem ist schnell auf den Punkt gebracht: "Es hat einfach nicht wirklich funktioniert." Eine Monomarke, die ihr Kernprodukt nicht beherrscht, hat ein fundamentales Problem. Und kaum etwas lässt bei der Frage Top oder Flop wohl so wenig Interpretationsspielraum wie ein Deo, das versagt. Aber Freddy Ward und Charlie Bowes-Lyon glauben an ihre Vision. Die Nachfrage für das Produkt sei da, sind sie überzeugt.

Übernahme durch Unilever?

Sechs Jahre, eine Pandemie, jede Menge Produktentwicklung und mehrere Finanzierungsrunden später scheint ihnen das gelungen zu sein. Und Medienberichten zufolge könnte ihnen sehr bald auch der Exit gelingen. Laut Sky News soll nämlich der britische Megakonzern Unilever kurz davor sein, den Kauf des Startups zu verkünden. Das Medium habe von Informant*innen aus der Branche erfahren, "dass Unilever sich auf die Bedingungen einer Transaktion geeinigt hat, um Wild von seinen Gründern und Frühphaseninvestoren zu übernehmen", heißt es. Der Deal könnte innerhalb weniger Wochen verkündet werden. Der Konzern Unilever, zu dem auch die Deo-Marken Dove und Axe gehören, soll bereit sein, 230 Millionen Pfund für Wild zu bezahlen, umgerechnet rund 277 Millionen Euro.

Bisher haben weder Unilever noch das Startup die Übernahme bestätigt. Es handele sich um "unbestätigte Spekulationen", antwortet eine Sprecherin von Wild auf unsere Anfrage, und weiter: "Im Moment sind wir noch unabhängig und konzentrieren uns auf unsere Mission, Einwegplastik aus Badezimmern auf der ganzen Welt zu entfernen."

Brand Building
Tanja Karrasch
Autor*In
Tanja Karrasch

Tanja Karrasch ist Redakteurin bei OMR. Sie hat bei der Tageszeitung Rheinische Post volontiert und anschließend als Redakteurin gearbeitet. Vor ihrem Wechsel zu OMR arbeitete sie für die TV-Produktionsfirma Bavaria Entertainment und war als Redaktionsleiterin für zwei ZDF-Shows zuständig.

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