Auch für LinkedIn gibt es nun „Engagement Pods“: „Likest Du meinen Post, like ich Deinen“

Wiederholen sich auf LinkedIn alle von Instagram bekannten Tricksereien?

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Inhalt
  1. „Wer nicht liket, fliegt“
  2. Seichte Sinnsprüche aus der Business-Welt
  3. Manche Engagement Pods haben bis zu vierstellige Mitgliederzahlen
  4. „Lass uns automatisiert für Dich liken“
  5. Ex-Uber-Mitarbeiter dienen als Testimonials
  6. Mit Viral-Videos wachsen, die schon auf anderen Plattformen funktioniert haben
  7. LinkedIn-Bots sind nur eine Google-Suche entfernt
  8. Bis zu 50.000 Follower auf einen Schlag

„Reichweite und Engagement, ganz egal wie, und sei es mit dem Holzhammer“ – nach dieser Devise scheinen offenbar einige Mitglieder der Business-Plattform LinkedIn vorzugehen. Sie vernetzen sich in so genannten Engagement Pods, um gegenseitig Posts zu liken und zu kommentieren, in der Hoffnung, auf diese Weise eine höhere organische Reichweite zu generieren. Bisher war die Methode vor allem von Instagram bekannt. Nun schwappt sie offenbar zu LinkedIn hinüber. OMR hat sich für Euch in die Vorhölle der aufstrebenden LinkedIn-Influencer begeben und gewährt Euch exklusive Einblicke hinter die Kulissen.

„Wäre sehr dankbar für Euren Support, Leute“, schreibt AJ M**** (Name anonymisiert), und verlinkt darunter seinen neuesten Post auf dem Business-Netzwerk LinkedIn. Der Inhalt: eine mehr oder eher minder tiefschürfende Anekdote darüber, dass ein LinkedIn-Profil die Person dahinter nie wirklich komplett abbildet. Laut seinem eigenen LinkedIn-Profil ist M**** Mitgründer und Marketingchef einer Digitalagentur in Kuala Lumpur, außerdem angeblich zweimaliger TED-Speaker und „Best LinkedIn Influencer“.

„Wer nicht liket, fliegt“

Seine Bitte um Unterstützung schickte der junge malayische Geschäftsmann in eine Telegram-Gruppe, der 125 Mitglieder angehören, alle offenbar LinkedIn-Nutzer. Ihr Ziel: Gegenseitig das Engagement auf die eigenen LinkedIn-Posts steigern. M****’s Post sammelt innerhalb von anderthalb Tagen 301 Likes und 158 Kommentare an. Mehr also, als die Telegram-Gruppe Mitglieder hat. Möglicherweise hat er ihn auch an anderer Stelle gepostet.

In der Telegram-Gruppe werden Neuankömmlinge in einem fixierten Post mit den Gruppenregeln bekannt gemacht. Wohl die wichtigste darunter: Alle Mitglieder sollen innerhalb von 24 Stunden auf die geposteten Links zu LinkedIn-Posts klicken und diese liken oder anders mit ihnen interagieren. Wer nur selbst Links postet, aber nicht liket, wird angeblich aus der Gruppe entfernt.

Die Gruppenregeln der Telegram-Gruppe, in der sich die Mitglieder gegenseitig Likes und Kommentare auf LinkedIn zuschustern (bearbeiteter Screenshot)

Seichte Sinnsprüche aus der Business-Welt

Gruppen wie diese, Engagement Pods oder Like-Gruppen genannt, sind kein ganz neues Phänomen. Erstmals machten diese vor etwa zwei Jahren vor allen Dingen im Zusammenhang mit Instagram von sich reden, nachdem die Betreiber der Plattform auf einen algorithmisch gefilterten Feed umgestellt hatten. („Instagram Pods: So tricksen Influencer den Algorithmus aus und erhöhen ihre Reichweite“). Einen solchen gibt es auch auf LinkedIn, und nun adaptieren bauernschlaue Nutzer Engagement Pods für die Business-Plattform. Die Idee dahinter bleibt dieselbe: Durch das ertrickste initiale Engagement misst der Algorithmus der Plattform dem Post eine höhere Relevanz bei und beschert ihm eine höhere organische Reichweite im LinkedIn Marketing.

Die Mitglieder der Telegram-Gruppe, der ich mich angeschlossen habe, sind bunt durchmischt: Unter ihnen befinden sich zwei „Executive Coaches“ aus den USA, ein „Social Media Marketer & Snail Farming Consultant“ aus Nigeria, ein IT-Entwickler und „Blockchain Enthusiast“ aus Indien und ein Hamburger Designer und Digitalberater, der auf LinkedIn merkwürdige Spotify-Playlists promotet. Betreiber der Telegram-Gruppe ist ein Norweger, der über einen Online-Shopping Uhren verkauft, vermutlich per Dropshipping aus China. Die in der Gruppe promoteten Posts: Häufig seichte Sinnsprüche, Anekdoten oder Motivationsvideos aus der Business-Welt.

Manche Engagement Pods haben bis zu vierstellige Mitgliederzahlen

LinkedIn Engagement Pods finden sich nicht nur auf Telegram. Auch auf LinkedIn selbst lassen sich durch ein wenig Herumspielen mit Suchbegriffen relativ schnell entsprechende Gruppen finden. Viele von ihnen haben nur Mitglieder im einstelligen Bereich; manche von ihnen im niedrigen dreistelligen Bereich. Auf Facebook gibt es gar LinkedIn-Gruppen mit vierstelliger Mitgliederzahl.

Ein Einblick in eine Engagement-Pod-Gruppe für LinkedIn, auf LinkedIn, mit fast 200 Mitgliedern (bearbeiteter Screenshot)

Die Gruppe „LinkedIn Growth Hackers“, mit aktuell rund 1.700 Mitgliedern wohl einer der größten auf Facebook zum Thema LinkedIn, wird von Ilya Azovtsev betrieben, einem ukrainischen Entwickler und laut seinem LinkedIn-Profil „Head of Growth“ des offenbar in Paris ansässigen Unternehmens Lempod, das erst seit August dieses Jahres existiert. Lempod will laut Website den Kunden helfen, ihr LinkedIn-Engagement zu steigern – die Facebook-Gruppe dient wohl mit als Marketing-Tool, um das Angebot zu bewerben.

„Lass uns automatisiert für Dich liken“

Bei einem genaueren Blick zeigt sich: Die Macher von Lempod haben eine besonders findige Idee für LinkedIn Engagement Pods entwickelt. Denn die Kunden des Unternehmens können sich einfach mittels einer Browser-Erweiterung Engagement-Gruppen anschließen. Wer mutig genug ist, sich in der Erweiterung mit seinem LinkedIn-Konto anzumelden (und damit die Lempod-Betreiber im eigenen LinkedIn-Account schalten und walten zu lassen) – der liket fortan die Posts der anderen Gruppen-Mitglieder mittels Software automatisiert. Und bekommt natürlich selbst automatisiert Likes auf die eigenen Posts.

So sieht die Nutzung von Lempod in der Praxis aus: Die Nutzer können Pods für ihre Interessensgebiete und aus ihrer Nähe suchen (Quelle: Lempod.com)

Anders als die Engagement Pods auf Telegram, Facebook und LinkedIn selbst ist Lempod jedoch nicht kostenlos. Die Eintrittsbarriere liegt für Einzelnutzer bei fünf US-Dollar im Monat (für die Mitgliedschaft in einem Pod), für Unternehmen bei 50 US-Dollar. Laut dem Lempod-Profil im Google-Chrome-Store ist die Erweiterung bislang fast 5.000 Mal installiert worden. Wie viele Nutzer davon bezahlt haben, ist von außen nicht nachvollziehbar.

Ex-Uber-Mitarbeiter dienen als Testimonials

Auf der Lempod-Website zitieren die Unternehmensmacher mehrere Kundenstimmen, u.a. von Vaibhav Sisinty, laut seinem LinkedIn-Profil ehemaliger Marketing Manager beim Taxi-Dienst Uber, der jetzt in Mumbai als freier „Growth Consultant“ tätig ist. Die Ergebnisse mit Lempod seien fantastisch, so Sisinty. Er habe mit dem Tool das Engagement auf seine Linkedin-Posts vervier- bis versechsfachen können. Auf LinkedIn erklärt Sisinty in einem Artikel aus dem Juni, wie er innerhalb von sechs Monaten acht Millionen Views auf LinkedIn generiert hat. Engagement Pods erwähnt der Berater an dieser Stelle mit keinem Wort.

Angesichts der immer stetig steigenden Mitgliederzahl und Reichweite von LinkedIn ist es nicht weiter erstaunlich, dass die Plattform bei einigen Nutzern Begehrlichkeiten weckt. Aktuell beziffert das mittlerweile zu Microsoft gehörende Unternehmen die Zahl seiner Mitglieder mit 645 Millionen. Das Statistik-Tool SimilarWeb schätzt die Reichweite der Plattform auf rund 220 Millionen Unique User und 910 Millionen Visits im Monat.

Mit Viral-Videos wachsen, die schon auf anderen Plattformen funktioniert haben

Wenig verwunderlich, dass die Plattform mit ihrer Reichweite zuletzt namhafte Manager aus der Wirtschaft (u.a. die Unternehmensführer von Daimler, Vodafone und SAP) als Content-Lieferanten für sich gewinnen konnte. Gleichzeitig versuchen bisher eher unbekannte LinkedIn-Nutzer von den viralen Mechanismen der Plattform zu profitieren, sich über diese einen Namen zu machen und eine Eigenreichweite und ein Geschäftsmodell aufzubauen („Vom CEO zum ‚Business Influencer‘: Das sind die LinkedIn-Nutzer mit den meisten Followern“).

Ein Hebel war dabei bislang die Nutzung von Viral-Videos, die schon auf anderen Plattformen gut funktioniert haben („LinkedIn dreht die Video-Reichweite auf und seltsame ‚Business Influencer‘ nutzen das aus“). Scheinbar versuchen die aufstrebenden Business Influencer nun auch Reichweiten-Tricks, die auf anderen Plattformen gut funktioniert haben, auf LinkedIn zu übertragen („Das sind die Tricks der Instagram Influencer: Powerlikes, Engagement Pods, Shoutouts & Co.“).

LinkedIn-Bots sind nur eine Google-Suche entfernt

Eine auf Instagram zumindest eine Zeit lang viel genutzte Methode (bis die Plattformbetreiber angefangen haben, relativ rigoros dagegen vorzugehen) sind Bots, mit denen Instagrammer anderen Accounts massenhaft folgen und entfolgen oder die Inhalte andere kommentieren konnten („Nice Post!“). Wer über Google nach entsprechenden Dependants für LinkdIn sucht, wird schnell fündig.

Mit dem „Linkedhelper“ können die Nutzer beispielsweise aumatisiert Kontakte des zweiten und dritten Grades (also Bekannte ihrer eigenen Kontakte und deren Bekannte) einladen, automatisiert Nachrichten an ihre Kontakte oder an LinkedIn-Gruppe versenden und andere Profile besuchen (in der Hoffnung, dass diese sich revanchieren). Das Tool „Socinator“ erlaubt es nach eigener Darstellung, auf LinkedIn automatisiert Likes und Comments zu setzen.

Bis zu 50.000 Follower auf einen Schlag

Zuguterletzt ist es offenbar auch kein Problem, „Follower“ auf LinkedIn zu kaufen. Eine kurze Google-Recherche zeigt: Die Angebote starten bei gut fünf US-Dollar für 50 Follower und reichen bis zu 2.200 US-Dollar für 50.000 Follower aus den USA.   Seriöse Social-Media-Experten raten von solchen Methoden aber unabhängig von der jeweiligen Plattform explizit ab.

Bei LinkedIn dürfte es potenziellen Follower-Käufern wohl eher um einen Image-Gewinn als um vermarktbare Reichweite gehen. Berater oder Unternehmen können mit einer (gefakten) hohen Reichweite gegenüber potenziellen Kunde Relevanz signalisieren. Wenn die Kunden aber erkennen, dass die Reichweite nur vorgetäuscht ist, kann sich der Effekt schnell ins Negative verkehren, wenn die Kunden einen genaueren Blick auf die Reichweite werfen, und erkennen, dass diese nur vorgetäuscht ist. Und zuguterletzt bleibt immer die Gefahr der Account-Sperrung durch die Betreiber der Plattform.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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