Merz, Scholz und Co.: Die Social-Media-Macht im Wahlkampf
Plattformen wie Tiktok spielen inzwischen eine zentrale Rolle. Doch nicht jeder kann dort glänzen.
- Olaf Scholz: Doppel-Wumms
- Friedrich Merz: Bilder als Bürde
- Robert Habeck: Mr. Linkedin
- Alice Weidel: Musk sei Dank
- Christian Lindner, Sahra Wagenknecht und Heidi Reichinnek: Die Kraft der Kleinen
Social Media spielt bei allen Parteien im Bundestagswahlkampf eine immer größere Rolle. Doch nicht jeder Spitzenkandidat bzw. jede Spitzenkandidatin kann gleichermaßen glänzen – und auch je nach Plattform gibt es gravierende Unterschiede. Wir haben uns die Strategien einmal angeschaut.
Seit mehr als 40 Jahren ermittelt das "Politbarometer" des ZDF die Meinung der Deutschen zu den wichtigsten Politiker*innen – aber Heidi Reichinnek hat dabei noch nie eine Rolle gespielt. In den sozialen Medien ist sie hingegen momentan ein Star. Ein Video ihrer Rede im Bundestag ging viral. 147.000 Likes bei Instagram, 5,9 Millionen Views bei Tiktok – mit ihrer scharfen Kritik an CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz nach dessen gemeinsamer Abstimmung mit der in Teilen rechtsextremen AfD hat die Spitzenkandidatin der Partei "Die Linke" einen der bisherigen Viral-Hits des Wahlkampfs geliefert.
Social Media spielt nicht erst in diesem Wahlkampf eine große Rolle. Doch die Landtagswahlen in mehreren ostdeutschen Bundesländern haben die Parteien zuletzt noch einmal alarmiert. Denn bei den Abstimmungen konnte die AfD speziell bei Erstwähler*innen punkten – und eine Studie der Universität Potsdam deutete darauf hin, dass es eine Korrelation zur Nutzung von Tiktok geben könnte. Denn dort wurden jungen Menschen besonders häufig Videos der AfD oder mit AfD-nahen Themen ausgespielt. Neun Videos pro Woche, die AfD-Inhalte thematisieren, bekäme diese Wählergruppe dort im Schnitt zu sehen, hieß es. Von der CDU sahen die jungen Leute hingegen in dieser Zeit im Schnitt nur eins.
Ein Blick auf die Profile der aktuellen Kanzlerkandidaten der Parteien zeigt, dass auch im Bundestagswahlkampf die AfD bei Social Media die Nase vorn hat. Wir haben uns die Performance von Olaf Scholz, Friedrich Merz und Co. knapp zwei Wochen vor der Wahl einmal angesehen.
Olaf Scholz: Doppel-Wumms
Mit dem Profil "Bundeskanzler" verfügt Olaf Scholz über den größten Account eines deutschen Politikers. Bei Instagram folgen ihm rund zwei Millionen Accounts, die sehen, wie sich Scholz mit dem britischen Premierminister Keir Stamer oder Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trifft. Man sieht jedoch auch Fotos von Podcast-Aufnahmen oder Auftritten in Talk-Shows, bei denen sich gerade im Wahlkampf natürlich die Frage stellt: Ist Scholz hier nur als Regierungschef zu Gast – oder auch als Wahlkämpfer? Die Rollen muss Scholz auf seinen Profilen getrennt halten, weshalb er auch ein persönliches Profil in den sozialen Netzwerken hat. Die Reichweiten sind hier deutlich kleiner, dafür ist die Engagement-Rate laut Analyse-Diensten wie Storyclash etwas höher.
Immerhin: Speziell bei Tiktok ist die Reichweite von Olaf Scholz in den vergangenen Wochen stark gewachsen. Einzelne Videos, wie einen kurzen Ausschnitt mit Tiktok-Creator Brooklyn Oyoms (mehr als fünf Millionen Views), darf das "Teamolafscholz" dabei bereits als Viral-Erfolge verbuchen. Und auch hier gibt es wieder den "Doppel-Wumms". Denn bei Tiktok ist Scholz nicht nur als "Teamolafscholz", sondern auch als "Teambundeskanzler" unterwegs. Mit dem Begriff hatte Olaf Scholz zwar eigentlich mal Maßnahmen zur Senkung der Energiepreise bezeichnet. Doch letztlich sorgen auch die Doppelstrukturen bei den Profilen im Wahlkampf für solch einen zweifachen Wumms.
Friedrich Merz: Bilder als Bürde
Manchmal reicht ein Bild, um alles zu verändern. Die CDU macht diese Erfahrung momentan zum zweiten Mal. 2021 trendete bei X (damals noch Twitter) der Hashtag #laschetlacht. Ein Foto zeigte Kanzlerkandidat Armin Laschet feixend bei einer Veranstaltung, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gerade den Opfern der Flutkatastrophe gedachte. Armin Laschet ist dieses Bild im Wahlkampf nicht mehr losgeworden. Und nun, vier Jahre später, gibt es schon wieder so ein Bild, das geeignet ist, den Wahlkampf der CDU dramatisch zu verändern. Man sieht Spitzenkandidat Friedrich Merz und die Unionsfraktion, wie sie gemeinsam mit AfD und FDP bei einer Abstimmung die Hand heben. Es ist das erste Mal, dass im Bundestag bei einer Abstimmung über einen Antrag eine Mehrheit durch Stimmen der AfD zustande kommt. Es ist ein Tabubruch in den Augen vieler Kritiker*innen. Und das Foto ist der Social-Media-kompatible Beweis.
Für die SPD sind solche Bilder ein gefundenes Fressen. Sie fährt in den sozialen Netzwerken einen harten Anti-Merz-Wahlkampf, indem sie gezielt das Bild der Abstimmung oder lässt Ex-Parteichef Franz Müntefering nochmal ausgiebig die vermeintlichen Schwächen des politischen Gegners sezieren. Dem Team um Friedrich Merz gelingt es hingegen kaum, eigene reichweitenstarke Inhalte zu posten. Nur zwei Videos auf dem Tiktok-Kanal des Spitzenkandidaten haben die Millionenschwelle durchbrochen. Auch bei Instagram, X oder Facebook ist seine Reichweite geringer als die von Olaf Scholz. Immerhin: Laut dem Analysetool Storyclash erzeugen seine Posts ein vergleichsweise hohes Engagement der User*innen, werden also häufig geliket oder geteilt. Besonders gut funktionieren dabei jene Bilder und Beiträge, in denen sich Merz menschlich und nahbar zeigt – etwa beim Sägen mit Muskelpaket und Schauspieler Ralf Möller oder beim Zwischenstopp in einem McDonalds.
Robert Habeck: Mr. Linkedin
Irgendwie logisch, dass ein Wirtschaftsminister speziell das eher auf Beruf- und Karriere-fokussierte Linkedin als Plattform für die Kommunikation in den Fokus nimmt. Im Februar 2023 hat Habeck das Linkedin-Game gestartet, heute ist er dort unter den deutschen Politiker*innen derjenige, mit der größten Reichweite. Mehr als 460.000 Accounts folgen dem Grünen-Politiker auf der Plattform. Auch Instagram spielt in der Social-Media-Strategie eine zentrale Rolle, viele seiner Reels gehen immer wieder viral. Ein zentrales Element seiner Strategie sind dabei direkte Ansprachen in die Kamera – etwa im Vorfeld der Abstimmung über den Entschließungsantrag zur Migrationspolitik ("Tun Sie es nicht, Herr Merz"). Das Video wurde bis heute 2,6 Millionen Mal angeschaut. Oder auch in einem Beitrag, in dem er über seine Doktorarbeit spricht – und mit ihr verbundene erwartete Vorwürfe eines umstrittenen Plagiatsjägers, die bereits vor dessen Veröffentlichungen von der Universität Hamburg entkräftet wurden. Immer wieder gelingen ihm Posts mit Millionen-Reichweite.
Bei X und Facebook hingegen macht sich seine lange Abwesenheit noch immer bemerkbar. Von allen Kanzlerkandidaten hat er hier die geringsten Follower-Zahlen. 2019 hatte er sich von den beiden Plattformen zurückgezogen, nachdem bei einem Datendiebstahl unter anderem private Unterhaltungen mit seiner Familie öffentlich wurden. Gleichzeitig hatte er mehrere Beiträge gepostet, die anschließend für Kritik gesorgt hatten.
Alice Weidel: Musk sei Dank
Drei Dinge fallen sofort auf, wenn man sich die Social-Media-Profile von Alice Weidel anschaut. Erstens: Die Rechtspopulistin hat auf jeder Plattform, auf der sie aktiv ist, deutlich mehr Follower als ihre Mitbewerber aus der demokratischen Mitte. Zweitens: Besonders stark ist sie auf Tiktok und X, jenen Plattformen die mehr als andere durch ihre Algorithmen im Verdacht stehen, Hass und Hetze zu fördern. Drittens: Für jemanden, der sich so oft kritisch über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk äußert, teilt die AfD-Parteichefin vergleichsweise viele Bilder und Snippets, die sie in genau jenen Medien zeigen. Speziell bei Tiktok erreichen viele ihrer Videos Millionen-Reichweiten.
Den größten Einfluss auf ihren Wahlkampf dürfte jedoch Milliardär Elon Musk gehabt haben. Dieser hat sich im laufenden Wahlkampf als aktiver Unterstützer der AfD hervorgetan – und sich unter anderem auch mit Alice Weidel zum Live-Talk bei X getroffen. Weidel hat von der Musk'schen Unterstützung direkt profitiert, weil er beispielsweise Posts von ihr teilte und somit für zusätzliche Reichweite sorgte. Erreichten ihre Posts aufs Jahr gesehen im Schnitt rund 200.000 Impressions, waren es Ende Dezember und Anfang Januar rund eine Million. Spitzenreiter: Ein Post kam sogar auf 24 Millionen Views. Die Daten, die Forschende zusammengetragen haben, zeigen, dass Alice Weidel stärker von dem Musk-Booster profitiert als ihre Partei insgesamt. Mehr als 400.000 Follows gewinnt sie ab Mitte Dezember allein bei X hinzu.
Christian Lindner, Sahra Wagenknecht und Heidi Reichinnek: Die Kraft der Kleinen
Sie sind keine Kanzler*innen–, aber immerhin Spitzenkandidat*innen ihrer jeweiligen Parteien – und gemessen an ihrer parlamentarischen Relevanz überproportional stark in sozialen Netzwerken. Von Heidi Reichinneks Viral-Erfolg war an dieser Stelle ja schon die Rede, selbst die eher konservative "FAZ" berichtete schon über die Tiktok-Erfolge der Linkspartei. Übertroffen wurde Reichinneks Hit nur von einer Parteikollegin, der Kommunalpolitikerin Christiane Kiesow. Sie warf Christian Lindner bei einem Auftritt eine Rasierschaum-Torte ins Gesicht. Der FDP-Parteichef reagierte gleich doppelt richtig – erst vor Ort, weil er den Angriff mit einem lockeren "Es war leider nicht Sahne, sondern nur Seife" konterte, und er und sein Team das Video anschließend über Lindners Tiktok-Account selbst verbreiteten. Kein anderes Lindner-Video hat so viele Views wie dieses mit 34,7 Millionen. Es dürfte nicht ganz der Effekt gewesen sein, den Christiane Kiesow sich erhofft hatte.
Die frühere langjährige Spitzenfrau der Linken, Sahra Wagenknecht, ist bei Tiktok ebenfalls erfolgreich, wie mehr als 500.000 Follower*innen und fast acht Millionen Likes belegen. Viele ihrer Videos haben hier Millionen-Reichweiten. Stark ist sie parallel aber ebenfalls bei Facebook, wo ihr mehr als 700.000 Accounts folgen. Nicht mal Alice Weidel hat dort solche Reichweiten. Linkedin nutzt sie hingegen ebenso wenig als Teil ihrer Strategie wie Bundeskanzler Olaf Scholz. Würde allein die Reichweite in sozialen Netzwerken über den Wahlausgang entscheiden, läge die Spitzenkandidaten des nach ihr benannten "Bündnis Sahra Wagenknecht" sogar vorne. Die Realität sieht aktuell jedoch anders aus. Da muss das BSW zunächst erstmal hoffen, die Fünf-Prozent-Hürde im Bundestag zu schaffen.