Tiktok-Hype: Ganze Hollywood-Filme als Sozial-Event
Auf der Plattform streamen Accounts komplette Hollywood-Filme. Das ist nicht legal – trotzdem gucken Tausende zu
Zeigt ein absurder Tiktok-Hype gerade, wie Film- und Serien-Streaming in Zukunft aussehen könnte? Unzählige Kanäle streamen derzeit – nicht ganz legal – aktuelle Hollywood-Filme auf Tiktok. Tausende schauen zu und tauschen sich live in den Kommentaren aus. Was steckt dahinter?
Sonic 3, Moana 2, Deadpool 3: Das sind nicht nur aktuelle Hollywood-Fortsetzungen. Diese und viele weitere Filme wurden auch zuletzt auf Tiktok live gestreamt – in kompletter Länge. Die Kommentarspalten sind dabei voll mit Diskussionen zum aktuellen Geschehen. Und so gibt es gerade unter dem Radar "Watchpartys" auf Tiktok. Die Plattform reagiert schnell mit Löschungen – trotzdem versuchen Accounts immer wieder so Reichweite zu gewinnen.
Glücksritter auf der Suche nach Tiktok-Reichweite
"Man findet Spielfilme bei Tiktok auch über die Suchfunktion. Viele bekommen die Posts sogar auf die For-You-Page gespült", sagt Neil Heinisch gegenüber OMR. Heinisch ist Co-Gründer und CEO der Gen-Z-Agentur Play The Hype und plant für viele große deutsche Brands Tiktok-Kampagnen. Er ist es auch, der uns auf das Phänomen aufmerksam macht. "Die Streams laufen über den ganzen Tag verteilt, am Wochenende auch meist die ganze Nacht durch. Zuletzt habe ich einen Wicked-Stream mit 3.000 Zuschauern um drei Uhr nachts gesehen", sagt er. Einzelne Streams erreichen sogar über 10.000 Live-Aufrufe. Während der "Filmvorführungen" findet ein reger Austausch der Zuschauer*innen statt. Sie diskutieren in den Kommentaren einzelne Szenen, wie gut der Film insgesamt ist, welche Schauspieler*innen sie mögen. So entsteht eine richtige Live-Film-Community.
Und wer profitiert? Offenbar versuchen unzählige Glücksritter, ihre Tiktok-Reichweite mit illegalen Film-Streams zu pushen. "Manche Kanalbetreiber machen das fast professionell, erstellen eine Art Kino-Programm mit Canva, diskutieren im Chat, welche Filme sie als nächstes zeigen sollen", so Heinisch. Einige versuchen, Geld zu verdienen und fragen die Community nach digitalen Rosen und Geschenken. Das sind digitale Währungen auf Tiktok, die sich in echtes Geld tauschen lassen. Eine Mechanik, die dabei zum Einsatz kommt: Erst wenn genug Geschenke zusammengekommen sind, wird der nächste Film gezeigt. Wie gut eine solche Strategien insgesamt funktioniert, zeigen aktuelle Tiktok-Zahlen. Gemeinsam mit der chinesischen Variante Douyin hat die Plattform im vergangenen Jahr einen Umsatz von sechs Milliarden US-Dollar allein mit In-App-Verkäufen gemacht. Dazu zählen die erwähnten Rosen oder Geschenke.
Das geht nicht lange gut
Illegale Inhalte auf Tiktok? Da muss die Plattform doch reagieren? Und das tut sie offenbar. "Tiktok ist da hinterher und löscht immer wieder Accounts, die Filme komplett zeigen. Und aus meiner Sicht wird der Trend nicht unendlich anhalten. Tiktok dürfte bald eine technische Lösung finden, damit solche Streams gar nicht erst auf der Plattform stattfinden können", sagt Neil Heinisch. Und eine Tiktok-Sprecherin erklärt auf OMR-Anfrage: "Tiktok ermutigt Menschen, eigene Inhalte zu erstellen und zu teilen und dabei das geistige Eigentum anderer zu respektieren. Unsere Nutzungsbedingungen und Community-Richtlinien sind eindeutig und verbieten das Teilen von Inhalten, die die Urheberrechte anderer verletzen."
Sie spricht dabei auch Systeme an, die Rechteverletzungen auf der Plattform erkennen sollen: "Wir verfügen über zuverlässige Verfahren, mit denen Rechteinhaber die Entfernung von Inhalten beantragen können, die ihre geistigen Eigentumsrechte verletzen. Wir sind ständig bestrebt, die Wirksamkeit des Schutzes des geistigen Eigentums auf der Plattform zu verbessern, und arbeiten mit Partnern aus der Unterhaltungsbranche und Interessenvertretern zusammen, um dieses wichtige Thema gemeinsam anzugehen."
Die Branche sollte sich das angucken
Derzeit werden also massenhaft Accounts gelöscht, die komplette Filme auf der Plattform zeigen. Was treibt Tiktok-User derzeit dann noch an, illegale Streams zu zeigen? "Die Macher der Streams haben auf der einen Seite die Reichweite im Blick und denken offenbar gar nicht groß darüber nach, dass der Account schnell gesperrt sein könnte", glaubt Neil Heinisch. "Ich glaube aber, dass da auch das Coolness-Gefühl eine Rolle spielt. Sie sind Herr über eine ganze Gruppe und können das Programm bestimmen."
Schon bald könnte es – vor allem wegen der Löschbemühungen von Tiktok – also vorbei sein mit der ganzen Thematik. Was bleibt da noch übrig? "Am spannendsten finde ich das grundsätzliche Community-Phänomen dahinter. Am Ende ist es das, was das Metaverse immer sein wollte: Ein digitaler Raum, wo Leute zusammenkommen und gemeinsame Momente erleben – das digitale Kino", sagt Heinisch. "Gerade Amazon sollte sich den Trend mit seinen Plattformen Prime Video, Twitch und Freevee ganz genau anschauen. Sie könnten etwa mit der Verbindung von Freevee und Twitch viele Menschen zum gemeinsamen Filmschauen zusammenbringen und so auch Hype für bestimmte Filme und Serien erzeugen."