GeoGuessr: Wie eine WM im Orte-Raten den Hype um das Maps-Game neu entfacht

Martin Gardt11.10.2024

Schon jetzt spielen jeden Monat 15 Millionen Menschen GeoGuessr. Ein E-Sports-Push soll das Google-Maps-Spiel endgültig in den Mainstream bringen

GeoGuessr World Cup 2024
Der Gewinner des GeoGuessr World Cups 2024 stemmt den Pokal in die Höhe (Foto: GeoGuessr)

Die Story von GeoGuessr ist eine dieser Erfolgsgeschichten, die es nur in der digitalen Welt gibt. Vor elf Jahren als Hobbyprojekt von drei Schweden gestartet, erraten heute 15 Millionen monatlich aktive Spieler*innen anhand von Google-Maps-Bildern zufällige Standorte auf der ganzen Welt. Uns hat Co-Gründer und CEO Daniel Antell erzählt, wie das alles losging, wie das Game mehrere Viral-Wellen ausgelöst hat und wie er das Unternehmen mit E-Sports-Fokus noch größer machen will.

Am Ende geht es um wenige Kilometer. Denn die entscheiden das Finale des GeoGuessr World Cups 2024 vor wenigen Wochen. Der Franzose Mathieu "Blinky" Huet schlägt am Ende den Amerikaner "MK" in einem Herzschlagfinale. Er errät anhand eines Bildes einer Innenstadt, wo diese sich auf der Welt befindet und setzt seinen Pin näher als der Konkurrent. Klingt unspektakulär? Mittlerweile haben über 1,6 Millionen Menschen den Stream des Finales auf Youtube angeschaut. Die geschnittene Zusammenfassung kommt auf über 600.000 Views.

Tatsächlich ist so ein GeoGuessr-Wettkampf auch für neue Zuschauer*innen ziemlich spannend. Da sitzen sich zwei Kontrahent*innen gegenüber. Sie haben nur eine Minute Zeit, anhand einer Google Streetview-Ansicht zu erraten, wo sie sich auf der Welt befinden. Wer den Pin näher an den Ort packt, zieht der Konkurrenz Punkte ab – beide Teilnehmende starten eine Runde mit 6.000. Da sich mit jeder Runde die abgezogenen Punkte erhöhen, können auch Spieler*innen, die weit zurückliegen auf einen Schlag wieder aufholen. Dieses spannende Format macht auf einem elf Jahre alten Google-Maps-Spiel jetzt einen echten E-Sports-Hype. Co-Gründer und CEO Daniel Antell hat uns erzählt, dass er das durchaus so geplant hat – nach einigen Hürden auf dem Weg dahin.

Ein schwedisches Hobbyprojekt

Das Projekt GeoGuessr startet Anfang der 2010er mit Hauptentwickler Anton Wallén, Erland Ranvinge und Daniel Antell. Ersterer war zu der Zeit großer Fan davon, per Google Street View die Welt zu entdecken. Also entwickelt er mit einfachsten Mitteln und angeschlossen an die Google-Maps-API die erste GeoGuessr-Version. Spieler*innen werden hier irgendwo auf der Welt ausgesetzt und können durch das richtige Setzen eines Pins maximal 5.000 Punkte holen – je nachdem, wie nah sie dem echten Standort kommen. In fünf Runden lassen sich so maximal 25.000 Punkte verdienen.

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GeoGuessr sieht aus wie Google Street View mit ein paar Overlays. Aber es steckt mehr dahinter.

Das ist dann auch schon das ganze Spiel. Doch das geht direkt durch die Decke. "2012 haben wir eine erste Version von GeoGuessr auf Reddit gepostet. Das ist sehr schnell viral gegangen und innerhalb einer Woche auf der Hauptseite ganz oben gelandet", erzählt Daniel Antell im Gespräch mit OMR. "An diesem Punkt haben wir verstanden, dass wir ein Unternehmen für das Projekt gründen müssen." Viele Medien auf der ganzen Welt hatten nach dem Reddit-Erfolg über GeoGuessr geschrieben – in Deutschland unter anderem Spiegel Online. Schon eine Woche nach dem Start verzeichnet die GeoGuessr-Webseite 200.000 bis 300.000 Visitor pro Tag.

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GeoGuessr-Co-Gründer und CEO Daniel Antell

Die drei Gründer, die zusammen studiert hatten, arbeiten anschließend trotzdem nur am Wochenende an GeoGuessr, das lange ein kostenloses Browser-Game bleibt. "Als Google die API-Preise 2019 erhöht, mussten wir das Geschäftsmodell anpassen", so Daniel Antell. "Wir haben eine Subscription und eine Paywall eingeführt und direkt gesehen, dass Menschen bereit waren, für das Spiel zu zahlen." Dann geht es schnell. Die Gründer kündigen ihre Hauptjobs und fangen so richtig an, ein Unternehmen zu bauen. "In den ersten sieben Jahren war GeoGuessr ein Hobby-Projekt. Noch 2019 haben sechs Leute an Wochenenden daran gearbeitet. Als 2020 der Umsatz steigt, haben wir einen Langzeit-Plan entwickelt und angefangen, Vollzeit an GeoGuessr zu arbeiten", so Antell. Heute arbeiten 65 Angestellte für das Unternehmen.

Streamer helfen von Anfang an

Nach einem ersten Push über Reddit und die Medien, sorgen schon früh Streamer für virale Erfolge von GeoGuessr. "Es fing mit britischen Streamern an. Zu der Zeit haben wir es direkt an den Zahlen gemerkt, wenn jemand unser Spiel gestreamt hat", sagt Daniel Antell. Zu den ersten Influencern, die GeoGeossr entdecken, zählt die britische Youtube-Clique "Sidemen". Die hat heute 21,7 Millionen Follower und streamt auch aktuell GeoGuessr-Inhalte. Schon vor neun Jahren treten einzelne Mitglieder der Gruppe in GeoGuessr-Duellen an und sammeln mit den Videos Hunderttausende Views.

Heute gibt es gleich mehrere GoeGuessr-Creator, die ihren Content komplett um das Spiel herum aufgebaut haben. Der Star der Szene ist Trevor Rainbolt, über den wir schon 2022 geschrieben hatten. Rainbolt hatte während der Pandemie begonnen, kurze Clips seiner beeindruckendsten GeoGuessr-Runden bei Tiktok hochzuladen. Weltklasse-Spieler wie er finden den gesuchten Standort oft anhand kleinster Details wie Straßenbemalung, Art der Leitplanken oder Strommasten. Genau wegen solcher beeindruckender Leistungen schauen viele Rainbolts Videos. Auf der Plattform hat er heute 2,9 Millionen Follower. Bei Youtube kommt er mit zwei Kanälen auf insgesamt über 2,4 Millionen. Gleichzeitig taucht er auch immer wieder zu GeoGuessr-Duellen bei anderen großen Creatorn wie den Sidemen oder Ludwig Anders Ahgren auf. Die Millionen-Reichweiten all dieser Clips helfen dann vor allem GeoGuessr, neue Nutzende zu gewinnen – ganz ohne Marketing-Budget.

Ständig neue Ideen

Daniel Artell sieht diese Reichweiten-Erfolge durch Creator trotzdem nicht als Selbstläufer. "Es gibt kein großes Geheimnis rund um Viral-Erfolge. Wenn das Produkt großartig ist, wird es Erfolg haben. Deshalb haben wir uns schon immer vor allem um den Kern des Spiels gekümmert", sagt er. "Wir unterscheiden uns grundlegend von anderen Spielen, die über Ads neue Nutzende gewinnen. Wir sind schon seit dem Start vor allem organisch gewachsen." Das wichtigste Element für das produktgetriebene Wachstum sind dabei immer neue Spielmodi, die dann wiederum Creator dazu bringen, das Spiel zu streamen.

Neben dem Einzelspielermodus führt das Gründerteam schnell einen Duell-Modus ein, bei dem Nutzende gleichzeitig raten und sich dann gegenseitig Punkte klauen. Dieser Modus bildet wie beschrieben die Grundlage für die aktuelle Weltmeisterschaft. Hinzu kommt über die Zeit ein Quiz- und ein Party-Modus. Für große Aufmerksamkeit sorgt Ende 2020 der Start des Battle-Royal-Systems. Wie etwa bei Fortnite treten hier mehrere Spieler*innen gleichzeitig über mehrere Runden an. Wer seinen Pin zu weit vom echten Standort absetzt fliegt raus. Aus solchen Multiplayer-Modi entsteht auch aus dem Produkt selbst heraus Viral-Potenzial. Spieler*innen laden dazu schließlich Freund*innen ein, die erst dadurch auf GeoGuessr aufmerksam werden und im Anschluss ebenfalls ein Abo abschließen.

Subscriptions bringen fette Gewinnmarge

Weiteres wichtiges Wachstumselement: GeoGuessr hat ein Ranking-System eingeführt, dass Spieler*innen motiviert, immer weiter zu zocken, um Silber-, Gold- oder Diamant-Ränge zu erreichen. All diese Elemente haben dazugeführt, dass GeoGuessr mittlerweile 85 Millionen registrierte Nutzende verzeichnet. 15 Millionen Spieler*innen sind jeden Monat im Spiel aktiv, das mittlerweile nicht mehr nur im Browser, sondern auch auf iOS und Android verfügbar ist. Das schwedische Unternehmen hinter dem Game macht dadurch 21 Millionen Euro Umsatz im Jahr – die Gewinnmarge liege laut Daniel Antell bei 45 bis 50 Prozent. Der CEO gibt uns gegenüber außerdem an, dass 85 bis 90 Prozent des Umsatzes aus Subscriptions komme, der Rest vor allem über Werbung etwa in den Apps.

Der hohe Anteil an Subscription-Umsätze liegt vor allem an der recht neuen Strategie, nahezu das komplette Spiel hinter eine Paywall zu packen. Seit dem 1. Februar 2024 ist es nicht mehr möglich, GeoGuessr kostenlos zu spielen. Lediglich das Tagesspiel und Multiplayer-Spiele auf Einladung von Freund*innen mit Abo sind kostenfrei. Pro Monat werden dabei zwischen knapp vier und zehn Euro fällig. Wer direkt für ein Jahresabo zahlt, spart je nach Subscription zwischen 40 und 50 Prozent.

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Die Jahresabos von GeoGuessr bieten unterschiedliche Features

Die Strategie kommt nicht bei allen gut an. Die Community kann bei GeoGuessr eigene Street-View-Karten hochladen – z.B. nur von Europa oder nur von besonderen Locations. Der Entwickler einer der meistgespielten Karten (A Diverse World) zieht diese aus Protest der kommerziellen Ausrichtung des Spiels zurück. Er vermutet zu viel Einfluss von Business Angeln, die zuletzt bei GeoGuessr eingestiegen sind. Einer der Co-Gründer von Candy-Crush-Entwickler King ist laut Antell als Unterstützer dabei, genauso wie Spotifys Chief Business Officer Alexander Norstrom. Indirekt bestätigt Daniel Antell im Gespräch mit OMR den Einfluss solcher Business Angel. Es gehe bei deren Mitwirken weniger um Geld, als um deren Wissen rund um unternehmerische Strategien.

Die E-Sports-Strategie

Die große GeoGuessr Weltmeisterschaft vor wenigen Wochen sollte jetzt noch mehr Menschen Richtung GeoGuessr-Abo pushen. "Wir haben Paid Marketing erst im vergangenen Jahr gestartet, um den Reach des World Cups zu steigern", erzählt Antell. "Das Format ist so unterhaltsam, dass wir entschieden haben, das Marketing auf den E-Sport-Aspekt, den Wettkampf zu fokussieren – und auf all die Streamer, die unser Spiel mögen." Das Unternehmen schneidet einen Trailer mit Highlights der Qualifikationsturniere – und platziert GeoGuessr-Stars wie den späteren Weltmeister Mathieu "Blinky" Huet im Zentrum der Vermarktung. Gleichzeitig werden Streamer dafür bezahlt, das Event live zu begleiten.

"Wir wollen E-Sport mehr in den Mainstream bringen", sagt Daniel Antell zu den übergreifenden Zielen des Unternehmens. "Viele andere Spiele drehen sich ums Schießen, Gewalt, oft sind die Regeln schwer zu verstehen. GeoGuessr ist in all diesen Bereichen ganz anders." Antell und sein Team wollen versuchen, Gelegenheits-Gamer mit ihren World-Cup-Inhalten auf Youtube und Twitch zu begeistern und sie so für das Spiel gewinnen. Laut GeoGuessr-CEO geht diese Strategie auf – auch wenn es Geld kostet: "Wir finanzieren die Weltmeisterschaft komplett selbst und sind deshalb happy, dass wir danach ein Subscriber-Wachstum gesehen haben. Noch wichtiger für uns: Noch mehr Spieler*innen spielen jetzt die Wettbewerbs-Modi gegen andere."

Wenn mehr Nutzende Lust auf diese Modi bekommen, erzieht sich GeoGuessr eine treuere Zielgruppe. Wer gegen andere zockt und damit auch seinen eigenen Rang (Silber, Gold, usw.) im Blick hat, bleibt wahrscheinlicher als Subscriber an Bord. In Zukunft hofft Antell trotzdem auf mehr Unterstützung für sein Highlight-Event: "Ich hoffe wir können mehr Partner gewinnen, die uns bei der Finanzierung der Weltmeisterschaft helfen. Das würde weitere Turniere und lokale Ligen über das ganze Jahr hinweg ermöglichen." GeoGuessr soll langfristig also eher an Fifa erinnern, mit Mannschaften, Superstars, kreischenden Fans, als an ein auf den ersten Blick dröges Geografie-Game.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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