GeoGuessr: Deshalb geht das neun Jahre alte Google-Maps-Spiel gerade durch die Decke
Im Browsergame müssen Spieler ihren zufälligen Standort auf Googles Kartendienst erraten
- Wenn Geographie-Nerds zu Stars werden
- Wo kommt der Hype um GeoGuessr plötzlich her?
- Erfolgsformel: Battle Royal
- Ist Google Maps ein Geschäftsmodell?
- GeoGuessr und seine Trittbrettfahrer
Stellt Euch vor, Ihr landet per Google Street View an einem komplett zufälligen Standort irgendwo auf der Welt und müsst in wenigen Sekunden herausfinden, wo Ihr seid. Klingt unmöglich? Für die besten Spieler:innen von GeoGuessr, einem Browsergame, das sich dieses Szenario zum Spielprinzip gemacht hat, ist das ein Klacks. Und die bekanntesten erreichen auf Plattformen wie Tiktok mit Best-ofs zig Millionen Views. OMR erklärt das Reichweiten-Phänomen GeoGuessr und zeigt, wer von der Aufmerksamkeit um ein neun Jahre altes Spiel profitieren will.
Der Spielablauf von GeoGuessr ist schnell erklärt: Kurz nach dem Start befindet Ihr Euch in der Oberfläche von Google Street View, auf einer zufällig ausgewählten Straße oder einem öffentlich Platz irgendwo auf der Welt. Je nach Spielmodus ist es möglich, für einige Sekunden die 360-Grad-Ansicht von Alphabets interaktivem Kartendienst zu nutzen und sich zu bewegen – zum Beispiel, um aus einer anderen Perspektive auf ein Gebäude blicken zu können oder Hinweise wie Straßenschilder und andere Besonderheiten genauer anzuschauen.
Habt Ihr eine Idee, wo Ihr Euch befindet, könnt Ihr die Stelle auf einer Karte von Google Maps markieren. Je näher die Markierung dann am auf Google Street View gezeigten Ort liegt, desto besser. Abhängig vom Spielmodus gibt es entweder mehr Punkte, Gegenspieler bekommen mehr Punkte abgezogen usw. Im kompetitiven Spielmodus können User außerdem in aufeinanderfolgenden Saisons in einer Gesamtrangliste aufsteigen.
Wenn Geographie-Nerds zu Stars werden
Einer, der nicht nur fast schon unheimlich schnell bestimmen kann, wo er dank GeoGuessr gelandet ist, sondern auch das Potenzial erkannt hat, dass sich damit auf Social-Media-Plattformen enorme Reichweiten erzeugen lassen, ist Trevor Rainbolt. Der 23-jährige Video-Produzent aus Los Angeles schaut sich während der Covid-Pandemie erst Videos und Livestreams anderer Spieler:innen und Content Creator an, dann fängt er selber an zu spielen. Vier bis fünf Stunden pro Tag übt er und prägt sich ein, welche Merkmale Rückschlüsse auf welche Länder zulassen, wie er gegenüber der New York Times sagt.
Unter dem Alter Ego „georainbolt“ beginnt er im Oktober vergangenen Jahres, kurze Clips seiner besten GeoGuessr-Runden auf Tiktok hochzuladen. Während die ersten Videos nur auf fünfstellige Aufrufe kommen, knackt Rainbolt im Januar 2022 zum ersten Mal die Million. Er zeigt jetzt nicht mehr nur Highlights, sondern erklärt immer häufiger auch gleichzeitig oder per nachträglich hinzugefügten Voice-Over-Kommentaren, welche Hinweise typisch für welches Land oder welche Region sind.
Seitdem haben nicht nur viele weitere seiner Tiktok-Videos die ein- oder sogar auch zweitstellige Millionen-Marke in Sachen Views geknackt, sein Account kommt inzwischen auch auf 1,1 Million Follower. Und auch die erst später gestarteten Social-Media-Profile wachsen in den vergangenen Wochen und Monaten stark. Auf Instagram folgen dem selbsternannten „professional google maps player“ 221.000 Menschen, bei Youtube kommt er auf knapp 90.000 Abos, bei Twitter sind es immerhin 50.000 und auf Amazons Streaming-Plattform Twitch weitere 45.000. Die Community auf seinem eigenen Discord-Server ist aktuell über 4.200 User stark.
Wo kommt der Hype um GeoGuessr plötzlich her?
Während die Aufmerksamkeit rund um das Spielprinzip aktuell einen neuen Höhepunkt zu erreichen scheint, ist das Spiel GeoGuessr alles anderes als neu. Bereits im Mai 2013 wird das vom schwedischen IT-Berator Anton Wallén entwickelte Browsergame zum ersten Mal veröffentlicht. Und auch damals generiert das Spiel einiges an Aufmerksamkeit. International greifen Medien das Spielprinzip auf; hierzulande berichtet unter anderem Spiegel Online. Bereits in der ersten Wochen soll die Seite des Browserspiels täglich bis zu 300.000 Aufrufe generieren.
Dass das Spiel aber ausgerechnet jetzt einen noch nicht dagewesenen Hype erfährt – in Deutschland erreichte das Interesse laut Google Trends im Juli 2022 den bisherigen Höhepunkt –, dürfte mit mehreren Faktoren zu tun haben. Zum einen ist da die Pandemie, die vor allem während weltweiter Lockdown-Phasen dafür sorgt, dass sich deutlich mehr Menschen als sonst mit (auch älteren) Videospielen beschäftigten. Ähnliches gilt für Streaming-Plattformen wie Twitch, die für viele Games gerade während dieser Phasen eine Art Katalysator waren – weil mehr Streamer:innen streamen und mehr User zuschauen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Multiplayer-Game „Among Us!“, das zwar schon 2018 veröffentlicht wurde, aber erst 2020 durch die Kombination der beschriebenen Effekte den großen Durchbruch hatte.
Erfolgsformel: Battle Royal
Der vielleicht aber relevanteste Faktor und rückblickend für GeoGuessr ein echter Growth Hack dürfte die Einführung des Spielmodus „Battle Royal“ Ende 2020 gewesen sein. Schon Fortnite hatte vorgemacht, wie enorm beliebt das Spielprinzip ist, bei dem sich Spieler:innen so lange bekämpfen, bis nur noch der Sieger oder die Siegerin übrig ist. Fortnite selber ist längst ein weltweites Phänomen in der Popkultur und der Spielmodus „Battle Royal“ hat sich bei Online-Spielen als fester Bestandteil etabliert.
Fast zeitgleich beginnt auch Ludwig Anders Ahgren, regelmäßig GeoGuessr zu streamen. Erst auf Twitch, wo er zeitweise den Rekord für die meisten Subscriber hält, seit Ende 2021 dann exklusiv auf Youtube. Zuletzt veröffentlichte er auf seinem Account mit 3,36 Millionen Abos auch gemeinsame Videos mit Trevor Rainbolt. Alleine drei Videos in den vergangenen sechs Wochen haben über sechs Millionen Views generiert – und damit weiter Aufmerksamkeit für GeoGuessr erzeugt.
Ist Google Maps ein Geschäftsmodell?
40 Millionen Spieler:innen sollen sich laut GeoGuessr bis Anfang Juli einen Account bei dem Browsergame erstellt haben – das bereits seit 2019 über eine kostenpflichtige Version versucht, Geld zu verdienen. Aktuell können alle User jeden Modus gratis spielen, allerdings nur für fünf Minuten alle 15 Minuten. Will man diese Beschränkung aufheben, muss man entweder für 1,99 US-Dollar pro Monat ein Jahresabo abschließen oder für 2,99 US-Dollar pro Monat ein monatlich kündbares Abo.
Laut Daten des Traffic-Analyse-Tools Similarweb kommt die Seite von GeoGuessr im Juni 2020 auf 13,1 Millionen Visits. Wie viele einzelne User dahinter stehen und wie viele davon ein kostenpflichtiges Abo abgeschlossen haben, lässt sich von außen nur schwer schätzen. Das 25-köpfige Team aus Stockholm und die Kosten für die Lizenzen für Street View dürften allerdings mit monatlich im Schnitt rund 150.000 zahlenden Spieler:innen zu finanzieren sein. Beim günstigeren Abo würde das Unternehmen so auf etwa 3,6 Millionen US-Dollar Umsatz im Jahr kommen. Einnahmen aus dem eigenen, vermutlich insgesamt aber kaum eine Rolle spielenden Online-Shop für Merchandising, kämen noch dazu.
GeoGuessr und seine Trittbrettfahrer
Das seit etwa zwei Jahren boomende Spielprinzip von GeoGuessr findet nicht nur Anklang bei Usern und innerhalb der Streaming-Community – auch andere Spielepublisher und Entwickler haben ein Auge auf das Erfolgsmodell geworfen. So gibt es seit Ende 2020 mit Geotastic eine in Deutschland entwickelte Version. Gründer Eduard But betreibt das Spiel laut FAQ auf der Seite komplett alleine und ist, weil er auf eine kostenpflichtiges Abo verzichtet, auf Spenden aus der Community angewiesen. Bis Mitte 2021 sollen sich über 144.000 User bei Geotastic registriert haben.
Ein weiterer Ableger überträgt das Spielprinzip in eine virtuelle Realität – und zwar die von Fortnite. Auf whereinfortnite.com landen User an zufälligen Orten in Maps des Battle-Royale-Spiels und müssen dann ganz ähnlich wie bei GeoGuessr raten, wo genau sie sind. Immerhin 685.000 Visits gab es laut Similarweb im Juni für die Seite, die zwar ohne Login und Abo auskommt, dafür durch Werbebanner finanziert wird. Lange dürfte es dieses Angebot vermutlich nicht mehr gegeben; mit Fortnite-Publisher Epic Games hat die Seite nämlich nichts zu tun.