Linkedin-Phänomen "In aller Kürze": Please Schwäche die CDU
Zwei Berliner Agenturinhaber kommentieren auf ihrem Linkedin-Polit-Kanal pointiert Talkshow-Snippets. Ihre Mission: den konservativen Rollback der Politik aufhalten
Der Linkedin-Kanal "In aller Kürze" kommentiert Ausschnitte aus politischen Talkshows – oft zum Nachteil der gezeigten Politiker*innen. Nur wenige Wochen nach dem Start hat das Profil bereits 12.000 Follower. Fast jeder Post bringt es auf ein deutlich überdurchschnittliches Engagement. OMR hat mit den Betreibern darüber gesprochen, warum sie Politik-Content auf Linkedin holen, welche Rolle die Video-Offensive der Plattform dabei spielt und wieso sie kein Problem damit haben, dass ihr Account zwar wie eine News-Seite daherkommt, sich aber politisch klar positioniert.
Okay, manchmal macht es einem das Schicksal auch wirklich leicht. Inzwischen ist der Ausschnitt aus der Spendengala "Ein Herz für Kinder" Internet-berühmt. Zu den Ersten, die ihn am Tag nach der TV-Show posteten, gehörte das Linkedin-Profil "In aller Kürze". Der 42-Sekunden-Schnipsel war dort kaum eine Stunde live, da hatten bereits 100 Leute die kalkulierende Knauserigkeit von Friedrich Merz kommentiert. Zur Erinnerung: Der CDU-Kanzlerkandidat hatte die Höhe seiner Spende daran geknüpft, bei wie viel Prozent seine Partei zum Jahreswechsel in den Prognosen zur kommenden Bundestagswahl steht. Für jeden Prozentpunkt, kündigte er an, werde er 100 Euro spenden. In aktuellen Umfragen kommt die CDU auf rund 30 Prozent der Stimmen. Umgerechnet wären das 3.000 Euro.
Ein Elfmeter, den ein Campaigner verwandeln muss
Natürlich hatte der Kommentator Recht, der unter dem Post schrieb, man solle lieber das Programm der CDU diskutieren als Merz verunglückte TV-Performance. Aber so funktioniert politische Kommunikation im Jahr 2024 eben. Wobei man der Fairness halber erwähnen muss, dass die Macher von "In aller Kürze" sich üblicherweise sehr wohl mit programmatischen Aussagen von Politiker*innen befassen. Aber einen sicheren Elfmeter gegen das andere Team lässt man eben auch nicht liegen.
Denn soviel vorweg: Auch wenn "In aller Kürze" mit schlichtem Logo in dezenten Farben wie ein Nachrichten-Kanal daherkommt und Mitgründer Peter Jelinek selbst sagt, man könnte es leicht für einen Ableger der ARD-Jugendplattform Funk halten. Die Mission der Seite ist klar: "Wir haben eine ganz klar progressive Haltung", sagt Jelinek. Man wolle die stärken, die Positionen vertreten, die zuletzt immer mehr unter Druck geraten sind: Vertreter*innen von konsequentem Klimaschutz, einer liberalen Gesellschaft und einem offenen Europa.
Kein Platz für Faktenverdreher von der AfD
Das wiederum scheint am besten zu funktionieren, indem man die Gegner*innen einer progressiven Politik ertappt, wenn sie Unsinn erzählen, und die Faktenlage mit Links zu Quellen und weiterführender Lektüre gerade rückt. Auch wenn es nahe liegt, Clips mit Vertreter*innen der AfD poste man generell nicht, sagt Jelinek, "weil da Einordnung schlecht möglich ist". Was man als diplomatische Umschreibung des Umstands verstehen kann, dass Fakten oft derart verdreht werden, dass die üblichen zwei, drei Sätze zum Clip nicht ausreichen, um das Behauptete sinnvoll zu kontextualisieren. Außerdem wolle man AfD-Content keine zusätzliche Reichweite verschaffen, zumal dieser vor allem Leute anziehe, die an einer konstruktiven Debatte nicht interessiert seien.
Aber auch die demokratischen Parteien bieten ja genug Personal auf, das gerne vor laufenden TV-Kameras luftige Behauptungen raushaut – die nicht selten direkt von Moderator*in oder den Talkshow-Nebensitzenden zerpflückt werden. Auf Schnipsellänge gebracht, sind das sichere Klickbringer. Oder wie Jelinek es formuliert: "Wir könnten jeden Tag Jens Spahn posten, wie er zerlegt wird, das würde immer Reichweite bringen." Tun sie aber nicht.
Eine Plattform mit debattenfähiger Audience
Denn anders als das zur reinen Erregungsmaschine verkommene X sei Linkedin eine Plattform mit einer Audience, die bereit und in der Lage sei, politische Inhalte zu debattieren, glauben Jelinek und sein Co-Founder Patrick Haermeyer. Und darum posten sie bei "In aller Kürze" nicht nur Talkshow-Schnipsel, sondern auch TV-Ausschnitte von CEOs, Prominenten und Wissenschaftler*innen, die sich für Elektroautos, mehr Zuwanderung oder Subventionen für den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft aussprechen.
Eine bunte, aber sehr erfolgreiche Mischung. Im Oktober 2024 gestartet, hat der Content von "In aller Kürze" in den ersten fünf Wochen zusammengerechnet über sechs Millionen Impressionen, 70.000 Reaktionen und 11.000 Kommentare generiert. Wenn man so will, könnten Haermeyer und Jelinek das Projekt eigentlich beenden. Denn am Beginn stand nicht der Plan, eine progressive Medienmarke zu etablieren, so Haermeyer, sondern ein Experiment, um Argumente für ihre Kunden zu sammeln, auf der Plattform aktiv zu werden. Und Jelinek ergänzt: "Es ist für uns wichtig, die Kanäle zu verstehen und zu lernen, wie man dort Diskurse führen kann."
Ihr Geld verdienen die Kanal-Betreiber als Politik-Campaigner
Im Hauptjob sind die beiden "In aller Kürze"-Macher nämlich Gründer der Berliner Campaigning-Agentur The Goodforces. Die berät vor allem NGOs, die auf den Feldern Klimaschutz, wirtschaftliche Transformation und soziale Gerechtigkeit tätig sind – "die gute Seite der Macht", wie sie es selbst nennen – und entwickelt Memes, Share-Pics und sonstigen Social-Media-Content für die Kund*innen. Zu den Kunden gehören die Deutsche Umwelthilfe, das EU-Parlament, das Bündnis "Rechtsextremismus stoppen" sowie der Rat für Digitale Ökologie. "In aller Kürze" soll in erster Linie ein Experimentierfeld für The Goodforces sein, wie sich Linkedin im Campaigning-Kontext nutzen lässt, welche Formate funktionieren, welche Botschaften verfangen, wie man Debatten triggert.
Peter Jelinek und Patrick Haermeyer (v.l.) sind die beiden Gründer der Campaigning-Agentur The Goodforces und Köpfe hinter "In aller Kürze". (Foto: The Goodforces)
Dieser Background erklärt den Bias der Inhalte. Er wird von den Machern auch nicht versteckt. Ein entsprechender Disclaimer ist am Linkedin-Profil angeheftet – wobei man sich schon aktiv für den Urheber der Postings interessieren muss, um hierher zu gelangen. "Wir versuchen so transparent wie möglich zu zeigen, wer wir sind", sagt Jelinek. Und sie folgten gewissen Prinzipien: keine Inhalte von Kund*innen ihrer Agentur und keine bezahlten Postings. Aber so oder so: "Es lässt sich am Ende nicht verhindern, dass einige Leute denken: Das ist ein journalistisches Medium."
Ziel: Vorbild für Medienmarken auf Linkedin
Dass Linkedin Plattform der Wahl für dieses Medium wurde, habe an mehreren Faktoren gelegen, erklärt Haermeyer. Neben dem Niedergang von X zählt dazu die von Mark Zuckerberg angekündigte Entpolitisierung von Instagram. Und tatsächlich kommt der im November 2024 gestartete Kanal "In aller Kürze" dort gerade mal auf 333 Follower*innen. Zwei Videos, die gegen die FDP gerichtet sind, haben allerdings auch dort bereits mehrere 1.000 Likes bekommen. Wirklich spannend sei Linkedin aber, weil hier Content auch ohne große eigene Audience viral gehen könne. Ein bisschen wie bei Tiktok. Und als das Business-Netzwerk mit dem derzeitigen Push von Video-Content ein Eintrittsfenster für Newcomer schuf, starteten sie die Case-Study "In aller Kürze".
"Wir wollen ein Vorbild sein", sagt Haermeyer. Denn bislang würden Medienhäuser das Potenzial der Plattform verkennen. Manche posteten dort nur Stellenanzeigen. Andere nutzten die Plattform als reine Linkschleuder mit entsprechend irrelevanter Reichweite. "Die eigentlichen Inhalte der Medienhäuser finden bislang auf Linkedin kaum statt", sagt Haermeyer. Mit "In aller Kürze" wollen sie den Beweis liefern, dass politischer Content auch dort funktioniert – weil es eine wachsende Zielgruppe gibt. "Linkedin entwickelt sich dahin, dass Leute sich hier Informationen holen wollen", ergänzt Jelinek. Und mit der auf jüngere Nutzer*innen abzielenden Video-Offensive würde diese Audience nun voraussichtlich größer.
Linkedin wird wie Tiktok immer politischer
Studien zeigen, dass soziale Medien als Quelle für politische Informationen wichtiger werden. Dabei geht es um die Kanäle der bekannten News-Outlets wie tagesschau.de, aber auch darum, dass Influencer*innen sich häufiger zu politischen Themen zu Wort melden – und nicht immer auf Basis von geprüften Fakten. Darum ist es Jelinek und Haermeyer trotz ihrer Haltung immer wichtig, den Blick auf ein Thema durch die Nennung von Quellen, Lesetipps und Verlinkung der kompletten Sendungen zu vervollständigen. "Es geht uns bei 'In aller Kürze' primär darum, politische Inhalte zu vermitteln", sagt Haermeyer, "nicht darum, den Diskurs zu verschieben." Damit unterscheidet sich "In aller Kürze" deutlich von vor allem rechten Kanälen, die mit umgekehrten Vorzeichen operieren.
Aktuell scheint das Projekt von Linkedins Bestreben, Video-Content auf der Plattform zu pushen, regelrecht beflügelt. Ob sich mit diesem Mix aus Polit-Snippets, Meinung und Aufklärung auch dauerhaft hohe Reichweiten erzielen lassen, muss sich noch zeigen. Gerade haben Jelinek und Haermeyer begonnen, auch klassische Zitatkacheln bei "In aller Kürze" zu posten. Bislang performen sie gut, aber durchaus möglich, dass sie von der Performance der Bewegtbild-Inhalte getragen sind.
Die Inhalte, um die es eigentlich geht, haben es schwer
Andererseits haben Jelinek und Haermeyer auch schon feststellen müssen, dass es reichweitenmäßig schon einen spürbaren Unterschied macht, ob sie die Demontage von Politprofis teilen oder Snippets, in denen ein Wissenschaftler mit den Mythen um die Wärmepumpe aufräumt oder sie auf die immer noch unterschätzte Bedeutung von Biodiversität hinweisen. Und letzteres sind ja die Inhalte, um deren Verbreitung es den beiden nach eigener Aussage eigentlich geht.
Lieblingsfeind und sicherer Klickbringer: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ist inhaltlich flexibel, aber stets meinungsstark – Widersprüche sind dabei unvermeidlich und willkommenes Futter für "In aller Kürze" (Screenshot: OMR)
Wobei, auch die Politiker*innen-Clips haben eine persönliche Komponente. Haermeyer und Jelinek sind Menschen, die ihr Geld mit politischer Kommunikation verdienen. Darum schauen sie und ihr halbes Dutzend Mitarbeitende sich quasi jede Talkshow an. Und mitunter sei es schon "tatsächlich schmerzhaft", wenn man sehe, was so mancher dort unwidersprochen von sich gibt, so Jelinek. Man tritt den Machern wohl nicht zu nahe, "In aller Kürze" auch ein wenig als Revanche an einem Politbetrieb zu sehen, in dem eine wachsende Zahl von Menschen unterwegs ist, die sich weitgehend unbeschwert von Fakten und komplexen Zusammenhängen auf die Jagd nach den Stimmen der Wähler*innen macht. Und – das ist eben auch Teil der Wahrheit – deren Spiel mit der Aufmerksamkeit verfängt auch bei "In aller Kürze".
"Populisten, die sich selbst enttarnen, funktionieren sehr gut", sagt Jelinek. Aber man könne ja nicht jeden Tag einen Clip posten, in dem Markus Söder sich selbst widerspricht, zitiert er eine zum Running-Gag gewordene Diskussion des kleinen Redaktionsteams. Erst neulich kam der bayerische Ministerpräsident deshalb ungeschoren davon, als er sich bei einem Autogipfel in gewagte Thesen verstieg. Sie hätten dann einfach Hubert Aiwanger genommen.