Die Toniebox für Oma und Opa? Was Enna Systems mit ihrem Senior*innen PC vorhat

Die Start-up Gründer aus München möchten die digitale Teilhabe für Senior*innen ermöglichen

Die drei Enna Gründer: Tim Haug, Moritz Kutschera und Jakob Bergmeier (Foto: Enna Systems)
Die drei Enna Gründer: Tim Haug, Moritz Kutschera und Jakob Bergmeier (Foto: Enna Systems)
Inhalt
  1. Herzensanliegen der Gründer: Digitale Teilhabe
  2. Nepos konnte sich nicht durchsetzen
  3. Wie will es Enna Systems schaffen? 
  4. Die Brücke zwischen den Generationen
  5. Weitere Pläne für die Familienlösung Enna

Endgeräte speziell für Senior*innen auf den Markt bringen – das haben schon etliche Unternehmen erfolglos versucht, obwohl man annehmen könnte, dass der Bedarf da ist. Nun drängt ein neuer Player auf den Markt. Was will Enna Systems anders machen als seine Vorgänger*innen?

  • Via Tiktok und Instagram Senior*innen-PCs vermarkten? Das ist möglich, wie die Enna Gründer zeigen
  • Sie setzen auf ein Geschäftsmodell, das Hard- und Software vereint
  • Damit ist Enna Systems - im Gegensatz zu anderen Anbietern - der Markteintritt gelungen

Wenn Jakob Bergmeiers Oma etwas über die Familie erfahren will, legt sie einfach eine Karte auf ihr “Enna-Dock” und schon öffnet sich die Bildergalerie oder der Videocall mit ihrem Enkel. Kinderleicht – oder besser gesagt: seniorenleicht. Denn genau darum geht es dem Startup Enna Systems: Teilhabe. Oft hatte sich die Großmutter von Jakob Bergmeier beschwert, weil sie auf Familienfeiern nie mitreden konnte. Alle hatten sich im Vorfeld schon per Whatsapp in der Familiengruppe ausgetauscht, nur davon hatte Jakob Bergmeiers Oma ohne Smartphone nichts mitbekommen.

Dieses Problem wollte der junge Münchner für sie lösen. Die Enna Lösung besteht aus einer Dockingstation, einem handelsüblichen Tablet und der Enna App. Bedient wird das ganze mit NFC-Befehlskarten, ohne Touchdisplay oder komplizierte Menüs. So können Fotoalben, die etwa von Angehörigen über die Enna-App hochgeladen werden, Youtube-Videos, Hörbücher oder Podcasts abgerufen werden. Manche Familien nutzen zwei, manche 40 Karten.

Die Enna Karten können von den Angehörigen über eine App bestellt, individuell erstellt oder bearbeitet werden. Das Gerät kostet im monatlichen Abo zwischen 28 und 35 Euro. Die Karten zwischen 1,99€ und 34,99 €. Bei letzterem Preis handelt es sich um Hörbücher, hier müssen die Gründer die Buchpreisbindung einhalten. Die Idee zu der NFC-Technologie hat sich Mitgründer Moritz Kutschera abgeschaut: “Ich habe damals den OMR Podcast mit den Toniebox Gründern gehört und fand das sehr faszinierend. Eigentlich ist es logisch: Wenn Kinder eine Toniebox bedienen können, ist das Prinzip – von der Art her – auch cool für ältere Menschen”, sagt Kutschera. 

Wirklich neu ist die Idee nicht, es gibt und gab zahlreiche Wettbewerber: Sie heißen unter anderem Lylu, Asina, Emporia, Doro oder Nepos. In den USA gibt es GrandPad, in England Breezie. Sie alle fokussieren sich auf einen Markt, bei dem es auf den ersten Blick einen großen Bedarf geben müsste: Allein in Deutschland ist der Anteil der Senioren-Haushalte von 2002 bis 2022 von 29 Prozent auf 33 Prozent gestiegen. Das sind knapp 13 Millionen Haushalte. Auch in anderen Ländern leben Millionen Senior*innen. Dennoch gab es bisher noch keinen Durchbruch dieser Produkte in der Breite. 

Herzensanliegen der Gründer: Digitale Teilhabe

Die Geschichte von Enna Systems beginnt im Winter 2017. Damals erzählt Jakob Bergmeier seinem langjährigen Freund Moritz Kutschera von seiner Idee. Dieser ist begeistert und wird sein erster Kunde. Mit Einsetzen der Corona-Pandemie 2020 werden viele Senior*innen in Deutschland von ihrem bisherigen sozialen Umfeld abgeschnitten. Das Problem der digitalen Spaltung zwischen Jung und Alt wird offenkundig. Und Jakob Bergmeier beschließt, seinen Vollzeitjob als Ingenieur zu kündigen, und sich hundert Prozent auf das Projekt “Enna” zu konzentrieren. Bergmeier, noch unerfahren in der Unternehmensgründung, wendet sich an seine Freunde Moritz Kutschera und Tim Haug, die die notwendigen betriebswirtschaftlichen Grundkenntnisse haben und auch schon Erfahrung als Gründer sammeln konnten. Gemeinsam entwickeln sie den Prototypen weiter. Im August 2020 wird das Unternehmen Enna Systems GmbH gegründet. Im November 2022 folgt der Marktstart.

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So sieht der Senior*innen PC heute aus. Er besteht aus einem Enna Dock, dem Tablet, Karten und der App für die Angehörigen, die das System darüber steuern. (Foto: Enna Systems)

Nach dem ersten Jahr am Markt wird Enna bereits von knapp 15.000 Menschen genutzt. Vom Unternehmen wird genau getrackt, wie oft Karten von den Nutzer*innen auf das Dock aufgelegt wurden: Das sind mehr als eine Million Karten. Bis Ende des Jahres wollen die Gründer 50.000 bis 60.000 Nutzer*innen erreichen. Vom Potenzial der Enna-Lösung sind nicht nur die Gründer überzeugt. Die jungen Münchner konnten eine Seed-Finanzierungsrunde mit einem siebenstelligen Betrag abschließen. Auch das Technologieunternehmen TQ Group, Wayra Deutschland (Investment-Arm des Telekommunikationskonzerns Telefónica) und andere Investoren beteiligten sich am Investment. In diesem Jahr soll eine Series-A-Finanzierungsrunde folgen. 

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Oma Helga bei ihrem ersten Call mit dem Senior*innen-PC Enna (Foto: Enna Systems)

Nepos konnte sich nicht durchsetzen

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Paul Lunow, Gründer von Nepos

Paul Lunow hat all das auch schon erlebt. Bei ihm war es die Großtante Luise, die immer wieder Ärger mit der Technik hatte. Auch er wollte eine einfache Lösung, die Senior*innen nicht verwirrt. Auch er konnte Investor*innen für seine Idee begeistern. “Es haben so viele versucht, ältere Leute online zu bringen (...) Viel zu oft waren sie erfolglos", sagte damals Mitgründer und Finanzier Florian Schindler in einem Interview. Bei Nepos sollte es anders sein. Das Startup entwickelte ein Senior*innen-Tablet samt Software. Kinderleichte Bedienung, alles abgestimmt auf die Bedürfnisse älterer Menschen.

Bei Nepos ging der Plan nicht auf. Heute gibt es das Startup nicht mehr. “Ich würde vieles anders machen, wenn ich heute nochmal solch ein Produkt vermarkten müsste”, sagt Paul Lunow, Gründer des Start-ups. “Beispielsweise würde ich sehr viel schneller auf den Markt kommen. Wir hatten einen sehr hohen Qualitätsanspruch und hätten viel schneller kleinere Schritte machen müssen.” Im Gespräch berichtet Lunow, dass sie sowohl Hardware als auch Software komplett aus eigener Hand anbieten wollten, aber die Finanzierung der Hardware am Ende nicht gelang. Auch der neue Ansatz, nur noch auf die Software zu fokussieren, misslang und so haben sie den Markteintritt nicht geschafft. 

Wie will es Enna Systems schaffen? 

Enna-Mitgründer Kutschera sagt: “Grundsätzlich ist es so: Wir haben mit dem Enna-Dock eigene Hardware, die wesentlich günstiger ist, als die Produktion eines ganzen Tablets, wie es bei anderen Anbietern von Senior*innen PCs der Fall war. Und dann verstehen wir uns auch als Software-Unternehmen, nicht als Hardware-Anbieter. Wir sind sicher, dass das Potenzial riesig ist”, sagt er und ergänzt: “Ich glaube, der größte Blocker ist immer der Markteintritt. Das ist das, woran die meisten bisher gescheitert sind." 

Bei Nepos suchte man damals unter anderem mit Zeitungsverlagen das Gespräch, Senior*innen-Tablet und eine tendenziell ältere Leserschaft – das schien bei Marketing und Vertrieb eine sinnvolle Kombination zu sein. Bei Enna Systems geht man einen anderen Weg. “Oft läuft es so, dass eine Enkel*in unser Produkt auf Tiktok oder Instagram sieht und es dann in die Familie trägt”, sagt Enna-Mitgründer Moritz Kutschera. Einzelne Videos von Enna haben bei Tiktok inzwischen eine Millionen-Reichweite. Oft wird die Lösung von Angehörigen gekauft, dann aber von den Großeltern oder Eltern genutzt. In Zukunft will das Startup beide Zielgruppen bedienen, indem es nicht nur in Social Media, sondern etwa auch in TV oder Print Werbung macht.

Die Brücke zwischen den Generationen

Nepos-Gründer Lunow glaubt trotz des Scheiterns seiner eigenen Idee, dass das Thema digitale Teilhabe immer wichtig sein wird. “Im Gegensatz zu jüngeren Menschen, die ihre Apps und Digital Devices so oft wechseln wie ihre Wäsche, bleiben Senior*innen, wenn sie erst Mal ein funktionierendes System haben, tendenziell eher einem Produkt treu”. Das spreche für Systeme, wie die von Enna Systems. Dennoch glaubt er nicht, dass die Lösung, über Karten zu arbeiten, funktionieren wird. Aus seiner Sicht sind diese zu eingeschränkt. 

Moritz Kutschera hingegen glaubt an die Idee: “Wir verstehen uns als Plattform, die eine Brücke baut zwischen den Generationen - der Generation, die langsam von der Technik abgehängt wird und der aktuellen Generation”. Mit emotionalem Storytelling auf Tiktok und Instagram erreichen die meistgeklickten bezahlten Anzeigen mehr als 650.000 Nutzer*innen auf Tiktok. Ein Video, das dort viel Aufmerksamkeit erzielen konnte, war das des Tiktokers Dave. Auf ihrem eigenen Tiktok Kanal hat Enna Systems zwar nur rund 20.000 Follower, doch ein Video, das viral ging, erzielte über zweieinhalb Millionen Aufrufe.  

Weitere Pläne für die Familienlösung Enna

Doch auch andere springen auf den Zug mit auf. Das Berliner Unternehmen Generation Reach um den Gründer Teo Ortega hat ein ähnliches System - die Family Cards - auf den Weg gebracht. Seit etwa April 2022 entwickeln sie die Produkt-Lösung, bei der es ein Kartenlesegerät und Karten geben soll, über die sich dann Inhalte aufrufen oder Befehle wie der Start eines Videotelefonats ausführen lassen. Noch gibt es das Gerät nur als Prototyp. Laut MDR sollte das System Ende 2023 auf den Markt kommen. Bislang lässt sich das Produkt auf der Internetseite jedoch nur reservieren. Enna plant unterdessen bereits die Expansion. Ab diesem Jahr soll das Produkt auch in Österreich erhältlich sein. Weitere Partner sollen mit ins Boot geholt werden: derzeit sei man unter anderem in Gesprächen mit großen Medienhäusern und Musik- wie Videostreaming-Diensten. Auch für den Eintritt in den Retailbereich ist man in Gesprächen mit Elektronik- und Buchhändlern. Schließlich seien weitere Funktionen und Services geplant, wie die Einführung einer Spracheingabe oder Telemedizin. 

Startup
Angela Woyciechowski
Autor*In
Angela Woyciechowski

Angela sammelte erste redaktionelle Erfahrungen als Nachrichtensprecherin beim Hochschulradio und im Rahmen von Projektassistenzen beim NDR und ZDF. Nach Tätigkeiten im Online-Marketing und freier Mitarbeit bei der Badischen Zeitung (Freiburg), ist sie seit Juli 2023 im Redaktionsteam von OMR.

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