Ohne Youtube, Netflix und Spotify: Kann Apples Vision Pro zur nächsten App-Plattform werden?

Der Tech-Konzern will einerseits App-Entwickler*innen ködern, verärgert sie aber aktuell an anderer Stelle

Inhalt
  1. 350 Native Apps von unabhängigen Entwickler*innen
  2. Beim Arbeiten Sport gucken?
  3. Entertainment ohne drei der größten Streaming-Plattformen
  4. Sechsstellige Zahl an Vorbestellungen
  5. Die Liebe der Entwickler*innen zu Apple ist abgekühlt
  6. Apple sichert sich ein wiederkehrendes Stück vom Abo-Kuchen
  7. "Müllgebühren", "neues Level an Arroganz"

"Heute beginnt eine neue Ära des Computers" sagte Apple CEO Tim Cook im Juni 2023 bei der Vorstellung der Vision Pro. Vom heutigen Freitag an gibt es Apples Mixed-Reality-Brille in den USA zu kaufen – für 3.500 US-Dollar. Ob sie erfolgreich werden wird, hängt auch davon ab, ob andere Firmen Apps für die Vision Pro entwickeln. Doch das Verhältnis der App Developer zum Konzern aus Cupertino ist zuletzt stark abgekühlt. OMR zeigt, wer zum Vision-Pro-Start an Bord ist und wer nicht – und erklärt die Hintergründe.

Susan Prescott hat keine Scheu vor Superlativen: "Diese unglaublichen Apps werden die Art und Weise verändern, wie wir Unterhaltung, Musik und Spiele erleben; sie werden unsere Fantasie mit neuen Lern- und Entdeckungsmöglichkeiten anregen; sie werden eine nie dagewesene Produktivität freisetzen; und vieles mehr. Die Entwickler*innen nutzen bereits das Versprechen des Spatial Computing, und wir können es kaum erwarten, zu sehen, was sie als Nächstes erschaffen", lässt sich Apples Vice President of Worldwide Developer Relations in einer Pressemeldung zitieren (Übersetzung: OMR).

350 Native Apps von unabhängigen Entwickler*innen

Prescott spricht über die 600 ersten Apps, die laut Apple speziell für die Vision Pro entwickelt worden sein sollen. 250 davon sind Spiele, die zu Apple Arcade gehören. Das Gaming-Abo wird von Apple selbst angeboten; die Entwickler*innen der Spiele werden von Cupertino bezahlt und nicht von den Nutzer*innen. Nur 350 der ersten "Native Vision Pro Apps" sind also von unabhängigen Entwickler*innen erstellt worden.

Zum Verkaufsstart der Brille sollen darüber hinaus auch eine Million bereits bestehender iPhone- und/oder iPad-Apps mit der Vision Pro nutzbar sein. Deren Entwickler*innen müssen sich nicht zwangsläufig dafür entschieden haben, ihre Apps im Vision-Pro-App-Store zur Verfügung zu stellen. Apple hat dies einfach zur Standard-Einstellung gemacht; wer etwas dagegen hatte, musste mittels Opt-out aktiv dagegen vorgehen.

Beim Arbeiten Sport gucken?

In der Pressemeldung zum Start des Vision Pro App Stores hebt Apple an erster Stelle die Apps der Golf-Liga PGA sowie der US-Basketball-Liga NBA hervor. Das nährt die Vermutung, dass Nutzer*innen mit der Vision Pro Sport-Ereignisse in Zukunft vielleicht so schauen können werden, als seien sie an Ort und Stelle dabei. Aktuell ist es (wie auf dem Screenshot zu erkennen ist) bei der NBA-App noch so, dass das Spiel auf einem zweidimensionalen virtuellen Screen zu sehen ist, während rechts und links davon Daten zu einzelnen Spieler*innen und den beiden Mannschaften angezeigt werden. Auch Disney Plus sowie Discovery Max, der Streaming-Dienst von Warner Bros., sind zum Verkaufsstart an Bord.

Mit Microsoft ist ein weiterer großer Name mit dabei; Word, Excel, Powerpoint, Teams und Outlook sollten also zum Start über "Native Vision Pro Apps" nutzbar sein. Mit Namen wie Zoom, Slack, Notion und Todoist ist ebenfalls ein weiterer großer Teil der Arbeitswelt abgedeckt.

Entertainment ohne drei der größten Streaming-Plattformen

Andere große Tech-Marken zögern aktuell offenbar noch. Wie Bloomberg Mitte Januar berichtete, soll es sowohl für Youtube als auch für Netflix und Spotify jeweils erst einmal keine dezidierte Vision-Pro-App geben. Davor hatte schon der Blog Mac Stories über eine App-Store-Schnittstelle überprüft, welche Apps bisher nicht für die Vision Pro zur Verfügung stehen. Das Ergebnis: Google-Apps wie Gmail und Calendar sowie alle Apps von Meta (Facebook, Instagram, Whatsapp) waren zumindest zum damaligen Zeitpunkt nicht für die Vision Pro verfügbar.

Zwar sind diese Services über den Browser der Vision Pro nutzbar. Aber dass es keine nativen Apps gibt und jene Vision-Pro-Käufer*innen, die im App Store nach diesen Namen suchen, keine Apps finden, könnte für Apple durchaus schmerzhaft sein. Schließlich sind die zwei große Use Cases, die Apple bei der Vorstellung des Gerätes in den Vordergrund gestellt hat, immersives Entertainment und produktiveres Arbeiten.

Sechsstellige Zahl an Vorbestellungen

"Wir müssen darauf achten, dass wir nicht in Bereiche investieren, die sich nicht wirklich rentieren, und ich würde sagen, wir werden sehen, wie sich die Dinge mit Vision Pro entwickeln", sagte Greg Peters, Co-CEO von Netflix, Ende Januar im Gespräch mit Stratechery. Um im nächsten Moment beißend hinzuzufügen: "Im Moment ist das Gerät so unbedeutend, dass es für die meisten unserer Mitglieder nicht wirklich relevant ist."

In der Tat dürfte die Relevanz der Vision Pro, wenn man alleine nach der Zahl der Vorbestellungen geht, aktuell (noch?) gering sein. Börsenanalysten schätzen die Zahl der Vorbestellungen auf 160.000 bis 180.000 Exemplare; der Blog Mac Rumours will von einer informierten Quelle erfahren haben, dass die Zahl bei 200.000 Vorbestellungen liege.

Die Liebe der Entwickler*innen zu Apple ist abgekühlt

Mutmaßlich ist dies jedoch nicht der einzige Grund, aus dem einige Vertreter*innen der "App Economy" zögern, ihre Dienste auch im Vision-Pro-Umfeld anzubieten. Denn die Liebe der App-Entwickler*innen zu Apple ist mittlerweile stark abgekühlt. Durchaus denkbar, dass die Entwickler*innen Apple nicht noch einmal bei einem neuen Gerät "aufs Pferd helfen wollen".

Denn während Apps, nachdem Steve Jobs im Jahr 2008 den App Store vorgestellt hatte, am Anfang noch mit einer einmaligen Zahlung, an der dann auch Apple einmalig mit 30 Prozent beteiligt wurde, vergütet wurden, drängt Apple die Entwickler*innen seit einigen Jahren immer stärker in Richtung eines Abo-basierten Geschäftsmodells. So soll Apple im Jahr 2017 bei einem geheimen Treffen hinter verschlossenen Türen 30 App-Entwickler*innen dazu gedrängt haben, ihre Apps künftig auch nach dem Abo-Modell zu vertreiben.

Apple sichert sich ein wiederkehrendes Stück vom Abo-Kuchen

Dieser Schritt kann für die Entwickler*innen durchaus sinnvoll sein, hilft er diesen doch dabei, die Weiterentwicklung der App nach dem jeweiligen initialen Kauf zu finanzieren. Gleichzeitig nimmt sich Apple durch diese Entwicklung immer wieder jeden Monat 30 Prozent des Umsatzes von vielen Marktteilnehmern.

Darüber hinaus versucht der Konzern zu verhindern, dass Nutzer*innen auf dem iPhone außerhalb der App-Store-Infrastruktur Abos abschließen (und Apple an den generierten Umsätzen damit nicht beteiligt werden würde). Und unabhängige App Stores, in denen Entwickler*innen ihre Apps "an Apple vorbei" vertreiben könnten, sind bislang ebenfalls von Apple unterbunden worden.

"Müllgebühren", "neues Level an Arroganz"

Dementsprechend schlug in der Hassliebe der Entwickler*innen zu Apple das Pendel zuletzt immer stärker in Richtung Abneigung aus. Die Entwicklung kulminierte in Apples Umsetzung des Digital Markets Act (DMA). Mit dem will die Europäische Union eigentlich mehr Wettbewerb ermöglichen und die Tech-Firmen dazu bringen, sich zu öffnen – etwa für alternative Abo-Infrastrukturen und App Stores.

Doch Apples Umsetzung des DMA wirkt in diesem Zusammenhang wie Hohn. Neue, zusätzliche Gebühren sollen die alternativen Strukturen für Entwickler*innen offensichtlich vollends unattraktiv machen. Tim Sweeney, der mit seiner Firma Epic Games (u.a. Fortnite) schon gegen Apple vor Gericht gezogen war, spricht in diesem Zusammenhang von "malicious compliance" und "Müll-Gebühren"; Spotify-CEO Daniel Ek von "einem neuen Tief", sein Unternehmen von "einem neuen Level von Arroganz" Apples.

Dass Spotify derzeit keine Vision-Pro-App anbiete, habe mit diesem Streit nichts zu tun, so eine anonyme, interne Quelle gegenüber Bloomberg. Für Apple wäre es vermutlich so oder so ratsam, die Gründe zu erschließen und mit den jeweiligen Firmen einen Kompromiss zu finden. Damit der Konzern auch in bei der Vision Pro den Käufer*innen in Aussicht stellen kann: "There's an app for that."

AppleAugmented Reality
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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