Der mysteriöse Flywheel-Trend – Warum dieses Wort im Marketing aktuell in aller Munde ist

Eine alte Skizze von Jeff Bezos erlebt eine ungeahnte Renaissance

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Inhalt
  1. Wer zeigen will, dass das Geschäft läuft, redet vom Flywheel
  2. Was die Dot.com-Blase mit dem Flywheel-Trend zu tun hat
  3. Eine hingekritzelte Skizze auf einer Serviette macht Geschichte
  4. Diverse Firmen tragen den Begriff sogar im Namen
  5. Wie der Hubspot CEO die Renaissance des Begriffes einleitete
  6. Sogar für Schulkinder geeignet?

„Wer jetzt noch Kunden nach dem Funnel-Modell akquiriert, ist von gestern – heute müsst Ihr ein Flywheel bauen!“ – So lautet sinngemäß die Aussage, die in den vergangenen Monaten immer wieder von Marketingmachern zu hören und zu lesen war. Was steckt dahinter? OMR erklärt den Begriff, seinen Ursprung und warum Marketingmacher glauben, dass er aktuell so eine hohe Relevanz hat.

„Pivot“, „Disruption“, „Minimum Viable Product“ – wenn Startup-Gründer, Wagniskapitalgeber und Marketingmacher aus der Digitalszene sich untereinander unterhalten, sprechen diese in der Regel ihre ganz eigene Sprache. Einerseits sollen Begriffe wie die genannten dabei helfen, Geschäftsprozesse und deren Erfolg oder Misserfolg zu erklären und zu verstehen. Andererseits dienen sie auch häufig als Code-Wörter, mit denen die Nutzer signalisieren, dass sie in ihrer Branche den Durchblick haben. Dabei gibt es durchaus gewisse Moden. Wer aktuell bei solchen Gesprächen demonstrieren will, auf dem neuesten Stand zu sein, sollte erwägen, den Begriff des Flywheels dem eigenen Vokabular hinzuzufügen – denn offenbar ist dieser innerhalb der vergangenen zwölf Monaten in Mode gekommen.

Wer zeigen will, dass das Geschäft läuft, redet vom Flywheel

Wer in Google News nach dem „flywheel effect“ (um Suchergebnisse nach Firmen mit dem Namen Flywheel auszuschließen) sucht, stößt auf diverse Belege dafür alleine aus den vergangenen Wochen. Ken Washington, der Chief Technology Officer von Ford, der dabei helfen soll, Tesla zu schlagen, schmückt sich beispielsweise gegenüber einem Journalisten des britischen Telegraph mit Ausdrücken wie „Thought Leader“ und „Flywheel Effect“. Die CEO von Super League Gaming, Betreiberin einer E-Sports Community, erklärt bei der Präsentation der jüngsten Quartalszahlen mit Blick auf das Unternehmenswachstum, dass langsam der „Flywheel Effect“ eintrete. Das Zahlungsnetzwerk Ripple veröffentlicht eine Studie, laut derer bei Blockchain-basierten Zahlungen mittlerweile „das Flywheel in Bewegung gerät“.

Eigentlich stammt der Begriff des Flywheels, zu Deutsch Schwungrad (hier der Wikipedia-Eintrag), aus der Mechanik. Schwungräder sind Konstrukte, die, wenn sie einmal mit geringem Energieaufwand ins Laufen gebracht werden, diese Energie sehr effizient speichern und eine Zeitlang von selbst weiterlaufen. Jede weitere Energie steigert dann die Geschwindigkeit des Rades. Schwungräder kommen beispielsweise bei Verbrennungsmotoren zum Einsatz, oder auch bei mechanischen Nähmaschinen.

Was die Dot.com-Blase mit dem Flywheel-Trend zu tun hat

Dass das Schwungrad sich heute als Symbol von Geschäfts- und Marketingprozessen etabliert hat, geht auf das Wirken von zwei Personen zurück: Jim Collins und ein gewisser Jeff Bezos. Der Management-Experte und zwischenzeitliche Stanford-Professor Collins arbeitet im Jahr 2001 an einem Buch über Management-Prinzipien erfolgreicher Unternehmen, als er von seinem ehemaligen Schüler Jeff Bezos angerufen wird. Der durchlebt zu diesem Zeitpunkt mit seinem Unternehmen Amazon nach dem Platzen der Dot.com-Blase gerade eine äußerst schwierige Zeit und bittet Colins um Unterstützung.

Bei einer Firmenklausur stellte Collins dem Amazon-Management das von ihm entwickelte Konzept des „Flywheels“ vor, das er später ebenfalls auch in seinem sehr erfolgreichen Buch „Good to Great“* (deutsch: „Der Weg zu den Besten“*) erklärt. Manager sollten sich ihr Unternehmen als großes, schweres Rad vorstellen, dass erst durch intelligent und mehrfach eingesetzte Energie dauerhaft und immer schneller ins Laufen gerät.

Eine hingekritzelte Skizze auf einer Serviette macht Geschichte

Offenbar traf dieses Bild bei Jeff Bezos & Co. einen Nerv: „Sie nahmen das Flywheel und machten daraus etwas eigenes“, wie Collins vor Kurzem im Podcast „Recode Decode“ erzählte. Wie die Legende besagt, habe Amazon-Gründer Bezos auf einer Serviette eine Skizze des Amazon Flywheels angefertigt. In deren Mittelpunkt steht das Wachstum – das große Rad, an dem Amazon drehen möchte.

Das Amazon Flywheel nach Jeff Bezos (Quelle: Amazon.jobs)

Um das Wachstum in Bewegung setzen zu können, müsse Amazon zunächst einmal eine positive Kundenerfahrung bieten, glaubt Bezos. Dann steige die Zahl der Besucher, was Amazon wiederum für externe Händler interessanter mache. Wenn die vermehrt über Amazon verkaufen, wächst das Sortiment, was wiederum das Erlebnis der Kunden verbessert. Diese Entwicklung stößt einen weiteren Kreislauf an: Durch das so generierte Wachstum soll Amazon die eigenen Kosten und in Folge dessen auch den Preis für die Kunden senken können, was wiederum auf die Kundenerfahrung einzahlt. Auf Youtube lässt sich heute noch ein Video aus Amazons Frühzeiten finden, in dem Consumer CEO Jeff Wilke das Konzept gegenüber Mitarbeitern erklärt.

Diverse Firmen tragen den Begriff sogar im Namen

Der Rest ist Geschichte. Jeff Bezos treibt Amazon über die Jahre hinweg zu einem enormen Wachstum. Lange Jahre über verzeichnet das Unternehmen kaum Gewinn, häuft aber ein enormes Umsatzvolumen und eine gigantische Unternehmensbewertung von zwischenzeitlich über einer Billion US-Dollar an. Noch heute bezeichnet Amazon auf der eigenen Jobs-Seite den „positiven Kreislauf“ gegenüber interessierten Bewerbern als „stets präsente[n], lebendige[n] Teil der Amazon-Kultur“.

Das Konzept des Flywheels hat sich unterdessen in der Digital- und Startup-Szene herumgesprochen; heute gibt es diverse Unternehmen, die den Begriff sogar im Namen tragen: das Uber-ähnliche Taxi-Startup Flywheel, die Fahrrad-Spinning-Firma Flywheel Sports, der VC Fond Flywheel Ventures, ein WordPress-Hosting Startup und eine Cloud-Plattform für medizinische Bilder.

Wie der Hubspot CEO die Renaissance des Begriffes einleitete

Dass der Begriff Flywheel in den vergangenen zwölf Monaten eine Renaissance erlebt hat, dürfte vor allem an Brian Halligan liegen. Der Gründer und CEO des Marketing-Software-Anbieters Hubspot hat in einem geschickten Content-Marketing- und PR-Schachzug das Konzept des Flywheels auf das Marketing übertragen und damit viel Resonanz generiert. In einem Gastartikel für Harvard Business Review deklamierte Halligan im November 2018, dass das Konzept des Sales Funnels ausgedient habe und von Marketern durch das Flywheel ersetzt werden müsse. Wie das genau gehen soll, erklären er und sein Team auf der Website von Hubspot.

Warum das Flywheel den Funnel laut Hubspot ersetzen muss (Quelle: Hubspot)

Wer heute über Google nach „flywheel marketing“ sucht, stößt auf diverse Belege dafür, dass der Hubspot-Gründer mit seiner Idee Anklang gefunden hat. Wenig erstaunlich, ist Halligans Vorschlag doch auch eine clevere Reaktion auf die Entwicklung im Marketing im Zeitalter der Plattformökonomie. Schon vor Halligans Vorstoß war aus der Online-Marketing-Branche zu hören, dass die Preise für Kundenakquisition über Plattformen wie Google und Facebook in den vergangenen Jahren sehr gestiegen sind.  Wenn es extrem teuer geworden ist, Kunden über die Plattformen immer wieder neu einzukaufen, verschiebt sich der Fokus stärker dahin, mit den bestehenden Kunden mehr zu verdienen oder diese als Botschafter des eigenen Produktes agieren zu lassen.

Sogar für Schulkinder geeignet?

Auch der heute 61-jährige Jim Collins hat den Bedarf nach Flywheel-Erklärungen im Markt jedenfalls erkannt. Im Februar 2019 hat er sein neuestes Buch „Turning the Flywheel“* als Ergänzung zu „Good to Great“ auf den Markt gebracht. Er habe sogar von einer Grundschule im ländlichen Kansas gehört, die das Flywheel anwende, um die Lernergebnisse ihrer Schulkinder zu verbessern, schreibt Collins auf seiner Website.

* Disclosure: Die Links zu den im Text genannten Büchern sind Affiliate-Links zu Amazon. Solltet Ihr danach einen Kauf bei Amazon abschließen, erhalten wir eine kleine Provision.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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