Mister Wong: Von der einst meistverlinkten Seite Deutschlands zum absurden Insolvenz-Schnäppchen

Torben Lux29.11.2016
Mister Wong
Inhalt
  1. Der frühere Social-Bookmarking-Dienst ging für 2.500 Euro nach Winsen Luhe bei Hamburg
  2. Mister Wong und der Hype um Social Bookmarking
  3. Nach Übernahmen und Verkäufen: Insolvenz-Posse um mister-wong.de
  4. Vom Social-Bookmarking-Anbieter zum Modeportal
  5. Kann Mister Wong noch einmal wiederbelebt werden?
  6. Streitet sich die Stardrinx.de-Connection um Mister Wong?

Der frühere Social-Bookmarking-Dienst ging für 2.500 Euro nach Winsen Luhe bei Hamburg

Mister Wong

Die glorreichen Zeiten von Mister Wong sind wohl vorbei (Grafik: Online Marketing Rockstars).

Erinnert Ihr Euch noch an die Zeit vor Facebook, Twitter & Co., in der News und Links vor allem in Social Bookmarking-Diensten wie StumbleUpon, Digg und Delicious gespeichert und geteilt wurden? Ab 2006 ging mit eben diesem Geschäftsmodell mister-wong.de an den Start – und wuchs schnell zur wohl meistverlinkten Seite Deutschlands heran. Heute ist von dem Erfolg nichts mehr übrig. Nach einigen Eigentümer- und Strategie-Wechseln wurde die Domain mit immer noch fast 15 Millionen Verlinkungen kürzlich im Zuge eines Insolvenzverfahrens für nur 2.500 Euro verkauft. Online Marketing Rockstars hat mit dem Gründer sowie allen zwischenzeitlichen Besitzern gesprochen und zeichnet die kuriose Geschichte von Mister Wong nach.

„Heute funktioniert das Entdecken neuer Web-Inhalte natürlich anders, als noch vor zehn Jahren“, erinnert sich Kai Tietjen. „Wir fanden das Prinzip von Social Bookmarking damals aber richtig gut. Und weil es das so in Europa noch nicht gab, haben wir diese Lücke dann mit Mister Wong geschlossen.“ Tietjen ist Gründer und war Geschäftsführer von mister-wong.de, das er als Ausgründung seiner Agentur construktiv GmbH immer nur als Neben-Projekt gesehen hat. Anfang 2006 ging der Dienst online. „Ich war fasziniert vom ‘Mitmach-Web’. Web 2.0 war ja gerade erst in den USA geboren, Facebook noch ganz jung und alles irgendwie noch Neuland.“

Mister Wong und der Hype um Social Bookmarking

Mister Wong bot damals ähnliche Funktionen wie die internationalen Social-Bookmarking-Vorbilder Delicious, Digg oder StumbleUpon. User konnten Links als persönliche Lesezeichen speichern und online auf jedem Rechner darauf zugreifen. Wurde eine Adresse nicht extra als privat gekennzeichnet, hatte die gesamte Community ebenfalls Zugriff. Durch Tags und Schlagwörter entstanden so Themenseiten, die für Publisher eine Zeit lang durchaus eine nette Traffic-Quelle dargestellt haben. 2007, ein Jahr nach dem Launch von Mister Wong, wurden eigenen Angaben zufolge bereits über eine Million Bookmarks angelegt; die Seite rangierte laut Alexa zwischenzeitlich auf Platz 44 der am häufigsten aufgerufenen Websites in Deutschland.

Mister Wong

mister-wong.de noch der Einführung des neuen Logos Ende 2007.

Umgekehrt war Mister Wong aber auch bei eingehenden Links ziemlich stark. „Eine Zeit lang waren wir die meistverlinkte Website in Deutschland“, sagt Gründer Kai Tietjen gegenüber Online Marketing Rockstars. Im März 2007 sollen es beispielsweise über zwei Millionen Verlinkungen gewesen sein; spiegel.de kam zu dem Zeitpunkt demnach auf 1,6 Millionen Verweise, StudiVZ auf 72.000. Tietjen ergänzt: „Zwischenzeitlich hatten wir einen PageRank von 9, was nur wenige Seiten weltweit hatten.“ Auch wenn Google den öffentlichen PageRank im April dieses Jahres eingestellt hat und immer wieder betonte, dass der Wert keinen Einfluss auf das Ranking innerhalb der Suchergebnisse hätte, deutet er doch die einstige Relevanz von Mister Wong an. Mitte 2011 hatte beispielsweise Google selber mit der .com-Domain „nur“ einen PageRank von 9.

Die Monetarisierung des Portal basierte auf verschiedenen Säulen. Neben klassischer Bannerwerbung, Textanzeigen und Video-Ads wurden offenbar auch Sponsored-Post-Formate und Sponsored Bookmarks angeboten.

Nach Übernahmen und Verkäufen: Insolvenz-Posse um mister-wong.de

Vom einstigen Social Highflyer aus Deutschland ist heute allerdings nicht mehr viel übrig. Nach den Übernahmen vom kleineren Social-Bookmarking-Konkurrenten Taggle Anfang 2007 und des URL-Shorteners Cli.gs im Dezember 2009 folgte im September 2010 ein Einbruch von 97 Prozent im Sichtbarkeitsindex von Seolytics. Ein Blick ins SEO-Tool von Sistrix (hatte Seolytics Anfang des Jahres übernommen) bestätigt den Einbruch und zeigt, dass sich der Sichtbarkeitsindex der Domain nie wieder davon erholen konnte. Der Grund für die SEO-Abstrafung war offenbar Googles Meinung, dass die Links auf mister-wong.de dem Nutzer keinen Mehrwert boten. Mit Hilfe einer eigenen Redaktion und der Wiedereinführung von Do-Follow-Links (können von Google bei der Sichtbarkeit positiv berücksichtigt werden) sollte dem Negativ-Trend wenige Monate später allem Anschein nach entgegengewirkt werden. Ende 2011 folgte dann trotzdem die öffentliche Ankündigung zum Verkauf. Die Zahlen, mit denen Mister Wong damals beworben wurde: 500.000 Mitglieder, elf Millionen Bookmarks, 13.000 hochgeladene Dateien im neuen Dokumentebereich, Versionen von Mister Wong auf deutsch, englisch, französisch, spanisch, chinesisch und russisch.

Der Sichtbarkeitsindex von mister-wong.de laut Sistrix.

Erst ein Jahr später wurde mit der Ekaabo Gmbh, die wenige Wochen vorher auch schon den deutschen Digg-Klon Yigg übernommen hatte, ein Käufer gefunden. Der Kaufpreis ist nicht bekannt. „Meine Idee war, mit den beiden Plattformen meinen Dienst Spreadly zu pushen“, sagt der damalige Käufer und Ekaabo-Gründer Marco Ripanti heute gegenüber Online Marketing Rockstars. Über Spreadly konnten Seitenbetreiber seiner Zeit einen Button integrieren, mit dem User Beiträge mit einem Klick gleichzeitig auf Facebook, Twitter und Linkedin teilen konnten. Was heute nicht gerade Begeisterungsstürme hervorrufen dürfte – Widgets, Tools & Co., die ähnliche Funktionen erfüllen, gibt es wie Sand am Meer – scheint auch damals nicht so richtig funktioniert zu haben. Ripanti sagt: „Was bei Yigg ziemlich schnell ging, hat sich bei Mister Wong über viele Monate hingezogen. Im schnelllebigen Online-Business haben sich dann auch die Ziele und Ideen der Gesellschaft und Gesellschafter geändert.“ Die Pläne seien dann verworfen worden, die Ekaabo GmbH liquidiert. „Seit 2013 habe ich nichts mehr mit Mister Wong zu tun und konzentriere mich zu 100 Prozent auf meine Agentur 42medien“, schließt Marco Ripanti ab.

Vom Social-Bookmarking-Anbieter zum Modeportal

Nach Rapanti ist Phuc Tran ab 2013 der neue Besitzer von mister-wong.de und Geschäftsführer der Mister Wong GmbH. Mit dem alten und langsam aber ziemlich sicher aussterbenden Geschäftsmodell Social Bookmarking soll die Seite ab dann aber nichts mehr zu tun haben. Tran will Mister Wong als „Social-Fashion-Plattform“ relaunchen. Auch dieser Plan geht am Ende allerdings nicht auf. Nach einer Beta-Phase und ein paar kleineren Umstrukturierungen der Seite heißt es dort ab Ende 2014 nur noch: „2015 steht schon vor der Tür […]. Auch das Team von Mister Wong freut sich auf den bevorstehenden Jahreswechsel und darauf, das Jahr 2015 mit wunderbaren Bildern und jeder Menge Mode-Highlights einzuläuten.“ Diese Nachricht war so bis Ende Oktober 2016 online.

„Wir haben recht schnell gemerkt, dass unser Vorhaben nicht aufgeht, wenn wir nicht bereit sind, eine enorme Summe zu investieren“, erklärt Phuc Tran gegenüber Online Marketing Rockstars. „Außerdem haben wir am Anfang auf eine falsche Alterszielgruppe gesetzt.“ Man habe sich dann sehr schnell dazu entschlossen, das Projekt, das auf mister-wong.de laufen sollte, einzustellen. Am 30.08.2016 stellt die Mister Wong GmbH einen Insolvenzantrag.

Von Ende 2014 an war diese Nachricht auf mister-wong.de zu finden.

Laut Stephanie Hotopp, die für die Berliner Kanzlei Voigt Salus das Insolvenzverfahren der Mister Wong GmbH abwickelt, waren die Sanierungschancen für das Unternehmen nahezu aussichtslos. „Der überwiegende Teil der Belegschaft hatte das Unternehmen schon vor der Insolvenz verlassen“, so die Rechtsanwältin. Der Großteil der Verbindlichkeiten der Mister Wong GmbH würde gegenüber Gesellschaftern bestehen, die in das Unternehmen investiert hatten.

Potenzielle Interessenten wurden schon während des Antragsverfahrens kontaktiert, schließlich ging das Domain-Portfolio recht schnell an die HanseHype GmbH aus Winsen Luhe bei Hamburg. Das Unternehmen hatte sich laut Hotopp als einziges auf das Angebot gemeldet.

Kann Mister Wong noch einmal wiederbelebt werden?

Ferhat Ziba ist Geschäftsführer bei der HanseHype GmbH, die er zusammen mit seinem Bruder betreibt – und laut Denic-Datenbank seit dem 24. Oktober Besitzer der einst so starken Domain mister-wong.de. Die beiden betreiben außerdem das Affiliate-Projekt fashionfly.co. Er habe schon länger Interesse an der Seite gehabt und kenne Phuc Tran aus gemeinsamen Projekten. „Wir haben ein kleines Portfolio übernommen. Neben mister-wong.de waren noch rund 15 weitere zu der Marke passende Top-Level-Domains und Twitter-Accounts dabei“, sagt Ziba gegenüber Online Marketing Rockstars. „Außerdem haben wir in dem Zuge auch Cli.gs übernommen“.

Insgesamt habe die HanseHype GmbH 2.500 Euro für das Paket bezahlt. Die Domain mister-wong.de hat aktuell laut Sistrix einen sehr geringen Sichtbarkeitsindex von 0,1722, dafür aber immer noch fast 15 Millionen eingehende Links. Ferhat Ziba freut sich: „Das war auf jeden Fall ein Schnäppchen.“ Sein Plan sei nun, auf mister-wong.de eine Vergleichsplattform ähnlich wie vergleich.org zu bauen. „Die User sollen allerdings bestimmen, welche Ergebnisse auf den vorderen Platzierungen landen“. Die Domain bringe aus vergangenen Zeiten starke SEO-Eigenschaften mit sich. Ziba ist sich sicher: „Ich schätze, wir kommen relativ leicht unter die ersten zehn Plätze.“ Was auch immer bald auf mister-wong.de passiert – auf dem Twitter-Account wurde das Comeback bereits angekündigt.

Streitet sich die Stardrinx.de-Connection um Mister Wong?

Während sich alle an der Insolvenz der Mister Wong GmbH beteiligten Parteien einig zu sein scheinen, ist bei einem genau das Gegenteil der Fall: Anfang November postete Christan Lutz Schoenberger in der Facebook-Gruppe „Projektverkauf“, dass die Domain mister-wong.de wieder für 10.000 Euro zu haben sei, weil der vorgesehene Käufer nicht habe zahlen können. Schoenberger dürfte für in der Branche einigermaßen berühmt und berüchtigt sein. Er wurde mehrfach unter anderem wegen Betrug angezeigt und saß von Februar bis Juni 2016 in Untersuchungshaft.

Sein Vorwurf: Beim Verkauf der Domain mister-wong.de handele es sich um Insolvenzbetrug. Der Verkaufspreis sei zu gering, Phuc Tran und die HanseHype-Brüder hätten zu oft zusammengearbeitet und er selber habe für die Domain 10.000 Euro geboten. Außerdem sei er sowohl Gläubiger von der Mister Wong GmbH, als auch von der HanseHype GmbH; insgesamt schuldeten die Unternehmen ihm fast 40.000 Euro.

„Nach dem Facebook-Post haben sich 50 bis 60 Leute bei mir gemeldet mit seriösen Angeboten, die natürlich alle über 2.500 Euro lagen“, so Schoenberger gegenüber Online Marketing Rockstars. „Das ist einfach unverschämt gegenüber allen Gläubigern.“ Er habe kürzlich Strafanzeige wegen Insolvenzverschleppung gestellt.

Die Insolvenzverwalterin Stephanie Hotopp widerspricht den Schilderungen von Schoenberger. Er habe sich weder auf Angebote gemeldet, noch Forderungen im Insolvenzverfahren geltend gemacht. Und Marco Ripanti, Phuc Tran und auch Ferhat Ziba sind sich einig, dass es nie einen Berührungspunkt zwischen Schoenberger und Mister Wong gegeben habe und man nach kurzen, gemeinsamen Projekten nie mehr zusammenarbeiten wolle. Spuren dieser gemeinsamen Projekte findet man im Netz trotzdem noch einige: So ist die HanseHype GmbH laut Denic beispielsweise Besitzer der Domain stardrinx.de – der Seite, mit der Christian Lutz Schoenberger angeblich über Groupon betrogen haben soll. Und auch zu Ripantic und Tran lassen sich bei Google-Suchen einige Anknüpfungspunkte zu Schoenberger finden.

Kai Tietjen, der Mister Wong 2006 als Social-Bookmarking-Portal gegründet hatte und zur zeitweise meistverlinkten Domain Deutschlands machte, interessiert die aktuelle Posse um die Seite übrigens nicht. „Das war damals eine spannende Zeit und hat viel Spaß gemacht. Seit dem Verkauf und der Ausrichtung auf Mode habe ich die Entwicklung aber nicht mehr verfolgt, weil es nichts mit dem ursprünglichen Mister Wong zu tun hat“, so Tietjen.

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Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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