„Hot Ones“: Das Youtube-Erfolgsformat macht allein mit scharfen Saucen Millionen-Umsätze
Promis beantworten Fragen, während sie immer schärfere Chicken Wings essen – und verhelfen der Youtube-Show, echte Viral-Hits zu landen
- Eine bescheuerte Idee lernt fliegen
- Viral-Momente und Memes
- Millionen-Umsätze allein mit Nebengeschäften
- Die Saucen sind die eigentlichen Stars
Es gibt nicht viele TV-Shows, die Noel Gallagher, Natalie Portman, Bryan Cranston und Scarlett Johansson auf ihrer Gästeliste haben. Im Youtube-Format „Hot Ones“ waren sie alle zu Gast (neben vielen anderen). Millionen Zuschauer warten jede Woche auf die neue Folge der aktuellen Staffel – und vor allem darauf, dass ein Promi sich durch zehn, mit immer schärferen Saucen marinierte, Chicken Wings isst. Wir zeigen, wie Hot Ones über 1,2 Milliarden Views generieren konnte, wie durch die Grundidee fast zwangsläufig virale Momente entstehen und wie die Show ein eigenes kleines Unternehmen mit Millionen-Umsatz durch Saucenverkauf werden konnte.
Das Setting ist eigentlich immer gleich: Vor dunklen Wänden, an einem einfachen Tisch, sitzen sich Hot-Ones-Moderator Sean Evans und ein mehr oder weniger bekannter Prominenter gegenüber. Zwischen den beiden stehen zehn scharfe Saucen und vor diesen jeweils ein Stück frittiertes Hähnchen. In den 20 Minuten jeder Hot-Ones-Episode auf Youtube werden der Star und Evans versuchen, alle zehn Hähnchen-Teile zu essen – die mit immer schärferen Saucen präpariert wurden. Das simple Show-Rezept führt in jeder Folge zu Flüchen, Tränen, Tänzen der Promis. Das vom US-Publisher Complex produzierte Format zeigt, dass Late-Night-Interviews auch auf Youtube funktionieren können – zumindest, wenn sie einen verrückten Kniff haben.
„Das Hot-Ones-Ding hört nie auf. Wir hauen eine verfluchte Hot-Ones-Episode pro Woche raus“, sagt Host Sean Evans gegenüber The Verge. „Aktuell fühle ich mich wie ein Tier auf dem Bauernhof – oder ein Hund auf der Müllkippe. Meine Lippen brennen wie Feuer, mein Rachen und Bauch grummeln. Aber ich weiß, dass bald das nächste Interview ansteht und ich die aktuelle Folge schneiden und dann für den nächsten Gast recherchieren muss. Dann fängt alles wieder von vorne an.“
Eine bescheuerte Idee lernt fliegen
Die harte Arbeit an scharfen Chicken Wings zahlt sich aber aus. Der Youtube-Kanal „First We Feast“ kommt auf mehr als 7,5 Millionen Abonnenten (jeden Tag kommen 10.000 dazu) und über 1,2 Milliarden Views. Hinter First We Feast verbirgt sich die Food-Abteilung von Complex Media. Der US-Digital-Publisher ist aus einem Popkultur-Magazin entstanden und widmet sich verschiedenen Jugendkultur-Themen. Die vielen Youtube-Follower hat der Kanal augenscheinlich dem Format Hot Ones zu verdanken. Obwohl auch fünf weitere Shows bei „First We Feast“ laufen, sind die 97 erfolgreichsten Videos des Kanals von Hot Ones.
2015 wird die Erfolgs-Show – mitten in der Phase, wo Publisher beginnen, voll auf Video zu setzen – geboren. Chris Schonberger, Chef des „First We Feast“-Verticals bei Complex, geht mit seiner Idee zum noch frischen Mitarbeiter Evans. „Was denkst du über eine Show, in der wir Prominente interviewen und sie wahnsinnig scharfe Chicken Wings essen lassen?“, habe Schonberger Evans gefragt. Der sagt heute: „Als ich es gehört habe, fand ich es einfach so witzig.“ Die beiden machen sich direkt an ein Konzept und stoßen laut Evans direkt auf Gegenwehr, weil die Chefs knackig kurze Videos erwarten. Die erste Episode Hot Ones mit Rapper Tony Yayo ist dann auch nur fünf Minuten lang, die zweite mit Baseballer Anthony Rizzo schon zehn und ab der dritten Folge gehen die Hot-Ones-Macher eher Richtung 20 Minuten.
„Ich habe denen gesagt: Fickt euch, wir machen über 20 Minuten“, sagt Evans. „Diese Show hätte ohne dieses Feuer nie überlebt.“ Nach vier Jahren hat das Team um Schonberger und Evans neun Staffeln produziert und haut derzeit jede Woche eine neue Folge der zehnten Staffel raus. Zu den erfolgreichsten Episoden gehören Interviews mit dem britischen TV-Koch Gordon Ramsay (46 Mio. Views), Popstar Billie Eilish (28 Mio. Views und hier bei uns im OMR Podcast), Schauspieler Kevin Hart (23 Mio. Views) und US-Rapper Post Malone (21 Mio. Views). Ganze 19 Hot-Ones-Episoden kommen auf über zehn Millionen Views, das aktuellste Video mit Schauspielerin Kristen Stewart wurde in den ersten 20 Stunden nach Veröffentlichung schon 1,7 Millionen Mal angesehen.
Viral-Momente und Memes
Das Interesse an der Show lässt auch nach weit über hundert Episoden nicht nach, dabei ist das Konzept selbst im Gesprächsaufbau immer ähnlich. Evans startet direkt mit den knalligsten Fragen ins Gespräch – dazu gibt es das mildeste Hühnerstück. „Zu Beginn sterben sie noch nicht vor Schärfe, also müssen wir dann aus ihnen rausholen, was die Menschen am meisten interessiert“, so Evans. Für das Ende des Gesprächs überlegen er und das Team sich eher, wie sie das meiste Viral-Potenzial aus dem Promi herausholen können – unterstützt durch die unglaubliche Schärfe der abschließenden drei Wings.
Die reicht aber auch schon manchmal: So wird aus Schauspieler Idris Elba ein Meme – er hustend mit tränenden Augen. Oder Paul Rudd, der sich kumpelhaft witzelnd fragt, wie er sich in diesen Schärfe-Schlamassel werfen konnte – und zum Symbol für überraschende Situationen auf Twitter wird. Wie gut einzelne Sekunden aus der Sendung für witzige Momente herhalten können, zeigt auch der eigene Giphy-Kanal von Hot Ones. Hier gibt’s die besten Momente in GIF-Form – fast 100 Millionen Views hat die Show auf der Plattform gesammelt.
Die Show zielt auf genau diese Viral-Mechanismen ab, weil sich natürlich jeder fragt, warum sich Promi XY vor laufender Kamera fluchend die Lunge raus hustet. Aber natürlich steht und fällt die View-Zahl auch mit den Namen, die Evans und Schonberger für ihre Show gewinnen können. Der erste große Clou gelang 2016 in der zweiten Staffel mit dem Comedy-Duo Keegan-Michael Key und Jordan Peele. Die beiden hatten damals schon eigene virale Momente mit ihrer Comedy-Central-Show „Key and Peele“ erlebt und sorgten für den ersten echten Hot-Ones-Hit. „Die Sendung war damals kein View-Monster“, sagt Evans.
„Mit Key and Peele war es das erste Mal so, dass wir Nummer 1 Trending bei Youtube und auf der Startseite von Reddit gelandet sind.“ Innerhalb von drei Tagen hatte die Folge eine Million Views geknackt, bis heute sind es 17 Millionen. Dabei ist bezeichnend, wie Evans direkt Reddit erwähnt. Das Viral-Portal sorgt immer wieder für Traffic-Rekorde und sein Format passt perfekt zur dortigen Zielgruppe junger Männer – scharfe Saucen auszuhalten ist heute ja fast zum Ritual geworden.
Millionen-Umsätze allein mit Nebengeschäften
Aber wie monetarisiert Hot Ones seine Milliarden-Reichweite? Ein Teil des Umsatzes – der am Ende bei Complex landet – kommt über klassische Youtube-Mechanismen zu Stande. Vor den Videos läuft Werbung – das Analyse-Tool Socialblade schätzt allein die Einkünfte durch diesen Kanal auf bis zu 2,3 Millionen US-Dollar pro Jahr.
Zweites wichtiges Standbein ist Merchandise. Wie von vielen Youtubern bekannt, verlinkt Hot Ones unter seinen Videos auf die eigene T-Shirt-Kollektion, die kostensparend über Teespring vertrieben wird. Das Geschäft dürfte gut laufen. Allein auf den Bitly-Link zur Shirt-Kollektion unter den Videos haben bisher über 68.000 Nutzer geklickt. Kaufen von denen nur zehn Prozent dann auch ein Shirt, macht Hot Ones einen Umsatz von über 200.000 US-Dollar. Wie viele Nutzer zusätzlich auf die nativen Youtube-Links zur Kollektion klicken, lässt sich nicht feststellen.
Demnächst verdient das Unternehmen hinter Hot Ones auch Geld im US-Fernsehen. TruTV, eine Tochterfirma von WarnerMedia hat 20 Episoden einer Game-Show nach dem Prinzip des Youtube-Formats bestellt. Das Setting soll ähnlich bleiben, Sean Evans moderiert – es treten nur Normalos an, die Quizfragen beantworten, während sie scharfe Hühnchen essen.
Die Saucen sind die eigentlichen Stars
Das große Geschäft steckt für Hot Ones – vielleicht wenig überraschend – in den Saucen. Jede Staffel präsentiert das Team eine Kollektion aus zehn Saucen, die für die Wings-Schärfung eingesetzt werden. Daraus ist ein eigenes Video-Format vor jeder neuen Staffel entstanden, in dem Sean Evans die neuen Saucen präsentiert – zuletzt unterstützt von einem nativ eingebundenen Sponsor. Neben bekannten Saucen sind auch immer wieder Exoten und speziell für die Show entwickelte dabei.
Dazu arbeitet Hot Ones mit dem Online-Saucen-Händler The Heatonist zusammen. Hier können die Fans direkt über Links unter dem Youtube-Video alle Saucen der aktuellen Staffel kaufen. Auch eine Subscription-Box mit dem Versprechen, immer als erster die neuen Saucen ausprobieren zu können, verkauft The Heatonist gemeinsam mit Hot Ones für 30 US-Dollar im Monat.
The Heatonist-Gründer Noah Chaimberg arbeitet eng mit dem Hot-Ones-Team zusammen. Die speziell von The Heatonist für die Show entwickelten Saucen gibt es exklusiv nur in seinem Shop. Laut Chaimberg habe Hot Ones für einen Verkaufsrekord gesorgt. Die schärfste Sauce einer vergangenen Staffel („The Last Dab“) sei über 10.000 Mal am ersten Verkaufstag bestellt worden. Der Experte und Hot Ones würden an jedem Verkauf die Hälfte des Umsatzes bekommen. Hot Ones habe 2018 allein mit dem Verkauf der Saucen über The Heatonist sieben Millionen US-Dollar Umsatz gemacht. Der Erfolg lässt sich auch an den Link-Klicks unter den Youtube-Videos ablesen: Auf den Link zur klassischen Sauce haben seit Ende 2018 über 300.000 Zuschauer geklickt, zur Los Calientes Sauce 150.000 und zur Subscription-Box knapp über 100.000. Es gibt anscheinend keine besseren Testimonials als fluchende, heulende Promis.