Produktverbesserung oder Zugriff auf wertvolle Daten: Warum kauft Facebook Giphy?
Renommierte Vertreter der US-Tech-Szene glauben, Facebook will durch die Übernahme von Giphy Wettbewerber ausspionieren
- 25 Prozent von Giphys Traffic kommt über Instagram
- Giphy ist nach eigenen Angaben die zweitgrößte Suchmaschine
- Was ist der Grund für die Übernahme?
- Geht es um Tracking Pixel?
- Macht Giphy Nutzer für Facebook in anderen Apps wieder auffindbar?
- Giphys Standard-SDK ist in 587 Android-Apps integriert
- Große Social Apps wie Tiktok haben offizielle Partnerschaften mit Giphy
- Signal und Telegram dementieren Datenweitergabe an Giphy
- Will Facebook Mitbewerber ausspionieren?
- Israelische App Onavo identifizierte WhatsApp als Übernahmeziel
- Wettbewerbsbehörden untersuchen Onavo
- US-Senatoren kritisieren die Giphy-Übernahme
Facebook kauft Giphy: Es ist nicht das erste Mal, das Facebook ein Unternehmen übernimmt, das quasi keine Umsätze generiert, dafür aber einen extrem stark und häufig genutzten Dienst betreibt. Die nun aufgekaufte GIF-Plattform war sowieso schon stark in Facebooks Apps eingebunden und soll dort nun noch tiefer integriert werden. Aber ist dies der einzige Grund für die Übernahme?
400 Millionen US-Dollar zahlt Facebook für Giphy, wie Axios am Freitagnachmittag vergangener Woche berichtete. Wenig später folgte die Bestätigung des Deals (nicht des kolportierten Kaufpreises) durch Facebook: „Giphy macht tägliche Konversationen unterhaltsamer, deswegen planen wir, ihre GIF-Bibliothek noch stärker in Instagram und unsere anderen Apps zu integrieren und den Menschen damit die genau für sie richtigen Ausdrucksformen zur Verfügung zu stellen“, schreibt Vishal Shah, Produktchef von Instagram, in einem Blog-Post. Die Giphy-Belegschaft werde Teil des Instagram-Teams werden.
25 Prozent von Giphys Traffic kommt über Instagram
Schon zuvor war Giphy tief in Instagram verankert. Wer in Instagrams Story-Kamera-Modus nach GIFs und „Stickern“ sucht, bekommt Ergebnisse von Giphy ausgespielt. Und das tun die Instagram-Nutzer offenbar häufig und viel: „50 Prozent von Giphys Traffic kommt aus Facebooks App-Familie, die Hälfte davon alleine von Instagram“, schreibt Vishal Shah. GIF-Creator, deren bei Giphy hochgeladenen Bilddateien im GIF-Reiter in Instagrams App weit oben rangieren, können über Nacht Millionen von Impressions erhalten.
Nachdem sie zur Anfangszeit des Webs eher ein Merkmal vom geschmacklosem Webdesign waren, haben GIFs im vergangenen Jahrzehnt eine enorme Renaissance erlebt und sind zu einem kaum wegzudenkenden Teil der Netzkultur geworden. Laut Google Trends wird im Netz seit Juni 2015 häufiger nach GIFs gesucht als nach Jesus.
Giphy ist nach eigenen Angaben die zweitgrößte Suchmaschine
Giphy ist vermutlich die meistgenutzte GIF-Bibliothek im Netz. Auf seiner „About“-Seite erklärt das Unternehmen, es liefere täglich mehr als zehn Milliarden Inhalte an mehr als 700 Millionen Nutzer aus. „Wir sind nach Google die zweitgrößte Suchmaschine und bedienen fast eine Milliarde Nutzer pro Tag“, so Gründer und CEO Alex Chung im Oktober 2019.
Den Giphy-Konkurrenten Tenor hat Google bereits im März 2018 gekauft. Damals ließ Tenor verlautbaren, dass das Unternehmen bereits 2017 die Marke von mehr als 300 Millionen Nutzern überschritten habe und monatlich zwölf Milliarden Suchen verzeichne. Noch heute finden sich diese Angaben auf der About-Seite von Tenor. Mittlerweile dürften die Zahlen eigentlich deutlich gestiegen sein, denn Tenor ist auch in Googles Keyboard-App Gboard integriert, die auf manchen Android-Handys als Standard-Eingabeoberfläche installiert ist.
Was ist der Grund für die Übernahme?
Dritte relevanter Player im GIF-Bereich ist die Plattform Gfycat. Deren letzte Angabe zu Nutzerzahlen stammt aus dem April 2018: 180 Millionen Nutzer im Monat verzeichne die Plattform, so CEO Richard Rabbat damals gegenüber Techcrunch.
Nicht unbedingt verwunderlich also, dass sich Facebook mit Giphy den stärksten Anbieter sichert, angesichts der Popularität von GIFs in der Nutzerschaft sowie des Umstandes, dass Giphy sowieso schon stark in Facebooks Plattformen integriert ist. Würde sich ein anderes Unternehmen den Zugriff auf diesen Service sichern, könnte dies möglicherweise zu Folge haben, dass Facebook auf seinen Plattformen GIFs nicht in derselben Breite und mit derselben Usability zur Verfügung stellen könnte. Aber ist dies der einzige Grund für die Übernahme?
Geht es um Tracking Pixel?
Bekannte Figuren aus der US-Tech- und -VC-Szene vermuten andere Motive. „There are two reasons Facebook buys a consumer company. Eyeballs or data“, schreibt Techcrunch-Chefredakteur Matthew Panzarino auf Twitter in einer Reaktion auf den Deal. John Gruber, mit „Daring Fireball“ vermutlich einer der bekanntesten und renommiertesten Apple-Blogger der Welt, greift den Tweet auf und ergänzt ihn um seine eigenen Gedanken: Durch den Deal sei künftig in vielen jener Messaging Apps, die bisher eine Integration von Facebook aus Sicherheits- oder Datenschutzgründen abgelehnt hätten, ein Facebook Tracking Pixel integriert – beispielsweise in der Messaging App von Apple.
Um Grubers Äußerung verstehen zu können, muss man wissen, dass Giphys GIF-Suche in viele andere Plattformen und Apps eingebunden ist. Die Betreiber der Plattform stellen anderen Entwicklern dafür extra eine API, also offene Schnittstelle, sowie ein SDK (Software Development Kit, damit lässt sich ein Dienst noch leichter und besser konfigurierbar in eine andere App integrieren) zur Verfügung.
Macht Giphy Nutzer für Facebook in anderen Apps wieder auffindbar?
Die API und SDK sollen auch nach der Übernahme durch Facebook weiter angeboten werden, nichts werde sich verändern, beeilen sich sowohl Vishal Shah von Instagram als auch das Giphy-Team in einem Blog-Eintrag zum Deal zu versichern. Beide Parteien wollen damit vermutlich Ängste von Entwicklern besänftigen, dass Facebook den Zugang zu Giphys GIF-Bibliothek für sich alleine haben und deswegen für andere kappen wolle.
Einige Vertreter der US-Tech-Szene glauben offenbar, dass es genau umgekehrt dieser Zugang zu anderen Apps und deren Nutzern ist, der Giphy für Facebook so interessant macht. „Da dies jetzt noch wichtiger ist, eine Erinnerung daran, dass Giphys SDK von Entwicklern den Zugriff auf die Tracking ID des jeweiligen Gerätes verlangt“, schreibt Dominik Hofmann, Gründer der Social-Video-App Byte sowie der von Twitter aufgekauften (und mittlerweile eingestellten) Kurz-Video-Plattform Vine nach Bekanntwerden des Deals auf Twitter. Und, zu einem Nutzer, der um eine Erklärung seiner ersten Äußerung bittet: „Facebook kann Mitbewerber und Dich noch besser nachverfolgen.“
Giphys Standard-SDK ist in 587 Android-Apps integriert
Die Device ID, die Hofmann an dieser Stelle meint, ist eine für jedes Smartphone und Tablet einzigartige Nummer. Da Facebook durch die „Family of Apps“ (zu der ja neben Instagram auch WhatsApp zählt) von einer enormen Zahl von Nutzern den persönlichen Namen sowie die Device ID kennen dürfte, wäre es somit theoretisch möglich, über Giphys SDK Nutzer auch in anderen Apps wiederzufinden.
Eine exklusiv für OMR erstellte Auswertung des App-Intelligence-Dienstleisters 42 Matters zeigt, dass das Standard-SDK von Giphy alleine in 587 Android-Apps integriert ist. Darunter finden sich viele Kamera- sowie einige Dating-Apps, aber überraschenderweise auch die App des Bezahldienstes Paypal. In Apples iOS-Welt ist Giphys SDK laut 42 Matters in 91 Apps integriert – u.a. auch in die iOS-Paypal-App, in die Video-Editing-App Unfold und in Dominik Hofmanns Social Video App Byte.
Große Social Apps wie Tiktok haben offizielle Partnerschaften mit Giphy
Nicht aufgeführt in der Auflistung sind andere große Social Apps wie Tiktok, Snap und Twitter – und doch wird, wer diese Apps aktuell nutzt, darin eine Giphy-Integration finden. „Wir können sehen, ob eine App das Standard SDK von Giphy integriert hat, aber viele Firmen wie TikTok und Twitter integrieren Giphy vermutlich auf eine tiefere (und server-controlled) Art und Weise“, sagt 42-Matters-Gründer und -CEO Andrea Girardello. „Twitter beispielsweise hat Giphy auf eine eigene Art eingebunden und kommuniziert mit den Giphy-Servern über JSON.“ Solche individuellen Implementierungen seien, wenn überhaupt, sehr schwer zu erfassen.
„Wir sind in jeder Messaging-App der Welt vertreten, in Snap, Instagram und WhatsApp“, so Giphy-Gründer und -CEO Alex Chung im Dezember 2018 auf einer Konferenz (die Partnerschaft mit und Integration in Tiktok wurde im August 2019 verkündet). „Wir stellen quasi die Obermenge all dieser Firmen da, weil wir in jede von ihnen eingebettet sind. Wir können im Grunde jeden im Internet jederzeit erreichen.“
„Eine Frage: Wenn Ihr eine Messaging App wärt, wie Slack oder iMessage oder Twitter oder Signal, und Giphy integriert hättet – wärt Ihr dann genauso glücklich darüber, dass Eure Nutzungsdaten an Facebook gehen wie als sie noch nur an Giphy gingen?“, fragt Josh Elman vom Venture-Capital-Unternehmen Greylock Partners nach Bekanntwerden der Giphy-Übernahme in einem Tweet. Greylock ist eine der renommierteren VC-Firmen des Silicon Valley. Das Unternehmen war in der Vergangenheit auch an Facebook beteiligt; aktuell beispielsweise an der Messenger-App Discord.
Signal und Telegram dementieren Datenweitergabe an Giphy
Einige Messaging Apps, in die eine GIF-Suche auf Giphy-Basis integriert ist, erklärten nach der Bekanntgabe des Deals, dass keine Nutzerdaten an Facebook weitergegeben werden. So antwortete Telegram auf die entsprechende Frage eines Nutzers auf Twitter, dass Giphy nur den Suchbegriff erfahre – „keine Daten werden geteilt und Giphy weiss nicht, wer ihr seid“.
Die Betreiber von Signal wiesen von sich aus auf Twitter darauf hin, dass sie bereits seit der Integration im Jahr 2017 über einen so genannten Proxy-Server auf die GIF-Plattform zugreifen, wodurch der Datenschutz gewahrt bleibe. „Trotzdem kann man Nutzungsdaten sehen, nur nicht auf individueller Ebene“, tweetet Greylock-VC Josh Elman als Antwort darauf.
Will Facebook Mitbewerber ausspionieren?
Und vermutlich liegt genau darin die große Angst diverser Mitbewerber. Denn Facebook hat mittlerweile eine Historie, Konkurrenten mit zweifelhaften Methoden auszuspionieren – um diese dann entweder aufzukaufen oder deren erfolgreichste Features zu kopieren.
Im Jahr 2013 hatte Facebook die israelische App-Entwicklungsfirma Onavo übernommen. Die bot in den App Stores u.a. eine App zum Download an, mit der die Nutzer ein „Virtual Private Network“ nutzen und so ihre Daten im Netz über einen Dritt-Server schicken konnten. Das soll eigentlich mehr Sicherheit und Datenschutz gewährleisten – doch wie das Wall Street Journal im Jahr 2017 erstmals berichtete (Paywall), schnitt Facebook den gesamten Netzwerk-Traffic mit und wertete ihn daraufhin aus, welche Apps und Features bei Nutzern gerade besonders beliebt sind. Für die Nutzer sei dies nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen.
Israelische App Onavo identifizierte WhatsApp als Übernahmeziel
Auf Basis der mittels Onavo gewonnen Erkenntnisse soll Facebook beispielsweise WhatsApp aufgekauft haben. Vertrauliche Facebook-Dokumente, die britische Behörden im Jahr 2018 öffentlich gemacht haben, zeigen, dass Facebook mittels Onavo herausgefunden hatte, dass US-Nutzer über WhatsApp deutlich mehr Nachrichten verschicken als über das eigene Produkt Facebook Messenger.
Auch die Entwicklung von Snapchat soll Facebook mit Hilfe von Onavo beobachtet haben. Nachdem Snapchat ein Übernahmeangebot in Höhe von drei Milliarden US-Dollar ausgeschlagen hatte, kopierte Facebook mit Instagram das Stories Feature von Snapchat.
Wettbewerbsbehörden untersuchen Onavo
Möglicherweise basiert auch ein weiteres Instagram Feature auf Erkenntnissen aus Onavo-Daten: Boomerangs, Mini-Videos, die vorwärts und rückwärts und (ähnlich wie GIFs) in Schleife abgespielt werden. Das Startup Phhhoto hatte 2014 ein ähnliches Feature erfunden. Die App gewann zehn Millionen Nutzer – und wurde dann von Instagram kopiert. 2017 wurde Phhhoto eingestellt.
Im Februar 2019 hat Facebook nach mehrfacher kritischer Berichterstattung die Onavo-App aus den App Stores gelöscht. Trotzdem beschäftigt sie auch aktuell immer noch die Wettbewerbsbehörden – sowohl in den USA als auch in Europa.
US-Senatoren kritisieren die Giphy-Übernahme
Auch die Giphy-Übernahme hat Facebook ein weiteres Mal in den Fokus der Politik gerückt: Wie The Verge berichtet haben nach Bekanntwerden der Transaktion drei US-Senatoren kartellrechtliche Bedenken angemeldet – darunter die demokratischen Senatorinnen Amy Klobuchar und Elizabeth Warren, die bei der nächsten Wahl für das Präsidentschaftsamt hatten kandidieren wollen.
Instagram CEO Adam Mosseri hat gegenüber Axios derweil bestritten, dass Daten der Grund für die Übernahme von Giphy seien: „Dass immer so viele gleich an Daten denken, zeigt mir, wie wichtig Datenschutz ist, aber auch, wie Dinge häufig zu sehr vereinfacht werden.“ Gründe für die Übernahme seien vielmehr gewesen, Giphy durch die Übernahme am Laufen halten zu können, das Creator-Ökosystem der Plattform sowie Erkenntnisse darüber zu erhalten, welche GIFs gerade besonders beliebt seien.
Update, 22. Mai Wir haben den Artikel um Infos zu der Zahl der Giphy-SDK-Integrationen im iOS-Umfeld sowie ein Zitat von 42-Matters-CEO Andrea Girardello ergänzt.