Wie Tiktok mit dem Phänomen #Booktok die Frankfurter Buchmesse verändert hat

Florian Rinke2.11.2023

Junge Frauen lesen wieder mehr Bücher – auch dank der Internet-Plattform

Das Thema #Booktok war in diesem Jahr auf der Buchmesse sehr präsent
Das Thema #Booktok war in diesem Jahr auf der Buchmesse sehr präsent. Foto: Frankfurter Buchmesse
Inhalt
  1. 190 Milliarden Aufrufe für #booktok
  2. Tiktok verleiht erstmals einen Preis auf der Buchmesse
  3. 43 Millionen Views bei Tiktok
  4. Junge Menschen kaufen mehr Bücher
  5. Allein 2022 erschienen 64.000 neue Bücher in Deutschland
  6. Fünf Mal so viele Views, vier Mal so viele Reactions
  7. Zwei Preisverleihungen im Rahmen einer Messe

Das Phänomen Booktok hat die Verlagswelt verändert. Die Tiktok-Community kann Bücher zu Bestsellern machen und wird sogar im Vorfeld von Neuerscheinungen bereits in die Buch-Entwicklung einbezogen. Bei der Frankfurter Buchmesse konnte man erleben, wie stark Tiktok die Branche prägt und verändert. Und dabei werden sogar altbekannte Institutionen infrage gestellt.

Jana Crämer hat ihn, den roten Aufkleber: "Spiegel-Bestseller" prangt auf ihrem Buch "Jana, 39, ungeküsst", in dem sie anhand ihrer eigenen Geschichte Themen wie Mobbing und Body-Shaming thematisiert. "Spiegel-Bestseller", das ist noch immer eine Insignie des Erfolgs. Seit 1961 veröffentlicht das Nachrichtenmagazin eine Übersicht der erfolgreichsten Bücher. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr Kategorien hinzu. Aber das Gefühl bei vielen Autor*innen, es geschafft zu haben, wenn ihre Bücher den Aufkleber bekommen – das blieb.

Noch, muss man vielleicht sagen. Denn auf Jana Crämers Mutmach-Geschichte klebt noch ein zweiter Aufkleber, oben rechts, direkt unter ihrem Namen. Und der zeigt, dass sich gerade etwas verändert in der Buchwelt. Und zwar in rasanter Geschwindigkeit. Denn plötzlich gibt es eine neue Währung für Erfolg, abseits von Spiegel-Bestseller-Listen und positiven Besprechungen im Feuilleton von FAZ oder Zeit. "Booktok Bestseller" steht auf dem schwarzen Aufkleber auf Jana Crämers Buch, direkt darunter ist das Logo des Netzwerks Tiktok abgebildet.

190 Milliarden Aufrufe für #booktok

Booktok – so heißt der Hashtag auf Tiktok, der spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie trendet. Mehr als 190 Milliarden Aufrufe verzeichnen Videos mit diesem Hashtag inzwischen – innerhalb von nur einem Jahr hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Der Name ist eine Anspielung auf die in den Zehnerjahren groß gewordenen Vorläufer "Booktube" und "Bookstagram", Buch-Communities auf Youtube oder Instagram. Millionen Menschen empfahlen, präsentierten oder kommentierten dort verschiedene literarische Werke. Doch nun hat auch die überwiegend junge Community auf Tiktok Bücher für sich entdeckt und man lehnt sich vermutlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man sagt: Booktok ist ein Booster für bestimmte Segmente im Buchhandel (das Phänomen Booktok haben wir hier schon mal ausführlich dargestellt).

In großen Buchhandlungen gibt es inzwischen Booktok-Büchertische, auf denen die aktuell angesagten Bücher präsentiert werden, bei Amazon werden Bücher bereits gezielt mit "Booktok" verschlagwortet oder bereits im Titel mit Sätzen wie "Ganz Booktok spricht über Lucy Score!" beworben. Tiktok wiederum gibt seit April gemeinsam mit Media Control monatlich die "Booktok-Bestsellerliste" heraus und macht dem Spiegel auch in diesem Feld Konkurrenz. Und auch auf der kürzlich zu Ende gegangenen Frankfurter Buchmesse konnte man erleben, welche Bedeutung Booktok für die Buchbranche einerseits, aber auch für Tiktok andererseits inzwischen hat.

Tiktok verleiht erstmals einen Preis auf der Buchmesse

Im vergangenen Jahr hatten die Messe und Tiktok eine Partnerschaft vereinbart und ein Bühnenprogramm zusammengestellt, das auch live über die App gestreamt wurde. In diesem Jahr hat das chinesische Unternehmen seine Präsenz noch einmal deutlich ausgebaut, war mit eigenem Stand vertreten und hat auch abseits des eigenen Standes für viel Gesprächsstoff gesorgt. "In gewisser Weise war #BookTok in diesem Jahr omnipräsent – es war bei allen Verlagen ein Thema, besonders bei den jüngeren BesucherInnen kommen immer Referenzen zu oder Fragen nach Tiktok", sagt Veronika Meijerhof, Head of Digital Marketing beim Dtv-Verlag. Und natürlich hätten auch die Awards für viel Gesprächsstoff im Vorfeld der Messe gesorgt.

TikTokBookAward 1.jpeg

Die Awards – das war die nächste Premiere, die es in diesem Jahr gab. Denn die Plattform hat mit dem "Tiktok Book Award" sogar einen eigenen Preis verliehen. Die Kategorien sind dabei eng an die digitale Welt angelehnt, wie Kategorien wie "Community Buch des Jahres" zeigen. Und auch bei den nominierten Autor*innen und Büchern zeigt sich stark der Fokus auf Genres wie Fantasy, Romantasy und Romance – wobei Nominierungen von Verlagen wie Kiepenheuer&Witsch oder Suhrkamp zeigen, dass der Blick auf den Buchmarkt deutlich breiter ist.

43 Millionen Views bei Tiktok

Beispiele wie die Preisträgerinnen in der Kategorie "Booktok Autor*in des Jahres" zeigen jedoch, wie Autorinnen beide Welten bespielen können bzw. diese auch wechselseitig aufeinander einzahlen. Denn Jana Crämer ist nicht nur als Schriftstellerin erfolgreich, sondern auch auf den großen Digitalplattformen. Mehr als 600.000 Follower*innen hat Jana Crämer allein bei Tiktok, ihre Videos wurden mehr als 43 Millionen mal gesehen.

"Ich habe eher als Test ein einziges Tiktok hochgeladen und bereits am nächsten Tag erkannten mich unzählige Menschen auf der Straße, bedankten sich für meine Worte, interessierten sich für meine Bücher und Auftritte", schreibt Jana Crämer auf eine Anfrage von OMR. Der Award sei für sie eine unglaubliche Wertschätzung – zumal er nicht nur von einer Expert*innen-Jury, sondern auch der Booktok-Community vergeben wurde.

Junge Menschen kaufen mehr Bücher

Für die Verlage ist diese Booktok-Community dabei extrem attraktiv. Sie ist jung, weiblich und kauft gerne gedruckte Bücher in Buchgeschäften – dass es eine solche Spezies überhaupt gibt, hätten viele Verlagsmanager*innen bis vor einigen Jahren wohl kaum für möglich gehalten. Zuletzt zeigte auch eine Analyse der Gesellschaft für Konsumforschung (Gfk), dass junge Menschen als Kundengruppe relevanter werden. So stieg die Kaufintensität bei den 16- bis 19-Jährigen zwischen 2017 und 2022 um 58,9 Prozent. Das bedeutet: Wurden 2017 noch 7,5 Bücher im Schnitt jährlich von Menschen in dieser Zielgruppe gekauft, waren es 2022 bereits 12,0.

Ein Teil dieses Erfolgs könnte auch mit Booktok zusammenhängen. Denn ein Tiktok-Sprecher betont: "Wenn ein Buch auf der Plattform im Trend liegt, spiegelt sich das oft in den Verkaufszahlen wider." Noch beschränkt sich diese Aussage zwar überwiegend auf Verkäufe in jüngeren Zielgruppen. Doch in der Branche geht man davon aus, dass nach und nach auch ältere Nutzer*innen auf der Plattform aktiv sein könnten – und das Phänomen Booktok damit in neue Zielgruppen überschwappt.

Allein 2022 erschienen 64.000 neue Bücher in Deutschland

Gleichzeitig helfen die Booktok-Beiträge, Bücher bekannt zu machen und aus der Flut an Neuerscheinungen herauszustechen. Denn allein in Deutschland sind im vergangenen Jahr mehr als 64.000 neue Bücher erschienen. Bestseller werden davon nur die wenigen (wie schwierig das Geschäft ist, hat kürzlich auch Ex-Random-House-Chef Markus Dohle im OMR Podcast erklärt).

Bei Dtv erstellt das Team um Digitalchefin Veronika Meijerhof daher inzwischen speziell Inhalte für Tiktok. Die Reichweite des Verlags bei Instagram ist zwar aktuell noch größer, doch der Wert beider Plattformen ist für das Team so groß, dass es sowohl Tiktok als auch Instagram mit individuellen Inhalten bedient. Das sei auch nötig, sagt Veronika Meijerhof: "Wir stellen uns hier sehr auf die Nutzer*innen und die Plattform ein, weil wir festgestellt haben, dass der Content sonst nicht gut funktioniert."

Fünf Mal so viele Views, vier Mal so viele Reactions

Dtv, das bei den Tiktok-Awards in der Kategorie "Verlag des Jahres" gewonnen hat, geht mitunter sogar noch weiter. Feedback aus der Booktok-Community fließe inzwischen sogar oft in Entscheidungen ein, was Formate, Ausstattung oder Farbschnitte von Büchern betrifft, sagt Veronika Meijerhof.

Über die Bedeutung des Tiktok-Awards, den Tiktok in Deutschland als zweitem Markt nach dem Vereinigten Königreich eingeführt hat, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Für Dtv hat sich die Auszeichnung zumindest kurzfristig ausgezahlt. Am Tag nach dem Award habe man fünf Mal so viele Views bei Tiktok gehabt wie in den Tagen zuvor und drei bis vier Mal so viele Reactions.

Zwei Preisverleihungen im Rahmen einer Messe

Bei Bastei Lübbe, dessen Verlagstochter One ebenfalls nominiert war, ist man verhaltener. "Der erstmalig vergebene TikTok Book Award hatte nicht den Nachhall, den wir erwartet hatten und wurde in der Community eher kontrovers diskutiert. Schauen wir mal, wie er sich weiterentwickelt", sagt Janni Deitenbach, die beim Kölner Verlag das Community Management leitet. In der Booktok-Community wurde speziell die Besetzung der Jury teilweise kontrovers diskutiert.

Dass es zu einer Art Preis-Inflation kommt, weil parallel zur Messe bereits der renommierte Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen wird, glaubt man zumindest bei der Frankfurter Messe indes nicht. "Das sind unterschiedliche Zielgruppen, die beide jedoch die Vielfalt der heutigen Buchbranche und Bedeutung der Literatur beweisen", teilt die Messe mit.

Dort ist man mit der Zusammenarbeit mit Tiktok insgesamt sehr zufrieden – und dass diese fortgesetzt wird, scheint zumindest unter Branchenbeobachter*innen Konsens zu sein. Interessant wird sein, wie die Präsenz von Tiktok in Frankfurt dann aussieht. Denn bei der Tiktok-Mutter Bytedance hat man das Phänomen Booktok natürlich auch registriert und bereitet offenbar den nächsten Schritt vor: Zuletzt gab es Berichte, dass Bytedance in den USA einen eigenen Verlag aufbaut und Autor*innen bereits mit Angeboten lockt. Für Verlage wäre Tiktok dann nicht nur eine große Chance – sondern plötzlich auch Konkurrent.

TikTok
Florian Rinke
Autor*In
Florian Rinke

Florian Rinke ist Host des Podcast "OMR Rabbit Hole" und verantwortet in der OMR-Redaktion den "OMR Podcast". Vor seinem Wechsel Anfang 2022 zu OMR berichtete er mehr als sieben Jahre lang für die Rheinische Post über Start-ups und Digitalpolitik und baute die Rubrik „RP-Gründerzeit“ auf. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland".

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