#Booktok: Dieser Tiktok-Trend beflügelt die Buchindustrie

Florian Heide17.6.2022

Mit dieser Community werden Autor:innen zu Stars und Klassiker erleben ihr Revival

Booktoker
Booktok-Autorinnen bei der Arbeit: Maren Vivien Haase (v.l.n.r.), Colleen Hoover, Alex Aster
Inhalt
  1. Alter Trend auf neuer Plattform
  2. Rekordverkäufe in den USA
  3. So nutzen junge Autor:innen den Trend
  4. Aufholen auf Amazon
  5. Booktok-Regale in den Filialen
  6. Erfolg für alle – aber zu welchem Preis?

Auf Tiktok empfehlen Millionen von Leser:innen unter dem Hashtag #Booktok ihre Lieblingsbücher, fast 60 Milliarden mal wurde er bisher aufgerufen. Längst hat auch die Buchindustrie gemerkt, welche Schlagkraft dahintersteckt. Und manche haben bereits herausgefunden, wie sie das Hashtag für ihr eigenes Marketing verwenden können.

Alle Hundert Jahre findet in Lightlark ein unerbittlicher Kampf statt. Sechs Herrscher lassen ihre besten Kämpfer gegeneinander antreten, um endlich frei zu sein von jenem Fluch, den jedes der Reiche heimsucht. Die Herrscher wissen: Einer von ihnen muss dabei sterben.

Alter Trend auf neuer Plattform

Als die 25-jährige Alex Aster im März vergangenen Jahres diese grundlegende Idee für ihren neuen Roman als Tiktok-Video unter dem Hashtag #booktok postet, sind ihre Fans außer sich vor Freude. Bis heute verzeichnet es über 350.000 Likes und 8.000 Kommentare. Aster erhält kurz darauf ein Angebot von einem Buchverlag, er bietet ihr eine sechsstellige Summe, wenn sie den Roman dort veröffentlicht.

Alex Asters Erfolg zählt zu den beeindruckendsten Beispielen für die Power von Booktok. Seit Beginn der Pandemie trendet der gleichnamige Hashtag auf Tiktok. Der Name ist eine Anspielung auf die beiden Vorläufer “Booktube” und “Bookstagram”. Darunter formierten sich in den Zehnerjahren zunächst auf Youtube und später auf Instagram gigantische Buch-Communities. Millionen Menschen empfahlen, rezensierten, kommentierten, weinten und lachten dort über die von ihnen so geliebten oder verhassten literarische Werke. Und sorgten so bei Verlagen und Buchhändlern für klingelnde Kassen.

Rekordverkäufe in den USA

Seit Beginn der Pandemie, so scheint es, hat diese Community in Tiktok eine neue Heimat gefunden. Überwiegend junge Frauen stapeln ihre Must-Reads für andere vor der Kamera, oder veranstalten sogenannte “Hauls”, in denen sie ihre neu gekauften Bücher vorstellen. Beliebt sind bei der Tiktok-Zielgruppe vor allem Fantasyliteratur, Liebesgeschichten und Young Adult Romane, also Bücher für junge Heranwachsende.

Videos mit Titeln wie “All my five star reads of 2021” oder “Books I wish I could read for the first time again” werden millionenfach aufgerufen und die Stars der Szene, Buch-Influencer:innen wie “caitsbooks”, “lauryns_library” oder die Deutsche Saskia Papen alias “pastellpages”, bestimmen längst mit, welche Bücher gerade von tausenden Menschen gelesen werden.

So nutzen junge Autor:innen den Trend

Creator:innen wie Papen haben sich mit Hilfe der Booktok-Community eine ansehnliche Followerschaft aufgebaut. Die Bedeutung, die von dem Hashtag mit mittlerweile fast 60 Milliarden Aufrufen ausgeht, hat aber nicht nur Leser:innen auf den Plan gerufen. Auch die ersten jungen Autor:innen wissen den Trend für sich zu nutzen.

Eine von ihnen ist Maren Vivien Haase aus Freiburg im Schwarzwald. Ihr Debütroman “Dance into my world” erschien im September 2021. Ihre Bücher sind im Young Adult Genre angesiedelt, also jene Bücher, deren Leserschaft sich vor allem auf Tiktok versammelt.

Sie habe zeitgleich zu ihrem Debüt beobachtet, wie die US-Autorin Colleen Hoover auf Tiktok “durch die Decke gegangen” sei. Hoover, die bereits seit zehn Jahren Romane veröffentlicht, zählt zu den bekanntesten Autor:innen auf Tiktok, ihre Bestseller gehören zum Standard-Repertoire der Booktok-Empfehlungen. Ihr Buch “It Ends With Us” war im vergangenen Jahr das zweitmeistverkaufte Buch in den USA. Allein der Hashtag #colleenhoover verzeichnet 1,2 Milliarden Aufrufe. “Als ich das gesehen habe, habe ich gemerkt, dass ich damit auch loslegen muss”, sagt Haase gegenüber OMR.

Aufholen auf Amazon

Tiktok habe für sie den Vorteil, dass sie dort vor allem Leute erreiche, die ihre Bücher noch nicht kennen. Außerdem komme es dort weniger als bei Instagram darauf an, dass der Content professionell aussieht. “Da kann ich einfach witzig sein”, sagt sie.

Um sich ihre neue Leserschaft zu erschließen, habe sie anfangs besonders darauf geachtet, was auf der Plattform gerade angesagt ist, etwa welche Challenges gerade trenden oder welcher Sound oft zu hören ist, und habe versucht das in Beziehung zu ihren Büchern zu bringen. Mittlerweile, sagt sie, geht es mehr um Haase als Person. In ihren Videos gibt die Autorin Einblicke in ihr Leben, sie zeigt, wie ihre Bücher entstehen, nimmt Fans zu Signierstunden oder auf die Frankfurter Buchmesse mit.

Bisher hat Haase so rund 6.000 Follower generiert, mehrere Videos wurden über 100.000 Mal abgerufen. Zwar ist sie mit Hilfe ihres Contents noch nicht wie Colleen Hoover auf der New York Times Bestsellerliste gelandet. Aber immerhin: Nach einem Tiktok-Video, in dem sie den farbigen Buchschnitt ihrer kommenden Buchserie zeigte, sei sie mit den Vorbestellungen im Amazon-Produktranking in der Kategorie „Bücher“ von Platz 270.000 auf Platz 5.550 gestiegen.

Booktok-Regale in den Filialen

Der Erfolg einzelner Autor:innen blieb auch stationären Buchhändlern wie Thalia nicht verborgen. Das Unternehmen aus Hagen ist mit über 300 Filialen der größte Buchhandel Deutschlands. “Wir verfolgen den Boom um Booktok seit rund einem Jahr sehr aufmerksam, denn besonders für die jüngere Zielgruppe sind die Trends ein wichtiger Impulsgeber”, sagt Pressespecherin Julia Benkel gegenüber OMR.

In deren Filialen gäbe es bereits eine besondere Kuratierung für Booktok-Trendbücher, auch stünden Überlegungen an, Booktok-Regale einzurichten, wie etwa in den Filialen der US-Buchhandlung Barnes & Noble. Und im Thalia-Online-Shop ist bereits die Booktok-Kategorie auswählbar.

Für die Händler hat Tiktok nicht nur den Vorteil, dass die Bücher neuer Autor:innen besonders nachgefragt sind. “Zum Teil werden auch ältere Titel, die keine Neuerscheinungen mehr sind, wieder in die Bestsellerlisten gebracht”, sagt Benkel. In den USA hat jüngst der 2012 erschienene Roman “The Song of Achilles” für Aufruhr gesorgt. Die Neuinterpretation von Homers Ilias von Madeleine Miller hat es dank Tiktok unerwartet zum viertmeistverkauften Adult Fiction Buch des Jahres 2021 gebracht.

Erfolg für alle – aber zu welchem Preis?

Die Booktok-Community, so scheint es zumindest, erfüllt die Bedürfnisse aller: Leser:innen, Autor:innen, Verlage und der Buchhandel erfreuen sich an der Popularität neuer und alter Literatur. Dass ganze Industrien allerdings auch einen hohen Preis dafür zahlen müssen, wenn Tiktok ihnen zu Wachstum verhilft, lässt sich gerade an der Musikindustrie beobachten. Dort gilt Tiktok seit Jahren als Hitmaschine und Karrieresprungbrett für Künstler:innen. Rund ein Viertel der 200 meistgestreamten Songs in den USA aus dem vergangenen Jahr sind maßgeblich durch Tiktok berühmt geworden.

Tiktok ist sich der einflussreichen Position in der Musikindustrie bewusst und beherrscht mittlerweile große Teile des Musik-Werbemarkts (OMR berichtete). Das hat Folgen für die Industrie: Plattenfirmen versuchen mit Fake-Videos virale Tiktok-Hits zu erzeugen, Musiker:innen wie Ed Sheeran berichten, von ihrem Label gedrängt zu werden, Tiktok-Promo für das eigene Album zu machen. Große Labels sehen sich drastischen Einbrüchen in ihrem Marktanteil ausgesetzt.

Hält sich der Booktok-Trend noch eine Weile, könnte dem Buchmarkt ein ähnliches Schicksal drohen. Nicht für alle ist das zum Nachteil: Für Junge Autor:innen ist Booktok eine echte Chance, auch ohne einen großen Verlag erfolgreich zu sein. Sofern es nach den Regeln von Tiktok verfasst und entsprechend vermarktet wird, natürlich.

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Florian Heide
Autor*In
Florian Heide

Florian arbeitet seit fast zehn Jahren als Print-Journalist. Angefangen beim Lokalblatt, später als Praktikant und Freelancer für DIE ZEIT und GEO. Seit 2020 ist er Redakteur bei OMR, wo er über Startups, Viraltrends, den Wandel von Social Media Plattformen und neue Technologien berichtet. Er hat nie Bargeld dabei und verbringt die Wochenenden am liebsten weit weg von Technologie in der Natur.

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