So will „The Athletic“ mit Paid Content von US-Sport lokale Zeitungen ausbluten lassen
Der Publisher konnte seit Launch Anfang 2016 fast 30 Millionen US-Dollar Fremdkapital einsammeln
- So will The Athletic den Sport-Journalismus verändern
- Vier Finanzierungsrunden in weniger als zwei Jahren
- Prominente Journalisten als (Traffic-) Zugpferde
- „No ads, no clickbait – only stories with substance“
- Starkes Traffic-Wachstum in kurzer Zeit
- Verdient The Athletic schon genug Geld?
„The Athletic“ ist zwar nicht der erste junge Digital-Publisher, der in seiner Nische komplett auf Paid Content setzt. Das Traffic-Wachstum sowie das Tempo, mit dem namhafte Journalisten eingestellt werden, dürfte allerdings einmalig sein. Im Januar 2016 in Chicago als Lokal-Medium für US-Sport gestartet, deckt das Unternehmen inzwischen beispielsweise auch Premiere League, La Liga und Champions League ab. OMR erklärt das gewagte Geschäftsmodell – und wie „The Athletic“ zum Netflix für Sport-News werden will.
„Ausbluten lassen“ in der Headline ist hart formuliert? Obwohl das klassische Geschäft mit gedruckten Zeitungen am Aussterben ist: Stimmt, das ist hart formuliert. Ursprünglich stammt das Zitat allerdings von Alex Mather, einem von zwei The Athletic-Gründern. „We will wait every local paper out and let them continuously bleed until we are the last ones standing“, sagt er im Oktober 2017 in einem Interview mit der New York Times. Und weiter: „We will suck them dry of their best talent every moment. We will make business extremely difficult for them.“
Harte, aggressive Worte. Und auch wenn Mather noch am Tag der Veröffentlichung des Interviews ein wenig relativiert, steht er zu seiner Kampfansage. Im Medienbereich zu überleben, sei sehr schwierig. Man müsse kämpfen – und das werde The Athletic auch tun.
So will The Athletic den Sport-Journalismus verändern
Dieser Kampf beginnt bei The Athletic schon bei der Gründung Ende 2015 und der Entscheidung, ausschließlich auf ein Subscription-Modell zu setzen. Jeglicher Content befindet sich hinter einer Paywall. Der Anspruch an die eigenen Inhalte ist von Beginn an riesig: „World-class sportswriting you can’t find anywhere else“, heißt es beispielsweise in der Willkommens-Mail, die User nach der Registrierung erhalten. Die Autoren von The Athletic hätten die Freiheit, um tiefer in Themen einzusteigen, smartere Analysen zu erstellen und so einmaligen Content zu erstellen. Das Ergebnis: „So, you’ll enjoy some of the highest-quality sports writing in the industry.“
Das wollen die Gründer Alex Mather und Adam Hansmann realisieren, indem sie dutzende namhafte Journalisten anheuern. Das Duo war vor der Gründung einige Jahre bei Strava tätig, einer Art Social Network für sportliche Aktivitäten. Während Mather bei The Athletic wie schon zuvor in seinem Berufsleben eher die Bereiche Produktdesign und User Experience verantworten dürfte, übernimmt Hansmann, unter anderem mal Business Analyst bei McKinsey.
Vier Finanzierungsrunden in weniger als zwei Jahren
In diesen Bereich fällt vermutlich auch, ausreichend Kapital aufzutreiben, um das alles andere als risikoarme Geschäftsmodell von The Athletic voranzutreiben. Denn die Wette ist groß: keine Anzeigen, keine Sponsoren, Einnahmen ausschließlich über die kostenpflichtigen Mitgliedschaften. Je nach gewählter Laufzeit und dem Nutzen verschiedener Rabattaktionen bezahlt ein Nutzer aktuell zwischen 47,99 und maximal 119,88 US-Dollar pro Jahr. Der von Usern gezahlte Durchschnittspreis dürfte irgendwo in der Mitte bei rund 80 US-Dollar liegen.
Besonders vor dem Launch stehen kostenpflichtige Subscription-Modelle vor großen Herausforderungen. Auf der einen Seite gibt es weder eine funktionierende Community, keine zahlenden Kunden und damit keine regelmäßigen Einnahmen, mit denen kalkuliert werden kann. Auf der anderen Seite ist es gerade in dieser Phase unumgänglich, hochwertigen und im Idealfall exklusiven Content zu produzieren – also qualifizierte und erfahrene Journalisten von der Wette zu überzeugen und anzustellen.
Genau dieser Clou ist Alex Mather und Adam Hansmann auf jeden Fall schon gelungen. In vier Runden – zweimal Seed, Serie A und Serie B – konnten die Gründer Investoren überzeugen, insgesamt rund 27,7 Millionen US-Dollar Kapital zur Verfügung zu stellen. Die jüngste Runde über 20 Millionen US-Dollar von Evolution Media (u.a. OneFootball, Masterclass) und LionTree Partners (u.a. Artsy, Gimlet Media) erfolgte Anfang März 2018. Zuvor waren bereits VCs wie Y Combinator, Advancit Capital und BDMI (Bertelsmann-Tochter) eingestiegen.
Prominente Journalisten als (Traffic-) Zugpferde
Neben der Akquise von Investoren scheint auch das Anwerben von passenden und vor allem in der jeweiligen Nische bereits bekannten Journalisten und Redakteuren gut zu funktionieren. Im August dieses Jahres beispielsweise sei fast kein Tag vergangen, ohne dass nicht mindestens ein Neuzugang von The Athletic vorgestellt worden sei. So entsteht von außen zumindest der Eindruck, dass das Unternehmen tatsächlich dabei ist, einen neuen Standard von Sport-Journalismus zu schaffen, wie es auf der Startseite des Publishers heißt.
Das „all-star team of writers“ besteht in der Tat aus einer ganzen Reihe namhafter Journalisten, die eine große Eigenreichweite mitbringen. So zählen beispielsweise Jay Glazer (Football, 1,12 Millionen Twitter-Follower) Ken Rosenthal (Baseball, 968.000 Twitter-Follower), Peter Gammons (Baseball, 591.000 Twitter-Follwer) und Shams Charania (Basketball, 376.000 Twitter-Follower) zum Team der Redakteure, die regelmäßig für The Athletic schreiben. In der Regel konzentrieren sie sich auf jeweils ein Spezialgebiet wie Ligen, eine der rund 40 Städte oder Sportarten.
„No ads, no clickbait – only stories with substance“
Insgesamt über 300 Journalisten sollen heute – nach dem Start der aktuellen NFL- und College Football-Saison – für The Athletic schreiben. Vor rund elf Monaten sollen es noch 65 Redakteure gewesen sein. Neben der starken Reichweite der Personal Brands betreibt The Athletic für viele Städte oder Ligen eigene Facebook- und Twitteraccounts. Diese dürften allerdings lange nicht so Traffic-relevant sein, wie die Accounts der Journalisten. Die Profile für Chicago beispielsweise – der Launch-Stadt von The Athletic – kommen nur auf 22.600 Fans und 29.000 Follower.
Ein weiterer Reichweiten- beziehungsweise Vertriebs-Kanal für den Sport-Publisher sind Newsletter. Schon nach einer abgebrochenen Registrierung ohne Eingabe von Kreditkarten-Daten werden Nutzer per Mail daran erinnert, den Vorgang abzuschließen. In einer ersten Nachricht bietet The Athletic dem potenziellem User 20 Prozent Rabatt an, wenn die siebentätige kostenlose Testphase abgelaufen ist. Die zweite Mail wirbt für die The-Athletic-App, in der dritten werden bereits Inhalte und Storys angeteasert, als wäre man schon Mitglied mit Zugriff auf die Artikel. Registrierte User können in der Account-Verwaltung aus täglichen, wöchentlichen sowie Breaking-News-Newslettern auswählen. Die Inhalte orientieren sich dabei an den auswählbaren Teams in der Account-Verwaltung.
Um die Weiterempfehlungs-Rate innerhalb der Community zu erhöhen, bietet The Athletic nach erprobtem Modell ein eigenes zweiseitigesRefer-A-Friend-Programm an. Für ein über den personalisierten Link abgeschlossenes Jahresabo erhält der Werbende einen Amazon-Gutschein in Höhe von zehn US-Dollar, der Geworbene darf sich über 25 Prozent Rabatt freuen. Außerdem verkauft der Publisher Gutscheinkarten für Abonnements über sechs Monate, ein und zwei Jahre Laufzeit. Studenten haben Zugang zu einer gesonderten, um die Hälfte des Preises reduzierten Mitgliedschaft.
Starkes Traffic-Wachstum in kurzer Zeit
Laut dem Statistik-Tool Similarweb wächst der Traffic von The Athletic vor allem seit Sommer 2017 (Zeitpunkt der Serie A-Runde) deutlich. Demnach stiegen die Visits von 526.000 im Juni 2017 auf 6,4 Millionen im August 2018. Über 80 Prozent des Traffics kommen aktuell noch aus den USA, gefolgt von rund zwölf Prozent aus Kanada und einem Prozent aus Großbritannien. 50 Prozent aller Seitenaufrufe kommen durch direkte Zugriffe zustande, rund 30 Prozent stammen aus sozialen Netzwerken (hauptsächlich Twitter). Da The Athletic den Google Analytics-Accounts mit Similarweb verknüpft hat, dürften alle Werte sehr realistisch sein.
Die The-Athletic-App, die ähnlich wie die Desktop-Version Inhalte entsprechend der persönlichen Einstellungen als Newsfeed anordnet, erlebt seit Juni 2018 einen leichten Aufschwung. Insgesamt wurde die iOS-Version laut Statistikdienst Prioridata 314.000 Mal heruntergeladen, davon stammen rund 73.500 Downloads aus Juli 2018. Ähnlich sieht das Verhältnis bei Android aus: Von insgesamt knapp 180.000 Downloads stammen über 62.000 aus dem Juli 2018.
Verdient The Athletic schon genug Geld?
Obwohl The Athletic laut New York Times so schnell wächst, wie kein anderes Sportmedien-Unternehmen in jüngerer Vergangenheit, bleibt die Frage, wie lange Kapital und Einnahmen durch Mitgliedschaften ausreichen, um den harten Wachstumskurs weiterzuverfolgen. Einem Investor zufolge sei die Company schon heute mehrere hundert Millionen US-Dollar wert.
Laut einer Sprecherin von The Athletic habe der Publisher deutlich über 100.000 Mitglieder, die im Schnitt rund fünf US-Dollar pro Monat zahlen. Das wären mindestens sechs Millionen US-Dollar Umsatz pro Jahr, je nach Interpretation von „deutlich über“ vielleicht auch schon fast acht Millionen. Das ist für ein so junges Medienprodukt auf jeden Fall beachtlich, dürfte allerdings kaum die laufenden Kosten, die durch Technik, Expansion und vor allem namhafte Journalisten entstehen, decken. Die zwei Gründer glauben allerdings fest an The Athletic. Sie sind sich sicher, dass es Millionen von Hardcore-Sportfans gibt, die bereit sind, für Artikel zu zahlen. Die nationalen und lokalen Sportredaktionen der USA sind währenddessen weniger gut auf das Projekt zu sprechen – schließlich wirbt die Company fleißig und aggressiv weiter Redakteure ab.