Das Millionengeschäft mit der perfekten Leggings

Tanja Karrasch21.11.2024

Der Hype um Scrunch-Leggings und Mode fürs Fitnessstudio beschert jungen DTC-Marken beachtliche Gewinne. Doch der Markt ist hart umkämpft.

Scrunchleggings
Sogenannte Scrunch-Leggings sorgen für eine Art Push-up für den Po. Foto: Teveo
Inhalt
  1. Ein hart umkämpfter Markt
  2. Gymshark hat Unicorn-Status
  3. Auch Oace ist auf Wachstumskurs
  4. Geschäft mit hohen Margen – aber auch Risiken
  5. Neue Wege im Supplement-Business
  6. Oder doch Einzelhandel?

In Fitnessstudios, Pilateskursen und auf Social Media gibt es an einem Mode-Phänomen kein Vorbeikommen mehr: Scrunch-Leggings. Die enganliegenden Leggings versprechen Bewegungsfreiheit und Komfort beim Sport. Vor allem aber dienen sie dazu, Trainingsergebnisse gebührend zu präsentieren, indem sie den Po pushen, formen und in Szene setzen. Von dem Boom profitieren junge DTC-Marken, die mit Leggings, Sport-BHs, Hoodies und Co. Millionenumsätze erzielen. Etablierte Riesen wie Nike und Adidas geraten in diesem Segment hingegen ins Hintertreffen. 

In Ansbach, einer kleinen Stadt in Mittelfranken, fährt ein Karton über ein Förderband. Darin enthalten: eine Leggings, Farbe: Schwarz, Modell: "Acid Scrunch". Amelie Schröpfer lässt das emotional werden. Es ist die erste Bestellung, die mit der vollautomatisierten Logistikanlage abgewickelt wird, in die das junge Unternehmen gerade investiert hat. Die Teveo-Gründerin teilt den Moment auf Instagram mit den 355.000 Follower*innen des Markenaccounts. "Ihr müsst wissen, bisher haben wir alles immer manuell gepackt", sagt sie.

Dass die gesamte Logistik von der Bestellung bis zur Übergabe an die Post jetzt automatisiert ablaufen soll, zeigt, dass einiges passiert ist, seit Schröpfer und ihr Co-Gründer Jan Christopher Stahl die Sportbekleidungsmarke 2019 gegründet haben. Vor fünf Jahren war ihre Wohnung noch Schlafplatz, Büro und Lager in einem gewesen, die Kartons stapelten sich, wie Bilder auf der Unternehmenswebseite zeigen. Heute haben die beiden rund 100 Mitarbeitende, sind Mitte des Jahres innerhalb von Ansbach in einen neuen Hauptsitz umgezogen und auch die Zahlen können sich sehen lassen: Mehr als 50 Millionen Umsatz mache das Unternehmen, das seit Tag 1 profitabel sei, teilt Teveo auf OMR-Anfrage mit, davon verbleibe ein Gewinn im "sehr gesunden" zweistelligen Prozentbereich.

Ein hart umkämpfter Markt

Millionen Umsätze mit Leggings, Sport-BHs, Hoodies und Co. – das Sportbekleidungs-Geschäft boomt. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einerseits sind Fitness und gesunde Ernährung zu einem Lifestyle geworden, der auch von einer Vielzahl von Influencer*innen befeuert wird, die den täglichen Gang ins Fitnessstudio oder die Zubereitung von Protein-Shakes zu Content verarbeiten. Um es mit Shirin David zu sagen: "Geh ins Gymmie, werde skinny, mach daraus eine Show." Andererseits gehören Kleidungsstücke wie Leggings, Tennissocken oder Hoodies besonders bei jungen Konsument*innen längst auch zur Alltagskleidung für die Uni oder fürs Büro, Stichwort Athleisure.

Genau in dieser Sparte wollen jüngere Marken den großen Playern Marktanteile abnehmen – so wie die Yoga-Marke Lululemon Nike und Adidas auf dem Athleisure-Markt schon seit mehreren Jahren ernstzunehmende Konkurrenz macht. Auch beim Thema Scrunch-Leggings zeigt sich, dass es jungen DTC-Unternehmen offenbar gelingt, teils agiler auf Trends zu reagieren und so den Markt besser zu bedienen. Die gehypten Leggings mit Push-up-Effekt sucht man in den Online-Shops von Adidas oder Nike bisher vergeblich.

Gymshark hat Unicorn-Status

Im DTC-Bereich ist die Auswahl hingegen groß: Wer nach Sportleggings, Scrunch (Bum) Leggings oder Leggings für Frauen googelt, hat die Auswahl zwischen Les Lunes, Women's Best, Teveo, Oace, Oceansapart, Lululemon, Smilodox, Alo Yoga, Aim'n, Stronger oder Aybl – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Die meisten von ihnen setzen beim Marketing auf einen stark Influencer-getriebenen Ansatz – junge Content Creator*innen mit großer Reichweite oder starken Communitys, die Produkte testen, promoten und mit Rabattcodes werben. Prominentes Beispiel aus Großbritannien ist die Fitness-Klamotten-Marke Gymshark, die der Brite Ben Francis zusammen mit einem Schulfreund bereits 2012 gründete. Durch geschicktes Marketing und das Direct-to-Consumer-Modell wurde sie zur milliardenschweren Brand. (Die OMR-Podcast-Folge mit Gymshark-Gründer Ben Francis kannst du dir hier anhören.)

Das offenbar sehr lukrative Geschäftsmodell führt zu einem harten Wettbewerb. Hinzu kommen zahlreiche günstigere Anbieter auf Amazon, Temu oder Shein. “Es ist ein komplett umkämpfter Markt", sagt Philip Clas, Chief Digital und Marketing Officer von Teveo, der vorher fast zwölf Jahre lang für Adidas gearbeitet hat. "Ich weiß, wie viele hundert Leute in einem Konzern daran arbeiten, DIE Leggings zu bauen, die es an die Körper der 22-jährigen Frau schafft. Und wie viele daran scheitern.” Den DTC-Brands scheint das teilweise besser zu gelingen.

Auch Oace ist auf Wachstumskurs

Aber wie schafft man es, sich als Marke in einem Segment zu behaupten, in denen Sortimente, Webauftritte und Influencer-Marketing-Ansätze auf den ersten Blick so hohe Überschneidungen aufweisen? Für Alexander Glörfeld, CEO der Kölner Marke Oace, liegt das Geheimnis in der Online-Community. Dafür arbeitet auch sein Unternehmen mit mehr als 200 Influencer*innen zusammen. Diese Athletinnen und Athleten seien im engen Austausch mit der Community, also den bestehenden und potenziellen Kund*innen. "Das ist für uns ein ganz wesentlicher Baustein."

Auch Oace ist laut dem Geschäftsführer seit Gründung profitabel, weiterhin bootstrapped und Jahr für Jahr auf Wachstumskurs. Rund 30 Mitarbeitende gehören zum Team. 2023 sei es gelungen, die Umsätze mehr als zu verdoppeln: "Und auch in diesem Jahr sieht es so aus, als würde Oace wieder das stärkste prozentuale Wachstum im deutschen Markt aufweisen." Während viele DTC-Brands aktuell in der Krise steckten, sei der Athleisure-Bereich einer der Märkte, der weiterhin eine leicht positive Entwicklung aufzeige. Darin, dass das zu steigendem Wettbewerb führt, sieht er auch eine Chance: "Im Gegenzug bekommt der Markt auch wieder eine höhere Attention, von der wir profitieren können." In Zahlen heißt das: Umsatz im zweistelligen Millionenbereich, "und nicht niedrig zweistellig", fügt Glörfeld hinzu. Rund 30 Prozent davon kommen alleine durch Leggings – mit oder ohne Scrunch – und Shorts zusammen.

Überhaupt: Leggings scheinen das Aushängeschild für die Sportswear-Marken zu sein. Auch Philip Clas von Teveo sagt: “Unser Kernprodukt und unsere größte Errungenschaft ist die Scrunch-Leggings." In die Produktentwicklung sei extrem viel Arbeit geflossen, er ist überzeugt: "Bei der Performance des Produkts im mittleren bis oberen Preissegment macht uns niemand etwas vor, auch wenn Scrunch-Leggings von einigen anderen kopiert werden.” In Ansbach hat man inzwischen bereits die dritte Version auf den Markt gebracht. Produzieren lässt die Marke die Produkte von Beginn an in der Türkei. "Beim Sculpt-Scrunch ist der Scrunch von außen kaum mehr sichtbar", sagt Clas. Gemeint ist die Naht unterhalb des Steißbeins, durch die das Gesäß besonders betont wird. Dadurch soll mehr Bewegungsfreiheit als mit normalen Leggings möglich sein. Und: "Durch den Support wird der Booty in Form gebracht und etwas angehoben."

Geschäft mit hohen Margen – aber auch Risiken

Unternehmerisch besonders attraktiv macht das Geschäft unter anderem die gute Wiederkaufsrate, erklärt Philip Clas: “Sportkleidung ist ein Gebrauchsprodukt. Wenn jemand fünfmal die Woche ins Gym oder laufen geht, ist die Leggings nach einem halben Jahr wieder durch." Spannend sei aber auch zu entdecken, wie weit das Produktsortiment in Richtung Lifestyle diversifiziert werden kann, ohne sich zu weit vom Kernprodukt wegzubewegen. "Also beispielsweise der passende Hoodie zur Leggings, der auf dem Weg zum Gym getragen wird.” Mit der Influencerin Laura Michelle ist gerade beispielsweise eine Kollektion erschienen, die auch im Alltag tragbar sein soll. Wenn man es richtig anstelle, könne man als DTC-Brand im Sportswear-Bereich so sehr hohe Margen erzielen, sagt Clas.

Dass die Sportbekleidungsbranche dennoch kein Selbstläufer ist, hat zuletzt der Fall Oceansapart gezeigt. Das Berliner Label wurde 2016 gegründet, wuchs rasant und setzte stark auf Influencer-Marketing, unter anderen warben BibisBeautyPalace oder Sarah Harrison für die Marke. 2021 wurde Oceansapart von einer schwedischen Private-Equity-Firma übernommen (wir haben damals hier über den Exit berichtet). Doch zwischenzeitlich hagelte es auch Kritik, nach Recherchen von Funk wurden der Marke falsche Versprechungen zum Thema Nachhaltigkeit vorgeworfen. Mitte 2024 musste die Rise up Fashion GmbH, die hinter Oceansapart steht, Insolvenz anmelden. Bislang wird der Geschäftsbetrieb weitergeführt. Philip Clas vermutet: “Ich könnte mir vorstellen, dass bei Oceansapart in der Gesamt-Gemengelage durch den Verkauf, durch die Abhängigkeit von Influencern und hohe Paid-Ausgaben relativ schnell der Spirit verloren gegangen ist und die Margen geschrumpft sind."

Neue Wege im Supplement-Business

Bei Teveo will man es anders machen: Bis heute sind keine Investor*innen oder Venture-Capital-Firmen an Bord. Mit großen Visionen, aber auch mit Bodenständigkeit soll die Firma weiter wachsen. Durch eine Teveo-Shoppingapp, die gerade gelauncht wurde, aber vor allem auch in neuen Märkten. Das nächste große Ziel lautet Internationalisierung. "In Frankreich sind wir seit einem Jahr recht aktiv, aber gerade haben wir Anfang Oktober weitere neue Märkte live genommen und sind jetzt auch in Italien, Polen, Spanien, UK, Benelux und den Nordics voll lokalisiert verfügbar." Auch dort sollen jetzt Communitys aufgebaut und Influencer akquiriert werden. Jeweils eine Mitarbeiterin arbeitet vor Ort in den jeweiligen Ländern.

Außerdem gehen die Teveo-Gründer gerade mit einer zweiten Brand neue Wege in einem ebenfalls hart umkämpften Markt: dem der Proteinprodukte und Nahrungsergänzungsmittel. Zusammen mit Rene Büssow, dem früheren CEO von The Quality Group, haben sie im April 2024 "Fayn" gegründet. "Wir halten beide Marken komplett separat. Teveo ist Sportswear, Fayn ist Nutrition. Der Overlap ist in der Eigentümer-Struktur. Aber wir nutzen Synergien, wo wir können", erklärt Philip Clas. Für 2025 hat sich die Marke vorgenommen, offline sichtbarer, nahbarer und erlebbarer zu werden, zum Beispiel durch Events. Einen sehr sinnvollen Hebel sehe man zum Beispiel darin, Präsenz vor Ort in den Fitnessstudios zu zeigen.

Oder doch Einzelhandel?

Bei Oace hatte man offenbar einen ähnlichen Gedanken, ging aber schon einen Schritt weiter und eröffnete ein großes Pop-Up-Geschäft in Prime-Lage auf der Kölner Ehrenstraße – direkt neben dem Lululemon-Store. Dort will das Unternehmen neue potenzielle Kund*innen erreichen, ihnen die Möglichkeit geben, Produkte anzuprobieren und die "Marke aus dem Internet" erlebbar machen. Ein Experiment. Die ersten Erfahrungen seien positiv, sagt CEO Alexander Glörfeld: "Zum Launch hatten wir ganztägig eine Warteschlange vor dem Store, die sich über die halbe Ehrenstraße gezogen hat." Nichtsdestotrotz stecke hinter einem physischen Store auch eine höhere Komplexität bei gleichzeitig geringerer Profitabilität gegenüber einem reinen DTC-Case. Daher soll das Experiment vorerst nach sechs Monaten enden – wenn der Mietvertrag ausläuft. Sollte sich die Möglichkeit in einer vergleichbaren Lage zu einem angemessenen Mietpreis ergeben, könne man sich aber gut vorstellen, einen permanenten Store zu eröffnen.

Für Teveo kommt ein stationäres Geschäft hingegen vorerst nicht in Frage: “Im Moment macht das aus mehreren Gründen keinen Sinn. Wir wollen lieber im DTC-Bereich weiter alle Potenziale ausreizen", sagt Marketingchef Clas. Irgendwie logisch, schließlich ist die neue Logistikanlage für die Paketabfertigung ja auch gerade erst in Betrieb gegangen.

Hier gehts zu unserem Artikel zum Instagram-Ranking der "Most Mentioned Brands 2023", in dem auch viele Sportswear-Marken vorkommen.

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Tanja Karrasch
Autor*In
Tanja Karrasch

Tanja Karrasch ist Redakteurin bei OMR. Sie hat bei der Tageszeitung Rheinische Post volontiert und anschließend als Redakteurin gearbeitet. Vor ihrem Wechsel zu OMR arbeitete sie für die TV-Produktionsfirma Bavaria Entertainment und war als Redaktionsleiterin für zwei ZDF-Shows zuständig.

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