Reternity: Wie diese zwei Jungs die bekannteste Streetwear-Brand Deutschlands bauen wollen
Drops, Instagram-Gewinnspiele, User Generated Content: Wie Marketing für eine Fashion-Marke heute funktioniert
- Einen Stil finden
- Gewinnspiele als Reichweitenhebel
- Der Weg zur echten Begehrlichkeit
- Normalos statt Influencer
- Mehr Fokus auf Nutzerdaten
- Konzentration auf D2C
Junge deutsche Streetwear-Brands wie 6PM und Peso sorgen durch ständig ausverkaufte Kollektionen immer wieder für viel Hype. Sie alle spielen das erfolgreiche Playbook von Supreme und anderen US-Vorbildern nach: Drops, Social-Reichweite, volle Konzentration auf D2C. Die beiden Freunde Lauren Riedel und Tom Schmidt aus Oldenburg wollen solche Erfolge jetzt mit ihrer Marke Reternity nachbauen. Uns haben die beiden erzählt, wie sie zuerst mit Gewinnspielen Reichweite aufgebaut haben, warum Normalos besser funktionieren als Influencer und wie sie über SMS, Newsletter und die Gute-Freunde-Liste bei Instagram die Community aktivieren.
„Unsere große Vision: Wir wollen die am meisten nachgefragte Streetwear-Brand in Deutschland werden“, sagt Reternity-Co-Gründer Tom Schmidt selbstbewusst gegenüber OMR. „Wir wollen besonders hochwertige Produkte mit minimalistischer Linie erschaffen.“ Schmidt gründet Reternity 2018 gemeinsam mit seinem Kumpel Lauren Riedel. „Wir haben keinen Background im Marketing- oder im Fashion-Bereich. Wir fanden einfach die Selbstständigkeit spannend“, sagt der. Mittlerweile haben es die beiden trotz fehlender Erfahrung geschafft, eine Streetwear-Marke mit fast 100.000 Instagram-Followern und siebenstelligem Umsatz zu bauen.
Einen Stil finden
Aus Hoodies, T-Shirts, Hosen und Jacken besteht das Reternity-Sortiment mittlerweile, zu Preisen zwischen 50 Euro (T-Shirts) und 150 Euro (Jacken). Das Design der Kleidungsstücke ist heute relativ schlicht. Meist spielen die Motive grafisch mit dem Namen der Marke, der für die Langlebigkeit der Produkte stehen soll (Eternity steht im Englischen für Ewigkeit). Die Zielgruppe: junge Männer im Alter von 17 bis 24 Jahren. Gestartet war die Brand aber mit einem anderen Style – vor allem wegen des geringen Startkapitals. Riedel und Schmidt bringen 2018 jeweils etwa 3.000 angesparte Euro mit. „Wir konnten die erste Kollektion günstig erstellen, weil wir T-Shirts selbst per Hand im Zimmer in Hamburg bedruckt haben.“ Damals setzen sie noch auf großflächige Bildmotive.
Die ersten Oberteile verkaufen sich allerdings nicht sonderlich gut. „Wir haben Shirts an Influencer geschickt und einer davon hat sogar vor dem Release einen Post mit 14.000 Likes abgesetzt. Wir dachten, das ist ein Selbstläufer, am Ende des ersten Tages hatten wir aber nur eine Bestellung“, erzählt Lauren Riedel. „Wir haben früh gemerkt, dass Brand Building dauert und man mit fünf bis sieben Jahren rechnen muss.“ Die beiden arbeiten danach weiter am Produkt, machen nach eigener Aussage 2019 erst 30.000, 2020 dann bereits 250.000 Euro Umsatz und knacken 2021 erstmals deutlich die Umsatzmillion. 2022 soll Reternity nochmals um 200 Prozent wachsen, aus derzeit zehn sollen 20 Mitarbeitende werden.
Gewinnspiele als Reichweitenhebel
Für das Wachstum dürfte neben verbesserter und breiterer Produktpalette vor allem die Marketing-Strategie verantwortlich sein. Zu Beginn liegt der Fokus wie bei vielen Fashion-Brands auf Instagram. „Mit Sneaker-Gewinnspielen hat alles angefangen. Das hat für uns super funktioniert. Das Entscheidende war aber, dass wir die neuen Follower recht schnell zu Fans der Marke gemacht haben“, erklärt Co-Gründer Riedel. Die Taktik: Reternity verlost auf dem eigenen Instagram-Kanal begehrte Sneaker der großen Marken. Ein Blick auf das Social-Analytics-Tool Infludata zeigt deutlich, wann die Gewinnspiele zum Einsatz kommen und was sie bringen. Im Oktober 2019 springt der Reternity-Account innerhalb von drei Wochen von 5.000 auf fast 20.000 Abonnent:innen. Im Mai 2020 geht es von 16.600 auf knapp 28.000 und im September 2020 von 27.000 auf 62.500.
Wir hatten zuletzt im November 2021 über die Machinismen solcher Gewinnspiele geschrieben. Nutzende müssen für eine Teilnahme dem Account folgen – bis zur Gewinnziehung. Das bietet den Brands oft die Chance, in einer oder zwei Wochen neue Follower dauerhaft vom Content auf dem Kanal zu überzeugen. Einige Nutzende werden trotzdem wieder weg sein – wie sich auch bei Reternity zeigt, wo nach jedem Follower-Sprung die Zahlen zurückgehen. Trotzdem werten die Gründer die Taktik als Erfolg. „Die Instagram-Reichweite ist eher für die Außenwirkung wichtig. In den letzten drei Quartalen waren E-Mails und SMS viel stärkere Sales-Hebel – vor allem rund um Black Friday“, erklärt Lauren Riedel.
So ganz kann das Team aber nicht von der Reichweiten-Strategie lassen. „Wir waren eigentlich von Gewinnspielen weg, aber haben das Angebot bekommen, bei einem Montana-Black-Gewinnspiel teilzunehmen. Das haben wir dieses eine Mal noch mitgenommen und das hat wahnsinnig gut funktioniert. Jetzt müssen wir schauen, wie wir die Leute halten“, sagt der Co-Gründer. Der bekannteste Streamer Deutschlands hat auf Instagram 3,1 Millionen Follower. Reternity war Teil eines sogenannten Loop Giveaways; der Instagram-Post ist mittlerweile gelöscht. Dabei werden Produkte verschiedenster Unternehmen verlost. Wer teilnehmen will, muss allen Accounts folgen. Durch das Montana-Black-Gewinnspiel springt Reternity innerhalb einer Woche im September 2021 von 52.000 auf knapp 114.000 Follower. Davon sind bis heute immerhin 94.500 geblieben.
Der Weg zur echten Begehrlichkeit
Die größere Instagram-Reichweite und damit einhergehende Aufmerksamkeit für die Reternity-Produkte ist zu Beginn aber noch wichtiger Faktor beim Erzeugen von Begehrlichkeit. Im Streetwear-Business entsteht Hype schließlich vor allem durch ausverkaufte Produkte und Ebay-Angebote deutlich über Verkaufspreis. „Nach ein paar Anläufen haben wir es geschafft, mit einem Produkt sold out zu gehen. Da haben sich dann 300 Leute auf die Warteliste eingetragen. Das war ein Indikator, dass da Nachfrage da ist“, sagt Riedel. Unterstützt wird der Run auf Produkte durch den Marketing-Kniff des Drops. Auch Reternity wirft seit dem Start jede Kollektion mit großem Tamtam zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt auf den Markt. „14 Tage vor einem Drop geht die komplette Kommunikation da drauf – und das bleibt so bis zehn Tage danach“, erklärt Tom Schmidt.
In der Zeit sind dann aus Sicht der Brand hoffentlich viele Produkte vergriffen, sodass beim nächsten Drop noch mehr Leute direkt dabei sind. Viele Marken verknappen dafür auch mal gezielt die Anzahl von einzelnen verfügbaren Produkten künstlich. Das habe Reternity bisher nicht versucht. „Wir haben niemals künstlich verknappt. Im Januar waren wir trotzdem direkt am ersten Tag sold out mit vielen Teilen“, so Riedel. Allerdings sprechen wir hier auch nicht von wahnwitzigen Mengen. Pro Produkt seien in jeder Kollektion 150 bis 700 Stück verfügbar. In diesem Jahr seien etwa 14 Drops mit jeweils acht bis zehn verschiedenen Teilen – vom Hoodie bis zur Hose – geplant.
Durch ausverkaufte Produkte entsteht für Reternity direkt der nächste Sales-Hebel: Early-Access-Codes. „Die sind für unsere neuen Kollektionen ein super Hebel. Die verschicken wir an unsere besten Kunden“, erzählt Riedel. Solche Codes erlauben es ausgewählten Kund:innen, noch vor dem Release Stücke einer neuen Kollektion zu kaufen. Die Strategie setzt zum Beispiel Achraf Ait Bouzalim von 6PM erfolgreich über seinen privaten Instagram-Account um. Wer früher Zugang hat, packt seinen Warenkorb oft direkt voll – in der Erwartung, dass die Produkte schnell ausverkauft sind, wenn alle Zugriff bekommen.
Normalos statt Influencer
Etwas ungewöhnlich für die Marketing-Story einer jungen Modemarke ist die negative Einstellung zu Influencern. Wie die frühe Erfahrung mit dem erfolglosen ersten Release zeigt, ist Influencer Marketing kein Heilsbringer, um von 0 auf 100 für Aufmerksamkeit zu sorgen. „Es gab nie eine große Erfolgsgeschichte mit Influencern. Wir haben das einfach mal durchgespielt“, sagt Tom Schmidt. Immer wieder hätten sie Geld in Kampagnen mit bekannten Social-Media-Gesichtern gesteckt, aber nie wirklich Verkaufserfolge verzeichnet. „Wir gehen jetzt eher auf Creator Marketing. Es gibt so viele Menschen auf Instagram, die coole Outfits zeigen und keine Mega-Reichweite haben. Die versorgen wir mit unseren Sachen“, so Schmidt. „Die Bilder, die solche Creator in ihre Feeds posten, sind gar nicht für Reichweite entscheidend, sondern liefern gutes Bildmaterial für unseren Kanal und zeigen modebewusste Teenager in unseren Klamotten.“
Ganz ohne Bezahlung sorgen ohnehin Musiker für die gewünschte Reichweite. „Was wirklich Aufmerksamkeit bringt, sind Deutsch-Rapper, die unsere Klamotten getragen haben. Das ist starkes Branding und bringt gleichzeitig viele neue Kunden“, erzählen die Reternity-Gründer. Bekanntere Rapper, die sich in den Klamotten der Marke gezeigt haben, sind Reezy, Fourty, Kalim und Jamule. Ersterer gehört zum Kreis rund um die erfolgreiche Rapperin Loredana. Letzterer hat zumindest schon am Mainstream geschnuppert. Die vier Musiker zusammen kommen auf eine Instagram-Reichweite von über 700.000 Followern und sind für viele ihrer Fans große Fashion- und Lifestyle-Vorbilder. Klar, dass da auch mal T-Shirts & Co. nachgekauft werden – vor allem, wenn sie so erschwinglich wie die Reternity-Produkte sind. Bei bekannteren begehrten Marken wie Supreme oder Balenciaga kann schon für ein T-Shirt ein niedriger bis mittlerer dreistelliger Betrag fällig werden.
Mehr Fokus auf Nutzerdaten
Insgesamt verliere bloße Reichweite für die Gründer immer mehr an Reiz. „Wir haben die letzten drei bis vier Jahre viel auf Reichweite gesetzt. Jetzt geht es stärker aufs Branding“, so Lauren Riedel. „Wir wollen eher intern neue Sales-Kanäle wie Whatsapp oder ähnliches generieren.“ Schon jetzt seien SMS, Newsletter und die „Enge-Freunde-Liste“ auf Instagram sehr wichtige Hebel – und die speisen sich zum Teil aus über die Gewinnspiele gewonnenen Käufer:innen. In die „Enge-Freunde-Liste“ werden zum Beispiel besonders treue Follower eingeladen, die dort dann exklusive Infos und auch mal Early-Access-Codes für die nächste Kollektion bekommen. Wir hatten hier schonmal genau beschrieben, wie Marken die Instagram-Funktion zur Kundenbindung nutzen.
Über solche Strategien verbindet Reternity Reichweiten- und CRM-Strategien (Customer Relationship Management). „Wir haben keine Personal Brand. Die Marke soll ohne Person funktionieren. Wir setzen aber trotzdem voll auf Community Management, sind super persönlich und begrüßen jeden zur Reternity-Family“, sagt Riedel. Vor jedem Drop beantworte das Team auf Instagram Fragen der Nutzenden etwa zur Größe bestimmter Stücke. Da würden auch mal mehrere Tausend Menschen Fragen stellen. Auch das helfe beim Verstehen von Community-Wünschen. Darüber hinaus schalte Reternity für jede Kollektion auch Performance Ads auf Instagram und Facebook – auch hier gehe es vor allem darum, neue Nutzende auf den eigenen Online-Shop zu holen, um sie dann über Newsletter & Co. immer wieder ansprechen zu können.
Konzentration auf D2C
Wegen des Community- und CRM-Ansatzes denke das Gründerteam bisher auch nicht über weitere Verkaufskanäle nach. „Unser Ziel ist Exklusivität. Wir sind nicht im Einzelhandel und verzichten lieber auf kurzfristig hohe Umsätze, die das Image der Marke schädigen. Derzeit konzentrieren wir uns auf unseren Online-Shop und schauen, was wir mit einem Pop-Up-Store in Hamburg erreichen können“, so Riedel. Dieser ist für 2022 geplant und soll noch mehr Leute auf die Marke aufmerksam machen.
Langfristig sei durchaus die Partnerschaft mit wenigen Boutiquen und die Eröffnung eigener Stores möglich. Gleichzeitig sollen die Preise der Produkte langsam steigen, damit Reternity im Luxus-Streetwear-Bereich ankommt. Um das zu schaffen, wollen Lauren Riedel und Tom Schmidt weiter in die Qualität der Produkte investieren. „Wir haben lange gedacht, wir brauchen ein Motto oder eine Story. Aber wir setzen einfach aufs Produkt“, sagt Schmidt. Wie bei anderen Luxusmarken sollen dann auch nicht mehr ausverkaufte Kollektionen für die Begehrlichkeit sorgen. „Die meisten Marken haben einen Hype und verlieren den irgendwann. Wir wollen lieber gesund wachsen und über Jahre eine attraktive Brand sein“, so der Co-Gründer. Bis heute wachse das Unternehmen schließlich mit kleineren Krediten und vor allem dem eigenen Cashflow.