- Schon lange vor Corona heiß diskutiert
- Qualitativ hochwertig, neutral und leicht verständlich?
- Eine Alternative ohne finanzielle Interessen
- Der technische und inhaltliche Grundstein ist gelegt
- Große Unterschiede beim Informationsumfang
- Es bleibt spannend
- Über die Autoren:
„Wer Gesundheit googelt, soll künftig zuerst bei uns landen.“ Dieses ambitionierte Ziel hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für das von seinem Ministerium am 1. September ins Netz gebrachte nationale Gesundheitsportal gesetzt. Doch wie realistisch ist dieser aus SEO-Sicht sehr ehrgeizige Plan? Wie gut ist das Portal in Sachen SEO aufgestellt und können SEOs von der Seite vielleicht sogar noch etwas lernen – sei es im Guten oder im Schlechten? Diese Fragen beantworten Lennart Leienbach und Matthäus Michalik von der Performance-Marketing-Agentur Claneo in einer Gast-Analyse für OMR.
Schon lange vor Corona heiß diskutiert
Durch die Corona-Pandemie steht das Thema Gesundheit im Jahr 2020 stärker im Fokus als je zuvor. Doch schon lange davor, genau genommen spätestens seit dem ersten „Medic Update“ Ende 2018, werden Gesundheits-Themen im Zusammenhang mit SEO in der Branche heiß diskutiert. Nicht etwa, weil SEOs mehr als andere Berufsgruppen auf ihre Gesundheit achten würden, sondern weil Webseiten zum Thema Gesundheit ein Paradebeispiel für sogenannte „Your Money or Your Life“-Inhalte (YMYL) sind.
Dazu zählt Google alle Webseiten bzw. Inhalte, die sich um das zukünftige Glück, die Gesundheit, die finanzielle Stabilität oder die Sicherheit der Besucher drehen. Bei diesen stellt der Suchmaschinenkonzern besonders hohe Ansprüche an die Qualität und Transparenz der Inhalte. Dementsprechend schwer ist es, für solche Themen auf den ersten Plätzen zu ranken – selbst für staatliche Portale.
Qualitativ hochwertig, neutral und leicht verständlich?
Laut statistischem Bundesamt (Destatis) nutzen etwa 66 Prozent aller deutschen Internetnutzer das Web zur Recherche nach Gesundheitsthemen. Dass auch bei jungen Nutzern die Suche nach Inhalten zur Gesundheit bereits ein Thema ist, lässt sich an zahlreichen Memes ablesen.
Auch deshalb ist es aus SEO-Sicht schon lange kein Nischenthema mehr. Immer mehr Webseiten, kleine und große, sind deshalb innerhalb der letzten Jahre zu diesem Thema entstanden. Mit Health-Traffic lässt sich eine Menge Geld verdienen; entsprechend heiß umkämpft ist der Markt. Dabei ist es fast egal, wie groß der Anbieter ist: Alle verbindet maßgeblich, dass sie bezahlte Werbung einbinden.
Eine Alternative ohne finanzielle Interessen
Nicht allein aus diesem Grund ist es häufig zweifelhaft, ob die Informationen auf den Websites wirklich komplett neutral sind und die Betreiber das Wohlbefinden des Nutzers vor jegliches finanzielles Interesse stellen. Denn auch Pharma-Unternehmen versuchen, mit eigenen Gesundheitsportalen in den Suchergebnissen ganz weit oben zu stehen. Gerade deshalb soll gesund.bund.de „objektive, verständliche und verlässliche Gesundheitsinformationen“ bieten und für Nutzer eine vertrauenswürdige Alternative zu bisherigen Angeboten sein. Als Qualitätskriterien werden dabei die in der „Guten Praxis Gesundheitsinformation“ formulierten Standards genutzt.
Zentraler Bestandteil dieser Kriterien ist, dass Inhalte frei von kommerziellen Interessen sind. Vor allem wird aber der Nutzer in den Mittelpunkt der Inhalte gestellt und nicht die Suchmaschine. So müssen die Inhalte leicht verständlich, nutzerfreundlich strukturiert und mit grafische Darstellungen angereichert sein. Also all das, was auch in der SEO-Szene immer weiter Verbreitung findet. Während in frühen Jahren in erster Linie für Suchmaschinen-Bots optimiert wurde, stehen inzwischen die Nutzer und die Qualität der Inhalte im Vordergrund.
Der technische und inhaltliche Grundstein ist gelegt
Auch wenn der Start des neuen staatlichen Gesundheitsportals am Dienstag technisch gesehen noch etwas holprig verlief – zwischendurch stiegen die Ladezeiten stark an, es kam sogar zu Server-Fehlern und Timeouts –, so scheint der Grundstein für den SEO-Erfolg gelegt zu sein. Bereits jetzt finden Nutzer Inhalte zu nahezu 200 der am weitesten verbreiteten Krankheiten. Und auch Beiträge rund um das Thema E-Health, eine ICD-Suche sowie Informationen zur elektronischen Gesundheitskarte (eGK) sind bereits vorhanden.
Der Content soll stetig weiter ausgebaut werden, so jedenfalls lautet das Versprechen des Bundesministeriums. Die bisherigen Inhalte sind in Zusammenarbeit mit drei institutionellen Partnern (darunter das Robert-Koch-Institut) entstanden. Ganz an das britische Pendant nhs.uk reicht der inhaltliche des deutschen Gesundheitsportals jedoch noch nicht heran. Auf der Seite des National Health Service (NHS) können sich Besucher über fast 1.200 Krankheiten informieren, was sich entsprechend auch in der Google-Sichtbarkeit widerspiegelt, die das SEO-Tool Sistrix für die Website ausweist.
Auch technisch gesehen erfüllt das staatliche deutsche Gesundsheitsportal seine SEO-Pflichtaufgaben. Zwar gibt es sicher noch Stellschrauben, an denen gedreht werden könnte (z.B. in Sachen Pagespeed, also der Ladegeschwindigkeit der Website, oder auch den „Core Web Vitals“, einer Reihe von Kennzahlen, anhand derer Google die Nutzerfreundlichkeit der Website misst), aber bei erster Betrachtung zeigt sich eine moderne und den aktuellen Best-Practice-Ansätzen folgende Webseite.
Dies spiegeln auch erste Tests mit Branchen-üblichen Tools wie Googles Page Speed Insights, dem Test zur Optimierung auf Mobilgeräten oder auch dem Test-Tool für strukturierte Daten wider. Auch strukturierte Daten wurden umfangreich eingebunden. Bereits jetzt ist beispielsweise der Einsatz des FAQ-Markups sichtbar, wegen dem zu einer Frage gleich mehrere Anschlussfragen in den Suchergebnissen auftauchen.
Doch auch wenn der erste Grundstein gelegt ist, so ist das Angebot auch aus SEO-Sicht noch weiter ausbaufähig. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn man die bereits vorhandenen Infos mit denen der aktuellen BigPlayern vergleicht. Nehmen wir das Beispiel Bindehautentzündung. Inhaltlich behandeln gesund.bund.de, die beiden privatwirtschaftlichen Angebote netdoktor.de, apotheken-umschau.de sowie gesundheit.gv.at (das österreichische Pendant zu gesund.bund.de) in diesem Zusammenhang alle nahezu dieselben Themen. Im Umfang unterscheiden sie sich jedoch deutlich.
Große Unterschiede beim Informationsumfang
So liegt netdoktor.de mit etwa 2.400 Wörtern weit vorne, gefolgt von apotheken-umschau.de mit fast 1.500 Wörtern und gesundheit.gv.at mit knapp 1.000 Wörtern. Gesund.bund.de liegt mit ca. 770 Wörtern beim Text-Umfang auf dem letzten Platz. Natürlich: Quantität heißt nicht immer Qualität. Und doch spiegelt in diesem Fall die Wortanzahl in etwa wieder, in welcher Tiefe sich die einzelnen Webseiten mit dem Thema auseinandersetzen.
So bietet netdoktor.de die umfangreichsten Informationen. Gesund.bund.de verlinkt hingegen für tiefergehende Informationen zu einem der Partner. Wie Google dies bewerten wird, wird sich erst mit der Zeit zeigen. In der SEO-Branche geht der Trend seit einiger Zeit eigentlich in eine andere Richtung, nämlich zu holistischen, also „allumfassenden“ Landingpages. Mit anderen Worten: Alle Fragen, die ein Nutzer zu einem Thema haben könnte, sollten wenn möglich auf einer einzigen Landingpage beantwortet werden. Und dies können mitunter ziemlich viele sein, wie beispielsweise das Tool alsoasked.com für das Keyword „bindehautentzündung“ zeigt:
In Sachen Rich-Media-Inhalte, also Illustrationen, Bilder oder auch Audio- und Video-Inhalte, bieten vor allem netdoktor.de und apotheken-umschau.de dem Nutzer aktuell schon viel. Auch wenn gesund.bund.de hier noch ein wenig hinterher zu hinken scheint, ist die Seite zum Start bereits besser als gesundheit.gv.at aufgestellt.
In puncto Barrierefreiheit und Zugänglichkeit zu Inhalten präsentiert sich gesund.bund.de äußerst vorbildlich. Auch dieser Aspekt überschneidet sich in Teilen mit SEO-Faktoren. So sind beispielsweise Bilder stets mit umfangreiche ALT-Texten versehen, die auch den Suchmaschinen helfen, den Inhalt der Bilder zu verstehen. Auch die Dokumentenkontur (semantische Überschriften- / H-Tag-Struktur) ist zu großen Teilen gut umgesetzt. Weiterhin gibt es ein Kontextmenü, welches sich, zugegeben noch nicht ganz zuverlässig, mittels Rechtsklick aktivieren lässt:
Ebenfalls im Kontextmenü geboten wird die Übersetzung von Texten mittels Google-Übersetzer. Dies ist, kennt man die Qualität des Google Übersetzer, für einzelne Wörter sicherlich ausreichend. Zum Thema der Internationalisierung sind bisher jedoch keine weiteren Informationen bekannt.
Es bleibt spannend
Aus SEO-Sicht macht gesund.bund.de bereits vieles sehr gut. Vor allem ist es ein spannender SEO-Case, den SEOs im Auge behalten sollten. Nicht oft kommt es vor, dass eine YMYL-Webseite gleich zu Beginn so viele qualitativ hochwertige Inhalte bieten kann. Noch hinzu kommen werden innerhalb der nächsten Zeit sicherlich viele hochwertige und relevante Backlinks – der Traum eines jeden SEOs. Es ist auch spannend, wie Google mit der Seite umgehen wird und ob Jens Spahns ambitioniertes Ziel, die Nummer Eins in den Suchergebnissen zu werden, erreicht wird. Wir werden es auf jeden Fall in SEO-Tools wie SISTRIX, ahrefs & Co beobachten können. Auch deshalb wird das Portal mit Sicherheit nicht nur politisch und gesellschaftlich diskutiert werden.
Über die Autoren:
Lennart Leienbach ist Senior SEO Analyst bei Claneo, einer Search-, Performance- & Content-Marketing Agentur aus Berlin. Er unterstützt Start-ups, KMU und Konzerne in den Bereichen der technischen Suchmaschinenoptimierung (SEO), Analytics und Daten Visualisierung. Vor seiner Anstellung bei Claneo arbeitete Lennart drei Jahre als SEO Analyst bei Performics Deutschland (bis 2015 AKM3).
Matthäus Michalik ist Gründer und Geschäftsführer von Claneo, einer Search-, Performance- & Content-Marketing Agentur aus Berlin. Mit mehr als 50 Experten berät Claneo verschiedene Unternehmen von Start-Ups bis hin zu Konzernen. Der Fokus liegt dabei auf SEO, Performance Marketing, Content Marketing & Amazon Marketing. Zuvor war Matthäus in verschiedenen Positionen auf Agentur- und Kunden-Seite tätig.