Idealo-Mitgründer Albrecht von Sonntag: "Google hat aktiv in den Algorithmus eingegriffen"
Der Geschäftsführer des Preisvergleichs spricht im Interview über das Aus von Ladenzeile
Die Ankündigung, dass die Produktsuchmaschine Ladenzeile bis Ende Juni ihren Betrieb einstellt, hat in der Online-Marketing- und SEO-Szene für Aufsehen gesorgt. Ladenzeile-Mutter Idealo begründete das Aus zunächst mit einer "veränderten Marktsituation". Mehrere von OMR befragte Experten und Marktbegleiter vermuteten jedoch den enormen Sichtbarkeitsverlust von Ladenzeile bei Google als wahren Grund für die Einstellung. Nun spricht Idealo-Mitgründer und -Geschäftsführer Albrecht von Sonntag im Interview über den Schritt – und erhebt schwere Vorwürfe gegen Google.
Ihr habt vor Kurzem die Einstellung von Ladenzeile angekündigt. Was sind die Gründe für das Aus?
Albrecht von Sonntag: Da muss ich weit ausholen. Wir haben im Jahr 2013 mit Ladenzeile wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens von Google bei der EU-Kommission eine Eingabe gemacht, die das Google-Shopping-Verfahren ausgelöst hat. Ladenzeile war dann in folgenden Jahren immer an diesem Verfahren beteiligt und am Ende gemeinsam mit u.a. der BRD Partei vor dem Europäischen Gerichtshof. Ladenzeile war sozusagen die Vorhut von Idealo – auch, weil wir uns zu dieser Zeit noch nicht getraut haben, mit dem "Flaggschiff" in den Kampf zu gehen. Parallel dazu hat Google angefangen, bei der Suchmaschine den Traffic immer mehr in die eigenen Produkte zu lenken. Das hatte schon in den Jahren davor angefangen, im Jahr 2014 leistete sich Google dann aber den totalen Exzess: Da wurden auf der einen Seite die eigenen Shopping Ads, damals noch "Product Listing Ads", nach oben gerankt und auf der anderen Seite Mitbewerber*innen durch einen aktiven Eingriff in den Algorithmus nach unten gerankt. Google hat sich da so viel gegönnt, dass für den Wettbewerb nicht mehr genügend übrigblieb. Ladenzeile ist dann von 2014 an in eine Abwärtsspirale geraten. Von den einstmals guten Gewinnen blieben nach und nach immer weniger übrig.
Auf dem Arbeitgeberbewertungsportal Kununu erheben manche ehemalige Mitarbeitende von Ladenzeile Vorwürfe, dass dort im Management schon vor Jahren Fehler gemacht worden sind. Siehst Du noch andere Gründe für das Scheitern?
von Sonntag: Man muss immer sehen, wie viel Geld ein Unternehmen hat, um es in Innovation zu stecken. 2014 hatte Ladenzeile noch 350 Mitarbeitende; danach mussten wir immer wieder entlassen, entlassen, entlassen. So etwas bremst die eigene Innovationskraft enorm. Der zweite Aspekt ist, dass auch der USP von Ladenzeile über die Jahre hinweg an Kraft verloren hat. Ursprünglich war das mal eine visuelle Suchmaschine. Diese Visualität ist aber von anderen aufgegriffen worden, Marktplätze, Shops, aber auch die Google-Suche sind viel bunter geworden. Da kann man natürlich sagen: Warum habt Ihr Euch nicht weiterentwickelt? Aber es ist auch nicht so leicht, ein Unternehmen down zu scalen. Wachstum ist deutlich leichter zu managen.
Die finale Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Google-Shopping-Verfahren wird noch für dieses Jahr erwartet. Hättet Ihr die nicht noch abwarten können?
von Sonntag: Das haben wir uns auch gefragt. Es ist keine einfache Entscheidung gewesen. Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Es gibt für beide Wege Gründe, und ich kann in beiden Weisheit erkennen.
Das Engagement von Euch und anderen Unternehmen auf EU-Ebene hat mit dazu geführt. dass wir heute den Digital Markets Act haben. Wie ist denn Euer Fazit gut ein Jahr nach dessen Inkrafttreten?
von Sonntag: Eigentlich ist der DMA erst seit 7. März 2024 so richtig wirksam. Vorher mussten erst einmal die Gatekeeper designiert werden; das dauerte bis September 2023. Erst ein halbes Jahr danach wurden die Regeln für diese Gatekeeper wirksam. Eigentlich hätte sich dann sofort alles ändern müssen. Manche Gatekeeper sind auch brav, aber manche renitent: Bei dem Compliance-Mechanismus, den Google anbietet, dürfen sich andere Dienste darum bewerben, in den Shopping-Ergebnissen gelistet zu werden. Das wäre für uns der finale Todesschlag, weil die Leute dann nicht mehr zu idealo gehen müssten.
Haben die EU-Jurist*innen solche Schlupflöcher vorab nicht gesehen?
von Sonntag: Ich glaube, das ist auch eine Frage des politischen Willens. Eigentlich muss Google Mitbewerber*innen Zugang zu den Suchergebnissen geben, nicht nur zu einem Produkt von ihnen. Wenn man dem Europäischen Gerichtshof und Generalanwältin Kokott folgen würde, wäre Google seit 2017 non-compliant und müsste ein Zwangsgeld zahlen: fünf Prozent des weltweiten Umsatzes – pro Jahr! Da kommt in der Theorie eine beeindruckende Zahl zusammen, die vermutlich Börsenkurs-relevant wäre. Die Frage ist nur wie gesagt der politische Wille; denn die Behörde hat da ja auch Ermessensspielraum. Und da muss man dann sehen, dass Google in Brüssel die größte Lobby-Gruppe stellt – mit großem Abstand. Und dass manche Marktteilnehmer sich auch ganz gut mit den Gegebenheiten abgefunden haben und nun den "Diktator" behalten wollen.
Ihr habt ja auch versucht, Euch den Veränderungen am Markt anzupassen und wolltet Idealo zwischenzeitlich mit der Direktkauf-Funktion zum Marktplatz umbauen. Warum habt Ihr das wieder aufgesteckt?
von Sonntag: Unser Ziel war damals, mit dem Marktplatzgeschäft Milliardenumsätze zu erwirtschaften. Am Ende bewegten wir uns im Markt ungefähr auf Höhe von Platz 3, mit 700 Millionen Euro Umsatz. Wir haben irgendwann erkannt, dass wir uns entscheiden und fokussieren müssen. Marktplätze gibt es schon; für einen Preisvergleich gibt es immer noch ein Bedürfnis am Markt; das ist ja auch ein Förderer von Händler*innenvielfalt. Bei Marktplätzen werden Händler*innen zu Ein- und Verkäufer*innen reduziert. Mit uns können sie weitere Angebote machen. Das funktioniert sehr gut: 30 Prozent der User*innen legen dem Produkt, was durch uns verkauft wird, noch etwas hinzu. Und es gibt keinen inneren Interessenskonflikt mehr, der daraus entstehen könnte, dass Produkte, die wir selbst verkaufen, neben denen stehen, die Händler*innen nur über ihren eigenen Shop anbieten. Jetzt sind wir nur noch Schiedsrichter und nicht mehr Spieler, weil wir gemerkt haben, dass wir die kommerziellen Interessen nicht über die der Kund*innen stellen sollten.
Trotzdem listet ihr ja keine Preise von Händler*innen, die vielleicht günstiger sind, aber Euch kein Geld zahlen wollen...
von Sonntag: Das stimmt. Das haben wir eine Zeit lang getan, aber haben dann festgestellt, dass diejenigen, die nicht bereit waren, für unsere Leistung zu zahlen, häufig Betrüger*innen waren. Wir überprüfen unsere Händler*innen ja die ganze Zeit. Und unsere 1.000 Mitarbeitenden müssen auch bezahlt werden; da sehe ich keinen Interessenskonflikt.
Vielen Dank für das Gespräch, Albrecht.