Ladenzeile wird eingestellt: Ende einer einst hochprofitablen Talentschmiede
Die Idealo- und Axel-Springer-Tochter rutschte wohl auch durch Sichtbarkeitsverluste bei Google in die roten Zahlen
- Welche Gründe Idealo für das Ladenzeile-Ende nennt
- Hat Google Ladenzeile aus Eigeninteresse benachteiligt?
- EU verhängt Milliardenstrafe wegen Google Shopping
- Massiver Sichtbarkeitsverlust bei Ladenzeile
- Ladenzeile macht 2022 einen siebenstelligen Verlust
- Wie Ladenzeile die Szene bis heute prägt
- Axel Springer findet keine Käufer für Idealo und Ladenzeile
- Wird Ladenzeile noch von Google entschädigt?
Ladenzeile ist Teil der deutschen Internetgeschichte: Ende 2008 unter dem Dach von Rocket Internet gestartet, 2011 von Axel Springer übernommen, war es auch in den Jahren danach noch prägende Talentschmiede für die deutsche Gründer- und Digital-Marketing-Szene. Nun schließt die Springer-Beteiligung Idealo, unter deren Dach Ladenzeile schon länger angesiedelt war, das Kapitel: Ende Juni sollen Ladenzeile.de sowie die zwölf europäischen, zum Teil unter dem Namen Shopalike firmierenden Websites eingestellt werden; den 70 Mitarbeitenden seien Abfindungen angeboten worden. OMR hat nach den Gründen für das Ende geforscht und Stimmen aus der Branche eingesammelt.
"Ladenzeile macht dicht?!? Was ist da los?", postet Stefan Kock vor einer Woche auf Linkedin. Kock ist Head of Performance Marketing bei dem Hamburger Taschen-Startup Souleway. Das speist seinen Produktkatalog auch bei Ladenzeile ein, um dort mit seinen Rucksäcken sichtbar zu sein. Klicken sich von dort Besucher*innen dann weiter in den Souleway-Shop, zahlt Souleway dafür an Ladenzeile. "Ich fand Ladenzeile technisch immer gut; die hatten ein gutes Interface für ihre B2B-Kund*innen", so Kock im Gespräch mit OMR. "Aber der Traffic, den wir über sie bekommen haben, ist mit der Zeit schon immer weniger geworden."
Welche Gründe Idealo für das Ladenzeile-Ende nennt
Bald wird Souleway gar keine Website-Besucher*innen mehr über Ladenzeile bekommen: Zum 30. Juni wird die Plattform eingestellt, wie es in einer Mail heißt, die Ladenzeile ohne weitere Vorankündigung an Partner verschickt hat. Gegenüber OMR bestätigt ein Idealo-Sprecher den Schritt: "Die Geschäftsführung von Ladenzeile hat sich gemeinsam mit den Gesellschaftern für eine Betriebsaufgabe entschieden." Diese Entscheidung sei "selbstverändlich nicht voreilig getroffen worden". Den 70 Mitarbeitenden sollen "umfassende Abfindungspakete angeboten" werden.
Die Gründe für die Aufgabe seien vielfältig und "letztlich einer sich veränderten Marktsituation geschuldet", so der Sprecher weiter. Die Einstellung von Ladenzeile sei auch eine Entscheidung für die Fokussierung auf Idealos Kernprodukt: "Wir setzen unseren ganzen Fokus und unsere Ressourcen darauf, mit unserem Preisvergleichsangebot zu wachsen. Wir hoffen, dass der Digital Markets Act für dieses hochprofitable und erfolgreiche Geschäftsmodell zusätzlich positive Impulse setzen wird."
Hat Google Ladenzeile aus Eigeninteresse benachteiligt?
Der Verweis auf den Digital Markets Act deutet an, dass eine "veränderte Marktsituation" womöglich nicht der einzige Grund für das Ende von Ladenzeile ist. Denn mit dem "Gesetz für digitale Märkte" (so der deutsche Name) will die Europäische Union große digitale Plattformen ("Gatekeeper") besser regulieren können. Und besonders eine große digitale Plattform war und ist für das Schicksal von Idealo und auch Ladenzeile entscheidend: Google. Die US-Suchmaschine spült beiden deutschen Unternehmen den Großteil der Besucher*innen auf die Website.
Doch über die Jahre ist der von Google zu Idealo und Ladenzeile geschickte Traffic weniger geworden. Google positioniere seine eigenen Shopping-Listings prominent an der Spitze der Suchergebnisse, stufe gleichzeitig Konkurrenzangebote wie die von Idealo und Ladenzeile herab und verschaffe sich auf diese Weise einen unrechtmäßigen und wettbewerbswidrigen Vorteil, schreibt Idealo im Jahr 2019 und verkündet damals die Einreichung einer Schadenersatzklage gegen Google in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro.
EU verhängt Milliardenstrafe wegen Google Shopping
Zwei Jahre zuvor, im Juni 2017, hatte die Europäische Kommission schon genau aus diesem Grund eine Bußgeldstrafe in Höhe von 2,4 Milliarden Euro gegen Google verhängt: "Google hat seine marktbeherrschende Stellung als Suchmaschinenbetreiber missbraucht", so die damalige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Wenig überraschend widerspricht Google dem Urteil und legt Rechtsmittel ein: "Unsere Daten zeigen, dass die Leute in der Regel Links bevorzugen, die sie direkt zu den gewünschten Produkten führen, und nicht zu Websites, auf denen sie ihre Suche wiederholen müssen", so Google-Jurist Kent Walker damals in einer öffentlichen Stellungnahme.
Wegen der Berufung ist das Bußgeldurteil bis heute nicht rechtskräftig; eine finale Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes wird noch für dieses Jahr erwartet. Zuletzt hat sich EU-Generalanwältin Juliane Kokott dem Urteil des Europäischen Gerichtshof angeschlossen und deswegen vorgeschlagen, die Geldbuße zu bestätigen. Egal, wie das Urteil letztlich ausfallen wird: Es wird das Ende eines anderthalb Jahrzehnte andauernden Konfliktes sein – denn erste offizielle Beschwerden wegen Googles Verhalten im Bereich der Produktsuche gab es schon im Jahr 2009.
Massiver Sichtbarkeitsverlust bei Ladenzeile
Der seit Mai 2023 geltende Digital Markets Act soll ein schnelleres Vorgehen gegen wettbewerbsschädliches Verhalten großer Plattformen ermöglichen. Für Ladenzeile kommt das zu spät. Die Sichtbarkeit von Ladenzeile.de bei Google ist nach ihrem Höhepunkt im August 2022 in den vergangenen zwei Jahren massiv eingebrochen. Das Suchmaschinen-Analyse-Tool Sistrix weist aktuell noch eine Sichtbarkeitsindex von 36,5 Punkten aus – zu Hochzeiten waren es 292 Punkte.
Die Entwicklung der Google-Sichtbarkeit von Ladenzeile.de laut SEO-Tool Sistrix, deutlich erkennbar der Sichtbarkeitsverlust in den vergangenen zwei Jahren.
"Auf der einen Seite zeigt der seit Jahren sinkende Sichtbarkeitsindex von ladenzeile.de, dass die organischen Ergebnisse für relevante Keywords mittlerweile von anderen Webseitentypen eingenommen werden", so Sistrix-Gründer und Suchmaschinen-Experte Johannes Beus gegenüber OMR. "Hinzu kommt, dass außerhalb der organischen Plätze die Aufmerksamkeit der Suchenden von massiv ausgebauten Google-Shopping-Integrationen gelenkt wird und bei vielen kommerziell-relevanten Suchen damit weniger Klicks auf die wirklichen Suchtreffer gehen."
Ladenzeile macht 2022 einen siebenstelligen Verlust
Für ihn sehe es von außen so aus, als ob Google durch die geänderte Zusammenstellung der shopping-relevanten Suchergebnisse Marktteilnehmern wie Ladenzeile die Luft zum Atmen genommen habe, so dass sich das Modell nicht mehr wirtschaftlich betreiben lässt, so Beus. Was sich aus den Ladenzeile-Bilanzen ablesen lässt, passt zumindest zu Beus' Interpretation. Während das Unternehmen im Jahr 2015 (das damals noch als "Visual Meta" firmierte) noch zehn Millionen Euro Ergebnis erwirtschaftete, musste es im Jahr 2021 ein Minus von 698.000 Euro und im Jahr 2022 sogar schon 2,8 Millionen Euro Verlust ausweisen.
Mit der baldigen Einstellung von Ladenzeile verliert die deutsche Startup- und Online-Marketing-Szene ein Unternehmen, dessen Gründer und erste Mitarbeitende in der Szene bis heute prägend sind. Das Unternehmen war Ende 2008 unter dem Dach von Rocket Internet gegründet worden; Rocket-Mitgründer Oliver Samwer hatte die beiden Ladenzeile-Gründer Robert Maier und Johannes Schaback zusammengebracht, damit sie einen Produkt-Aggregator (damals nach dem US-Vorbild Like.com) auf den deutschen Markt bringen.
Wie Ladenzeile die Szene bis heute prägt
Schon 2011 konnten Rocket Internet und die ebenfalls mit 15 Prozent beteiligte Klingel-Gruppe Ladenzeile an Axel Springer verkaufen – für einen Preis von bis zu 40 Millionen Euro (inklusive erfolgsabhängiger Anteile) wie Deutsche Startups wenig später berichtete. Die beiden Gründer Maier und Schaback blieben noch bis 2018 im Unternehmen, gehören heute u.a. zum bekannten Berliner Business-Angel-Kollektiv Saarbrücker 21. Maier ist laut seinem Linkedin-Profil aktuell alleine als Business Angel aktiv und aktuell an Startups wie Plus Dental, Lingoda und Lillydoo beteiligt; Johannes Schaback wirkt seit 2021 als CTO beim Payment-Startup Sum Up.
Zu den frühen prägenden Figuren von Ladenzeile gehört auch Investor und Marketing-Berater Philipp Klöckner (heute auch als Host des Doppelgänger-Podcasts bekannt), der von 2010 bis 2020 teilweise operativ, teilweise beratend bei Ladenzeile tätig war (mehr darüber in Klöckners erstem Auftritt im OMR Podcast im Jahr 2016). Laut der jüngsten im Handelsregister abrufbaren Gesellschafterliste ist Klöckner aktuell mit vier Prozent der Anteile noch der einzige Gesellschafter von Ladenzeile neben Idealo.
Axel Springer findet keine Käufer für Idealo und Ladenzeile
Idealo-Mehrheitseigner Axel Springer soll Gerüchten zufolge noch im Jahr 2017 versucht haben, Idealo und Ladenzeile gemeinsam für rund 400 Millionen Euro zu verkaufen. Doch das Medienhaus fand offenbar keine*n Käufer*in, der oder die bereit war, diesen Preis zu zahlen: Ein halbes Jahr später wurde der Verkauf einem Bericht zufolge wieder abgeblasen.
Dass Ladenzeile nun relativ sang- und klanglos verschwinden wird, betrübt auch Mitgründer Johannes Schaback: "Es ist sehr schade, dass Ladenzeile eingestellt wird. Damit endet leider wirklich eine Ära", so der einstige CTO gegenüber OMR. "Ferner zeigt das nunmal mehr, dass selbst ein gutes Produkt nicht gegen die Marktmacht von Google ankommt. Leider haben die Maßnahmen für eine fairen Wettbewerb auf dem Internet-Werbemarkt nicht gewirkt."
Wird Ladenzeile noch von Google entschädigt?
Ein zumindest kleiner Hoffnungsschimmer bleibt für die Anteilseigner der Ladenzeile GmbH noch: Wie zu hören ist, soll die Gesellschaft vorerst erhalten bleiben – um, falls der Europäische Gerichtshof die Bußgeldstrafe bestätigt, gegenüber Google Ansprüche auf Entschädigungszahlungen weiterhin geltend machen zu können.