Google-VP Brendon Kraham: "Unser Ziel ist es nicht, Inhalte zu ersetzen"
Der Google-Mann spricht im Interview über die Auswirkungen von KI-Funktionen wie AI Overviews auf die Google Suche
Anfang März berichtet Kollege Roland über erste Deutschlands-Tests der neuen KI-Funktion AI Overviews (in Deutschland: "Übersicht mit KI") in der Google Suche. Kurze Zeit später wird "AI Mode" angekündigt – eine Art KI-Chatbot mit Websearch-Fähigkeiten. Im exklusiven OMR-Interview erzählt Brendon Kraham, VP of Global Search Ads and Commerce, Business & Product Strategy bei Google, wie sich solche KI-Funktionen jetzt schon auf die Google Suche auswirken, ob Webseitenbetreiber*innen wirklich Angst um ihren Traffic haben müssen und wie Marketeers jetzt reagieren sollten, um den Kanal weiter erfolgreich zu nutzen.
OMR: Brendon, danke, dass du dir die Zeit nimmst, mit uns über die Zukunft der Google Suche und die Rolle von KI zu sprechen. Stell dich doch kurz vor!
Brendon Kraham: Ich leite die Go-to-Market-Strategie für unser Suchgeschäft und bin seit 15 Jahren bei Google. In dieser Zeit habe ich viele Branchenveränderungen miterlebt, die uns neue Chancen eröffnet haben. Künstliche Intelligenz (KI) ist der nächste große Umbruch und erinnert mich an den Wechsel zu mobilen Plattformen. Eine zentrale Frage bleibt: Wie entwickelt sich das Nutzer- und Werbeerlebnis weiter? Unser Ziel ist es, Unternehmen mit relevanten Kunden zu verbinden und die Suche stetig zu verbessern.
Google testet AI Overviews (auf Deutsch: “Übersicht mit KI”) derzeit in Deutschland. Wie verändert diese Funktion langfristig das Sucherlebnis?
Brendon Kraham: Wir testen AI Overviews intensiv – mittlerweile in über 100 Ländern. Die Daten zeigen: Nutzende suchen nicht nur mehr, sondern sind auch zufriedener mit den Ergebnissen. Besonders für komplexe Fragen, die Informationen aus mehreren Quellen benötigen, ist das hilfreich. Zudem beobachten wir eine Zunahme kommerzieller Suchanfragen – Nutzende beziehen AI Overviews also auch in Kaufentscheidungen ein.
Zuletzt gab es viel Presseberichterstattung zum "AI Mode" von Google. Ist das der nächste Schritt für die Zukunft der Suche?
Brendon Kraham: Es ist ein frühes Experiment. Wir haben erkannt, dass Nutzende sich mehr Interaktionsmöglichkeiten mit KI wünschen. Mit dem Test ermöglichen wir differenziertere Fragen, die sonst mehrere Suchanfragen erfordert hätten. Grundlage ist Gemini 2.0 mit besseren logischen Schlussfolgerungen und multimodalen Fähigkeiten. Aber wir stehen noch am Anfang der Entwicklung.
Wie stellt Google sicher, dass KI-generierte Inhalte verlässlich bleiben?
Brendon Kraham: Unsere generative KI baut auf bewährten Ranking- und Qualitätssystemen auf, die wir über Jahrzehnte optimiert haben. Zudem setzen wir auf strenge Evaluierungen und sogenanntes "adversarial testing". Dadurch stellen wir sicher, dass AI Overviews höchsten Qualitäts- und Sicherheitsstandards entsprechen. Besonders im Bereich Faktentreue haben wir in den letzten Monaten deutliche Fortschritte gemacht und lernen stetig dazu, in welchen Anwendungsfällen AI Overviews am nützlichsten sind.
Heißt das, dass nicht jede Suchanfrage für AI Overviews geeignet ist? Wird es auch zukünftig klassische Suchergebnisse geben?
Brendon Kraham: Genau. AI Overviews sind besonders bei komplexen Anfragen hilfreich, die Informationen aus mehreren Quellen erfordern. Dennoch gibt es viele Suchanfragen, bei denen klassische Suchergebnisse weiterhin die bessere Wahl sind.
Wie beeinflussen AI Overviews die Interaktion der Nutzende mit organischen Suchergebnissen?
Brendon Kraham: Nutzende, die AI Overviews nutzen, suchen häufiger und sind zufriedener mit den Ergebnissen. Dadurch steigt auch die Anzahl kommerzieller Suchanfragen. Besonders spannend: Den größten Anstieg bei der Nutzung von Übersicht mit KI in der Google Suche stellen wir bei jüngeren Nutzende fest. Zudem besuchen Nutzende eine größere Vielfalt an Websites – vor allem bei komplexen Fragen. Klicks aus AI Overviews sind hochwertiger, da Nutzende gezielter nach vertiefenden Informationen suchen und mehr Zeit auf den Zielseiten verbringen. Kurz gesagt: Mehr Suchanfragen, zufriedenere Nutzende und hochwertigere Klicks – ein Gewinn für alle Beteiligten, auch für Publisher.
Viele Publisher befürchten, dass KI ihren organischen Traffic verringern könnte. Ist diese Sorge berechtigt?
Brendon Kraham: Wir verstehen diese Sorgen. AI Overviews sind jedoch darauf ausgelegt, Inhalte aus dem gesamten Web hervorzuheben und Nutzende gezielt auf Websites zu leiten. Unsere Daten deuten darauf hin, dass AI Overviews tatsächlich eine größere Vielfalt an Weblinks anzeigen. Und bei komplexen Fragen sind die Klicks hochwertiger, da User gezielt nach vertiefenden Informationen suchen. Unser Ziel ist es nicht, Inhalte zu ersetzen, sondern Nutzende effizienter mit relevanten Quellen zu verbinden.
Welche neuen Chancen ergeben sich durch die Integration anderer Google-Services wie YouTube in AI Overviews?
Brendon Kraham: Nutzende bewegen sich heute in vier Modi durchs Internet: Streaming, Scrolling, Searching, Shopping. Diese Verhaltensweisen überschneiden sich zunehmend. Ein Beispiel: Mit Google Lens wird das Aufnehmen eines Fotos Teil des Suchprozesses. Oder Nutzende pausieren ein Video auf YouTube und markieren etwas mit Circle to Search – eine Kombination aus Streaming, Scrolling, Searching und Shopping.
Für Werbetreibende bedeutet das eine neue Herausforderung und zugleich eine Chance: Wie erreicht man Nutzende entlang dieser Journey? Wir sind stolz darauf, wie unsere Plattformen zusammenarbeiten und Unternehmen helfen, mit Kunden in Kontakt zu treten. Jeden Tag gibt es Milliarden Entdeckungen auf Google und YouTube. Insgesamt erfolgen 73 Prozent aller Kaufprozesse weltweit über diese Plattformen – ein Beweis dafür, dass sie entscheidend für Informations- und Kaufentscheidungen sind.
Welche Rolle spielen bei neuen Customer Journeys Funktionen wie Google Lens?
Brendon Kraham: Die Google Suche hat sich weiterentwickelt: Neben Texteingaben nutzen Menschen auch Sprachbefehle oder visuelle Tools wie Google Lens, um ihre Umgebung zu erkunden. Mit rund 20 Milliarden Anfragen pro Monat – 25 Prozent davon kommerziell – zeigt sich, dass diese Technologie das Suchverhalten erweitert. Ein weiteres Beispiel ist "Circle to Search", das Nutzenden hilft, Inhalte intuitiv zu entdecken. Die Google Suche passt sich so immer besser an neue Bedürfnisse der Verbraucher*innen an.
Wie wird sich Suchmaschinenwerbung mit AI Overviews verändern? Werden Anzeigen direkt in AI Overviews erscheinen?
Brendon Kraham: Ja. Unser Ziel bleibt es, Werbetreibende mit Nutzende zu verbinden. Das Schöne an einem Produkt wie AI Overviews – und das sage ich auch regelmäßig unseren Kunden – ist, dass dafür kein zusätzlicher Aufwand nötig ist. Unternehmen können ihre Anzeigen weiterhin mit den bestehenden Produkten wie Search Ads, Shopping Ads oder Performance Max-Kampagnen schalten. Diese Anzeigen sind dann auch in den AI Overviews sichtbar – sowohl oberhalb, unterhalb als auch innerhalb dieser Inhalte. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir sehr bewusst und gezielt an die Einführung von Anzeigen in AI Overviews herangehen, um sicherzustellen, dass wir hohe Qualitäts- und Relevanzstandards einhalten. Derzeit sind diese Anzeigen deshalb nur in den USA oberhalb und unterhalb von AI Overviews sichtbar und nur auf mobilen Geräten auch innerhalb von AI Overviews. Die Google Suche bleibt aber der entscheidende Ort, an dem sich Verbraucher zwischen Marken entscheiden.
Einige Marketer sorgen sich, dass KI ihnen die Kontrolle über ihre Werbekampagnen nimmt. Wie siehst du das?
Brendon Kraham: Im Gegenteil: KI bietet mehr Steuerungsmöglichkeiten als je zuvor. Bereits 80 Prozent der Werbetreibenden in Suchkampagnen nutzen KI-gestützte Tools für Targeting, Gebote oder Anzeigenerstellung. Performance Max bietet eine vollautomatisierte Optimierung, während klassische Suchkampagnen ebenfalls KI-Tools zur gezielten Steuerung nutzen können.
Brauchen Werbetreibende neue Anzeigenprodukte, um ihre Werbung in AI Overviews zu platzieren?
Brendon Kraham: Nein. Performance Max und andere bestehende Kampagnen bleiben der zentrale Weg, um Nutzende über verschiedene Kanäle hinweg zu erreichen. Wer noch nicht auf Performance Max setzt, kann trotzdem KI-gestützte Optimierungen in klassischen Such- oder Demand-Gen-Kampagnen nutzen.
Siehst du die Konkurrenz durch Unternehmen wie OpenAI oder Perplexity als Bedrohung für Googles Marktführerschaft in der Suche? Und wie sieht die Zukunft der Suche in fünf Jahren aus?
Brendon Kraham: Wettbewerb ist für uns nichts Neues. Unsere Stärke liegt in Reichweite, Vertrauen und Skalierung. Jährlich gibt es fünf Billionen Suchanfragen, 15 Prozent davon sind völlig neu. Besonders aktiv ist Gen Z: 18- bis 24-Jährige suchen häufiger als jede andere Altersgruppe. Unsere Mission bleibt unverändert: „Die Informationen der Welt zu organisieren und sie universell zugänglich zu machen.“ Die Technologien werden sich weiterentwickeln – sei es durch AI Overviews, Google Lens oder andere Innovationen –, aber unser Ziel bleibt es, Nutzende die besten Antworten auf ihre Fragen zu liefern. .
Abschließend: Findest du es schwierig, Werbetreibende für KI zu begeistern?
Brendon Kraham: Ganz im Gegenteil! Viele Unternehmen sehen bereits die Vorteile und setzen gezielt auf KI. Laut einer Studie, die wir gemeinsam mit BCG durchgeführt haben, verzeichnen Werbetreibende, die KI-Tools tief integriert haben, ein um 60 Prozent höheres Umsatzwachstum als ihre Mitbewerber. Skepsis gab es auch beim Wechsel zu Mobile. Doch führende Marken erkennen, dass KI die Performance enorm steigern kann. Ich finde diese Phase besonders spannend – und wir gestalten diesen Wandel gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern.
Brendon, vielen Dank für das Gespräch!