Slack für die Gen Z: Mit diesem Tool bauen US-Brands jetzt Communitys mit treuen Fans

Martin Gardt8.8.2022

Community-Building ist für viele Marken ein Zauberwort. Viele tun sich aber wahnsinnig schwer damit. Kann das Tool "Geneva" helfen?

Geneva: Das Slack der Gen Z
Geneva: Das Slack der Gen Z
Inhalt
  1. Kombination aus Slack, Clubhouse und Zoom
  2. Warum setzen Brands trotz wenig Reichweite auf Geneva?
  3. Erste Community-Erfolge
  4. Was sind echte Fans wirklich wert?

Cookiecalypse, teure Social-Ads, Apples Targeting-Einschränkungen: Für Werbetreibende wird es aktuell weder günstiger noch einfacher, ihre Zielgruppen effektiv zu erreichen. Umso mehr rückt Community-Building als Strategie in den Blickpunkt. Das Problem: Der Aufbau einer Community ist mühsam, die Plattform-Landschaft zerstückelt. In diese Lücke will jetzt Geneva stoßen. Wir zeigen, was das Slack der Gen Z kann, wie Brands hier Communitys bauen und ob die am Ende wirklich wertvoll sind.

Influencer erkennen Trends auf Social Media in der Regel vor allen anderen. Die neueste Erkenntnis: Community ist die neue Follower-Zahl – zumindest wenn es nach der bekannten Netztrend-Analystin Taylor Lorenz von der Washington Post geht. Viele Content Creator wollen nicht mehr einfach nur Bilder und Videos rausschicken. Sie haben erkannt, dass treue Fans nur entstehen, wenn die das Gefühl haben, gehört zu werden. Deshalb starten viele Influencer derzeit Accounts auf Plattformen wie Discord und Telegram, wo der Austausch im Mittelpunkt steht. Und ganz neu kommt zu diesem Zweck Geneva zum Einsatz. Das wächst derzeit bei Nutzenden aus der Gen Z rasant – weil Influencer auf Instagram & Co. für die dort gebauten Communitys werben.

Und genau deshalb könnte Geneva auch für Brands spannend werden, die einen Ort für direkten Kontakt mit den treusten Fans bauen wollen. Eine Community, die am Ende aus sich selbst heraus funktioniert, wo sich Nutzende über Produkte austauschen, diskutieren, Probleme lösen, gilt als heiliger Gral für viele Marken. In Deutschland hatten wir Anfang 2020 über das Startup Wildling Shoes geschrieben, die genau das über Facebook Gruppen geschafft haben. Aber die junge Zielgruppe lässt sich dort nicht erreichen. Discord ist für viele Marken zu nah an der Gaming-Branche und Telegram hat durch die Russland-Connection nicht den besten Ruf. Slack ist zu sehr B2B. Kann also Geneva die Lösung sein?

Kombination aus Slack, Clubhouse und Zoom

Geneva wird 2019 von Justin Hauser in New York gegründet und ist seit März 2020 mit einer iOS-App live. Das Ziel direkt vom Start weg: ein Zuhause für Gruppen, Clubs und Communitys in der digitalen Welt schaffen. Geneva richtet sich im ersten Schritt also nicht nur an Influencer und Marken, hier können auch Privatpersonen ihren Buchklub digitalisieren. Nutzende starten zuerst ein „Home“, die Zentrale der eigenen digitalen Community. Von hier aus gelangt diese in verschiedene Chat-Räume mit unterschiedlichen Funktionen. Chat Rooms bieten die klassische Unterhaltung im Stile von Whatsapp oder Slack. Forum Rooms sind für längere Beiträge gedacht, die wie News-Artikel gestaltet werden können. Nutzende können diese dann kommentieren. Audio Rooms erinnern deutlich an Clubhouse. Video Rooms wirken wie Facetime oder Zoom und Broadcast-Rooms bieten ein eingebautes Twitch zum Livestreamen von Videos.

Geneva Room Types

Geneva bietet unter anderem Chat Rooms, Forum Rooms und Video Rooms (v.l.)

Aber warum wird Geneva gerade jetzt spannend? Das Trommeln von Influencern und Brands für ihre Communitys in Geneva hat offenbar Erfolg. Die App habe laut dem Unternehmen seit Anfang 2022 die täglichen aktiven Nutzer:innen verdreifacht. Das bestätigt ein Blick in das App-Analyse-Tool Appfigures, wo die geschätzten Downloadzahlen der iOS-App seit Januar merklich anziehen. Insgesamt kommen demnach aber erst 190.000 Downloads seit dem Start 2020 zusammen – da ist noch Luft nach oben. Derzeit ist die App für Nutzende, Creator und Brands komplett kostenlos, auch Ads gibt es noch nicht. In Zukunft wolle Geneva Geld verdienen, indem Community-Köpfe für spezielle virtuelle Events Geld verlangen können. Das Unternehmen würde dann eine Provision einstreichen. An diese Zukunftsvision glauben zumindest einige Investoren, die bisher 22 Millionen US-Dollar in Geneva gesteckt haben. Darunter sind Patreon-Gründer Jack Conte, Red Sea Ventures (früher Investor in Nest und Allbirds) und Base Ventures (früh in Zoom investiert).

Warum setzen Brands trotz wenig Reichweite auf Geneva?

Wie setzen Brands das Tool aber jetzt schon ein? In den USA tummeln sich bisher vor allem junge Marken, meist mit D2C-Modell, auf der Plattform. Beispiele sind das Schmucklabel Mejuri, die Sonnencreme-Brand Supergoop, das Haarpflege-Startup Ceremonia, der Perioden-Produkte-Anbieter August oder der Nahrungsergänzungsmittel-Händler Looni. Offenbar ist der Aufbau der Community auf Geneva aber genauso schwierig wie auf allen anderen Plattformen.

Rare Beauty, die Kosmetik-Linie von Schauspielerin Selena Gomez hat laut Business of Fashion nur 94 Mitglieder im Geneva-Home – auf Instagram folgen der Brand 3,3 Millionen Menschen. Trotzdem wolle das Unternehmen den Kanal weiter pushen. „Eine Instagram-DM ist toll. Aber ward Ihr schonmal in einer DM mit 100 Menschen? Das ist einfach zu viel und du kommst nicht mehr mit“, sagt Ashley Murphy, Senior Director of Consumer Marketing bei Rare Beauty, gegenüber Business of Fashion. „Wir lieben die Features von Geneva, wo wir für unterschiedliche Themen verschiedene Räume nutzen können. Das hilft uns, unsere Community besser mit Infos zu versorgen, das Ganze zu beobachten und Fragen zu beantworten. Das ist alles viel einfacher aus unserer Perspektive.“

Erste Community-Erfolge

Es gibt aber auch schon US-Startups, die auch in Sachen Community-Größe erste Erfolge auf Geneva verzeichnen. Bestes Beispiel ist wohl der Perioden-Produkte-Anbieter August. Gründerin Nadya Okamoto sicherte sich im Juni 2021 noch vor dem Verkauf des ersten Produkts ein Investment über zwei Millionen US-Dollar – weil die Investoren so von ihrer extrem aktiven Community auf Geneva begeistert waren. Damals waren es noch wenige hundert, heute umfasst die Geneva-Community namens „The Inner Cycle“ über 3.800 Mitglieder. „Ich glaube, wir brauchten ein höheres Level an Zusammenhalt, weil wir über Menstruation sprechen. Und wegen des Stigmas rund um die Periode brauchst du ein höheres Level an Vertrauen, um zu verstehen, was die Kunden sich wirklich wünschen“, sagt Okamoto gegenüber Modern Retail.

Zuerst setzt August seine Community also zur Produktentwicklung ein – und tut das noch heute. Ganz gezielt um die Brand und deren Produkte geht es in Kanälen wie „August Town Hall“ und „Ask August“. Dazu kommen Räume, in denen sich die Mitglieder über persönliche Erfahrungen, Menstruationsbeschwerden und Self Care unterhalten können. August bindet damit treue Fans noch stärker an die Marke. Gründerin Okamoto will in Zukunft auf der Plattform auch Gesichter für Werbekampagnen finden. Und einige Mitglieder aus der Community hat sie sogar als Mitarbeitende gewonnen. „Wenn ich das in eine Marketing- und Sales-Perspektive betten müsste, geht es darum, Brand-Fans und -Loyalität zu erzeugen“, sagt die August-Gründerin. Gleichzeitig gebe es keine KPIs oder Sales-Ziele für die Community.

Was sind echte Fans wirklich wert?

Bei Geneva zeigt sich, dass es bestimmte Arten von Unternehmen gibt, für die sich Community-Building auf einer dezidierten Plattform wirklich lohnt. In den USA pushen vor allem Startups die Strategie, die sich mit Gesundheitsthemen befassen. Selbst Rare Beauty, die Kosmetik-Marke von Selina Gomez, setzt gerade deshalb auf Geneva, weil die Gründerin sich für mehr Aufmerksamkeit im Bereich mentale Gesundheit einsetzt. Wer also ein Thema mit Diskussions- und Austauschpotenzial bespielt, dürfte es leichter haben beim Aufbau der Community. Allerdings stecken auch die bereits auf Geneva aktiven Unternehmen kaum Ressourcen in das Thema – zumindest bisher. Bei Rare Beauty muss das Social-Team neben Instagram, Tiktok, Twitter & Co. auch Geneva bespielen und auswerten. Dabei gelten wie bei August andere KPIs. „Es geht komplett um das Community-Gefühl und was wir daraus lernen können“, so Consumer-Marketing-Direktorin Ashley Murphy. „Die Insights, die sie teilen, sind unbezahlbar.“

Die Communitys ingesamt und speziell auf Geneva sollen also weniger Follower und Likes auf Instagram und Tiktok ersetzen. Vielleicht geht es nicht einmal darum, Produkte zu verkaufen. Stattdessen helfen treue Fans bei der Weiterentwicklung des Unternehmens. Das ist am Ende im Zweifel noch wertvoller. So sieht es zumindest August-Gründerin Okamoto. „Die Inner-Cycle-Community soll nicht dieses verrückt große Ding werden. Das Schöne ist ja gerade, dass wir engagierte Menschen dort haben, die wirklich das Gefühl haben, andere zu erreichen, sich vielleicht sogar zu treffen und Beziehungen zueinander aufzubauen“, sagt sie. Und es gebe noch einen weiteren wichtigen Faktor: Wenn Menschen Fragen zu Produkten oder zu ihrer Bestellung haben, gehen sie laut Okamoto zum Teil zuerst auf Geneva und bekommen Antworten von anderen Community-Mitgliedern. Ein Segen für alle Support-Mitarbeitende.

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MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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