150 Millionen MAU & zehnstellige Bewertung: Kann Discord zur Marketingplattform werden?

StockX, Chipotle und Gymshark betreiben bereits Branded Communitys in der App

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Chatten beim Angeln, Wandern oder gemeinsam Lernen? Ein Ausschnitt aus einem Werbevideo von Discord zeigt, welche Nutzungsszenarien es für Discord abseits von Gaming geben könnte

Eigentlich war Discord als reine Chat-App für Gamer:innen gedacht, die sich während des Zockens per Voice-over-IP mit ihren Mitspielenden verständigen wollen. Doch von den mittlerweile 150 Millionen monatlichen Nutzenden der App soll etwa ein Drittel auf Discord in Communitys aktiv sein, die sich Themen abseits von Gaming widmen: Memes, Mode, Kryptowährungen, Karaoke oder gemeinsames Lernen. Hat Discord damit auch das Zeug dazu, eine Marketingplattform in der Breite zu werden? OMR hat recherchiert, wie die Discord-Macher gerade versuchen, Marken auf die Plattform zu locken, zeigt, welche neuen Geschäftsmodelle auf der Plattform entstehen und erklärt die Besonderheiten des „Slacks für die Gen Z“.

Werbung ist zu aufdringlich; Verbraucher:innen mögen sie generell nicht und wollen schon gar nicht ihre Daten mit Marken teilen. – Mit Aussagen wie diesen zitierte vor wenigen Monaten das Wall Street Journal den Discord-Gründer Jason Citron. Mehrere Medien haben das Unternehmen deswegen zuletzt als das „Anti-Facebook“ tituliert. Ungeachtet Discords Abneigung gegenüber der Werbevermarktung versuche hinter den Kulissen mehrere Arbeiter gerade Marken dazu zu bewegen, Discord in ihre Marketingstrategie einzubinden – jedoch nicht in Form von bezahlten Werbeplatzierungen, sondern als Marken-Communitys.

Discord stellt Brand-Community-Expert:innen ein

„Wir arbeiten mit einer ganzen Ladung an großen Marken daran, ihre Communitys auf Discord zu zentralisieren und die dynamischen, engagierten und kreativen User, die dort leben, zu erreichen. Wenn Ihr interessiert sein solltet, lasst es mich wissen“, schreibt beispielsweise Discord-Mitarbeiter Archie Prescot vor drei Monaten auf Linkedin. Da hat die Baseball-Cap-Marke New Era gerade mit Unterstützung von Prescot einen eigenen Server (wie Discord einzelne Foren-Communitys nennt) eingerichtet. Auf diesem können New-Era-Fans anderen ihre Sammlung oder ihre Outfits präsentieren, über die amerikanischen Sportligen diskutieren (New Era ist offizieller Ausrüster der NFL, NBA und MLB) und in Zukunft möglicherweise auch an Live-Audio-Events teilnehmen.

Ein Blick auf den Discord-Server von New Era

Archie Prescot war, bevor er Mitglied des Discord-Teams wurde, Mitarbeiter des US-Startups Zyper. Mit dessen Software sollten Marken ihre treuesten und engagiertesten Fans in Social Media identifizieren, um für diese eine eigene Brand(ed) Community einrichten und betreiben zu können. Im Januar 2021 hat Discord Zyper übernommen. Im April 2021 führte Zyper-Gründerin Amber Atherton (nun in den Diensten von Discord) mit Kollegen offenbar einen ersten Workshop für Marken auf Discord durch.

„Die neue Plattform der Wahl für Zoomer“

Schon im September 2020 hatte Discord CEO Jason Citron die Verpflichtung von Tesa Aragones als neue CMO von Discord verkündet. Die US-Amerikanerin war zuvor unter anderem für Nike tätig und hat dort mit dem „Nike Training Club“ eine der beliebtesten Digital-Communitys der Marke ins Leben gerufen. Ganz offensichtlich wollen die Discord-Gründer mehr Marken dazu bringen, auf Discord einen eigenen Server zu betreiben.

Das stößt offenbar durchaus auf Interesse: Im Juni startete beispielsweise der Sneaker- und Streetwear-Marktplatz StockX (hier der Gründer Josh Luber im OMR Podcast) im Rahmen ihres jährlichen Community Events StockX Day einen Discord-Server. Der Schritt habe sich unumgänglich angefühlt, so StockX-Marketingchefin Deena Bahri gegenüber Business of Fashion. „Uns ist klar, dass Discord die neue Plattform der Wahl für die Gen Z und junge Millenials ist.“ Im Rahmen mehrerer „Cultural Talks“, die StockX auf Discord durchführt, sprechen Vertreter von Unternehmen wie Complex, New Balance und 100 Thieves. Aktuell hat der Server mehr als 20.000 Mitglieder.

Wachstumsschübe durch Drake und Among Us

Eigentlich kommt Discord aus dem Gaming-Bereich. Im Jahr 2013 schließen sich die beiden Gründer Jason Citron und Stan Vishnevsky zusammen, um gemeinsam Mobile Games zu entwickeln – mit überschaubarem Erfolg. Deutlich mehr Anklang findet ein Produkt, mit dem sie Gamern mittels Voice-over-IP-Technik das Chatten während des Zockens ermöglichen wollten: Im Jahr 2015 heben sie dieses unter dem Namen Discord aus der Taufe. Die App bietet auch Textchats sowie die Möglichkeit, auf einem Server verschiedene Channels einzurichten und Moderatoren zu ernennen. Discords Nutzeroberfläche dürfte viele Berufstätige an die von Slack erinnern.

In den ersten Jahren verbreitet sich über Gaming-nahe Subreddits (Unterforen der Social Community Reddit) und mit Hilfe von Twitch-Streamern die Kunde von der Chat-App; immer mehr wechseln vom Discord-Konkurrenten Teamspeak oder dem textbasierten „Internet Relay Chat“ zu Discord. In den Jahren darauf gibt es diverse Momente, in denen Discord auf dem Rücken von Gaming-Phänomen und durch Streamer plötzlich explosionsartig wächst. Etwa als im Jahr 2018 Fortnite-Streamer Ninja im Livestream mit 600.000 Zuschauern den Rapstar Drake dazu bringt, Discord zu installieren. Oder als im Sommer 2020 das Spiel „Among Us“ durch die Decke geht und dafür sorgt, dass Discord fast eine Million Mal täglich heruntergeladen wird und im US App Store bis auf Platz 6 vordringt.

Im Game Marketing ist Discord schon Standard

Wenig verwunderlich also, dass Discord im Game Marketing mittlerweile quasi Standard ist. Die mitgliederstärksten Server drehen sich um Spiele und werden offiziell von deren jeweiligen Publishern betrieben. Dazu mischen sich Gaming-Server von Streamern wie TommyInnit und MrBeast. Auch zu angrenzenden Themen wie Memes, Internetkultur, Anime und Musik lassen sich Server mit sechsstelligen Mitgliederzahlen finden.

Die mitgliederstärksten Discord Server

(auf dem Handy nach links wischen, um die gesamte Tabelle zu sehen)

Platz

Server-Name

Thema

Mitglieder

1

Fortnite

Game

827.000

2

Genshin Impact

Game

800.000

2

Minecraft

Game

800.000

2

Valorant

Game

800.000

5

TommyInnit’s Discord

Streamer

727.000

6

MrBeast Gaming

Streamer

700.000

7

Roblox

Game

604.000

8

Rocket League

Game

596.000

9

Rainbow 6

Game

585.000

10

/r/wallstreetbets

Trading (Subreddit)

582.000

11

Lofi Girl

Musik

580.000

12

Anime Soul

Anime

576.000

13

PUBG Mobile

Game

546.000

14

Apex Legends

Game

544.000

15

The Lounge

Gaming, Anime, NSFW

525.000

16

Emoji.gg

Custom Emojis

524.000

17

Las Nevadas

Minecraft

522.000

18

Nookazon

ACNH-Marktplatz

517.000

19

Animal Crossing New Horizons

Game

507.000

20

Mythpat

Streamer

500.000

Stand: 29. Juli 2021 (Recherche: OMR / Quellen: Discord.com, Disboard.com, Disforge.com & Top.gg)

Vielleicht ist es der Umstand, dass die Discord-Macher den Funktionsumfang ihrer App über die Jahre hinweg immer weiter ausbauen, der nach und nach auch weniger Gaming-affine Nutzende anlockt bzw. die bestehenden User animiert, Discord auch zu anderen Zwecken zu nutzen. Im Rahmen einer User-Umfrage habe sich das Unternehmen nach dem größten Missverständnis bezüglich Discord erkundigt, schreibt CEO Jason Citron im Juni 2020 in einem Blog-Artikel. Die deutliche Antwort der Nutzenden sei gewesen: dass Discord nur für Gamer sei.

Von Karaoke bis Pflanzenpflegetipps

Das Unternehmen ändert dementsprechend sein Motto im gleichen Zug zunächst zu „Your Place to Talk“, ein Jahr später zu dem noch abstrakteren „Imagine A Place“. Mittlerweile hat Discord zu dieser Tagline auch einen recht kuriosen, gemeinsam mit den Discord-User:innen gestalteten Kurzfilm mit Hollywood-Schauspieler Danny DeVito ins Netz gebracht.

Discord wolle jeden Willkommen heißen, schreibt Citron im Mai 2021. „Mit mehr als 19 Millionen aktiven Servern jeglicher Größe, ist Discord zu einem Ort für Lerngruppen, Karaoke-Abenden, Pflanzenpflege-Tipps, Lernen über Kryptowährungen geworden, an dem man mit seinen Leuten abhängt und sich unterhält, wer immer sie auch sie sein mögen.“ Schon im Juni 2020 hatte Forbes berichtet, dass mehr als 30 Prozent der Nutzenden die App für andere Sachen als Gaming nutzen.

Hypebeasts hustlen in „Cook Groups“

Ist Discord damit auch für Nicht-Gaming-Marken interessant? Im vergangenen Jahr haben zumindest diverse von ihnen angefangen, auf Discord zu experimentieren: Die US-Frucht-Dragee-Marke Skittles hat im Juli 2020 einen eigenen Server eingerichtet, die Tequila-Marke José Cuervo führte im August gemeinsam mit mehreren Musikstars eine Kampagne auf Discord durch, im November startete das NBA-Team Sacramento Kings einen Discord Server für seine Fans.

Community BuildingDiscord
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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