Stammt der aktuell beliebteste deutschsprachige Alexa Skill aus einem Verlagshaus?
Die Funke Gruppe ist mit dem "Fernsehprogramm" erfolgreich
- Chance erkannt und ergriffen
- Fünf- oder sechsstellige Nutzerzahlen?
- 100 Manntage für Entwicklung und Testen
- 2 English 2 Understand
- Längere Prozesse sind per Sprache nur mühsam zu steuern
- Experimente mit Horoskopen und Gedächtnistrainern
- Fokus auf Reichweitenaufbau
- Kein Geld, kein Traffic, keine Markenbildung
- Medienhäuser wollen Amazon zur Monetarisierung drängen
- Bald soll Funkes erste „Google-Action“ kommen
Verlagshäuser gelten nicht unbedingt als Hort der Innovation. Umso ehrenwerter sind die aktuellen Experimente der Funke Gruppe im Bereich sprachgesteuerte Anwendungen: Mit dem „Fernsehprogramm“ steckt das Medienhaus hinter dem derzeit vielleicht beliebtesten deutschsprachigen Alexa Skill. OMR hat die beiden Projektverantwortlichen gefragt, warum Funke im Bereich Sprach-Plattformen aktiv geworden ist, wie viele Nutzer der Skill hat und ob es klug ist, Amazon Content zu „schenken“.
„Wir sind davon überzeugt, dass Voice User Interfaces extrem relevant werden. Wir rechnen damit, dass das Thema ähnlich stark den Markt umkrempeln wird wie es vor zehn Jahren die Smartphones getan haben“, sagt Malte Peters. Er ist Leiter Digital Consumer Media und damit für das gesamte digitale B-to-C-Geschäft des Verlags verantwortlich: Websites, Apps, Social Media. Seit einigen Monaten gehören dazu nun auch Skills auf Amazons Sprachplattform Alexa.
Chance erkannt und ergriffen
Einer davon ist offenbar besonders erfolgreich: das „Fernsehprogramm“. Zwar gibt es keine verlässlichen aktuellen Informationen darüber, welche Alexa Skills die meisten Nutzer verzeichnen. Wer aber innerhalb der vergangenen Monate auf Amazons Plattform beobachtet hat, welche Skills der Marktplatz unter dem Punkt „Top aktivierte Skills“ aufgeführt hat, stieß dort auf einer der vorderen Positionen eigentlich immer auf Funkes Programm-Skill. Dessen Funktion ist selbst erklärend: Wer den Skill aktiviert, kann Alexa detaillierte Fragen stellen zum… klar, Fernsehprogramm.
Entwickelt worden ist der Skill gar nicht vom Verlag selbst, jedenfalls nicht ursprünglich. Die ersten Versionen wurden in Eigeninitiative von Alexander Martin, einem unabhängigen Entwickler, programmiert. Weil der dafür aber Daten von Funke nutzte, wurde der Verlag auf den Skill aufmerksam. „Der Entwickler hat mit rudimentären Daten gearbeitet, die er von uns über eine semi-öffentliche Schnittstelle erhalten hatte“, sagt Bernd Zabel, Leitung Digitale Medien Programmzeitschriften bei Funke. „Wir haben den Skill dann übernommen und mit deutlich mehr Möglichkeiten ausgestattet.“
Fünf- oder sechsstellige Nutzerzahlen?
Zum Zeitpunkt der Übernahme lassen die Anzahl und der Ton der Bewertungen darauf schließen, dass damals noch der Fernsehprogramm-Skill des unabhängigen Entwicklers Tobias Knisch beliebter ist. Beide Fernsehprogramm-Skills tauchen nicht in einem von Amazon im Alexa-Newsletter im Mai vergangenen Jahres veröffentlichten Ranking jener Skills auf, die bislang am häufigsten aufgerufen worden sind. Nach der Übernahme durch den Verlag ist der Funke-Skill aber in der Beliebtheit der Nutzer deutlich sichtbar gestiegen.
Konkrete Nutzerzahlen wollen die beiden Funke-Manager nicht nennen. Nur dies: „Als wir den Skill im April übernommen haben, hatten wir 30.000 Nutzer. Seitdem haben wir diese Zahl weit mehr als verdoppelt“, sagt Bernd Zabel. Selbst wenn die Nutzerzahlen des Skills jetzt sechsstellig sein sollten: Im Vergleich zu den Auflagen der Print-Programmzeitschriften von Funke (laut IVW 1,5 Millionen verkaufte Exemplare von „TV Digital“ und 984.000 verkaufte Exemplare von „Hörzu“) sind solche Reichweiten noch winzig.
100 Manntage für Entwicklung und Testen
Aber auf der Alexa-Plattform alleine dürfte Funke damit auf den vorderen Plätzen liegen: Nick Schwab, einer der globalen Top-Skill-Entwickler, dessen Skills auch in Deutschland regelmäßig von Amazon unter den „Top Aktivierten“ geführt werden, erklärte gegenüber OMR, dass sein beliebtester Skill 70.000 deutsche Unique User verzeichne. Noch vor weniger als einem Jahr lag die Nutzerzahl der beliebtesten deutschen Alexa Skills bei etwa 30.000. Seitdem sind nochmals deutlich mehr Alexa-fähige Geräte verkauft worden.
Alexander Martin arbeitet nun im Auftrag von Funke am dem Skill. Der Verlag und der Entwickler haben die Daten (vor allem die Zahl der Sender) und Funktionen deutlich erweitert. „Insgesamt haben wir im Rahmen der Programmierung und für Tests rund 100 Manntage in die Entwicklung des Skills investiert“, so Bernd Zabel.
2 English 2 Understand
Nun können die Nutzer den Skill nicht nur fragen, was heute Abend in der Glotze kommt, sondern auch durch ihn von Alexa erfahren, wann auf welchem Sender etwas zu einem bestimmten Thema läuft – etwa Fußball oder Tanzen. Was auf Anhieb relativ simpel klingen mag, ist im Hintergrund komplizierter als mancher vielleicht denkt. „Sprachassistenten sind immer noch in einem relativ frühen Entwicklungsstadium. Wenn man dann noch sehr tabellarischen Content hat und mit seltsamen Wörtern wie Sender- oder Sendungsnamen arbeitet, dann macht das die Sache noch zusätzlich schwieriger“, sagt Bernd Zabel. „Wir programmieren täglich gegen die Kinderkrankheiten des Sprachassistenten an.“
Alexa komme zum Beispiel mit englischsprachigen Film- oder Seriennamen wie „2 Fast 2 Furious“ oder „The Stand“ schlecht zurecht. „Da behelfen wir uns mit alternativen Schreibweisen. Auch bei Sendernamen versuchen wir mit mehreren Schreibweisen die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Alexa diese versteht.“ Insgesamt umfasst die Datenbank des Skills deswegen mittlerweile mehr als 2.000 verschiedene, mögliche „utterances“ – also potenzielle Spracheingaben durch den Nutzer, die der Skill verstehen kann.
Längere Prozesse sind per Sprache nur mühsam zu steuern
Noch wartet der Fernsehprogramm-Skill nicht mit allen Funktionen und Informationen auf, die ein Programmzeitschrift oder -App bietet. Beim OMR-Test konnte er etwa noch keine Vorschau darüber geben, was in der nächsten Folge einer Serie geschieht. Eine Senderfavoritenliste lässt sich zwar anlegen – alleine über die Sprachsteuerung ist das aber recht mühsam.
Immerhin: Während andere Skills für ihre schlechten Programminformationen kritisiert werden, steht Funke hier besser da. Wegen der anderen Programmie-Produkte sind die Informationen sowieso schon im Haus. „Wir beziehen die Roh-Programmdaten von einem Dienstleister, werten diese aber noch einmal selbst auf“, erklärt Malte Peters. 76 Bewertungen hat Funkes Fernsehprogramm Skill angesammelt: durchschnittlich drei von fünf Sternen. Das mag zunächst wenig beeindruckend klingen, ist aber besser als jeder andere Programm-Skill – auch als der von Burda-Konkurrent TV Spielfilm.
Experimente mit Horoskopen und Gedächtnistrainern
Damit das so bleibt, schraubt das Funke-Digital-Team immer weiter an den Alexa Skills. Als Amazon vor wenigen Monaten den Echo Show, ein Alexa-Gerät mit Bildschirm, in den deutschen Markt eingeführt hat, war Funkes Fernsehprogramm-Skill gleich dafür angepasst. „Wir experimentieren derzeit auch mit Bewegtbild, beispielsweise mit der Einbindung von Trailern in die Skills für den Echo Show.“
Neben dem Fernsehprogramm umfasst Funkes Skill-Portfolio den Gedächtnistrainer Gehirnjogging, einen News-Skill für die Berliner Morgenpost, einen News-Skill für die Goldene Kamera sowie für jedes Sternzeichen einen mit „Bild der Frau“ gebrandeten Horoskop-Skill. Die meisten anderen Verlage sind bisher noch vor allem mit Nachrichten-Skills bei Alexa aktiv. Im Funke-Portfolio ist das Fernsehprogramm gemessen an der Zahl der Bewertung bei Weitem der beliebteste Skill.
Fokus auf Reichweitenaufbau
Was ist der Grund für seinen Erfolg? Gibt es schon – analog zu „App Store Optimization“ – so etwas wie „Skill Store Optimization“? „Die größten Reichweitensprünge haben wir verzeichnet, wenn wir in Amazons wöchentlichem Alexa-Newsletter oder auf Amazons Plattform mit einem großen Banner gefeatured wurden“, sagt Malte Peters. Solche Features versuche Funke zwar durchaus mit zu beeinflussen. „Aber unser Hauptfokus liegt auf dem Produkt und dem Produkterlebnis. Denn jeden neuen Nutzer muss man auch halten, indem man seine Bedürfnisse erfüllt und Fragen beantwortet – sonst ist er schnell wieder weg.“
Geld verdienen kann Funke mit den Skill-Nutzern aktuell noch nicht: Die Einbindung von Werbung von Skills ist von Amazon untersagt. In einigen Themenbereichen belohnt Amazon Skill-Entwickler zwar nach einem von außen kaum nachvollziehbaren Verteilungsschlüssel mit Auszahlungen – aber darunter fallen die Funke Skills nicht. „Die Monetarisierung ist für uns aktuell noch nachrangig. Wir wollen erst einmal Reichweite aufbauen und lernen, was die Nutzer mit ihren Sprachassistent machen und welche Fragen sie denen stellen“, sagt Malte Peters.
Kein Geld, kein Traffic, keine Markenbildung
Auch ansonsten dürfte Funke kaum unmittelbaren Vorteil aus den Alexa Skills ziehen können. Weder lässt sich darüber Traffic für andere digitale Angebote generieren, noch dürfte das Fernsehprogramm entscheidend zur Markenbildung beitragen. Zwar gibt es den Skill mittlerweile auch unter den Namen „TV Digital Fernsehprogramm“ und „Hörzu“ – am meisten genutzt wird jedoch die Version ohne Markennamen. Die trägt mittlerweile immerhin das TV-Digital-Logo im Skill-Icon. Und die tägliche Film-Empfehlung durch Alexa erfolgt auch im Namen von TV Digital.
Dabei ist es sowieso fraglich, ob es sinnvoll ist, im Namen des Skills Markennamen oder Fantasiebegriffe zu verwenden – weil sie damit ja auch den Skill starten. Die Wahrscheinlichkeit ist deutlich höher, dass ein Nutzer Alexa nach einem „Fernsehprogramm“ fragt als nach „TV Digital“. Alexa-Skill-Experte Nick Schwab empfahl auf der New Platform Marketing Konferenz die Wahl eines einprägsamen, selbsterklärenden Skill-Namens. „Die Nutzer müssen sofort verstehen, was der Skill kann, wen sie seinen Namen im Skill Store lesen.“
Medienhäuser wollen Amazon zur Monetarisierung drängen
Wie konnten Peters und Zabel die Verlagsführung unter diesen Umständen davon überzeugen, im Skill-Bereich aktiv zu werden? „Wir haben uns das Vertrauen der Geschäftsleitung erarbeitet, weil wir im App-Bereich sehr gute Arbeit geleistet haben““, so Peters. Auch dort seien Apps wie TV Digital und Hörzu in den ersten anderthalb Jahren werbefrei gewesen. Erst seit einem Jahr monetarisiert Funke die Apps. „Wir wollten erst einmal Reichweite aufbauen.“ Auch wenn es derzeit nicht möglich ist, die Skills zu monetarisieren, geht Peters davon aus, dass dies nicht so bleiben wird. „Ansonsten müssen sich die großen Medienhäuser langfristig wieder aus Alexa zurückziehen“.
Aber kann es aus Sicht eines Verlags wirklich ratsam sein, einem Unternehmen wie Amazon quasi den eigenen Content kostenlos zur Verfügung zu stellen und damit eine Plattform mit groß zu machen, von der man später abhängig werden könnte? „Ich sehe es nicht so, dass wir Amazon Content ‚schenken’“, sagt Peters. „Wir handeln da alleine aus Eigeninteresse: Wir wollen die Nutzer dort erreichen, wo sie sind – egal auf welcher Plattform. Wir sind ja auch keine Technologie-Firma, sondern verdienen unser Geld damit, unsere Inhalte möglichst weit zu verbreiten. Und wenn wir auf einer Plattform wie Alexa früh aktiv sind, können wir uns dort Wettbewerbsvorteile erarbeiten und Erkenntnisse sammeln, die uns auch auf anderen Sprachplattformen nutzen werden.“
Bald soll Funkes erste „Google-Action“ kommen
Stichwort andere Sprachplattformen: Im Oktober hat Google seine Sprachplattform in Deutschland für Entwickler geöffnet. Beim „Google Assistant“ heißen die Sprachanwendungen „Actions“. Zu den deutschen Startpartnern gehören neben Unternehmen wie Zalando, Otto und Comdirect auch der „TV Digital“-Konkurrent „TV Spielfilm“. „Wir werden innerhalb der nächsten drei Monate auch eine Action für den Google Assistant in den Markt bringen“, kündigt Peters an.