Aufruhr in der Affiliate-Szene: Abmahnungen von Fake-Test-Seiten lösen Schlammschlacht aus
Testbericht.de stößt Abmahnungen an und gerät selbst unter Beschuss
- Affiliates waren gezwungen, sich umzuorientieren
- Versteckte Hinweise reichen nicht
- Mehr als ein Drittel Fake-Test-Seiten bei Produktrecherche
- Affiliates fühlen sich ungerecht behandelt
- „Die Branche wird seriöser dadurch“
- Arbeitet Testbericht.de selbst unsauber?
- Testbericht.de verliert Sichtbarkeit bei Google
- Merkwürdige Weiterleitungen
- Dubioser Tracking-Pixel
- „Kein weißer Ritter“
- „Das hat eine ganz andere Qualität“
Lange Zeit waren Test-Seiten für Affiliates eine beliebte Einkommensquelle. Nun hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) drei Betreiber solcher Seiten kostenpflichtig abgemahnt, weil diese ihre Besucher irregeführt hätten. Angestoßen wurden die Abmahnungen von einem Mitarbeiter des Portals Testbericht.de. Das führt zu kontroversen Reaktionen: Während einige Vertreter aus der Online-Marketing-Szene das Vorgehen gegen „Fake-Test-Seiten“ an sich begrüßen, kritisieren andere, dass Testbericht.de mit dem eigenen Portal ebenfalls nicht gänzlich seriös agiere. Fast jeder, der schon einmal im Vorfeld eines Kaufes im Internet nach Informationen über bestimmte Produkte oder Tests und Bewertungen derselben gesucht hat, dürfte eine ähnliche Erfahrung gemacht haben: Bei Suchbegriffen wie etwa „staubsauger test“ oder „rasenmäher testsieger“ tauchen bei Google immer häufiger Seiten mit URLs wie etwa „produktkategorie-test.net“ oder „testsieger.domain“ auf. Auf den Seiten finden sich in der Regel Informationen und Produktvergleiche aus der jeweils gesuchten Kategorie.
Affiliates waren gezwungen, sich umzuorientieren
Nicht selten erwecken die Seitenbetreiber offensichtlich bewusst den Eindruck, eigene Tests durchgeführt zu haben, und küren teilweise auch selbst Testsieger. Wer das jeweilige Produkt dann kaufen möchte, wird zu einem Online-Shop weitergeleitet, bei dem der Artikel verfügbar ist.
Betrieben werden solche Seiten von Affiliate Publishern. Diese gewinnen Traffic über Google und erhalten eine Provision, wenn einer der Besucher ihrer Seite in den verlinkten Online-Shops einen Kauf abschließt. „Es gibt ja heute bei Google nicht mehr viel Platz für Affiliates“, sagt Suchmaschinenmarketing-Experte Andre Alpar. „Bei Suchbegriffen wie ‚socken kauf’ leitet Google die User heute fast immer direkt zu einem Shop. Die Affiliates mussten sich deswegen mit ihren Seiten weiter oben im ‚Sales Funnel’ ansiedeln. Der Test-Bereich ist da zuletzt immer beliebter geworden.“
Versteckte Hinweise reichen nicht
Doch Produkte zu testen ist aufwändig und kann je nach Produktsegment teuer sein. Wer sich die Nischen- und Vergleichsseiten ansieht, dürfte nicht selten feststellen, dass die Seitenbetreiber offenbar doch gar nicht selbst getestet haben, sondern vielleicht nur andere Tests und Produktbewertungen aggregiert und neu aufbereitet haben. Im besten Fall erklärt der jeweilige Seitenbetreiber ausdrücklich, dass er nur Informationen aus anderen Quellen aggregiert – aber nicht alle der Affiliates sind so transparent. Manchmal lassen sich entsprechende Hinweise auch nur in kleinen Fußnoten oder dem Impressum der Website finden.
Den Verbraucherschützern des VZBV reichen solche Hinweise nicht. „Wenn von einem Test die Rede ist, es letzlich aber gar keinen eigenen Test gegeben hat, ist das Irreführung“, sagte Kerstin Hoppe, Referentin aus dem Team Rechtsdurchsetzung des VZBV, gegenüber der Tageszeitung Die Welt (zahlungspflichtiger Artikel). Der Verband hat drei Betreiber von Nischen- und Test-Seiten abgemahnt.
Mehr als ein Drittel Fake-Test-Seiten bei Produktrecherche
Laut dem Welt-Artikel sind von den Abmahnungen des VZBV Fritz Recknagel, Betreiber u.a. von spuelmaschinen-tests.de, die DA Digitale Arbeit GmbH, Betreiberin von warentest.org, sowie die Berliner VGL Verlagsgesellschaft, Betreiberin von vergleich.org (über das Portal und die bisherigen Erfolge seiner Betreiber hatten wir bereits an dieser Stelle ausführlich berichtet) betroffen. Auf die Portale aufmerksam geworden ist der VZBV offenbar durch Recherchen, die Daniel Brückner im Auftrag von Testbericht.de im vergangenen Dezember durchgeführt hat und nun vor wenigen Tagen auf dem Portal veröffentlicht hat.
„Ich hatte das Gefühl, dass es immer mehr solcher Seiten gibt. Deswegen wollte ich einmal recherchieren, wie groß das Problem wirklich ist“, so Brückner gegenüber Online Marketing Rockstars. Also führte er im Dezember bei Google 100 Suchanfragen nach dem Muster „produktkategorie + testsieger“ durch. Das Ergebnis: 34,6 Prozent der Suchergebnisse, die ihm angezeigt wurden, seien Fake-Testseiten gewesen. „Da wird mit Formulierungen wie ‚in unserem Test’ oder ‚unser Testsieger’ der Eindruck vermittelt, dass eigene Tests durchgeführt wurden, obwohl es gar keine gab.“ Als Fake-Testseiten habe er solche gewertet, bei denen die Website-Betreiber selbst geschrieben hätten, dass die Tests lediglich auf Internet-Recherchen zu den jeweiligen Produkten basieren, oder unwahre Angaben über Redakteure gemacht hätten. An vier Beispielen illustriert Brückner, warum er die jeweiligen Seiten als Fake-Test-Seiten einordnet.
Affiliates fühlen sich ungerecht behandelt
Das Ergebnis seiner Recherche leitete Brückner an den VZBV weiter. „Ich bin kein Jurist, deswegen wollte ich eine professionelle Meinung einholen.“ Gegenüber Online Marketing Rockstars bestätigte der Verband, dass drei Abmahnungen stattgefunden haben. Weitere detaillierte Fragen könnten derzeit „aus Kapazitätsgründen“ nicht beantwortet werden.
Einige der Abgemahnten sehen sich offenbar zu Unrecht an den Pranger gestellt: „Hier sind die Falschen ins Visier geraten“, zitiert Die Welt der vergleich.org-Geschäftsführer Leonard Quack. Vergleich.org wolle mehr Transparenz und Vergleichbarkeit in die Online-Kaufberatung bringen; dafür führten Redakteure aufwändige Recherchen durch. Gegenüber Online Marketing Rockstars wollten die Betreiber von vergleich.org kein Statement abgeben.
„Die Branche wird seriöser dadurch“
Offenbar haben jedoch alle der Betroffenen auf die Abmahnungen reagiert. Die Seite spuelmaschinen-tests.de ist mittlerweile offline, die Betreiber von warentest.org (die laut Welt ebenfalls von der Stiftung Warentest, die mit dem VZBV eng verflochten ist, abgemahnt worden sind) haben ihre Domain in warenvergleich.org abgeändert. Und auf vergleich.org ist mittlerweile nicht mehr von „Tests“ und „Testsiegern“, sondern von „Vergleichen“ und „Vergleichssiegern“ die Rede.
In der Online-Marketing-Branche sorgen die Ereignisse für gespaltene Reaktionen. Viele der Marktteilnehmer, die sich an geltendes Recht halten, sehen es als positiv an, dass unsauber arbeitende Vertreter zur Verantwortung gezogen werden. „Wenn eine Seite mit Produkttests wirbt, letzendlich aber gar keine Tests stattgefunden haben, ist das eine Irreführung der User. Solche dubiosen Seiten werfen ein schlechtes Licht auf die Affiliate-Branche“, sagt beispielsweise Affiliate-Experte Markus Kellermann (u.a. Veranstalter der „Affiliate Conference“). „Wenn diese Seiten aus dem Google-Index verschwinden, sorgt das eher dafür, dass die Branche sich weiter professionalisiert und noch seriöser wird.“
Arbeitet Testbericht.de selbst unsauber?
Obwohl viele Branchenvertreter es gutheißen, dass unseriöse Kollegen nun zur Verantwortung gezogen werden, kommen nun auch Stimmen auf, die sich am Vorgehen und an bestimmten Geschäftspraktiken von Testbericht.de stören. So ist in Diskussiongruppen auf Facebook die Vermutung zu lesen, dass Testbericht.de mit der Recherche und den daraus resultierenden Abmahnungen nicht nur Wettbewerber in ihrem unrechtmäßigen Tun habe stoppen wollen, sondern auch gezieltes „Linkbaiting“ betrieben habe. Linkbaiting hat das Ziel, möglichst viele hochwertige Backlinks auf die eigene Seite zu erzeugen, um damit die Sichtbarkeit derselben bei Google und damit letztlich die eigene Reichweite zu erhöhen. So ist die Testbericht.de-Recherche nicht nur von der Welt, sondern auch der Pro-Sieben-Sendung Galileo verlinkt worden.
Noch deutlich schwerer wiegen Vorwürfe, dass Testbericht.de ebenfalls nicht sauber agiert. „Mein Problem fängt bereits mit den Suchergebnissen von Testbericht.de an“, sagt beispielsweise Feda Mecan gegenüber Online Marketing Rockstars. Er ist seit vielen Jahren als Affiliate in der Glücksspielbranche tätig und einer von mehreren, die sich nach den Ereignissen der vergangenen Tage öffentlich negativ über Testbericht.de geäußert haben. Nach eigenen Aussagen ist Mecan nicht im Testbereich selbst tätig und verfolgt somit keine Eigeninteressen. Testbericht.de aggregiert eigentlich nur Testberichte anderer Quellen und verweist auf diese. Doch: „In der Metadescription (also der Seitenbeschreibung, die von Google ausgelesen wird, Anm. d. Verf.) zielt Testbericht.de häufig direkt auf den Eindruck ab, dass sie selbst testen“, so Mecan. Auch im Seitentitel hantierten die Seitenbetreiber häufig mit dem Begriff „Test“.
Testbericht.de verliert Sichtbarkeit bei Google
Testbericht.de konkurriert also mit den abgemahnten Seiten um Google-Platzierungen zu den gleichen Suchbegriffen. Offenbar war das Portal damit zuletzt aber nicht so erfolgreich. Laut dem SEO-Tool Sistrix hat die Sichtbarkeit von Testbericht.de bei Google zuletzt stark abgenommen, während Mitbewerber wie vergleich.org in schneller Zeit eine deutlich größere Sichtbarkeit aufbauen konnten.
Nicht nur in den Google-Suchergebnissen, sondern auch auf der Seite selbst erwecken die Betreiber von Testbericht.de nach Empfinden von Mecan den Eindruck, Produkte selbst nach deren Qualität zu ranken. „Da steht dann auf der Seite ‚Test & Vergleich 2017’, über einer Liste von Produkten, die mit Zahlen versehen sind – das ist für Kunden keine ehrliche Darstellung.“
Merkwürdige Weiterleitungen
Dritter Vorwurf, den Mecan erhebt: Testbericht.de taucht bei Google mit Unterseiten auf, die einfach zu Produkttests auf Seiten wie Chip oder Computerbild weiterleiten. Normalerweise erfolgen solche Weiterleitungen mittels des HTTP-Statuscodes 301. Testbericht.de nutzt hierfür die HTML-Anweisung „meta refresh“, die eigentlich dafür gedacht ist, die jeweilige Seite nach einiger Zeit, beispielsweise nach Aktualisierungen, neu zu laden. Google rät davon ab, diese Funktion für Weiterleitungen zu nutzen.
Dubioser Tracking-Pixel
„Das ist ein Taschenspieler-Trick“, sagt Feda Mecan. „Eigentlich dürften diese Seiten bei Google gar nicht gelistet sein.“ Wenn eine Seite nur zu einer anderen weiterleitet, zeigt Google dies eigentlich, dass die Seite in der Mitte für den Nutzer keinen großen Wert hat. Besonders natürlich, wenn darauf gar kein Content zu finden ist.
Besonders pikant: Gelangt ein User über diese Google-Suchergebnisse auf Testbericht.de, wird er mit einem Facebook-Tracking-Pixel markiert. Dem Google-Bot wird eine andere Seite ohne Facebook-Pixel ausgespielt (). Den mit dem Pixel markierten Nutzern könnten die Betreiber von Testbericht.de beispielsweise Retargeting-Werbung auf Facebook zu bestimmten Produktsegmenten ausspielen. Wer auf einen Kameratest geklickt hat, dem wird Kamera-Werbung angezeigt.
„Kein weißer Ritter“
Offenbar ranken die entsprechenden Seiten gar nicht oder nur sehr schlecht bei Google – der Traffic dürfte also nur verschwindend gering sein. Dass die Betreiber der Seite solche Methoden kennen und verwenden, lässt andere Branchenvertreter jedoch trotzdem zu dem Schluss kommen: „Das Portal Testbericht.de ist nicht der weiße Ritter, als der es in den eigens initiierten Beiträgen in der Welt und in Galileo dargestellt wird“, wie beispielsweise Lukas Kurth in seinem Blog schreibt. Kurth ist ebenfalls im Online Marketing tätig und hat nach eigenen Angaben in der Vergangenheit auch Fake-Test-Seiten betrieben hat.
Die Betreibergesellschaft von Testbericht.de wird im Impressum nicht genannt; dort werden Hans Fuhrmann, Deniz Guel, Christian Ahrend sowie„N. Serin“ namentlich genannt. Daniel Brückner ist erst seit dem vergangenen Juni als Freelancer für das Portal tätig. Die Domain Testbericht.de läuft auf den Namen von Deniz Guel und damit auf eine Privatperson – nicht auf ein Unternehmen. „Auch das hat einen komischen Beigeschmack“, sagt Feda Mecan. Eine Team-Seite auf Testbericht.de weist Guel als Gründer aus.
„Das hat eine ganz andere Qualität“
Daniel Brückner lässt sich von der Kritik nicht erschüttern. „Diese Vorwürfe kommen alle aus dem Ökosystem, das sich rund um Fake-Tests herausgebildet hat.“ Er bestreitet, dass Testbericht.de ebenfalls gezielt den Eindruck erwecken wolle, eigene Tests durchzuführen. „Wir haben mehr als 300.000 Seiten im Index. Wenn da bei ein paar in der Metadescription das Keyword ‚test’ auftaucht, kann man das mit anderen Seiten gar nicht vergleichen. Das ist eine ganz andere Nummer. Die Grenze verläuft dort, wo jemand sagt, ‚Das ist unser Testsieger’, und das geschieht bei uns nicht.“ Er habe mit seiner Recherche auch zur Aufklärung beitragen wollen. „Teilweise werden solche Seiten ja von Minderjährigen betrieben, die gar nicht genau wissen, was sie da tun.“
In jedem Fall hat Daniel Brückner mit seiner Recherche, den darauf fußenden Abmahnungen sowie der Berichterstattung darüber einen Stein ins Rollen gebracht: eine Stichproben-artige Überprüfung zeigt, dass innerhalb der vergangenen 72 Stunden offenbar viele Seitenbetreiber die Formulierungen auf ihren Seiten geändert haben. Zudem waren in einschlägigen Online-Marketing-Diskussionsgruppen auf Facebook zuletzt auch diverse Verkaufsangebote von Betreibern von Nischentestseiten zu lesen.
Update, 21:20 Uhr: In einer vormaligen Version des Artikels haben wir die Weiterleitungen von Testbericht.de als „Doorway Pages“ bezeichnet. Diese Bezeichnung ist falsch; wir haben den Artikel dementsprechend geändert.