Neurons: Wie dieser Neurowissenschaftler den größten Marken der Welt hilft, ihre Marketing-Creatives zu optimieren

Martin Gardt3.12.2024

Dr. Thomas Zoëga Ramsøy will mit seinem Unternehmen Neurons vorhersagen, wie gut Werbematerialien funktionieren

Neurons-Gründer Dr. Thomas Zoëga Ramsøy
Dr. Thomas Zoëga Ramsøy ist Neurowissenschaftler – und jetzt auch Marketing-Unternehmer

Die Jagd nach dem perfekten Banner, dem perfekten Instagram-Werbeposting, dem perfekten Plakat. Für Werbetreibende ist sie Alltag. Das Problem: Wie gut ein Creative wirklich auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmt ist, bleibt oft eine Black Box. Das dänische Unternehmen Neurons will das mit seinem Tool ändern – auch mit KI-Unterstützung. Wir haben es uns angeschaut, mit dem CEO gesprochen und mit dem Osram-Nachfolger Ledvance geschaut, wie das Unternehmen Neurons für die Optimierung der eigenen Creatives einsetzt.

Neurons ist ein SaaS-Tool, das Unternehmen mit ihren Creatives füttern können – egal ob Social-Media-Post, Webseiten-Banner, Werbespots oder Katalog-Cover. Das Tool analysiert dann die Darstellung und liefert Empfehlungen für Optimierungen. Da mal das Logo kleiner, weniger Text, andere Farben. Die Grundlage: Eine Datenbank aus Eye-Trackings und Gehirnscans von 120.000 echten Menschen – aus 20 Jahren Forschung. Kann das wirklich dabei helfen, in kurzer Zeit bessere Creatives zu bauen?

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Neurons sagt auf Grundlage gesammelter Daten voraus, wie Menschen auf Ads reagieren (Quelle: Neurons)

Vom Neurowissenschaftler zum Marketing-Unternehmer

Zum Start aber ein kurzer Exkurs zum kommunizierten USP des Tools. Denn die Learnings beruhen laut Neurons aus Erkenntnissen aus der Neurowissenschaft – daher auch der Firmenname. Die Herangehensweise an das Thema Creative-Optimierung im digitalen Marketing ergibt sich aus der persönlichen Geschichte des norwegischen Gründers Dr. Thomas Zoëga Ramsøy. "Ich bin zuerst Psychologe und Neurowissenschaftler und habe mich im Laufe der Zeit immer mehr dafür interessiert, wie wir Entscheidungen treffen", erzählt Ramsøy im Gespräch mit OMR. "Und nachdem ich die Lehre dahinter verstanden hatte, wollte ich dieses Verständnis verfügbar machen."

Er baut in den 2010er Jahren ein wissenschaftliches Zentrum an der Copenhagen Business School auf, um zu untersuchen, was im menschlichen Gehirn passiert, wenn wir Entscheidungen treffen. "Ich habe mich auf altägliche Entscheidungsfindung konzentriert: Warum kaufen wir etwas? Was stresst uns? Was macht gute Leader aus?", so Ramsøy. 2012 kommt der US-Konzern Lowe's auf ihn zu. Er soll für das Unternehmen eine Toolbox entwickeln – aufgebaut auf seinen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen. Weil er das nicht an der Hochschule umsetzen kann, startet er 2013 mit Neurons sein eigenes Unternehmen.

Das Entscheidende: Er will die in mehreren Studien erhobenen Daten rund um Entscheidungsfindung nutzen und nicht für jede Anfrage von Unternehmen neu erheben. "Ich habe mich direkt zu Beginn gefragt: Ist es möglich, etwas vorherzusagen, das wir normalerweise messen müssen? Das funktionierte damals schon teilweise, und mit dem Aufkommen von Machine Learning konnten wir unsere Datenbank mit Daten von Hunderttausenden Menschen nutzen, um visuelle Aufmerksamkeit vorherzusagen."

KI hilft bei der Optimierung

Neurons führe bis heute immer neue Studien durch, um die Datengrundlage aktuell zu halten. "Wir testen kontinuierlich mit echten Menschen, weil die sich ändern und Designtrends sich wandeln. Wir sammeln jedes Jahr Daten von 50.000 bis 100.000 Menschen weltweit", so der Neurons-Gründer. Nur so könne das Unternehmen in Sekunden wahrscheinliche Reaktionen auf kreative Entscheidungen von Unternehmen liefern. "Der große Vorteil, den wir bieten, ist der unvergleichliche Zugang zu Konsumentenreaktionen. Meine Vorhersage lautet: Wenn man keine Neurowissenschaft nutzt, weiß man nicht, was man tun soll."

Die Grundfunktion des Tools besteht darin, anhand von vier Bereichen die Performance-Chancen eines Creatives einzuschätzen. Das sind Aufmerksamkeit (Attention), Emotion, Verständnis (Cognition) und Erinnerung (Memory). In der Neurons-Welt funktionieren Ads also besonders gut, wenn sie Aufmerksamkeit und Emotion erzeugen, verständlich sind und besonders lange in Erinnerung bleiben. In der ursprünglichen Version des Tools bekommen die nutzenden Unternehmen und Agenturen auf einer Skala angezeigt, wie gut das jeweilige Creative in den vier Bereichen abschneidet. Daraus können sie dann ihre Schlüsse ziehen und Verbesserungen vornehmen.

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Das recht neue KI-Feature in Neurons sagt genau, wo es Verbresserungspotenzial sieht und gibt Tipps für die Optimierung (Quelle: Neurons).

Jetzt soll das Produkt mit Hilfe von KI nochmal deutlich mächtiger werden: "Was wir gelernt haben: Nur die Daten bereitzustellen, hat den Kunden nicht geholfen. Man muss erklären, was falsch ist und wie sie sich verbessern können. Unsere KI analysiert daher das Material und gibt Empfehlungen", erklärt Thomas Ramsøy. Die KI-Funktionalität wird gerade ausgerollt und erklärt, warum ein Creative bei Aufmerksamkeit oder Emotion nicht den gewünschten Score erreicht – und wie sich die Werte verbessern lassen. "Das langfristige Ziel ist es, ein Assistent zu sein, der immer für Unternehmen und Agenturen da ist und ihnen innerhalb von Sekunden hilft zu verstehen, ob sie richtig kommunizieren", so der Neurons-Gründer.

Jedes Creative durch Neurons jagen

Laut Unternehmensangaben nutzen Firmen wie Coca Cola, Google, Tiktok, L'Oreal oder H&M das Tool. Aber wie kommt es hier zum Einsatz? "Unternehmen nutzen unser Tool hauptsächlich in der kreativen Ideenfindungsphase. Sie haben eine Idee und wollen diese so schnell wie möglich überprüfen", sagt Ramsøy. "Und wir haben festgestellt: Wir sind nicht wie Slack, sondern eher wie Powerpoint – wir werden in kritischen Phasen von Kampagnen einmal pro Woche oder alle zwei Wochen eingesetzt."

Wir haben uns genau angeschaut, wie ein Unternehmen Neurons wirklich nutzt. Dazu haben wir mit Martin Novotny, Global Head of Digital Hub bei Ledvance und Nika Hamarova, Product Owner bei Ledvance, gesprochen. Ledvance ist 2015 aus der Abspaltung des Lampengeschäfts von Osram entstanden und vertreibt weiterhin die bekannten Osram LED- und Halogen-Leuchten. Martin Novotny hat Neurons vor etwa einem Jahr in seiner Abteilung eingeführt. "Ich bin über LinkedIn auf Neurons aufmerksam geworden. Sie haben dort einfach Creatives von bekannten Marken durch Predict AI laufen lassen und ihre Verbesserungen in den Kommentaren geteilt. Dieser mutige Ansatz gefiel mir", sagt er. "Unser Fokus lag darauf, das Bauchgefühl bei Creatives zu minimieren oder mit einer fundierten Datengrundlage zu füttern. Besonders im digitalen Bereich, aber auch im Print ist dieser Schritt bedeutend."

Das Ziel bei Ledvance sei jetzt, alle Creatives durch das Tool laufen zu lassen. Aktuell sei es vor allem bei globalen Kampagnen im Einsatz. Nach und nach sollen auch die einzelnen europäischen Marketing-Teams mit Neurons arbeiten. "Unser Team versucht die Ergebnisse und Neurons Metriken für unsere Kolleginnen und Kollegen verständlich zu machen", sagt Martin Novotny. In der Regel würden die Teams ihre Assets an Nika Hamarova schicken, die das Tool als interne Expertin bedient. Bisher hatte Ledvance die Variante ohne KI genutzt, es brauchte also jemanden, der die Ergebnisse interpretieren kann und so Hinweise gibt. In Zukunft könnte diese Aufgabe einfacher werden. "Die Einführung von KI ist eine natürliche Entwicklung. Bei der Einführung von Neurons kam oft die Frage, ob uns das Tool vorschreiben wird, was wir tun sollen. Jetzt erhalten wir wertvolle Hinweise dazu und können basierend darauf dann Entscheidungen treffen", so Novotny.

Optimierung mit Daten statt Bauchgefühl

"Der Vorteil von Neurons liegt darin, dass es schnell und bequem ist und auch, dass die Ergebnisse leicht zu teilen sind", sagt Nika Hamarova im Gespräch mit OMR. "Das Tool ist einfach zu verstehen und wenn man es täglich nutzt, versteht man blitzschnell, was mit dem Creative nicht stimmt." Das Entscheidende bei der Optimierung von Assets sei bei Ledvance mittlerweile, dass an allen Stellen klar ist, welches Ziel die Kampagne und das jeweilige Creative verfolgen. "Es ist immer wichtig, die Absicht und das Placement des Creatives zu kennen. Wenn man dann die Ergebnisse erhält, kann man entsprechend danach evaluieren", so Martin Novotny. Und Nika Hamarova fügt hinzu: "Wir verwenden Neurons, damit die kreativen Entscheidungen wirklich mit der Absicht des Creatives und den Zielen des Teams übereinstimmen."

Durch die Benutzung von Neurons seien Dinge aufgefallen, die immer wieder nicht optimal dargestellt werden. "Wir sind bei der Arbeit mit Creatives etwas Branchenblind geworden. Neurons hat uns gezeigt, wo Fehler oder Verbesserungspotenziale liegen, die wir lange Zeit ignoriert haben", so Hamarova. So habe das Team erst durch das Tool die "Ecke des Todes" kennengelernt. Die untere rechte Ecke eines Creatives sei ein toter Bereich, der von Nutzenden – zumindest laut Neurons – so gut wie gar nicht beachtet wird. Dementsprechend wurden Creatives mit Platzierungen in dieser Ecke angepasst. "Kleine Änderungen, bewirken Großes: Manchmal korrigiert man ein einziges Element und plötzlich ist das Creative viel runder und effektiver", sagt Nika Hamarova. Und mittlerweile habe sich der Einsatz von Neurons so bewährt, dass Ledvance das Tool nicht nur bei so vielen Teams wie möglich etablieren will, sondern auch alle Formate testet. "Bei unseren globalen Kampagnen testen wir alle Aktivitäten mit Neurons - von E-Mail-Marketing über Hero-Banner bis hin zu Landingpages", sagt Martin Novotny.

Tools wie Neurons zeigen, wie datenbasierte Ansätze kreative Prozesse unterstützen können. Sie helfen dabei, Entscheidungen zu objektivieren und Werbemittel gezielt zu optimieren. Dennoch bleibt der Einsatz solcher Technologien ein ergänzender Baustein – denn auch das Bauchgefühl und die Erfahrung von Kreativen behalten ihren Wert. Der Erfolg liegt in der klugen Kombination aus beiden Ansätzen.

Künstliche IntelligenzAI
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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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