Mysteriöses Verschwinden: Wie Unternehmen darum kämpfen, positive Google-Bewertungen zurückzubekommen
Einige Agenturen sind verzweifelt, weil plötzlich hunderte positive Bewertungen fehlen. Hat jemand Beschwerde eingereicht und sie fälschlicherweise als Verleumdung gekennzeichnet?
- "Bewertungen löschen lassen – echt jetzt?"
- Zahlreiche Agenturen sind betroffen
- "Ist eine Katastrophe für uns"
- Fiese Konkurrenz oder falscher Algorithmus?
- "Googles Reviews-Angebot verliert an Wert"
Über Nacht verschwinden mehrere hunderte Google-Bewertungen von verschiedenen Agenturen. Diejenigen, die sie verfasst haben, bekommen eine Nachricht von Google. Der Inhalt ihrer Bewertung sei verleumderisch, es habe Beschwerden gegeben – dabei handelt es sich bei den gemeldeten Inhalten größtenteils um Fünf-Sterne-Reviews. Für die Unternehmen beginnt der Kampf, die positiven Bewertungen zurückzubekommen. Vor allem aber beschäftigt sie eine Frage: Haben Mitbewerber die Rezensionen löschen lassen, um ihnen gezielt zu schaden?
An einem Sonntagmorgen Ende November bekommt Daniel Bruckhaus um sieben Uhr morgens eine merkwürdige Nachricht. Sie stammt von einem Kunden seiner Seo-Agentur, mit dem er auch privat befreundet ist. Eine positive Rezension, die der Kunde vor einiger Zeit über die Optimerch GmbH geschrieben hatte, wurde gelöscht, weil sie angeblich gegen Richtlinien verstößt. Darüber hat Google ihn in einer E-Mail informiert. Der Vorwurf: Verleumdung. Bruckhaus ist sich nicht sicher: Stammt die Mail wirklich von Google? "Irgendwie kam uns die ganze Nachricht komisch vor", erzählt er. Ein Blick auf den Eintrag seiner Agentur bei Google Maps räumt zwar den Zweifel beiseite, offenbart aber auch, dass das Ausmaß viel größer ist als befürchtet: "Statt 70 Bewertungen hatten wir plötzlich nur noch drei. Über Nacht waren fast alle einfach verschwunden."
Optimerch aus Dortmund ist nicht die einzige Agentur, der es in diesen Tagen so ergeht. Rund 100 Kilometer entfernt, in Köln, bekommt Robin Heintze, Mitgründer und Geschäftsführer der Online-Marketing-Agentur Morefire, am selben Tag ebenfalls eine Nachricht weitergeleitet. Auch ihm berichtet ein ehemaliger Kunde davon, dass seine Bewertung gelöscht wurde. Google-Rezensionen seien wichtig fürs Geschäft, sagt Heintze im Gespräch mit OMR, klar. Eine weniger ist schade, aber noch kein Beinbruch. Doch dann bekommt er eine zweite Nachricht, eine dritte, eine vierte. Verschiedene Kund*innen und Geschäftspartner*innen berichten alle von den gleichen Google-Benachrichtigungen, allen wird das Gleiche vorgeworfen: Google habe eine Beschwerde erhalten, nach einer Überprüfung sei die Entscheidung gefallen, dass es sich tatsächlich um Verleumdung handele, aus rechtlichen Gründen folge daraus eine Zugriffsbeschränkung. Und jetzt? "Rund 20 Bewertungen von Morefire wurden entfernt", sagt Robin Heintze. Das ist gut die Hälfte aller Rezensionen, die die Kölner Agentur insgesamt vorzuweisen hatte, und die sich als Visitenkarte nach außen als extrem wichtig erwiesen haben.
"Bewertungen löschen lassen – echt jetzt?"
Zur Auffrischung ein kurzer Ausflug ins Strafgesetzbuch: Verleumdung ist nämlich keine Lappalie, sondern ein Straftatbestand nach Paragraf 187 StGB. Verleumderisch handelt der Definition nach, wer “wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist”. Im schlimmsten Fall kann man wegen Verleumdung sogar im Gefängnis landen.
Für Meinungsäußerungen in Google-Rezensionen gibt es eine lange Liste an verbotenen Inhalten, darunter fallen Fehlinformationen, Hassrede, personenbezogene Daten, vulgäre Sprache – und eben Verleumdung. Rezensionen, die dagegen verstoßen, können entweder von Google selbst entfernt werden, oder von User*innen gemeldet werden. Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kölner Kanzlei für Internet- und Medienrecht WBS.Legal erklärt: „Sollte eine Bewertung einen nach Paragraph 187 Strafgesetzbuch verleumderischen Inhalt aufweisen, steht es dem betroffenen Unternehmen oder der betroffenen Person selbstverständlich frei, diese Bewertung bei Google zu melden." Google sei dann verpflichtet, sich mit den rechtlichen Einwänden auseinanderzusetzen und die betreffende Bewertung zu löschen, sofern diese strafbaren Inhalt enthält.
Das Paradoxe ist jedoch: Die Kund*innen waren mit Heintzes Agentur zufrieden, sie wollten ihr nicht schaden, sondern sie weiterempfehlen. Überhaupt: Verleumderische Fünf-Sterne-Bewertungen – wie soll das überhaupt gehen? Robin Heintze hat einen anderen Verdacht: Er glaubt, dass ihm jemand schaden will. Seinem Ärger macht er bei Linkedin Luft. "WTF 🤬: Gute Bewertungen bei Wettbewerbern wegen Verleumdung löschen lassen. Echt jetzt?", schreibt er in einem Post und löst damit eine Diskussion mit zahlreichen Reaktionen in der Kommentarspalte aus.
Zahlreiche Agenturen sind betroffen
Viele sind entsetzt über das vermeintliche Vorgehen eines Wettbewerbers aus dem Hinterhalt: "Aura minus 100. Wie bitter ist das denn bitte?", kommentiert eine Userin. Ein anderer schreibt: "Bei sowas falle ich immer ein bisschen mehr vom Glauben ab", oder: "Echt traurig, dass man nicht einfach durch gute Leistung überzeugen kann, sondern anderen dann schaden will." Aber es melden sich auch viele zu Wort, die selbst betroffen sind. Einige schreiben, sie hätten ebenfalls eine Mail von Google bekommen, dass eine ihrer Bewertungen verleumderisch sei – und deshalb gelöscht wurde. Wer Google antwortet und widerspricht, bekommt eine offenbar automatisierte Antwort, so wie Online-Marketing-Experte Felix Beilharz. Er habe klargestellt, "dass der Satz 'Top Agentur mit hervorragendem Ruf in der Branche' in keinem denkbaren Uni- oder Multiversum eine Verleumdung darstellen kann. Und dass Google als einer der weltgrößten KI-Anbieter offenbar zu dumm ist, das zu erkennen", schreibt er auf Linkedin. Vergeblich – die Rezension bleibt gelöscht.
Andere Agenturen vermissen ebenfalls Dutzende Rezensionen. André Hehemann, Geschäftsführer der Suchhelden GmbH, hat es besonders schlimm getroffen: Von ursprünglich 120 Bewertungen bleibt seiner Agentur genau eine. "Bevor wir verstanden haben, dass es ein Angriff ist, haben wir kurz überlegt, ob irgendwas vorgefallen war, was uns entgangen ist? Gab es Probleme bei Abschieden von Mitarbeitenden? Schlechte Erlebnisse mit Kunden? Gab es irgendjemanden, den wir verärgert haben? Wir haben in der kompletten Belegschaft herumgefragt, aber alle haben gesagt: Da war nichts." Zwei Tage später liest er den Post von Robin Heintze und seine Vermutung ändert sich: Jemand hat es nicht gezielt auf Suchhelden abgesehen, sondern offenbar auf die gesamte Branche, glaubt er. Und Google habe an der Stelle eine "offene Flanke" gelassen, die das Vorgehen überhaupt ermögliche: "Es ist so simpel, das konnten wir kaum glauben. Wir dachten zunächst, das sei ein heftiger Geniestreich – bis ein Kollege herausfand, dass allein die Angabe des Begriffs Verleumdung zu einer sofortigen Löschung der Bewertung führt – ohne Prüfung."
Das bestätigt auch Rechtsanwalt Solmecke: "Bislang war es äußerst schwierig, positive Bewertungen, insbesondere mit vier bis fünf Sternen, löschen zu lassen", sagt er. Vor kurzem jedoch sei eine technische Änderung implementiert worden, nach der Google Bewertungen bereits innerhalb weniger Stunden vorläufig entferne. "Im Anschluss an eine solche schnelle Löschung kontaktiert Google den Verfasser der Bewertung, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich dazu zu äußern." Doch an dieser Stelle scheint es bisher ordentlich zu hapern.
"Ist eine Katastrophe für uns"
Bei den Suchhelden, Optimerch, Morefire und weiteren betroffenen Agenturen arbeitet man unterdessen auf Hochtouren an der Schadensbegrenzung. Kleckerweise erscheinen einige der gelöschten Bewertungen wieder, nachdem die Verfasser*innen Google aufgefordert haben, die Rezension erneut zu prüfen. Manchmal verschwinden sie auch erneut, berichten die Unternehmen. Die Agentur Suchhelden hatte alle Bewertungen archiviert und konnte so gezielt alle betroffenen Kund*innen und Geschäftspartner*innen anschreiben und sie per Erklärvideo bitten, das entsprechende Formular auszufüllen und an Google zu schicken. Neben dem Arbeitsaufwand sei das als Online-Marketingagentur unangenehm, findet Geschäftsführer André Hehemann: "Wir werden immer als Experten in der Online-Vermarktung wahrgenommen und stehen jetzt da und sagen: Wir konnten das nicht verhindern, wir kannten das Thema gar nicht." Außerdem müsse man den Kund*innen erstmal zu verstehen geben, dass man keinen Fehler gemacht oder es kein Datenleck gegeben habe.
Auch Daniel Bruckhaus ist nicht glücklich über die Außenwirkung. Die Bewertungen für Optimerch waren über die Jahre zusammengekommen, manche bis zu fünf Jahre alt und das Ergebnis jahrelanger Geschäftsbeziehungen: "Was mich am meisten ärgert, ist, dass 70 Kunden, teilweise ehemalige Geschäftspartner, E-Mails bekommen, in denen das Wort Verleumdung in Verbindung mit unserer Firma steht. Natürlich schreiben sie uns an und fragen: Was ist denn bei euch los? Der Schaden und der Aufwand, den wir dadurch haben, ist eine Katastrophe für uns."
Fiese Konkurrenz oder falscher Algorithmus?
Bruckhaus glaubt im Gegensatz zu seinen Branchenkollegen nicht, dass hinter den gelöschten Beiträgen der perfide Plan eines Mitbewerbers steckt: "Wir vermuten eher, dass es sich um ein größeres technisches Problem bei Google handelt", sagt er. Und auch Robin Heintze, der sich juristischen Beistand geholt hat, ist sich inzwischen nicht mehr sicher, ob vielleicht eine Änderung des Algorithmus bei Google der Ursprung sein könnte. Für die These, dass Wettbewerb dahinter stecke, spreche aber, dass vor allem Agenturen betroffen seien. So oder so – am Ergebnis ändert das vorerst nichts: "Wir haben in beiden Fällen keine Handhabe. Die Mitarbeitenden bei Google sind die einzigen, die das Thema angehen können." André Hehemann hat ebenfalls seinen Anwalt eingeschaltet: "Wir haben Google kontaktiert und eine Frist gesetzt, bisher haben wir aber leider noch keine Rückmeldung bekommen." Eine Klage wäre zwar möglich, sagt er, doch "das wäre sehr kostspielig und langatmig, hilft uns kurzfristig aber nicht."
Was aber sagt Google selbst zu dem mysteriösen Verschwinden der Rezensionen? Zu individuellen Fällen wolle man nicht äußern, heißt es auf OMR-Anfrage. Auch die Frage, wie so viele positive Fünf-Sterne-Bewertungen plötzlich als Verleumdung gelten könnten, bleibt unbeantwortet. Das Unternehmen achte sehr stark darauf, dass Google Maps frei von Spam und unangemessenen Inhalten bleibe, sagt ein Google-Sprecher: "Immer mehr Menschen fügen ihre Inhalte zu Google Maps hinzu, während wir weiterhin hart gegen diejenigen vorgehen, die gegen unsere Richtlinien verstoßen. Dabei setzen wir sowohl auf Menschen als auch auf verschiedene Technologien." Konkret bedeute das, dass automatisierte Erkennungssysteme – einschließlich Modellen für maschinelles Lernen – die Millionen von Beiträgen durchsuchen, um Spam und irrelevante Inhalte zu erkennen und zu entfernen. Man wisse aber auch, "dass diese noch nicht perfekt sind und gefälschte Bewertungen ab und zu durchrutschen können." Deshalb würden zusätzlich Teams von geschulten Mitarbeiter*innen und Analyst*innen eingesetzt, die Bewertungen, Fotos, Geschäftsprofile und weitere Inhalte prüfen.
"Googles Reviews-Angebot verliert an Wert"
Für die betroffenen Agenturen dürfte diese Antwort wenig zufriedenstellend sein. Gegenüber dem Tech-Riesen sind sie mehr oder weniger machtlos, selbst über enge Geschäfstbeziehungen zu Google-Ads-Teams finden sie bisher keinen Zugang. Dabei sollte es auch im eigenen Interesse von Google sein, das Thema zu klären, findet Robin Heintze: “Wenn authentische Rezensionen von echten Menschen so leicht gelöscht werden können, wird das Reviews-Angebot von Google mittelfristig konterkariert und hat keinen Wert.” Vorerst aber wollen er und seine Branchenkollegen weiterkämpfen, um die verlorenen Rezensionen wiederherzustellen. Es ist mühsam, aber es lohnt sich, findet Heintze: “Unser Geschäft bricht dadurch nicht unmittelbar ein. Aber mittelfristig sind diese Google-Bewertungen ein ganz wichtiges Zeichen nach außen. Wenn wir da stark runterfallen, wäre das für uns definitiv problematisch.”