500 Kilometer für einen Burger von Leonie: Wie die lokale Burgerkette Glückspilz zum Tiktok-Hit wurde

Mitarbeitende werden zu Creator*innen als Umsatzhebel fürs lokale Business in Ostwestfalen

Hier hat nur der Chef was zu lachen: Umer Butt mit seiner Mitarbeiterin Leonie. Foto: Glückspilz

Zwei in Bielefeld, eine in Herford, eine in Osnabrück. Die Liste der Filialen von Glückspilz Burger ist kurz. Doch Fans fahren teilweise hunderte Kilometer – nur, um einen Burger bei Leonie, Erik oder Sercan zu bestellen. Denn die haben sie auf Tiktok kennen und lieben gelernt. Dort hat die lokale Gastro-Kette einen extrem erfolgreichen Channel aufgebaut. Geschäftsführer Umer Butt setzt dabei auf Storytelling und starke Charaktere als Umsatzhebel fürs lokale Business. OMR hat mit ihm und Creatorin Leonie darüber gesprochen, was Brand-Accounts auf Tiktok brauchen, um viral zu gehen.

Chef Umer muss nicht lange überlegen: Die Charaktereigenschaften seiner Angestellten Leonie kennt er aus dem Effeff. "Sie ist sehr ignorant und desinteressiert an allem", sagt er. "Sie hat halt einfach gar keinen Bock." Immerhin sei sie trotzdem die Beste in der Burgerküche, und das, ohne sich dafür groß anstrengen zu müssen. Nicht gerade das Arbeitszeugnis, von dem man so träumt. Aber Leonie, die direkt neben ihm sitzt, kann darüber nur grinsen.

Schließlich war es Umer Butt selbst, der ihr diese Rolle quasi auf den Leib geschneidert hat. Und es ist auch Umer Butt, der sich am meisten freut, wenn die 260.000 Follower*innen des Glückspilz-Kanals auf Tiktok Leonie mal wieder dafür abfeiern, dass sie auf der Arbeit vor allem eins hat: richtig miese Laune.

"Die Discounter" in der Burgerbraterei

Denn Glückspilz hat es durch cleveres Social-Media-Marketing geschafft, die lokale Marke bundesweit bekannt zu machen und sich eine Community aufzubauen – obwohl viele ihrer Follower*innen wohl noch nie selbst einen Glückspilz-Burger gegessen haben. Die Engagement-Raten der Beiträge, die das Marketing-Team an zwei Drehtagen pro Woche produziert, können sich sehen lassen: Ein solides Video kommt laut Butt auf 100.000 Views, 5000 Likes, 200 Kommentaren und 300 Saves. Aber es gibt viele Beiträge, die das bei weitem übertreffen: Das Video mit dem Titel „Die schlimmste Arbeitskollegin aller Zeiten…“ kommt sogar auf 7,7 Millionen Aufrufe, rund 77.000 Likes, mehr als 800 Kommentare und wurde 7500 Mal gespeichert. Aber was ist das Erfolgsgeheimnis der kleinen Kette? 

Der Glückspilz-Content ist ein bisschen wie "Die Discounter" aus der Burgerbraterei. In der von Christian Ulmen produzierten Kult-Mockumentary müssen die Mitarbeitenden im Discounter "Feinkost Kolinski" mit allerlei Alltagsproblemen fertig werden. Die Serie lebt von den starken einzelnen Charakteren, die alle etwas sonderbar, aber trotzdem liebenswert sind (Das Interview im OMR-Podcast mit den Discounter-Machern kannst Du hier anhören). Ähnlich funktioniert das Glückspilz-Storytelling, nur eben in Shortform aus dem Burgerladen. Da gibt es neben der miesgelaunten Überfliegerin Leonie auch Erik in der Rolle des witzigen Sympathieträgers, Sercan, den großen Bruder und Herausforderer, Sonnenschein Kate, bei der die Welt immer rosarot ist und die den Kund*innen jeden Wunsch erfüllt, oder Steffi, die Storytellerin der Marke. So werden Mitarbeitende zu Creator*innen: Alle bis auf Erik, der ein guter Freund von Umer Butt ist, arbeiten tatsächlich bei Glückspilz.

Die kurzen Videos zeigen witzige Szenen aus ihrem Arbeitsalltag („Der unangenehme Arbeitskollege“), Challenges („Wer macht den leckersten Burger?“) oder Interaktionen mit der Community ("Sind Menüs ab 13,70 Euro zu teuer?“). „Ich will mehrere Geschichten erzählen und will, dass jede Person für etwas anderes geliebt wird“, sagt Butt. Er schreibt die Skripte, entwickelt Charaktere – und verbindet so seine Leidenschaft für Filme und Serien mit seiner Begeisterung für Social-Media-Marketing. Und das ist seiner Meinung nach dann richtig gut, wenn es nicht nur platte Werbung ist, sondern auch Mehrwert bietet, in diesem Fall eine kleine, unterhaltsame Auszeit vom Alltag.

Leonies EM-Challenge sorgt für Millionen Views

Leonie ist sein Creator-Shootingstar aus den letzten Monaten. Videos von ihrer Reise zur EM, um dort Thomas Müller zu treffen und ein Foto mit ihm zu ergattern, gehen mit Millionen Views viral. In Herzogenaurach und im Stadion kann Leonie selbst kaum glauben, wie groß ihre Bekanntheit inzwischen geworden ist. Selbst Mitarbeitende des DFB hätten sie auf dem Trainingsgelände erkannt, erzählt sie. "Er guckte mich an und hat gefragt: Bist du nicht Leonie von Glückspilz? Bist du immer noch auf der Suche nach Thomas Müller?" Auch verschiedene Marken, die mit Thomas Müller zusammenarbeiten, bieten Glückspilz auf Social Media ihre Hilfe an, um das Treffen mit dem Nationalspieler zu ermöglichen. Doch es hilft alles nicht: Bisher hat es noch nicht geklappt, Thomas Müller hatte während der EM andere Prioritäten. "Aber damit will ich mich noch nicht zufrieden geben."  

Inzwischen hat die 20-Jährige am Creatorinnen-Leben Gefallen gefunden, sie ist vom Teilzeitjob in der Küche ins Marketingteam gewechselt, dadurch habe sie viel dazugelernt, sagt sie. "Ich verstehe jetzt, wie die Dinge funktionieren, was die Menschen sehen wollen." Ihre eigene Rolle entwickelt sie mittlerweile selbst weiter, gibt ihrem Chef Input zu den Skripten, die er für sie schreibt. Und sie habe sich auch persönlich weiterentwickelt, sei anderen Menschen gegenüber jetzt viel offener. Vielleicht, sagt sie, will sie sogar ihren Kindheitstraum verfolgen und eine Karriere als Schauspielerin einschlagen. "Denn eigentlich ist das, was ich gerade machen, ja schon Schauspielerei."

Dabei war das anfangs gar nicht ihr Ding. „Ich bin eher ruhig und schüchtern“, sagt sie. Sich öffentlich auf Social Media präsentieren? Bloß nicht. Chef Umer erinnert sich: "Ich bin am Anfang manchmal in die Filiale gekommen und hab gesagt: Könnt ihr euch mal zusammenstellen für ein Foto für Instagram? Und dann hat Leonie mich mit so einem Todesblick angeguckt und gesagt: Nein.“ Okay für Butt, er will niemanden vor die Kamera zwingen, sagt er, aber genau dieser "Todesblick" wird später Leonies Markenzeichen.

Erster Tiktok-Kanal ist "hardcore gefloppt“

Die erste Mitarbeiterin, die zur Glückspilz-Creatorin wurde, war aber Umer Butts Ehefrau Steffi. 2018 eröffnet Butt zusammen mit den Co-Gründern Ömür Erdem und Selcuk Erdem die erste Filiale. Sie sehen ein Marktlücke in Bielefeld: Streetstyle-Burger, irgendwas zwischen McDonalds und Hans im Glück. „Damals gingen die Burgerläden eher Richtung Fine-Dining: Die Leute haben angefangen, Burger mit Messer und Gabel zu essen“, sagt er. Von Anfang an spielt Social Media eine große Rolle, denn Umer Butt hat schon früh im Lieferservice-Unternehmen seines Vaters gelernt, wie viel Aufmerksamkeit sich im Gastrobereich mit Social Media erreichen lässt, damals noch mit Facebook. Jetzt aber heißt die angesagte Plattform Instagram, sie nehmen die Bielefelder per Stories mit auf die Reise der Filialeröffnung oder bei der Entstehung der Speisekarte. Dann kommen Challenge-Formate auf Youtube Shorts dazu. Und während der Pandemiezeit habe dann Tiktok übernommen. 

Dort versuchen die Glückspilz-Gründer schon früh, ihre Marke zu platzieren. Sie sehen einige Gastro-Marken auf Tiktok, aber sie wollen es anders angehen, nicht das Produkt in den Fokus stellen, sondern eine Geschichte. Aber der Plan geht nicht auf: "Der Glückspilz-Kanal 2021 hat nicht funktioniert. Menschen wollten damals keine Brands sehen, sondern Persönlichkeiten“, sagt Umer Butt. Und die beste Persönlichkeit, die ihm dafür einfällt, ist seine Frau Steffi. Also nennt er den Glückspilz-Kanal kurzerhand um: in „steffieats“. Die Idee: Eine nahbare Person, die unterhaltsame Geschichten erzählt, statt offensichtlich Werbung zu machen. Und wenn der Kanal groß genug ist, soll der Brand-Kanal wieder hochgezogen werden.

„Was ist das für eine?“ 

Steffieats wird damals in kurzer Zeit immer größer, erinnert sich der Geschäftsführer, das Storytelling über eine Person funktioniert. Der Online-Erfolg hat auch Auswirkungen in der realen Welt: Zur Eröffnung der nächste Filiale in Osnabrück kommen hunderte Menschen. Und spätestens, als Steffi Butt beginnt, live aus den Filialen auf Tiktok zu streamen, wird klar: Das ist ein richtiger Wachstumshebel. Tausende Menschen schauen zu und entdecken in der Küche irgendwann Leonie, die Burger brät und sich nicht für den Live-Stream zu interessieren scheint, weil sie konzentriert ihrer Arbeit nachgeht, mit Social Media nicht so richtig was am Hut haben will. Unhöflich, finden die Zuschauenden, und kommentieren: „Die bedankt sich ja nicht mal für Komplimente“, „Die lächelt ja gar nicht!“, „Was ist das für eine?“ Umer Butt kommt die nächste Idee: „Ich hab gesagt: Leonie, ich hab die perfekte Rolle für dich und ich weiß 100 Prozent, die wird ab Tag 1 funktionieren. Und direkt das erste Video ging viral.“  

Balance zwischen Local Hero und Social Hype

Aktuell machen die Franchise-Filialen laut Butt je einen Monatsumsatz von 120.000 bis 200.000 Euro, Tendenz steigend. Unter den Videos fragen Fans immer wieder nach Filialen in ihren Städten. Die Glückspilz-Macher wollen auch expandieren und weitere Standorte eröffnen, aber in einem gesunden Tempo. Um den Social-Media-Fans trotzdem ein Stück Glückspilz nach Hause bieten zu können, planen sie einen Onlineshop mit Burgersaucen und anderen Produkten, vielleicht sogar Merchandising. Doch viele wollen darauf nicht warten und reisen teilweise durch halb Deutschland. „Das kommt sehr, sehr oft vor", sagt Leonie im Videocall mit OMR. "Gestern war zum Beispiel eine Familie da, die sind fünf Stunden nach Osnabrück gefahren, haben gegessen und sind fünf Stunden wieder zurückgefahren." Der Wunsch für den Glückspilz-Besuch komme meistens von den Kinder: "Und dann sagen die Eltern zu uns: Was habt ihr mit unseren Kindern gemacht?", sagt Leonie und lacht. Viele wollen Fotos mit ihr machen: "Natürlich bin ich dann nicht so wie in den Videos und dann sagen die Leute immer. Ah, du kannst ja doch lächeln!"

Ob das auch den Druck erhöhe, wirklich gute Burger zu machen, damit nach fünf Stunden Fahrt keine Produktenttäuschung wartet? „Auf jeden Fall“, sagt Umer Butt. Aber ein gutes Produkt sei ohnehin entscheidend, „schließlich sind wir nicht hauptsächlich für die Menschen da, die 500 Kilometer fahren, um unser Produkt zu probieren. Sondern für die, die zwei Mal die Woche kommen, mal für 25 Personen bestellen, die diese Konstante bringen. Weil dadurch zahlen wir halt unsere Miete." Klar, durch Social Media mache Glückspilz aktuell sehr guten Umsatz, aber das sei nicht langlebig. "Wenn du in der Gastronomie erfolgreich sein willst, musst du die Menschen in der Umgebung glücklich machen", sagt Butt, "und dafür musst du ein gutes Produkt liefern, ansonsten kannst du nicht überleben." Deswegen wollen die Burger-Macher sich auch wieder mehr darauf besinnen, „Local Hero“ zu sein.

Collabs, neue Formate, Testimonials 

Aber auch für Social Media gibt es natürlich Zukunftspläne. Bei den Videos will Umer Butt zunehmend auf „Qualität statt Quantität“ setzen, 15 bis 20 Videos pro Monat sind vorerst sein Ziel. Dafür will er immer wieder Neues ausprobieren, um die Community möglichst gut zu unterhalten. Die Social-Media-Welt sei schnelllebig erzählt er, Formate, die heute viral gehen, können übermorgen schon nicht mehr funktionieren. Eine Kooperation mit dem Streaming-Anbieter Paramount+ zum neuen Spongebob-Film ist in Planung. Und Butt sieht große Chancen in Kollaborationen mit anderen Marken, wie aktuell schon mit Dorrito Nachos oder Wonder Waffel.

Mit Starfotograf Paul Ripke gab es zuletzt auch einen sehr prominenten Gast in den Glückspilz-Videos. „Für mich ist Paul absolute A-List", sagt Umer Butt und so kann er es vor ein paar Wochen kaum glauben, als er eine Sprachnachricht bekommt, "Er hat gesagt: Hey, ich bin ein großer Fan von euch. Ich bin bald in Münster, das ist ja nicht weit von Osnabrück." Paul Ripke schlägt vor, vorbeizukommen, um ein Video mit Leonie und Erik aufzunehmen. Bei Glückspilz zögert man natürlich keine Sekunde. Noch mehr freuen würden sich Leonie und Umer Butt wohl nur über einen Besuch von Thomas Müller. 

Tanja Karrasch
Autor*In
Tanja Karrasch

Tanja Karrasch ist Redakteurin bei OMR. Sie hat bei der Tageszeitung Rheinische Post volontiert und anschließend als Redakteurin gearbeitet. Vor ihrem Wechsel zu OMR arbeitete sie für die TV-Produktionsfirma Bavaria Entertainment und war als Redaktionsleiterin für zwei ZDF-Shows zuständig.

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