Das ist das Digital-Publishing-Superhirn: So lehrt Bryan Goldberg alte Medien das Fürchten
Wie der Seriengründer den Bleacher Report, Bustle und jetzt Romper groß gemacht hat
- Medaillen und Punkte statt Redakteurs-Gehalt
- Bleacher Report – Loser Generated Content oder Modell der Zukunft?
- Bustle.com soll weltweit die größte Publikation für Frauen werden
- Mehrere Finanzierungsrunden und fast 40 Millionen Dollar Kapital für Bustle
- Neue Tochterseite von Bustle und Video-Pläne
Wenn es einen Menschen auf der Erde geben sollte, der das Thema Reichweitenaufbau im Internet am besten verstanden hat, dann ist das vielleicht Bryan Goldberg. Weil er früh die Chancen von SEO erkannte, gelang es ihm, den Bleacher Report als eine der wichtigsten Sportmedienmarken der USA aufzubauen und später für 200 Millionen US-Dollar zu verkaufen. Danach machte er mit Hilfe von Facebook Traffic das Frauenmedium Bustle groß. Wir erklären Goldbergs Erfolgsgeschichte – und erläutern, an welchem Projekt er aktuell arbeitet.
Als Medienmogul will sich Bryan Goldberg noch nicht bezeichnen, dazu brauche es noch ein wenig mehr. Vorstellen könne er es sich trotzdem, wie er gegenüber diepresse.com sagt: „Wenn ich gut bin, werde ich eines Tages ein Medienmogul sein.“ Für Beobachter seiner Karriere dürften solche Äußerungen wie klare Untertreibung und Tiefstapelei klingen. Immerhin macht Goldberg die Sportseite bleacherreport.com groß und verkauft sie im Jahr 2012, verschiedenen Medienberichten zufolge für für 175 bis 200 Millionen US-Dollar. Ein Jahr später gründet er mit bustle.com ein Content-Portal für junge Frauen. Reichweite und Bekanntheit wachsen schnell, Investoren stecken bis heute 38,5 Millionen Dollar in das Projekt. Die neueste Seite aus Bryan Goldbergs Website-Schmiede, romper.com, richtet sich ausschließlich an junge Mütter und kommt seit dem Start Ende 2015 angeblich schon auf 3,5 Millionen Unique User im Monat. Dass er sich heute trotzdem bescheiden gibt, dürfte vor allem mit einigen Kommunikations-Fehltritten aus der Vergangenheit zusammenhängen. Aber wie hat er es überhaupt geschafft, dass seine Gründungen stets so erfolgreich verlaufen?
Medaillen und Punkte statt Redakteurs-Gehalt
2007 sitzt Bryan Goldberg mit ein paar Freunden zusammen. Alle sind Sportfans und häufig unzufrieden mit der Berichterstattung großer Player wie ESPN. Aus der Überzeugung, dass Fans teilweise mehr über ihren Lieblingsverein wissen als Redakteure, entsteht die Idee für eine eigene Sport-Seite. Zu viert gründen sie Bleacher Report; erstaunlicherweise noch vor dem Launch bekommen sie ein Seed-Investment von Hillsven Capital in Höhe von einer Million Dollar. Goldberg ist zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 24 Jahre alt, kann aber schon auf Berufserfahrung zurückgreifen, die bei seinen Gründungen noch hilfreich werden sollte und vermutlich auch bei diesem Deal in Form von Kontakten und Erfahrung von Vorteil ist: 2004 ist er als Analyst bei der Investmentbank Credit Suisse First Boston tätig, von 2005 bis 2007 arbeitet er als Berater bei Deloitte Consulting.
Anfangs stehen die Gründer vor der Frage, wie sie bei Bleacher Report ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden können. Sie wollen alle großen Team-Sportarten wie Basketball, Football, Baseball und so weiter abdecken – und nicht nur Profi-Ligen, sondern auch die College-Ebene. Eine riesige Herausforderung. „How do we cover three hundred teams on a daily basis?“, fragt Bryan Goldberg in einem Interview mit dem New Yorker. Auf dem Anzeigen-Portal Craigslist sucht das Gründungsteam in der Folge nach Sportfans, die Redakteure werden wollen. Laut Goldberg melden sich tausende Interessierte und veröffentlichen anschließend Artikel zu ihrem Lieblingsclub oder anderen Sport-Themen auf bleacherreport.com. „It took off like a rocket ship“, erinnert er sich.
In den ersten Jahren bekommen die Redakteure kein Gehalt oder andere finanzielle Entschädigungen. Um sie trotzdem zu motivieren und möglichst viel hochwertigen Content auf die Seite zu bekommen, entwickeln die Gründer eine Art Belohnungssystem. Es gibt Medaillen und Punkte abhängig von der Leser- oder Kommentar-Anzahl pro Artikel. Ideen für Beiträge entwickeln die Macher mit Hilfe von Googles Keyword Planner. Bei einem erhöhten Suchvolumen zum Namen eines bestimmten Spielers nach einer Verletzung geben sie gleich mehrere passende Artikel in Auftrag und achten darauf, dass alle relevanten Keywords schon in den Headlines vorkommen. Suchmaschinenoptimierung (SEO) ist einer der wichtigsten Traffic-Bringer der Anfangszeit.
Ein weiterer Teil des Konzeptes ist das Fehlen eines redaktionellen roten Fadens; es wird keine einheitliche Meinung vertreten. Während Teams, Sportler oder Trainer in einem Artikel kritisiert werden, werden sie in einem anderen gelobt. Jeder Fan soll so seine Meinung auf dem Portal finden, das soll für mehr Traffic sorgen. Schon ein Jahr nach der Gründung sind Artikel vom Bleacher Report fast schon allgegenwärtig, jeder amerikanische Sportfan, der im Internet unterwegs ist, dürfte die Seite zu diesem Zeitpunkt kennen.
Bleacher Report – Loser Generated Content oder Modell der Zukunft?
Bei Kritikern kommt die beschriebene Form von User-Generated-Content nicht immer gut an, die Inhalte von Bleacher Report werden als „Loser-Generated-Content“ bezeichnet. Kritisiert werden auch dünne, fragwürdige Inhalte wie Slideshows, Listicles und Fotos von leichtbekleideten Frauen, die nur bedingt mit Sport zu tun haben. Diese Formate setzt Bleacher Report vor allem ein, um gezielt mehr Klicks zu generieren. Zum New Yorker sagt Bryan Goldberg trocken: „We don’t need every writer to be David Brooks“ (angesehener Wirtschaftsjournalist, der unter anderem für Washington Times, Wall Street Journal, Weekly Standard und New York Times geschrieben hat).
All der Kritik zum Trotz ist Bleacher Report ein voller Erfolg. Zeitweise liegt die Seite beim Traffic direkt hinter ESPN und Yahoo Sports und gehört damit zu den größten Sportseiten der Welt. 2012, nur fünf Jahre nach dem Start, kauft Turner Broadcasting das Portal für 175 bis 200 Millionen US-Dollar. Brian Morrisey, Chefredakteur von Digiday, betont im Artikel des New Yorker die enorme Profitabilität vom Bleacher Report, und das trotz der vergleichsweise geringen Werbepreise, die die Seite aufrufe. Demnach müsse man für ein komplettes Homepage Takeover (alle Werbemittel auf der Startseite werden von nur einem Advertiser belegt) einen Tausender-Kontakt-Preis von 50 US-Dollar zahlen, während eine ganzseitige Werbeanzeige in der gedrucktend Sports Illustrated 400.000 US-Dollar koste. Am Ende mache eine Bilderstrecke mit „25 sexy Sportlerinnen“ durch extrem geringe Produktionskosten trotzdem genauso viel Gewinn wie eine aufwändig recherchierte Reportage in einem Print-Magazin. Kurz nach dem Kauf macht CNN (einer der Sender von Turner Broadcasting) Bleacher Report zur Quelle von allen Sportnachrichten – die von Goldberg gegründete Seite ersetzt damit die Sports Illustrated. Im März diesen Jahres stellt Turner Broadcasting weitere 100 Millionen Dollar zur Verfügung, um ein 35-köpfiges Social-Media-Team aufzubauen.
Bustle.com soll weltweit die größte Publikation für Frauen werden
Der vor allem bei gebildeten Sportfans eher schlechte Ruf vom Bleacher Report ist einer der Fehler, den Goldberg mit seinem nächsten Projekt nicht machen will. Und noch eine Lehre zieht er aus seiner ersten Gründung: Ein Erfolgsgeheimnis sei vor allem die Tatsache gewesen, dass die Zielgruppe zum großen Teil männlich ist. Die klare Zielgruppe mache die Seite für Advertiser attraktiver als ein General-Interest-Portal. Bei bustle.com soll das dann auch der Ausgangspunkt sein: Erst legt Goldberg die Zielgruppe fest, in diesem Fall junge Frauen, dann analysiert er, welcher Content bei den weiblichen Millennials gut ankommt und entsprechend optimiert.
Nach drei Monaten Vorbereitungszeit geht bustle.com Mitte 2013 an den Start. Schon im Vorfeld kann Bryan Goldberg 6,5 Millionen US-Dollar einsammeln. Entgegen aller guten Vorsätze sorgt er dafür, dass die Seite gleich zu Beginn einen zumindest fragwürdigen Ruf erhält. In einem Artikel bei pando.com macht er die Seed-Finanzierung öffentlich und will sein neues Projekt vorstellen, bezeichnet Bustle als erste Seite für Frauen, die internationale Nachrichten und Politik neben Beauty-Tipps veröffentlicht und prognostiziert Millionen von Lesern. Durch die Mischung aus Hochmut und veraltetem Frauenbild lassen Reaktionen nicht lange auf sich warten. „My head hit the desk when I read it“, sagt beispielsweise Jessica Coen gegenüber Adweek, zu dem Zeitpunkt Chefredakteurin vom zu Gawker Media gehörenden Blog jezebel.com. Und Elizabeth Spiers, Gründungs-Redakteurin bei Gawker, drückt in einem Artikel nicht nur aus, wie lächerlich sie Goldbergs Ankündigung findet, sie bezweifelt auch, dass die angestrebten Millionen Leser mit gutem Content erreicht werden können. Das sei nur möglich, wenn man Suchmaschinen wie Google mit Massenware überschwemmt: „Which, to be fair, is sort of what you did with Bleacher Report.“
Trotz dieser Startschwierigkeiten gelingt Bryan Goldberg aber auch mit Bustle – was übrigens ein altes Wort für einen durch einen Reifen verstärkten Unterrock ist und gleichzeitigt an „hustle“ erinnern soll ¬– eine unternehmerische Erfolgsgeschichte. Denn abgesehen von der fragwürdigen Kommunikation am Anfang macht er aus redaktioneller Sicht viel richtig. Von Beginn an gibt er die komplette inhaltliche Verantwortung ab und konzentriert sich auf das, was er, wie er selbst sagt, am besten kann: Marketing und Audiences. Er sieht ein, dass er kaum wissen könne, was weibliche Millennials interessiert und wirbt Redakteurinnen von Glamour, Daily Beast, Hollywood.com und Condé Nast ab. Er mietet ein Haus im New Yorker Stadtteil Williamsburg und lässt junge Frauen einfach das schreiben, was sie selber interessiert. „Teilweise sind sie erst 20 Jahre alt, verstehen vom Medien-Geschäft aber schon mehr als Analysten an der Wall Street“, sagt Goldberg.
Ende 2013, nur wenige Wochen nach dem Start, veröffentlichen Bustle-Redakteurinnen schon 60 Artikel pro Tag. Es geht um Beauty und Mode, aber auch politische Themen finden immer häufiger statt. Im Gegensatz zur Startphase beim Bleacher Report werden alle bezahlt; ein Teil des Gehalts erhalten die Redakteurinnen in Form von Bustle-Anteilen, Praktikantinnen bekommen feste Tagessätze. Heute schreiben 200 Teilzeit- und 40 Vollzeit-Redakteure und Redakteurinnen für Bustle, täglich sollen hunderte Bewerbungen die Redaktion erreichen.
Mehrere Finanzierungsrunden und fast 40 Millionen Dollar Kapital für Bustle
Weltweit 45 Millionen Unique User lesen Bustle eigenen Angaben zufolge, 32 Millionen davon kommen aus den USA. Die SEO-Erfolge aus der Zeit beim Bleacher Report sind hier garantiert wieder sehr hilfreich, Bryan Goldberg erkennt aber auch das riesige Potenzial von Social Media beim Reichweitenaufbau. Die größten Traffic-Lieferanten seien Facebook und Google, auf dem dritten Platz folge Pinterest. Vor allem durch Native Advertising – Display Ads spielen nur eine kleine Rolle – habe Bustle 2015 einen Umsatz von zehn Millionen US-Dollar generiert, die angepeilten 20 Millionen für 2016 sollen deutlich übertroffen werden. Gegenüber dem Observer berichtet Bryan Goldberg, dass man 2015 mit über 40 großen Brands zusammengearbeitet habe; der Artikel heißt „How Bustle Proved the Haters Wrong.“
Diese Zahlen und laut Goldberg in letzter Konsequenz vor allem der Umsatz sind es, die Bustle auch für Investoren attraktiv macht. In vier Runden konnten bisher 38,5 Millionen US-Dollar eingesammelt werden, 11,5 Millionen Dollar kommen aus der letzten Runde im März 2016. Zu den namhaften Kapitalgebern zählen unter anderem General Catalyst Partners (Snapchat, AirBnB) und GGV Capital (Musical.ly, Slack). Bryan Goldberg bezeichnet das neueste Funding als die am stärksten überzeichnete Runde seiner Karriere. Bustle habe noch deutlich mehr Geld erhalten können, er wolle sich aber vor allem am realen Kapitalbedarf orientieren. Es sei immer noch Geld aus einer Runde von Ende 2014 übrig, auch dank der Advertising-Umsätze. Gegenüber Business Insider sagt Goldberg: „And our revenue is growing at a high rate right now … it is through the roof.“
Welches Selbstvertrauen in Aussagen dieser Art mitschwingt, wird erst so richtig deutlich, wenn man die Entwicklung des Kapitalmarktes betrachtet. Während es einige Jahre augenscheinlich recht einfach war, mit Digital-Publishing-Projekten riesige Summen an Kapital zu erhalten, ist dies zuletzt schwieriger geworden. Bryan Goldberg bestätigt: „The tone in Silicon Valley is different this year, it really is.“ Für ihn selbst ist abkühlende Stimmung aber offensichtlich kein Problem.
Vielleicht wirken Bustles 38,5 Millionen Dollar deshalb auch weniger spektakulär, als sie in Wirklichkeit sind. Man hat noch andere Digital Mediahouses wie Buzzfeed, Vox, Huffington Post, Business Insider und natürlich auch Goldbergs Bleacher Report im Kopf, die alle für deutlich dreistellige Millionenbeträge verkauft worden sind. Bryan Goldberg selbst bezeichnet diese Player in einem Digiday-Podcast als „class of 2007“ und freut sich, dass es für alle genannten Publisher so gekommen ist. Keiner habe damals Content-Media-Deals machen wollen, Spiele und Rabatte seien die rentablen Branchen gewesen. Einer der weltweiten Top-VCs habe ihn sogar gefragt, ob er den Usern statt Content nicht lieber Gutscheine per Mail anbieten wolle.
Neue Tochterseite von Bustle und Video-Pläne
Bryan Goldberg will mit Bustle weiterhin behutsam vorgehen und nicht zu schnell auf Trends aufspringen. Welches Vehikel bietet nach SEO und Facebook die nächste große Chance im Reichweitenaufbau? Während Buzzfeed, Business Insider & Co. aktuell viel in Video-Content vor allem auf Facebook investieren, schaut er erst einmal zu. Zwar veröffentliche auch Bustle ein paar Clips pro Woche, bevor das Team aber weiter wächst, wolle er genau den Markt und die Entwicklung der in dem Bereich relevanten Plattformen Facebook und Youtube beobachten. Er sagt: „There are some digital-media companies that are betting tens of millions of dollars on video … I wish them the best of luck with that bet.“
Goldberg ist trotz des Zögerns aber sicher, dass die besten Tage für Digital Media noch kommen und eine gewisse Panik bei klassischen Medienhäusern durchaus gerechtfertigt ist. Das sei auch der Grund für zahlreiche Investitionen in dem Bereich. Als fast logische Konsequenz könnt man vor diesem Hintergrund sein neuestes Projekt betrachten: Auf romper.com (deutsch: Strampelanzug), der Schwesterseite von Bustle, findet sich nur Content für „Millenial-Mums“, also junge Mütter, die nach 1983 geboren sind. Mit laut Goldberg 3,5 Millionen monatlichen Unique Usern ist die Seite zwar deutlich kleiner als Bustle und werde das auch bleiben, dafür ist die Zielgruppe noch einmal spitzer – und damit in der Theorie attraktiver für Advertiser.