Morning Crunch: Ein Newsletter-Imperium gebaut auf KI und Patagonia-Westen

1,5 Stunden Arbeit, 20.000 Abonnenten, Open Rates von 50 Prozent

Branchen-Newsletter und -Briefings boomen. Publisher investieren hohe Summen. Wie man in diesem Game mit minimalem Budget und Zeitaufwand mitspielen kann, machen gerade zwei junge Verlagsangestellte vor. Für ihr Feierabendprojekt Morning Crunch nutzen Gregor Becker und Paul Ostwald ihr Gespür für eine junge Zielgruppe, künstliche Intelligenz und eine clevere Referral-Strategie. Der Lohn: eine fünfstellige Audience nach wenigen Monaten und Open-Rates weit über Branchenschnitt. Jetzt starten sie die Vermarktung.

Mathias Döpfner dürfte ein klein bisschen neidisch werden, sollte er diesen Artikel lesen. Denn während der Springer-CEO gerade dabei ist, die Redaktionen seines Verlags gegen alle internen Widerstände durch verstärkten Einsatz von KI effizienter – aka billiger – zu machen, spazieren Gregor Becker und Paul Ostwald ungehindert in die entgegengesetzte Richtung. 

"Unsere Vision ist die: Wenn man heute Springer bauen würde, wie würde das aussehen?", sagt Becker im Gespräch mit OMR. Und sein Kompagnon Ostwald gibt den ersten Teil der Antwort: "Du versuchst jedenfalls nicht die 'Bild' zu bauen." Also nicht General Interest, sondern maximal spezialisierten Content für Nische. Dann müsse man auf Push-Kanäle setzen, so die beiden. Und schließlich schauen, wie man das ganze unter minimalsten Einsatz von Ressourcen umgesetzt bekommt.

"Format, das dich in weniger als fünf Minuten smarter macht"

Vor knapp einem Jahr starteten Ostwald und Becker am Schnittpunkt dieser drei Kriterien Morning Crunch. Unter dieser Dachmarke erscheint seitdem montags bis freitags der Newsletter Markets Crunch, eine Zusammenfassung der wichtigsten Nachrichten aus den Bereichen Finance und Tech. Nach einer kurzen Übersicht ausgesuchter Indizes von Dax-Konzernen bis Bitcoin folgen eine analytische Top-Story sowie weitere News. Alles maximal kompakt – die Lesezeit von immer unter fünf Minuten steht in der Betreff-Unterzeile, so dass sie bereits vor dem Öffnen der Mail gut sichtbar ist. Das sei das Produktversprechen, so Becker: "Wir machen ein Format, das dich in weniger als fünf Minuten smarter macht."

Die Newsletter sind auf eine junge Audience zugeschnitten: garniert mit reichlich Emojis und in saloppem Tonfall gehalten. Nicht ganz so "steingartig" wie viele Morning-Briefings, umschreibt es Ostwald. Auch das Referral-Progamm passt zur Zielgruppe: Wer 50 neue Abonnent*innen empfiehlt, bekommt eine Patagonia-Weste – Klischee-und Lieblingskleidungsstück der Finance- und Tech-Bros. Seit dem Start haben sie 27 Westen verschickt – und es wären mehr gewesen, wenn sie nicht alle rausgefiltert hätten, die sich über die Anmeldung von Fake-Adressen eine Weste beschaffen wollten. Aber es sei okay, wenn jetzt jemand sein kompletten Heimatort zu Markets-Crunch-Leser*innen gemacht habe, um dort nun im Investmentbanker-Look durch sein österreichisches Dorf laufen zu können, so Ostwald.

Vor etwa neun Monaten haben Becker und Ostwald mit der aktiven Gewinnung von Abonnent*innen über Paid-Maßnahmen begonnen. Wie viel Geld sie investiert haben, mögen sie nicht veröffentlicht sehen. Aufgrund ihres beruflichen Hintergrunds wissen sie aber, dass es ein sehr guter CPA-Wert ist. Becker ist im Strategie-Team der Burda Holding tätig, Ostwald arbeitet seit zwei Jahren für Ringier in einer Unit, die eine Sportmedien-Holding aufbaut.

Höherer TKP als das "Manager Magazin"

Mittlerweile sind mit AI Crunch und Deals Crunch zwei weitere Newsletter für KI-Interessierte und die Investment-Bubble dazugekommen, die ebenfalls organisch gut wachsen. Das Marketing haben Becker und Ostwald vorerst komplett zurückgefahren. Sie wollen erst einmal schauen, wie gut die Vermarktung anläuft. Die startet in wenigen Wochen mit einem TKP, der selbstbewusste 40 Prozent über dem Listenpreis der Newsletter von "Spiegel" und "Manager Magazin" angesetzt wurde.

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Paul Ostwald (links oben) und Gregor Becker bei ihrer virtuellen Redaktionskonferenz. Foto: Morning Crunch

Werktäglich erreicht Morning Crunch über seine drei Verticals hinweg rund 20.000 Leser*innen. Entgegen ihrer ursprünglichen Kalkulation seien das nicht nur Young Professionals zwischen Mitte 20 und Mitte 30, sondern auch viele Finanz- und Tech-affine Menschen kurz vor Beginn ihrer Karriere. "Wir sehen ganz viel Email-Accounts nach dem Muster Vorname.Nachname2003 – da sind also echt junge Leute dabei", so Ostwald. Und bei denen, die sich nicht mir ihrer privaten Adresse anmelden, begegne man häufig Unis, den klassischen Beratungsunternehmen und Banken.

Clickrate von über zehn Prozent

Als "Next Gen Business Leaders" fassen die beiden ihre Audience selbst zusammen. Und diese künftige Wirtschaftselite scheint den Content zu lieben. Laut Becker und Ostwald liegt die Open Rate ihrer Newsletter bei beachtlichen 50 Prozent. Auf jeden Fall ein gutes Argument hinsichtlich der Vermarktung. "Was uns noch zuversichtlicher stimmt, ist die Clickrate von über zehn Prozent", sagt Becker.

Die zielgruppenadäquate Aufbereitung spiele beim Wachstum eine Schlüsselrolle, so Ostwald. "Es ist nicht der Scoop, sondern die Art und Weise, wie wir die Geschichten erzählen können." Zu ergänzen ist: die mindestens so entscheidende Rolle der KI. Denn dass zwei junge Menschen, die beide Vollzeitjobs haben, diese Menge an Content überhaupt stemmen können, verdanken sie Technologie. Für Morning Crunch haben sie sich ein KI-Tool bauen lassen. 

Weniger als 70 Prozent Originalität wäre "dirty Business"

Zunächst aber hatten die beiden beim Start im Januar 2023 etwas mit ChatGPT herumgespielt. Ostwald war damals gerade für Ringier in Nigeria, Becker hatte seine einjährige Tochter auf dem Arm, während sie in virtuellen Meetings an Morning Crunch arbeiteten. Vier Wochen später ging das erste Briefing raus. Seitdem haben sie jeden Abend um 23 Uhr ihre Redaktionskonferenz. Nach jeweils 30 Minuten Arbeitszeit pro Newsletter ist die Arbeit getan. Eine eindrucksvolle Geschwindigkeit dank künstlicher Intelligenz. 

Ihr Tool haben Ostwald und Becker sich von Christopher Baumgärtners Firma Durayne Technologies bauen lassen. Baumgärtner war zuvor Head of Science bei der Neobank N26. Für Morning Crunch haben er und seine Leute eine Software entwickelt, die zwei wesentliche redaktionelle Arbeitsschritte übernimmt. Zum einen scrape sie die Websites wichtiger Business-News-Plattformen wie "Financial Times", "Bloomberg" und "Handelsblatt" und sortiere die wichtigsten Meldungen vor, erklärt Becker. Aus denen erstelle die KI dann Zusammenfassungen der Nachrichten, denen die beiden dann nur noch den stilistischen Feinschliff verpassen müssen. Dabei legt Becker aber Wert darauf, dass die Newsletter mindestens 70 Prozent Originalität aufweisen, denn "weniger wäre dirty Business".

Bislang gerade mal 20.000 Euro investiert

Was sagen ihre aktuellen Arbeitgeber eigentlich dazu, dass sie nach Feierabend ein Publishing-Unternehmen aufbauen? Das werden sie sehen, wenn dieser Artikel erschienen ist. Aber natürlich sei ihren Chef*innen bekannt, dass sie privat schon immer journalistische Projekte verfolgt haben, sagt Ostwald. Und letztlich würden sie ja auch profitieren, wenn ihre Mitarbeitenden KI besser verstehen. Wobei eine Kündigung – ihrerseits – tatsächlich eine Option sein könnte. Denn eine halbwegs erfolgreiche Monetarisierung würde die Newsletter sofort profitabel machen, erklären die Morning-Crunch-Gründer.

Bislang haben Ostwald und Becker rund 20.000 Euro in den Aufbau von Morning Crunch investiert. Dieses Geld dürfte schnell wieder reinzuholen sein und die Basis für ein Hochfahren der Marketing-Aktivitäten sowie weiteres Wachstum des Portfolios legen. In der Pipeline sind bereits Newsletter für den Consulting-Bereich und den Automotive-Sektor. Über Wartelisten haben Ostwald und Becker das Interesse validiert und einen Grundstock an Abonnent*innen aufgebaut. 20 Formate könnte es mal werden. Doch das geht nur, wen die beiden All-in gehen, sagt Becker. Und erklärt, als wäre diese Schlagzahl ganz normal: "Als Side Hustle schaffen wir nicht mehr als drei Briefings."

ContentFinanceStartups
Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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