Mutlose Manager, Familien-Streit und ein Milliarden-Deal: Julia Becker zieht Bilanz
Die Aufsichtsratschefin der Funke-Mediengruppe zu Gast im OMR Podcast
- Ein Anruf von Friede Springer auf Juist
- „Manager-Denke aus den 80er Jahren“
- Julia Becker verzichtet auf Ausschüttungen
- Die Themen des OMR Podcasts mit Julia Becker im Überblick:
Die Funke-Mediengruppe zählt mit Zeitungen wie der WAZ, dem Hamburger Abendblatt und der Berliner Morgenpost sowie Zeitschriften wie der Hörzu zu den größten Verlagen des Landes. Doch eine Garantie für die Zukunft ist die Größe nicht, zu sehr ist das Geschäft mit gedruckten Zeitungen unter Druck geraten. Im OMR Podcast erzählt Verlegerin Julia Becker schonungslos und offen, warum sie von vielen Verlagsmanagern enttäuscht ist, warum sich Teile ihrer Familie aufgrund des Unternehmens zerstritten haben und wieso sie und ihre Geschwister aktuell keine Ausschüttungen mehr wollen.
Julia Becker hat früh gelernt, dass ihrer Familie keine Schraubenfabrik gehört, sondern die wichtigste Tageszeitung im Ruhrgebiet. Wenn Borussia Dortmund und Schalke 04 im Revier-Derby aufeinander trafen, dann kam es nicht nur auf das Ergebnis auf dem Platz an. Julia Becker erinnert sich an einen Mathe-Lehrer, einen leidenschaftlichen Schalke-Fan – der nach Niederlagen ihr gegenüber sein Missfallen über die Art der Berichterstattung deutlich zum Ausdruck brachte. „Es war für uns in der Kindheit manchmal schwierig, so groß zu werden, wie wir groß geworden sind“, sagt Julia Becker im OMR Podcast.
Dennoch ist Julia Becker Jahrzehnte nach dieser Episode zum Gesicht der Funke-Mediengruppe aus Essen geworden. Die Firmenerbin hat inzwischen den Vorsitz des Aufsichtsrats übernommen. Von dort aus steuert sie den größten Tageszeitungsverlag der Republik, der allein mit seinen gedruckten Zeitungen täglich 3,4 Millionen Leser*innen erreicht und jährlich rund eine Milliarde Euro Umsatz macht. Ihre Familie hat inzwischen die Mehrheit am Verlag übernommen, der jahrelang durch erbitterte Streitigkeiten im Gesellschafterkreis von sich reden machte.
Ein Anruf von Friede Springer auf Juist
Die Geschichte der Funke-Mediengruppe begann dabei vor 75 Jahren mit der Gründung der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung in Bochum durch zwei Männer: Jakob Funke und Erich Brost. Relativ schnell siedelten sie mit ihrer Zeitung nach Essen um, wo auch heute noch der Hauptsitz des Unternehmens ist. Die WAZ ist eine Macht im Ruhrgebiet, eine der wichtigsten Stimmen in NRW – und die Mediengruppe kauft im Laufe der Jahre auch weitere Titel hinzu. Doch das Jahr 2014 verändert dann doch nochmal alles.
Julia Becker erinnert sich noch, wie in dem Ferienhaus der Familie auf Juist das alte Telefon mit Wählscheibe klingelt. Am anderen Ende der Leitung: Friede Springer, Großaktionärin und Erbin des Axel Springer Verlags. Sie hatte schon einmal hier angerufen, damals teilte sie der Funke-Familie mit, dass die Bild-Zeitung nicht zum Verkauf stünde. Dieses Mal ist es anders. Friede Springer will der Familie ein Angebot machen. Für eine Milliarde Euro kauft die Essener Verlagsgruppe wenig später das Zeitschriften-Portfolio und Zeitungen wie das Hamburger Abendblatt und die Berliner Morgenpost von Springer. Die Berliner wollen sich mehr auf das Digitalgeschäft und Geschäftsmodelle wie das von Stepstone konzentrieren (hier der CEO Sebastian Dettmers im OMR Podcast). Die Funke Mediengruppe sieht die Chance, durch die Transaktion (die insgesamt ein Volumen von rund einer Milliarde Euro gehabt haben soll) zum größten Zeitungsverlag des Landes aufzusteigen.
„Manager-Denke aus den 80er Jahren“
Doch die Übernahme hat einen hohen Preis. Den Verlag drücken bis heute Schulden im dreistelligen Millionen-Bereich. Viele Manager (es waren nur Männer) an der Spitze des Verlags kannten dagegen nur ein Rezept: Kürzungen. Julia Becker sieht in dieser Denke ein grundsätzliches Problem in der Medienwelt. Sie wirft den Verlagsmanagern Mutlosigkeit vor: „Ich glaube, das größte Problem ist ein Selbstverständnis in den Köpfen der Manager, die für ein Wahnsinns-Gehalt da sitzen; diese Vorstellung von ,bis hierhin hat es doch eigentlich immer gereicht’. Wer hat eigentlich richtig Lust auch mal fünf Jahre weiterzudenken, neue Geschäftsmodelle zu erschließen? Das ist das, was wir jetzt tun müssen.“
Das Optimieren auf Kosten der Journalist*innen in den Redaktionen hält sie für überholt. „Das ist ja auch so ein bisschen Manager-Denke aus den 1980er, 1990er Jahren“, sagt die Verlegerin im OMR Podcast. Sie hat dieses Problem nach eigener Aussage in der Vergangenheit auch im eigenen Unternehmen festgestellt: „Die Liebe zu den journalistischen Marken, die spürte ich zumindest wenn ich auf unser Unternehmen geschaut habe, bei fast keinem derjenigen, die wirklich große Verantwortung auf den Führungsebenen hatten.“ Die Funke-Verlegerin fordert daher einen Kulturwandel im Management. „Wir müssen uns unternehmerisch so aufstellen, dass nicht jede Ergebnis sichernde Maßnahme durch die Redaktionen führt”, sagt Julia Becker.
Julia Becker verzichtet auf Ausschüttungen
Die Begründung „Da sitzen doch noch genug“ ist aus ihrer Sicht nicht akzeptabel: „Weil damit unsere journalistische Substanz, die Kreativität, quasi mit jedem weiteren entlassenen Journalisten und jeder weiteren entlassenen Journalistin über Bord gekippt wird. Immer mit dem Fokus, das Ergebnis zu optimieren“. Sie und ihre Geschwister, die inzwischen die Mehrheit am Verlag halten, hätten daher beschlossen, in der jetzigen Phase auf Ausschüttungen zu verzichten. „So zu wirtschaften, dass wir uns unabhängigen, freien Journalismus leisten können, ist unser Auftrag”, sagt Julia Becker im OMR Podcast.
Im OMR Podcast erzählt Julia Becker außerdem, warum sie sich nur ungerne von ihrem Stiefvater zu Praktika fahren ließ, warum ihre Mutter zwar Firmenerbin war, aber im Unternehmen nur als Sekretärin arbeiten durfte – und warum sie von vielen Köpfen in der Branche enttäuscht ist.
Die Themen des OMR Podcasts mit Julia Becker im Überblick:
- (00:04:30) Eine Zeitung ist keine Schraubenfabrik – Julia Becker über ihre Kindheit als Verleger-Tochter
- (00:19:00) Wie ein Anruf auf Juist zu einem Milliarden-Deal führte
- (00:36:00) Das Leben zwischen Pferdehof und Verlag
- (00:45:00) Wie Julia Becker ihre Rolle als Verlegerin neu definiert
- (00:57:30) „Es braucht mehr Kreativität in den Köpfen der Manager“
- (01:08:30) Eine Million Digital-Abos und Experimente mit kleinen Auflagen
- (01:15:00) Hätte Julia Becker gerne einen Mathias Döpfner als Manager gehabt?
- (01:28:40) Drei Geschwister, eine Verantwortung und ein Treffen mit dem Bundespräsidenten