Adtech-Branche unter Druck: Mehr als 30 deutsche Unternehmen sollen zum Verkauf stehen
- Hamburger M&A-Berater Parklane Capital erwartet weitere Konsolidierung
- Zu viele Intermediäre
- Großteil der kleinen Player wird den Besitzer wechseln
- Für kleine Adtech-Player ist es schwer, an Budgets zu kommen
- Können die Vermarkter verhindern, dass sie an Wertschöpfungskraft verlieren?
Hamburger M&A-Berater Parklane Capital erwartet weitere Konsolidierung
Mehrere Hundert Millionen Euro – so viel ist im laufenden Jahr in Deutschland bereits in Übernahmen in der Online-Werbebranche geflossen. Alleine für Interactive Media und T-Online zahlte Außenwerber Ströer 300 Millionen Euro; zudem gab es mindestens elf weitere Deals im Adtech- und Vermarktungsbereich. Ein Anzeichen dafür, dass die lang vorher gesagte Konsolidierung des fragmentierten Marktes nun endlich kommt? „Wir sehen einen dramatischen Trend zur Konsolidierung im Markt“, sagt Björn Söder von der Hamburger M&A-Beratung Parklane Capital. Er schätzt, dass derzeit rund 30 Adtech-Firmen in Deutschland zum Verkauf stehen und rechnet damit, dass der Großteil der kleineren Marktteilnehmer in den kommenden zwei Jahren den Besitzer wechseln wird. Online Marketing Rockstars hat mit ihm über die Gründe dafür gesprochen – und gefragt, wer seiner Ansicht nach langfristig die besten Perspektiven hat. „Durch das zunehmende Tempo in der technologischen Entwicklung steigt der Investitionsbedarf, weshalb es kleineren Pure-Adtech-Playern auf Dauer schwer fallen wird, sich am Markt zu halten“, prognostiziert Björn Söder, Geschäftsführer von Parklane Capital. Das Hamburger Unternehmen berät seine Kunden bei Übernahmen und Transaktionen im Bereich Technologie, Internet und Medien. Eigenen Angaben zufolge hat Parklane alleine im Online-Marketing- und Adtech-Bereich eine zweistellige Anzahl Transaktionen mit insgesamt einer knappen Milliarde Euro Dealvolumen betreut. Zuletzt hat die Beratung beispielsweise Sovendus bei einem Investment durch Bregal beraten.
Die namhafte US-Beratung Luma Partners schätzt, dass alleine in den USA 2.500 Adtech-Unternehmen am Markt aktiv sind. Viele davon haben sich auf einen kleinen Teil der Wertschöpfungskette spezialisiert – „Demand Side Platforms“ und „Sell Side Platforms“ wollen den Media-Handel für die Einkaufs- bzw. Verkaufsseite bündeln, „Data Management Platforms“ die Verwaltung von Nutzerprofildaten; darüber hinaus gibt es spezialisierte Anbieter für einzelne Segmente wie Mobile, Native Advertising oder Bewegtbild, Bid Management Tools für Suchmaschinenwerbung, Facebook Tools, die sich auf die Buchung von Werbung in dem Social Network spezialisiert haben, etc. ppp.
Zu viele Intermediäre
Söder sieht in dieser Entwicklung die Gründe für die Notwendigkeit einer Konsolidierung: „Wenn auf der Strecke zwischen Advertiser und Inventarhalter fünf Parteien aktiv sind, von denen jede 15 bis 25 Prozent Marge aufs Mediavolumen verdienen will, sind das einfach zu viele. Auf Dauer ist da wohl eher eine Zahl von zwei Intermediären realistisch.“ Sowohl die Werbekunden und Agenturen (Nachfrageseite) als auch die großen Vermarkter (Anbieterseite) würden Adtech-Gebühren von insgesamt über 50 Prozent des Mediabudgets perspektivisch nicht mehr zulassen und stärker auf Eigenlösungen setzen, prognostiziert der M&A-Berater. Viele Adtech Firmen, speziell im Realtime-Advertising-Umfeld, würden daher von beiden Seiten der Wertschöpfungskette unter Druck gesetzt.
Darüber hinaus haben die „alten Marktteilnehmer“ sowohl von Angebots- als auch von Nachfrageseite in den vergangenen Jahren harte Konkurrenz bekommen – durch die großen US-Internetkonzerne sowie durch neue Anbieter wie Zalando und künftig Otto, die ebenfalls ins Mediageschäft einsteigen. „Wir sehen eine starke Verschiebung – weg vom traditionellen Geschäft hin zu den neuen großen Plattformen wie Facebook, Google, Amazon und potenziell Apple. Durch deren ursprüngliche Geschäftsmodelle verfügen diese Marktteilnehmer über viel bessere Daten“, so Söder. Zukünftig werden diese Anbieter ihre Daten auch nutzen, um die Vermarktung von Fremdinventar zu optimieren – wie beispielsweise Facebook mit Atlas. Diese Entwicklung setze auch den Rest des Marktes unter Druck. „Da die Datenlage immer besser wird, wird auch immer besser nachweisbar, welche Leistung wirklich geliefert wird“, sagt der Parklane-Geschäftsführer. Wird dieser Datenschatz richtig eingesetzt, können die großen Publisher – allen voran Facebook – Werbeeinblendungen deutlich zielgerichteter und effizienter vornehmen und dadurch höhere Preise erzielen.
Großteil der kleinen Player wird den Besitzer wechseln
Luma Partners glaubt deswegen, dass von den besagten 2.500 Unternehmen in den USA nur 150 langfristiges Potenzial haben – für einen erfolgreichen Börsengang oder einen Verkauf für mindestens 75 Millionen US-Dollar. Söder erwartet in Deutschland eine ähnliche Entwicklung und rechnet mit einer weiteren Konsolidierung: „Vermutlich wird in den nächsten zwei Jahren ein Großteil der kleineren Adtech-Firmen – dazu würde ich Unternehmen mit weniger als zehn Millionen Umsatz exklusive Mediabudget rechnen – den Eigentümer wechseln.“ Alleine für die nächsten sechs Monate rechnet der Parklane-Geschäftsführer mit einer zweistelligen Zahl an Transaktionen, die im weitesten Sinne mit Adtech zu tun haben. „Insbesondere Advertiser und Publisher werden ihre Technologiekompetenz durch Zukäufe stärken wollen. Der Kauf von Metrigo durch Zalando ist ein schönes Beispiel. Aber auch die großen Agenturnetzwerke werden weiter Adtech Firmen aufkaufen.“
Ein Beispiel für den Aufbau von eigener Technologiekompetenz auf Agenturseite war in diesem Jahr esome, das Joint-Venture von Performance Media und der GroupM (WPP) – „sicherlich ein Leuchtturm-Deal“, meint Söder, der die Neugründung mit Parklane Capital betreute. „Dass es einem deutschen Unternehmen gelungen ist, eine Technologie zu entwickeln, die besser ist, als das was bis dahin in den USA verfügbar war, und damit die weltweit größte Mediaagentur von einem Joint-Venture überzeugen konnte, halte ich für beachtlich.“ Ansonsten sind aus Söders Sicht Performance Media und Sociomantic „die größeren deutschen Erfolgsstorys der vergangenen Jahre“. Beide hätten durch ihren klaren Technologiefokus starke dreistellige Exits realisieren können.Für kleine Adtech-Player ist es schwer, an Budgets zu kommen
Söder weist auf einen weiteren Grund für die Konsolidierung hin: „Wir beobachten in Deutschland viele hervorragende Teams, die ein tolles Produkt und eine sehr gute Adtech-Technologie entwickelt haben. Diese Teams haben es aber oft schwer, ihr Produkt am Markt zu vertreiben oder an die großen Marketingbudgets heranzukommen. Diese Budgets werden oft von größeren Agenturen oder Agenturnetzwerken betreut. Einen skalierbaren Vertrieb aufzubauen gehört für viele Adtech-Start-Ups nicht zur Kernkompetenz und ist darüber hinaus kostspielig und zeitintensiv.“ Und bei der Finanzierungskraft seien junge deutsche Adtech Firmen klar im Nachteil gegenüber ihren US-Wettbewerbern. Die Eintrübung der Stimmung bei Venture-Capital-Investoren gegenüber Adtech in den jüngsten Monaten sowie die damit gesunkene Aussicht auf Folgefinanzierungen dürfte den Druck auf manche Firmen zusätzlich verschärfen.
Dass Söder sich wenig über die Vermarktungsseite des Marktes äußert, ist offenbar ein Hinweis darauf, welche Seite er im Kampf um mehr Marktanteile in der Online-Werbung besser aufgestellt sieht: „Unser Eindruck ist, dass das Pendel stärker in Richtung Nachfragerseite, also Agenturen und Advertiser, ausschlagen wird, weil diese Firmen einen Großteil der Mehrwerte auf sich vereinen können – vor allem, da sie den Kunden über verschiedene Vermarktungsportfolios hinweg betrachten könnten.“ Hinzu komme, dass die Nachfrageseite bislang stärker in das Thema Adtech investiert hat, so Söder. Die meisten Publisher hätten noch reichlich Nachholbedarf auf der technologischen Seite: „Das Ziel sollten mehr Entwickler als Sales-Mitarbeiter sein.“ Ströer sei mit seiner führenden Online-Reichweite und der zunehmenden Digitalisierung seines Out-of-Home-Geschäfts am ehesten als „potenzieller digitaler Champion“ aufgestellt, müsse aber seine Technologiekompetenz gegen die großen US-Player stetig beweisen.
Können die Vermarkter verhindern, dass sie an Wertschöpfungskraft verlieren?
Generell sieht der Adtech-Experte für die Vermarktungsseite große Herausforderungen: „Deutsche Vermarkter können und werden versuchen, ihre Daten anzureichern, wenn sie selbst Content produzieren und das Inventar besitzen. Ich glaube aber nicht, dass sie das gesamte Momentum zurück gewinnen können.“ Er rechnet deswegen auch bei Vermarktern mit einer starken Konsolidierung. „Trotzdem wird es sicherlich auch in einigen Jahren noch nationale Vermarkter geben. Alle, die zusätzliche Kanäle im Portfolio haben, wie beispielsweise TV, werden auch weiterhin im „Relevant Set“ der Mediaagenturen vertreten sein. Europäische Vermarkter, denen es nicht gelingt, eine eigene Technologiekompetenz aufzubauen, werden Technologien von US-Anbietern nutzen und sich auf den persönlichen Verkauf von komplexen Mediapositionen beschränken. Sie werden damit insgesamt an Wertschöpfungstiefe einbüßen.“ Das ist kein rosiger Ausblick für deutsche Vermarkter, die keine kritische Masse aufweisen, oder ernst zu nehmende Technologie haben.
Je mehr Geschäft allerdings von den heimischen Vermarktern zu den großen US Publishern fließt, desto weniger Geschäft bleibt für diejenigen deutschen Adtech-Firmen, die vor allem von den deutschen Vermarktern leben. Die erwartete Konsolidierung sowohl im Adtech- als auch im Vermarktungsbereich könnte sich damit gegenseitig befeuern. Söder ist überzeugt, dass die Veränderungen im Adtech-Markt für viele Firmen auch interessante Optionen bieten: „Leider werden einige deutsche Adtech-Anbieter nicht überleben. Wir werden in den kommenden Monaten aber auch attraktive Exits sehen, bei denen Adtech Pure Player von Advertisern, Vermarktern oder Agenturnetzwerken übernommen werden und dort eine spannende Heimat finden.“