Wie es die Resell-Plattform StockX geschafft hat, Badelatschen für 260 Dollar zu verkaufen

Martin Gardt9.7.2019

StockX-Gründer Josh Luber hat OMR erzählt, warum die Börse für seltene Sneaker jetzt über eine Milliarde Dollar Wert ist

StockX Ben Baller
Die Badelatschen von Ben Baller in Zusammenarbeit mit StockX gingen per Produkt-IPO an die Käufer
Inhalt
  1. Handel mit Sneakern statt mit Aktien
  2. IPO für Produkte
  3. 260 US-Dollar für Badelatschen
  4. Als Händler für Neuware angreifen
  5. Die Grenzen des Resell-Geschäfts
  6. Brands bleiben passiv – und gewinnen trotzdem

Normalerweise werden an Börsen Wertpapiere gehandelt – bei StockX sind es Sneaker, Handtaschen, Uhren. Auf der Second-Hand-Plattform sehen die Nutzer wie an der Börse den Verlauf der Preise für begehrte Stücke und können sie direkt kaufen. Aus Veröffentlichungen neuer Kollektionen macht StockX Börsengänge. Wie Gründer Josh Luber mit diesem Prinzip das E-Commerce-Geschäft durchwirbeln will und wieso Badelatschen beim ersten „Börsengang“ auf der Plattform im Durchschnitt 260 US-Dollar gekostet haben, erklärt er hier.

„Wir sind mit der Preissuchmaschine Campless 2012 gestartet und haben Ebay durchsucht, um zu verstehen, was bestimmte Schuhe wirklich wert sind“, sagt StockX-Gründer Josh Luber gegenüber OMR. „Daraus konnte jeder den Wert seines Sneaker-Portfolios erkennen und über die Zeit nachverfolgen – so wie von Aktien-Portfolios. Also haben wir überlegt, einfach eine Börse für Sneaker zu bauen.“ 2015 wird aus Campless StockX, nachdem Dan Gilber, Besitzer des NBA-Clubs Cleveland Cavaliers, und Greg Schwarz eingestiegen waren. Das Ziel: Den echten Marktwert von begehrten und teuren Sneakern und Designprodukten wie Uhren und Taschen aufzeigen.

StockX-Gründer Josh Luber

StockX-Gründer Josh Luber

Erst vor wenigen Tagen hat StockX eine Investitionsrunde über 110 Millionen US-Dollar abgeschlossen. Laut eigenen Angaben liege der Wert des Unternehmens damit bei über einer Milliarde US-Dollar. Im vergangenen Jahr soll der Verkaufswert von Produkten auf StockX jeden Monat 100 Millionen Dollar überstiegen habe, der Umsatz habe sich mehr als verdoppelt. Mit einer neuen Strategie will das Unternehmen jetzt noch deutlich wachsen – auch in Europa und Deutschland.  

Handel mit Sneakern statt mit Aktien

In erster Linie ist die selbst betitelte „Börse für Dinge“ ein Marktplatz für Verkäufer und Käufer begehrter, seltener Schuhe und anderer Fashion-Produkte. Wer auf StockX landet, kann direkt nach Marke, Modell oder auch Farbe suchen. Wählt der Nutzer einen Schuh aus, sieht er auf der Produktseite den aktuell günstigsten Preis eines Verkäufers und das höchste Angebot eines aktuellen Käufers. So sehen potenzielle Käufer direkt, wie viel sie etwa ausgeben müssen und Verkäufer, mit welchem Betrag sie rechnen können. Hier zeigt sich auch der große Unterschied zu Ebay und anderen Marktplätzen: Jedes Produkt hat nur eine Produktseite, auf der um die Ware gehandelt wird. In Verbindung mit der Möglichkeit, sein Portfolio der eigenen Besitztümer zu bauen und zu tracken, sowie die Preisentwicklung jedes Produkts im Blick zu behalten, erinnert StockX tatsächlich ein bisschen an Webseiten mit Börseninfos. 

StockX Produktseite

Auf einer Produktseite von StockX sehen Nutzer die Preisentwicklung und aktuelle Angebote

Durch diese Herangehensweise entstehe laut Luber Transparenz auf dem Resell-Markt und gleichzeitig zeige sich der wahre Wert eines Produkts, bestimmt von Angebot und Nachfrage. Bei StockX werden Sneaker, die im Verkauf 200 US-Dollar gekostet haben, jetzt auch mal für über 16.000 US-Dollar angeboten. Da die Plattform aber nicht nur das aktuell niedrigste Angebot eines Verkäufers anzeigt, sondern auch den bisher durchschnittlich erzielten Verkaufspreis, kann der potenzielle Kunde einschätzen, ob das aktuelle Angebot wirklich so verlockend ist – und auch einen günstigeren Preis bieten und darauf hoffen, dass einer der Verkäufer akzeptiert.

Ist das der Fall, schickt der Verkäufer die Schuhe zuerst an eines der vier „Authentification Center“ von StockX. Hier werden die Produkte auf Echtheit und Zustand geprüft und erst dann an den Käufer versendet. Auf Sneaker bekommt StockX eine Provision von 9,5 Prozent des Verkaufspreises, bei Handtaschen sind es 14 und bei Uhren 9,9 Prozent. „Unser Modell funktioniert nur mit Authentification Centern, weil Vertrauen in den Service entscheidend ist“, so Gründer Luber zu OMR. Die meisten der angebotenen Waren sind neuwertig und es gibt keine Produktfotos, die von den Verkäufern selbst eingestellt werden.  

IPO für Produkte

Dieses klassische Reseller-Business reicht Luber aber nicht mehr, denn auch die Bewertung des Unternehmens dürfte mit größeren Zielen im Sinn zu Stande gekommen sein. Er wolle in Zukunft das Konzept statischer Preise ersetzen. Mit Shopping nach Regeln der Börse – auch für Produkte, die gerade erst auf den Markt kommen. „Für mich ist das IPO-Modell die Zukunft des E-Commerce“, so Luber. IPO (Initial Public Offering) bezeichnet im Englischen den Börsengang eines Unternehmens. Im Kontext von StockX bezeichnet ein IPO das erstmalige Angebot eines Produkts oder einer neuen Kollektion – also einen Drop (hier hatten wir ausführlich über diese Marketingstrategie geschrieben).

StockX Badelatschen

Die Badelatschen waren kurz nach der Auktion im Weiterverkauf noch mehr wert. Mittlerweile sind sie deutlich günstiger zu haben

Anfang 2019 hat StockX das mit Badelatschen zum ersten Mal ausprobiert. Gemeinsam mit dem Juwelier Ben Baller, der für seine extravaganten Ketten für Rapper wie Kanye West, Snoop Dogg, Drake und andere bekannt geworden ist, hat StockX eine schwarze und eine rote Version von einfachen Badelatschen mit dem Spruch „Ben Baller Did The Chain“ auf den Markt gebracht – über eine sogenannte blinde holländische Auktion. Durch künstliche Verknappung (800 Stück verfügbar) und den großen Namen des Designers sollte Hype aufgebaut werden.

260 US-Dollar für Badelatschen

Bei einer blinden holländischen Auktion geben die potenziellen Käufer genau ein Gebot für das Produkt in ihrer Größe ab, ohne Gebote anderer zu sehen. Nach Ende der Auktion sortiert StockX alle Gebote, die Höchstbietenden bekommen den Zuschlag – aber mit einem Twist. Hat das Unternehmen zum Beispiel 20 Badelatschen in einer Größe und Farbe, bekommen die 20 Höchstbietenden das Produkt, jedoch für den Preis des niedrigsten Gewinnergebots. Wer 500 US-Dollar geboten hat, muss also auch nur 100 Dollar bezahlen, wenn Gebot Nummer 20 so hoch ausgefallen ist.

StockX Preise Badelatschen

Die gezahlten Preise für die jeweiligen Größen der roten und schwarzen Badelatschen (Quelle: StockX)

Nach drei Tagen Auktion im Januar 2019 habe StockX 10.439 Gebote registriert – für die 800 verfügbaren Badelatschen. Dabei hätten die Gebote zwischen 50 und einer Million US-Dollar gelegen. „Das Produkt hätte im normalen Verkauf 70 US-Dollar gekostet. Über den IPO haben wir einen Durchschnittspreis von 220 US-Dollar erzielt“, sagt Josh Luber. Die rote Latschen in US-Größe 13 sind zum Beispiel für 350 US-Dollar verkauft worden – die geringen Stückzahlen der großen Größe führten zu erhöhtem Andrang. Von der besonders kleinen Größe 5 gab es zwar auch nicht viele Paare, aber es wurden auch sehr wenige Gebote abgegeben. So gingen alle Badelatschen dieser Größe für 150 US-Dollar an die Käufer.  

Als Händler für Neuware angreifen

„Wir wollen in Zukunft mit noch mehr Brands zusammenarbeiten und ihnen immer stärker die Kontrolle über den Marktstart ihrer Produkte geben“, sagt Luber gegenüber OMR. Das Unternehmen sehe gleich mehrere Vorteile in dieser Art des Verkaufs. Da wäre, wie schon angesprochen, der zumindest im ersten Test höhere Verkaufspreis. Darüber hinaus komme es bei extrem begehrten Stücken dazu, dass lange Schlangen vor Geschäften für Chaos sorgen oder Kaufbots den Großteil der Ware einsacken. Ein StockX-IPO sei fairer und transparenter. Gleichzeitig hätten 90 Prozent der Bieter ihre Badelatschen günstiger bekommen, als sie mit ihrem Gebot bereit gewesen wären, zu zahlen. 

Mit diesem Versprechen an Brands, dass durch Produkt-IPOs der wahre Wert von Produkten ermittelt werden kann, der meist höher liegen sollte als der mögliche Retail-Preis, gehe StockX jetzt auf weitere Hersteller zu. Wobei Luber betont, dass diese Art des Verkaufs nur bei Hype-Produkten im besten Fall mit begrenzter Stückzahl funktioniert. Darunter fallen heute aber schon viele verknappte Sneaker von Nike, Adidas & Co. und jede neue Kollektion der Trend-Brand Supreme (hier ein ausführlicher Bericht über die Marke). Mit welchen Marken Luber genau spricht, will er noch nicht verraten. 

Die Grenzen des Resell-Geschäfts

„Wir wollen den Resell- und den Retail-Markt bei StockX zusammenbringen“, sagt der Gründer. Die Webseite solle für Nutzer auf der Suche nach neuen Klamotten zum Ausgangspunkt werden. „Der US-Resell-Markt ist zwei Milliarden US-Dollar wert, der weltweite sechs Milliarden. Aber der gesamte Retail-Markt ist 100 Milliarden wert“, so Luber. Er dürfte realisiert haben, dass sich ein auf Resale spezialisiertes Unternehmen nur schwer skalieren lässt. StockX lebt von den Verkaufsprovisionen und muss davon seine Authentification Center finanzieren. Dort könnten 20.000 Produkte täglich auf Echtheit geprüft werden – dementsprechend kostenintensiv dürfte die Unterhaltung der Zentren sein.  

Gleichzeitig ist nicht klar, wie groß die Zielgruppe für Reseller überhaupt ist. Laut Daten des Marktforschers Forrester aus 2016 haben überhaupt nur 21 Prozent der US-Kunden jemals Second-Hand-Produkte gekauft. Viele der Second-Hand-Wettbewerber von StockX verzeichnen Verluste – der Luxus-Händler The RealReal hat in seiner Unternehmensgeschichte bisher ein Defizit von 281 Millionen US-Dollar angesammelt.

Und trotz der Ausrichtung auf Second-Hand-Ware (zumindest bisher) konkurriert StockX nicht nur mit anderen Resellern (wir hatten uns hier schon ausführlich mit der Branche beschäftigt), sondern mit allen Shops um die Aufmerksamkeit der Kunden. „Google Shopping ist unser größter Performance-Marketing-Kanal“, sagt Josh Luber. „Aber in Sachen Traffic sind organische Kanäle wie wiederkehrende Kunden (direkte Aufrufe) und Search stärker.“ Laut dem Analyse-Tool Similar Web verzeichnet StockX jeden Monat durchschnittlich 15,2 Millionen Visits – davon knapp vier Prozent bereits aus Deutschland. Der deutsche Markt soll noch stärker angegangen werden, weshalb StockX jetzt auch in Eindhoven ein Authentification Center eröffnen will. 

Brands bleiben passiv – und gewinnen trotzdem

Wenn aber StockX jetzt schon über eine Milliarde US-Dollar wert sein soll und auch andere Resell-Plattformen Millionen-Investitionen einsammeln: Was machen die Brands, deren Produkte auf den Marktplätzen mit deutlichem Preisaufschlag gehandelt werden? „Die Marken haben natürlich einen großen Einfluss auf den Sekundärmarkt“, sagt StockX-Gründer Josh Luber. Schließlich richte sich der Preis oft nach der Stückzahl, die die Brands auf den Markt werfen. „Ich glaube aber nicht, dass sie eigene Marktplätze aufbauen“, so Luber. Es brauche einen zentralen Platz, auf dem alle Brands zu haben seien – aus Sicht von ihm bestenfalls StockX.

Tatsächlich beteiligen sich Nike, Adidas & Co. nicht am Resell-Markt. Als Branding-Kanal taugt die Preissteigerung bei den Resellern dann doch. Auf der Expo Big Picture Stage des OMR Festivals 2019 hatte Marshall Taylor, Co-Gründer der Hype-Brand Palace, das unterstrichen. Mit wie viel Preisaufschlag Palace-Klamotten auf den Resell-Plattformen verkauft werden, sei für ihn schon immer die Haupt-KPI gewesen, um den Wert der eigenen Marke zu bestimmen. Wenn StockX es jetzt schafft, genau solche Marken dazu zu bringen, auf der eigenen Plattform Neuware zu verkaufen, könnte es passen mit der Milliarden-Bewertung.

ResaleSneakerStartupStockX
MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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