Predictions 2021: Was Scott Galloway, Fred Wilson, Werner Vogels und andere vorhersagen

Wer glaubt, das was passiert – wir haben alles für Euch gelesen

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Inhalt
  1. Scott Galloway – der König der Predictions
  2. Geldverdienen mit dem „Inverse Professor Galloway“-Fond
  3. „Der Wert einer Vorhersage liegt nicht in ihrem Eintreffen“
  4. „2021 wird das Jahr der Dispersion“
  5. Airbnb und Bitcoin profitieren von „Dispersion“
  6. Fred Wilson: Der Finanzsektor ist der erste, der dezentralisiert wird
  7. Werner Vogels: „Kleine Unternehmen gehen in die Cloud“
  8. Bilder, Video und Audio hängen geschriebenen Text ab
  9. Startet Bytedance Mini-Programme auf Tiktok?
  10. Wird es europäische SPACs geben?
  11. Wird Discord aufgekauft – vielleicht von Microsoft?

Was wird in dem Jahr nach dem unvorhersehbarsten Jahr seit langer Zeit passieren? Auch zu Anfang dieses Jahres haben viele öffentliche Figuren und Vertreter der Tech-Branche wieder Vorhersagen über mögliche Entwicklungen in den kommenden zwölf Monaten abgegeben. Wir haben uns durch eine Vielzahl von ihnen gewühlt und fassen für Euch die aus unserer Sicht spannendsten und interessantesten zusammen.

Scott Galloway – der König der Predictions

Scott Galloway hat sicherlich am besten verstanden, wie gut Vorhersagen als Marketinghebel im Personal Branding funktionieren können und ist im Zuge dessen so etwas wie der „König der Predictions“ geworden. Gerne (und mit Recht) schmückt sich unser liebster Marketing-Professor (Galloway lehrt an der NYU Stern School of Business) damit, dass er die Übernahmen von Wholefoods durch Amazon, das Fiasko rund um das Office-Sharing-Startup Wework und zuletzt die Totgeburt der Kurzvideo-App Quibi vorhergesagt hat.

Galloway liegt jedoch durchaus auch einmal kapital daneben – in den vergangenen beiden Jahren hat er beispielsweise Tesla und Snap eine düstere Zukunft prophezeit. Das Gegenteil trat ein: Der Aktienkurs beider Firmen hat im zurückliegenden Jahren neue, teils schwindelerregende Höhen erklommen.

Geldverdienen mit dem „Inverse Professor Galloway“-Fond

In der US-VC-Szene (die sicherlich bei einigen der Unternehmen, die Galloway gallig kommentiert, jeweils eigene Interessen hat) ist der Marketing-Professor deswegen teilweise stark umstritten und zur Zielscheibe von Spott und Hohn geworden. Ein Fond mit Aktien jener Firmen, bei denen Galloway starke Wertverluste prognostiziert hatte, hätte den S&P 500 (ein Aktienindex, der die Aktien von 500 der größten börsennotierten US-amerikanischen Unternehmen umfasst) um mehr als das elffache „outperformt“, schreibt VC Turner Novak in einem von mehreren viel beachteten Tweets zum Thema. Der Satire-Account „VCs Congratulating Themselves“ veröffentlichte gar zwei bissige Fake-Film-Trailer über den „Prof Cold Takes“.

Was man Galloway lassen muss: Er geht zumindest mit einem Teil seiner falschen Vorhersagen sehr offensiv um. In jedem Jahr geht er, bevor er neue Vorhersagen abgibt, auf seine vorherigen Prognosen ein und räumt dabei Fehler ein  („I get this wrong all of the time“) – in diesem Jahr nicht nur in seinem Newsletter, sondern auch in einem insgesamt mehr als eine Stunde währenden Livestream auf Youtube. Bei Tesla habe er beispielsweise unterschätzt, welche Kraft ein gutes Produkt und gutes Storytelling entwickeln könnten.

„Der Wert einer Vorhersage liegt nicht in ihrem Eintreffen“

Nachdem ich in den letzten zwei Tagen zwischen zehn und 15 Texte mit Predictions gelesen habe, muss ich Galloway außer seiner offensiven Fehlerkultur zu Gute halten: Rhetorisch und stilistisch kommt keiner an ihn heran – und eigentlich auch inhaltlich nicht. Von niemand anderem lesen sich die Vorhersagen so interessant; kaum jemand anderes liefert in gleichem Maß so viele neue Ideen (oder zumindest einen neuen Dreh). „Der Wert einer Vorhersage hängt weniger davon ab, ob sie eintrifft oder nicht (obwohl es besser ist, richtig zu liegen als falsch), sondern in ihrer Begründung und in dem Dialog, den sie anstößt“, schreibt Galloway in der Newsletter-Version seiner neuesten Predictions – die meiner Ansicht nach die stärkste ist.

In der Regel benennt Galloway im Rahmen seiner Vorhersagen einen großen Trend, für den er einen eigenen Begriff prägt, bzw. einen bestehenden Begriff neu verwendet. In den vergangenen Jahren war dies beispielsweise das „Rundle“ (ein Portmanteau aus „recurring revenue“, also wiederkehrende Einkünfte, und „bundle“) – quasi das Produkt gewordene Flywheel (mit dem ich mich an dieser Stelle schon einmal beschäftigt hatte).

„2021 wird das Jahr der Dispersion“

In diesem Jahr stellt der 56-Jährige den Begriff der „Dispersion“ in den Mittelpunkt seiner Predictions – Streuung, Verstreuung oder Verteilung. „Dispersion is the distribution of products and services over a wider area where and when they’re needed most, bypassing gatekeepers and removing unnecessary friction and cost“, heißt es in seinen aktuellen Predictions. Schon im Dezember hatte er in seinem Newsletter über „The Great Dispersion“ geschrieben.

Was bedeutet Dispersion für die Tech- und Geschäftswelt? Der Konsum findet nicht mehr gebündelt an zentralen Orten wie Läden, Kinos oder Fitness-Studios statt, sondern zu Hause, oder eben dort, wo sich die jeweiligen Konsumentinnen und Konsumenten gerade befinden und welche Geräte sie gerade nutzen. Klar, dass Galloway hier für mehrere der von Corona getriebenen Entwicklungen (Work from Home, der Boom von E-Commerce, Lieferdiensten und Livestreaming) einen eigenen Begriff prägen will.

Airbnb und Bitcoin profitieren von „Dispersion“

Eine Folge der Dispersion laut Galloway: Der Wert von Wohnimmobilien steigt, der von geschäftlichen Immobilien sinkt. Airbnb sei die Anpassung von touristischen Geschäftsmodellen an das Phänomen der Dispersion (private Zimmer statt zentrale Hotels). Deswegen werde der Aktienpreis der Unterkunftsvermittlungsplattform auf 200 US-Dollar ansteigen, prognostiziert Galloway. Bitcoin stelle die Dispersion der Finanzbranche dar; der Wert eines Bitcoins werde auf 50.000 US-Dollar ansteigen, so der Professor weiter.

Eine ähnliche zentrale These wie Galloway stellt auch Fred Wilson in der diesjährigen Version seiner Predictions auf. Wilson ist Mitgründer und Managing Partner von Union Square Ventures (USV), einem der namhaftesten VC-Fonds in der US-Tech-Szene. Der 59-Jährige sagt verstärkte Migrationsbewegungen voraus, getrieben von der zunehmenden Entkopplung von Arbeit und Konsum von physischen Orten.

Fred Wilson: Der Finanzsektor ist der erste, der dezentralisiert wird

Wilson verwendet hier nicht wie Galloway den Begriff der Dispersion, sondern spricht von Dezentralisierung und prognostiziert diese für Projekte und Organisationen. Im Finanzsektor zeichne sich diese bereits am deutlichsten ab: in Form des „Decentralized Finance“-Phänomens und Startups wie Compound, Yearn und Uniswap (an letzterem ist USV zufälligerweise beteiligt). Wer mehr Infos über den „DeFi-Hype“ lesen möchte, kann das bei unseren Kollegen von Finance Forward tun.

Neben Corona werde auch die Klimakrise Migration vorantreiben, so Wilson. Das was die beiden Weltkriege im vergangenen Jahrhundert gewesen seien, werde in diesem Jahrhundert die Klimakrise sein. Deswegen sei diese auch einer der großen Investment-Trends, schreibt der Wagniskapitalexperte. „Mit USV haben wir damit begonnen, Kapital zu reallokieren und werden stark in Firmen und Technologien investieren, die helfen können, mit dieser existenziellen Bedrohung umzugehen.“

Werner Vogels: „Kleine Unternehmen gehen in die Cloud“

Werner Vogels, Chief Technology Officer und Vize-Vorstand von Amazon, stellt im Blog des Unternehmens acht Vorhersagen dazu auf, wie Technologie im kommenden Jahr unser Leben beeinflussen wird. Die meisten seiner Prognosen sind angesichts von Vogels‘ technischem Hintergrund und seines Arbeitgebers nicht wirklich überraschend: Mehrere Aussagen betreffen die Cloud („die Cloud wird künftig nicht mehr nur von zentralen Servern betrieben, sondern sie wird überall sein, auch kleine Unternehmen – vor allem in Südostasien und im südlichen Afrika – werden in die Cloud gehen“).

Auch dem Machine Learning prognostiziert Vogels erwartbarerweise einen noch größeren Boom als bisher: „Wir erzeugen mehr Daten in einer Stunde als wir im gesamten Jahr 2000 generiert haben – und in den nächsten drei Jahren werden mehr Daten erschaffen werden als in den vergangenen 30 Jahren.“ Deswegen brauche die Menschheit Machine Learning, um aus diesen enormen Datenmengen überhaupt noch Einsichten und Wissen generieren zu können, so Vogels.

Bilder, Video und Audio hängen geschriebenen Text ab

Auf Verbraucherseite prognostiziert Vogels eine weiter abnehmende Relevanz des Keyboards – denn Bilder, Video und Audio würden in der Kommunikation eine noch zentralere Position als bisher einnehmen. Das wirke sich auch auf das Marketing aus: „wenn es darum geht, eine Beziehung zu Marken aufzubauen und mit dieser Transaktionen einzugehen, wollen Kunden das tun, was sich für sich natürlich anfühlt. Deswegen sollten Firmen sich User Interfaces wie Voice und andere Formen von Audio und Video genauer ansehen“, schreibt der deutschstämmige Tech-Experte.

Natürlich dürfte auch diese Empfehlung nicht gänzlich frei von Eigeninteressen sein, bedenkt man, dass Amazon mit Alexa Anbieter des neben Siri vielleicht wichtigsten Sprachassistenten inklusive zugehöriger Hardware ist. Trotzdem ist es zumindest bemerkenswert, dass ein CTO und Programmierer, dem das Keyboard naturgemäß am nächsten sein dürfte, eine solche Aussage trifft. Und auch vor dem Hintergrund des Booms von Podcasts sowie von Social Audio (hier unser Artikel über das Phänomen) ist diese sicherlich nicht unbegründet.

Startet Bytedance Mini-Programme auf Tiktok?

Außer den Vorhersagen dieser drei „Digitalpromis“ haben wir diverse weitere kleine Predictions studiert. Drei spannende davon wollen wir Euch vorstellen. Die erste ist die Vorhersage, dass Bytedance die ja in den vergangenen 24 Monaten überaus erfolgreiche Kurz-Video-App Tiktok um so genannte Mini-Programme erweitert – das heißt, die Plattform noch stärker für externe Entwickler sowie für die Anwendungen anderer Unternehmen öffnet. Das prognostizieren jeweils unabhängig voneinander die US-VCs Turner Novak sowie Chris Cantino.

Mit einem ähnlichen Schritt hatte in der Vergangenheit Tencent in China WeChat als „Super App“ und quasi als „digitales Betriebssystem“ der chinesischen Wirtschaft etabliert. Für US-Tech-Firmen ist eine „Super App“ quasi der heilige Gral (wir hatten uns an dieser Stelle bereits schon einmal mit dem Phänomen und den Versuchen der US-Größen, dieses nachzubauen, beschäftigt). Snap hat im vergangenen Jahr mit den „Snap Minis“ einen ähnlichen Schritt vollzogen – bislang aber noch nicht mit einem mit Wechat vergleichbaren Erfolg.

Wird es europäische SPACs geben?

In der US-Tech-Szene waren SPACs im vergangenen Jahr das vielleicht „größte Ding“: Mit den „Special Purpose Acquisition Companies“ (hier ein Erklär-Artikel von The Verge dazu) sind 2020 in den USA diverse Firmen an die Börse gegangen, ohne dafür den traditionellen, stärker reglementierten Weg eines „Initial Public Offerings“ (IPO) gehen zu müssen.

Isabel Woodford, Journalistin beim europäischen Startup-Szene-Medium Sifted (das mit der Financial Times kooperiert), glaubt, dass solche SPACs auch in Europa ein Trend werden – auch, weil die Szene vor einer Welle von Börsengängen stehe. Insbesondere für Fintechs könnten diese interessant sein, glaubt Woodford.

Wird Discord aufgekauft – vielleicht von Microsoft?

Im Schatten des enormen Erfolgs von Tiktok im vergangenen Jahr ist der Aufstieg der Chat-App Discord vielleicht weniger wahrgenommen worden. Er ist dennoch nicht weniger beeindruckend. Wer das Prinzip und den Erfolg der App besser verstehen will, sollte dieses Porträt bei Protocol lesen.

Getrieben von Corona und dem Mega-Gaming-Erfolg Among Us erklomm Discord im vergangenen Jahr zwischenzeitlich Platz 1 des US App Stores. Im Dezember bestätigte das Unternehmen gegenüber Techcrunch nicht nur die Zahl von 140 Millionen Monthly Active Usern, sondern auch eine weitere Funding-Runde im Umfang von 100 Millionen US-Dollar, auf Basis einer Bewertung von sieben Milliarden US-Dollar.

„Warum hat noch niemand Discord gekauft?“, fragt Protocol in einem weiteren Artikel. Das Produkt sei doch wie geschaffen für eine Übernahme durch die großen US-Tech-Firmen. Protocol meint: Schwierig zu moderieren, Kartellrecht, zu ähnlich wie bestehende Produkte, zu teuer – seien bisher die Gründe gewesen. Eine Analystin von Reuters glaubt jedoch: Weil Microsoft bei einem möglichen Verkauf von Tiktok leer ausgegangen ist, könnte Discord für das Unternehmen ein attraktiver Übernahmekandidat sein – als Ergänzung zur Xbox-Gaming-Sparte sowie als B2C-Pendant von Microsoft Teams.

Welche Predictions haben Euch am meisten überzeugt; mit welchen Entwicklungen rechnet Ihr? Schreibt es uns gerne in die Kommentare!

Predictions
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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