Opinary, Civey & Co: Sag mir Deine Meinung, damit ich mehr Geld mit Dir verdienen kann
Diese neuen Tool-Anbieter helfen Publishern, ihre Leser zu bauchpinseln
- Meinungs- wird zum Content-Marketing-Tool
- Interaktion und Leserbindung
- Lesern etwas bieten und daran verdienen
- Brands sehen mehr Engagement
- Content Marketing, das Daten bringen soll
- Meinungsumfragen haben Tradition
- Quiz-Anbieter hatten ähnliche Ideen
- Die Suche nach optimierter Monetarisierung
- Content Recommendation hat riesigen Vorsprung
Über viele Jahre haben sich die klassischen Medienhäuser eher schwer damit getan, die Interaktionsmöglichkeiten mit den Lesern in der digitalen Welt zu nutzen und deren Meinung zu hören. Eine neue Generation von Startups will es den Usern nun leichter machen, nach dem Lesen eines Artikels ihre Meinung abzugeben. Nicht ohne Hintersinn, denn für Publisher sollen sich daraus auch neue Monetarisierungsmöglichkeiten ergeben.
„Stop screaming, start engaging“, sagte Opinary-Co-Gründer Cornelius Frey auf der Konferenz-Bühne des OMR Festivals 2017. Bisher habe der Content und die Werbung im Internet die Leute angeschrien, er plädiere dafür, die Menschen lieber einzubeziehen. Dank seines Meinungs-Tools soll das Publishern und Brands nun gelingen.
Meinungs- wird zum Content-Marketing-Tool
„Unsere Mission: Wir wollen den Meinungsaustausch außerhalb von Bubbles vorantreiben“, sagt Frey im direkten Gespräch OMR Daily. Im März 2013 startet er mit seiner Schwester Pia das Projekt Pressekompass. Das Meinungs-Tool bauen Publisher in der Folge unter ihre Artikel, damit die Nutzer mit nur einem Klick ihre Meinung zu einem Thema abgeben können. Medienunternehmen zahlen damals noch, um das Tool einbauen zu können. Der Kompass sieht nüchtern aus und lässt sich passend zu jedem Thema erstellen und einbauen – gleichzeitig seien die Interaktionsraten laut Frey 150 Mal höher als bei jeder anderen Art von Social-Content. 2014 gewinnt das Team den Grimme Online Award
„Wir wollen das Meinungs-Template genau in die richtigen Inhalte ausspielen, damit das Erlebnis für den Nutzer so nativ wie möglich ist“, sagt Cornelius Frey. 32,5 Millionen Visits verzeichnet das Tool nach Unternehmensangaben über alle Publisher hinweg pro Monat, zwölf der 15 größten Leitmedien in Deutschland binden es ein – darunter Bild.de, Spiegel Online, die FAZ und Focus Online. International sind die britische Times, der Guardian und Refinery29 an Bord. Das Startup hat ein erstes Seed-Funding von knapp über einer Million Euro eingesammelt, unter anderem von Global Founders Capital, dem aktuellen Investment-Fond der Samwer-Brüder.
Interaktion und Leserbindung
Drei Jahre arbeiten Cornelius und Pia Frey neben ihrem Job an dem Projekt, bis sie Anfang 2016 entscheiden, ihre Hauptberufe aufzugeben und mit Opinary rund um den Pressekompass ein Unternehmen aufzubauen. Max Meran kommt als Co-Gründer an Bord. Um das Projekt zu monetarisieren, testet Opinary zuerst Video-Ads, die zwischen der Abstimmung durch den Nutzer und die Anzeige der Ergebnisse läuft. Wenn ein Nutzer klickt, ist dies ein Beweis für seine Aufmerksamkeit – Publisher können also Werbung im Pressekompass theoretisch teurer verkaufen als Standard-Formate. Trotzdem konzentriert sich das Startup relativ schnell auf einen Content-Marketing-Ansatz mit Meinungs-Tools, die von Unternehmen erstellt werden. „Echte Interaktionen mit Nutzern sind auch für Brands extrem spannend“, sagt Opinary-Co-Gründer Max Meran.
Denn die Einbindung der Tools dient nicht nur dem Zweck, den Lesern zusätzliche Services zu bieten. Durch die direkte Interaktion unter dem oder im Artikel erhöht sich die Chance, dass Leser länger auf der Seite bleiben und sich der wichtige Indikator der Verweildauer erhöht – was wiederum höhere Werbeerlöse für die Publisher bedeuten kann.
Lesern etwas bieten und daran verdienen
Laut Opinary stimmen zwischen 15 und 25 Prozent der Nutzer, die den Meinungskompass unter einem Artikel sehen, auch ab. Gleichzeitig entsteht eine Meinungsdatenbank mit First-Party-Daten der Nutzer, die zu einem späteren Zeitpunkt für Partner wie Publisher und Brands sehr wertvoll sein könnten.
Das Startup wächst jetzt noch stärker in Richtung Content Marketing. Opinary hat einen Algorithmus entwickelt, der auf „Natural Language Processing Technologie“ aufgebaut ist. Das bedeutet, dass der Algorithmus anhand der Artikeltexte erkennt, um welches Thema es geht und welches aktuelle Meinungs-Template optimal zum Artikel passt. Dazu füttert das Opinary-Team den Algorithmus ständig mit Artikeln und dieser lernt nach und nach dazu.
Brands sehen mehr Engagement
So kann Opinary unter einem Artikel über Ökostrom automatisiert einen von Toyota bezahlten Meinungskompass einbinden, in dem es dann zum Beispiel um die Einschätzung zur Luftqualität geht. Wer abstimmt, bekommt eine Anzeige für Toyota Hybrid-Fahrzeuge angezeigt.
„Die Unterschiede zu klassischem Content Marketing sind enorm: Die Informationen sind schnell abrufbar und auf einem Klick sichtbar. Je nachdem wie der User abgestimmt hat, wird der für ihn relevante Content ausgespielt, der User entscheidet also, was er sehen möchte bzw. beeinflusst dies durch seine Meinung“, sagt Senol Kasapoglu, verantwortlich für die Mediastrategie und das Marketing bei Toyota. Die CTRs seien beim Meinungskompass bis zu zehn Mal höher als bei klassischer Bannerschaltung – noch stehe aber Awareness im Vordergrund: „Wir testen gerade mit verschiedenen Landingpages und versuchen damit die Performance auch im Lower Funnel zu erhöhen“, sagt Kasapoglu. Neben Toyota gehören etwa Bayer oder die Deutsche Bank zu den Kunden von Opinary, die den Meinungskompass als Content-Marketing-Tool einsetzen.
Content Marketing, das Daten bringen soll
Künftig will Opinary noch einen Schritt weiter gehen: Das sogenannte Insights-Produkt soll es den Partnern erlauben, aufgrund der Umfrage-Ergebnisse durch Opinarys Meinungs-Tool Usergruppen und ihre Affinitäten in Echtzeit zu analysieren. „Für unser Insights-Produkt sind wir in der Beta-Phase mit Partnern wie Jung von Matt, Toyota und einer der weltweit größten Stiftungen“, sagt Frey. Das Produkt funktioniere in drei Stufen. Zuerst wird in Echtzeit erkannt, welche Themen gerade für den jeweiligen Nutzer interessant sind, dann erstellt Opinary über das Meinungstool Zielgruppen (nach ihren jeweiligen Ansichten). Mit diesen Daten erhalten die Brand-Partner viel genauere Zielgruppen, die sie dann wiederum mit ihrer Botschaft erreichen können.
Noch bis zum Sommer soll getestet werden. Die Daten der Nutzer kommen aus einer Anbindung an die Data-Management-Plattform des Publishers (Cookies) und im besten Fall für Opinary über einen Social Login. In diesem Szenario meldet sich der Nutzer zum Beispiel über seinen Facebook-Account vor der Abstimmung an. Opinary verspricht ihm dafür eine genauere Auswertung der Umfrage-Ergebnisse – und erhält gleichzeitig genaue soziodemografische Angaben des Nutzers, die dann durch die Meinungsumfragen, an denen er teilnimmt, mit weiteren Daten angereichert werden.
Mit seinen jetzigen Partnern macht Opinary laut Frey fünfstellige Umsätze im Monat. Die Einnahmen werden mit den Publishern auf Revenue-Share-Basis geteilt. Seit knapp über einem Monat sitzt das Berliner Startup auch in einem US-Büro in New York und geht auf internationale Publisher zu.
Meinungsumfragen haben Tradition
Auf dem Thema sitzen diverse ähnliche Tools, in Deutschland das Startup Civey, das auch aus Berlin kommt. Die Umfragen sind hier klassisch wie bei einem Fragebogen gestaltet. Die Antworten sind vorformuliert und müssen nur vom Nutzer angeklickt werden. Das Tool des jungen Unternehmens wird unter anderem bei Spiegel Online, dem Tagesspiegel und beim Freitag eingesetzt. In einer ersten Funding-Runde konnte sich Civey 1,7 Millionen Euro von der Investitionsbank Berlin sichern. Gründer und Geschäftsführer Gerrit Richter blickt derzeit wohl vor allem auf den Markt der Meinungsforschungsinstitute, sammelt mit dem Tool aber bereits Daten wie Alter, Geschlecht, Nationalität, Mailadresse und Postleitzahl. Das dürfte auch für Publisher und Brands spannend sein.
International sind zum Beispiel Apester und Opinion Stage am Start – beide aus Israel. Apester kommt nach eigenen Angaben auf 65 Millionen Fragen-Beantwortungen und 300 Millionen Views im Monat. Zu den großen Publishing-Partnern gehören AOL, die Huffington Post, Fox Sports, Forbes, CNET und in Deutschland Axel Springer und die Funke Mediengruppe. Ähnlich wie bei Civey erstellen die Publisher hier ihre Umfrage im typischen Frage-Antwort-Stil. Brands können eigene interaktive Umfragen mit Apester erstellen – wie dieses Video-Quiz von Michelin für den Weather Channel. Wie viel Druck auf dem Thema ist, zeigen die vier Investmentrunden für Apester, in denen das Unternehmen von unter anderem Blumberg Capital über 18 Millionen US-Dollar eingesammelt hat. Opinion Stage ist noch nicht ganz so weit, wirbt aber bereits mit einer Teilnehmer-Rate an den Meinungsumfragen von 72 Prozent und dem daraus entstehenden Datenschatz für Publisher. Partner sind unter anderem MTV, die BBC und Rotten Tomatoes.
Genug neue Player gibt es also in dem Themenfeld, aber ganz neu ist die Thematik zumindest für Medienhäuser gar nicht. Schon Offline gab es Meinungsumfragen oder Wissenstests per Fragebogen, die mit der Eitelkeit der Leser spielten („Meine Meinung ist wichtig“). Später wurden diese Prozesse digitalisiert und zur Leadgenerierung eingesetzt. An einem großen Wissenstest von Spiegel Online nahmen 2010 über 100.000 Nutzer teil. Um eine Auswertung zu erhalten, mussten sie ihre E-Mail-Adresse angeben. Einige Wochen nach den Ergebnissen landeten dann Abo-Angebote des Spiegel im Postfach. Die neuen Tool-Anbieter erlauben es jetzt, solche Maßnahmen regelmäßiger und vor allem systematisch durchzuführen.
Quiz-Anbieter hatten ähnliche Ideen
Um Nutzer länger auf der Seite zu halten, sind Quizze eine Möglichkeit, die schon vor den Meinungs-Tools sehr beliebt bei Publishern war. Und auch hier gibt es mittlerweile Content-Marketing-Ansätze. Bei Buzzfeed können sogenannte Brand Publisher Quizze direkt mit Buzzfeeds eigener Software für die Seite erstellen. Unter dem Quiz folgt ein Hinweis auf die Webseite oder eine spezielle Aktion wie etwa ein Gewinnspiel. Kunden wie Ford, Pepsi, Nestlé und BMW erstellen regelmäßig solche Inhalte.
Für alle Publisher bietet Playbuzz mittlerweile ein ähnliches Produkt. Sie können Quizze erstellen und in Artikel einbinden – zwischen einzelnen Fragen laufen dann Video-Ads. Der Umsatz wird auf Grundlage von Views geteilt. Die Publisher können selbst bestimmen, ob sie Call-To-Action Buttons in den Ads zulassen wollen und ob diese übersprungen werden können. Wer längere Views vorweisen kann, bekommt mehr Revenue-Share. Weitere Anbieter auf diesem Gebiet sind etwa Qzzr und Riddl. Die Grenzen zwischen den Funktionsumfängen, die die Unternehmen anbieten, sind aber teilweise fließend. Auch Playbuzz & Co. ermöglichen das Erstellen von Meinungsumfragen und Apester wartet mit einem Quiz-Tool auf.
Die Suche nach optimierter Monetarisierung
Hinter dieser Entwicklung steckt natürlich die Frage, wie Publisher mit ihrer digitalen Reichweite noch mehr Geld verdienen können. Die Paid-Content-Strategien fruchten bisher noch kaum und können die Verluste aus den sinkenden Print-Umsätzen nicht auffangen. Die Erlöse aus klassischen Display-Ads sinken wegen der Masse an Inventar und dem Preisverfall des Formats. Hinzu kommen Adblocking-Quoten von bis zu 40 Prozent. Deshalb können sich neue Vermarktungsansätze, die sich dann auch noch relativ einfach einbauen lassen, so schnell in der Publishing-Szene verbreiten. Und Brands suchen gleichzeitig nach exklusiveren Platzierungen auf den Webseiten – genau das bieten Meinungsumfragen und Quizze unter Artikeln.
Dass die Platzierung wichtig ist, um den Nutzer noch einmal zu aktivieren, bevor er die Seite verlässt, zeigt der Aufstieg von Content-Recommendation-Anbietern. Sie spielen in Boxen unter Artikeln weitere Inhalte und Werbeanzeigen aus. Den Markt bestimmen die israelischen Unternehmen Outbrain und Taboola, denen Gerüchten zufolge bereits Milliardenbewertungen zugeschrieben wurden. In Europa und Deutschland sind auch Ligatus und Plista wichtige Player. Das Geschäftsmodell: Die Content-Recommendation-Dienste bekommen von den Publishern das Inventar zur Verfügung gestellt und vermarkten dieses an Brands und andere Online-Medien.
Content Recommendation hat riesigen Vorsprung
Am Artikelende sind die Nutzer für den Publisher entweder sowieso verloren und verlassen die Seite oder sie sind aufnahmebereit für Neues. Deshalb werden in den Content-Recommendation-Boxen meist empfohlene Artikel vom Publisher selbst und Anzeigen vermischt – diese haben meist eine redaktionelle Anmutung. Der Publisher bekommt also entweder einen Klick auf eigene Artikel und damit weitere Chancen, den Nutzern Werbung zu zeigen, oder er verdient auf CPC-Basis (Cost per Klick) an den Interaktionen der Nutzer mit den Anzeigen. Von dieser Vermarktungschance für Publisher und Brands profitieren die Content-Recommendation-Anbieter: Outbrain ist laut dem Analyse-Tool SimilarTech auf über 150.000 Websites eingebunden, Taboola sogar auf über 300.000.
Damit können die Meinungs-Tool-Anbieter bei weitem noch nicht mithalten. SimilarTech spuckt für Apester knapp über 6.000 Websites aus. Die Chance für solche Tools könnte aber sein, dass auch Content Recommendation mit der Fake-News-Problematik zu tun hat. Schließlich können sich Online-Medien darüber Platzierung unter Artikeln großer Publisher kaufen. Neben potenziellen Fake News landen so auch immer wieder Click-Bait-Inhalte von zweifelhafter Qualität in den Content-Boxen. Deshalb hatten zuletzt der New Yorker und Slate bekannt gegeben, wegen fehlender Qualitätsstandards auf Content Recommendation zu verzichten.