Das ist die vielleicht einflussreichste Familie im neuen, digitalen Publishing

Martin Gardt26.7.2016

Ob Huffington Post, Buzzfeed, Thrillist oder sogar Axel Springer – die Lerers haben überall ihre Finger im Spiel

Lerer Familie
Ben, Izzie und Kenneth Lerer (von links) sind die bestimmende Familie im digitalen Medien-Business.
Inhalt
  1. Der Senior weiß, wo das Geld steckt
  2. Die Verbindung zum Axel Springer Verlag
  3. Der Sohn investiert und sucht neue Erlösmodelle
  4. Das Content and Commerce-Modell
  5. Die Spaltung von Thrillist
  6. Die Rückkehr zum klassischen Advertising
  7. Die Schwester bekommt ihr eigenes Baby
  8. Kein Umsatz und vollständige Abhängigkeit von Plattformen

Kenneth Lerer ist ein Medienmogul der neuen Generation: Er hat die Huffington Post mitgegründet, sitzt im Vorstand bei Buzzfeed, ist bei nahezu allen relevanten jungen Digital-Publishern investiert. Sein Sohn Ben hat „Thrillist“ als erfolgreiche Medienmarke etabliert. Vater und Sohn unterhalten enge Verbindungen zu Axel Springer. Tochter Izzie Lerer übt sich mit „The Dodo“ im Publishing. Wir zeigen, wie die Lerers in der digitalen Medienbranche die Fäden ziehen und neue Erlösmodelle entwickeln.

2005 gründet Kenneth Lerer gemeinsam mit Arianna Huffington, Andrew Breitbart und Jonah Peretti die Huffington Post. Er steckt etwas weniger als 40 Millionen US-Dollar in das Projekt, sechs Jahre später wird der US-Blog für 315 Millionen US-Dollar an AOL verkauft – wo Lerer zuvor Executive Vice President war. Lerer Senior kennt den jungen Jonah Peretti seit dieser Zeit gut und investiert sofort in dessen neues Projekt Buzzfeed. Heute sitzt Ken Lerer dort im Vorstand.

Der Senior weiß, wo das Geld steckt

„Timing ist der Schlüssel zum Leben“, sagt Ken Lerer in einem Gespräch mit dem New York Magazine. „Timing ist Glück und Hirn und Bauchgefühl“. Und das beweist er des Öfteren: Seit 2010 hat er mit seiner VC-Firma Lerer Hippeau Ventures in 215 Unternehmen investiert – darunter das GIF-Netzwerk Giphy, das Matratzen-Start-up Casper und der 3D-Drucker-Hersteller Maker Bot. Bei letzterem sollen die Investoren beim Verkauf an Stratasys das Zwölffache ihres Investments erhalten haben – drei Jahre nach der Investition. In Casper hatte Lerer Hippeau Ventures schon bei der Seed-Finanzierung 2014 investiert. Heute wird das Matratzen-Startup mit über 500 Millionen US-Dollar bewertet. Schwerpunktmäßig investiert er aber in Publisher wie Buzzfeed und hilft dabei, sie groß zu machen. Lerer hat in mittlerweile große Namen wie Refinery29, Mic und Business Insider investiert.

Neben seinen Investments nimmt sich Lerer auch immer wieder Zeit für operative Tätigkeiten in der Medienbranche. Er hat mit seinem Partner bei „Lerer Hippeau Ventures“ Eric Hippeau und seinen Bekannten bei den Investment-Firmen Oak Investment und Bedrocket das Publishing-Startup NowThis gegründet. Der alte Hase Lerer weiß, wie man Hype generiert und so ein Unternehmen wertvoller macht, als es am Ende vielleicht ist. NowThis positioniert sich von Anfang an explizit als Publisher, der keine Webseite benötigt und ist damit einer der ersten Vertreter von „Distributed Content“. NowThis veröffentlicht vor allem kurze Videos, die perfekt auf Facebook zugeschnitten sind.

Die Verbindung zum Axel Springer Verlag

Das ist auch dem Axel Springer Verlag aufgefallen. Der hat über 16 Millionen US-Dollar in NowThis gesteckt und übernimmt deren Video-Inhalte für den deutschen Markt. Im September 2015 wurde Business Insider für über 340 Millionen US-Dollar gekauft. Gründer Henry Blodget ist ein guter Freund von Ken Lerer, der schon 2011 privat einen Millionenbetrag in Business Insider investiert hat.

Im Zuge der Akquisition durch Springer rückte Lerer in das Aufsichtsratsgremium des Wirtschafts-Publishers auf. Darüber hinaus investiert Springer mehrere Millionen in Mic (Teil einer 17-Millionen-Runde, an der auch Lerer Hippeau beteiligt ist) und fungierte als Lead-Investor einer 54-Millionen-Runde für Thrillist. Der Publisher mit der männlichen Zielgruppe ist auf besondere Weise mit Ken Lerer verbunden – er wurde von seinem Sohn Ben gegründet.

Der Sohn investiert und sucht neue Erlösmodelle

„Der Hauptgrund , warum wir in Thrillist investiert haben, ist der Gründer Ben Lerer. Er hat uns überzeugt und wir sind sehr auf Personen fokussiert, wenn wir unsere Entscheidungen treffen“, sagte Springer-CEO Mathias Döpfner bei der Verkündung der Investitionsrunde im September 2015. Ben Lerer ist zwar gleichzeitig Managing Director bei Lerer Hippeau Ventures und so an vielen Deals seines Vaters direkt beteiligt. Den Großteil seiner Aufmerksamkeit widmet er aber Thrillist, das er 2006 mit Adam Rich als Newsletter mit Ausgehtipps in New York gestartet hat. Das Portal richtet sich mit seinen Lifestyle-Themen rund um Reisen, Essen, Mode und News an junge Männer. Typische Themen drehen sich um das beste Bier oder die coolste Party-Location eines Landes. Laut Similar Web kommt die Website auf knapp 18 Millionen Visits im Monat.

Die monatlichen Visits von Thrillist (Quelle: Similar Web)

Für Aufsehen sorgt Lerer, als er 2010 das E-Commerce-Unternehmen JackThreads kauft und in die Thrillist-Gruppe integriert. JackThreads setzt damals auf Flash-Sales, also günstige Blitz-Angebote, die vor allem über E-Mail-Newsletter angepriesen werden. Der Medien-Commerce-Hybrid aus Thrillist und JackThreads macht 2014 etwa 100 Millionen US-Dollar Umsatz – 80 Prozent davon kommen aus der E-Commerce-Sparte. Zu dieser Zeit gibt Lerer das Ziel aus, in den nächsten Jahren eine Milliarde US-Dollar Umsatz zu erreichen.

Das Content and Commerce-Modell

Ben Lerer ist da noch überzeugter Verfechter des Modells „Content and Commerce“. Die Idee dahinter: E-Commerce mit redaktionellen Inhalten unterstützen, um loyalere Käufer anzuziehen, die dann mehr Geld ausgeben. Thrillist geht sogar so weit, in das eigene CMS eine native Shopping-Lösung einzubauen. Redakteure konnten passende Artikel zu ihren Beiträgen auswählen und mitsamt Buy-Button in den Text einfügen.

Doch so richtig hebt das Modell nicht ab und Thrillist und JackThreads machen im Endeffekt nur gegenseitige Bannerwerbung. Bei der Suche nach neuen Investoren muss Ben Lerer dann erkennen, dass sie sich entweder für die eine oder die andere Sparte der Thrillist-Gruppe interessieren. „Beide Geschäfte verzeichneten Wachstum, aber ein Element der einen Sparte wuchs dann sehr stark und wir haben den kompletten Fokus darauf gelegt und das andere Business vernachlässigt“, sagt Ben Lerer gegenüber Digiday.

Die Spaltung von Thrillist

Die 54-Millionen-Runde, die Axel Springer 2015 anführt, besiegelt dann die Spaltung des Unternehmens. „Wir sind unserer Zeit voraus, zumindest für die Leute, die große Schecks schreiben. Wo ich gehofft hatte, dass wir eine Situation haben, in der eins plus eins gleich drei ist, haben Investoren nur gesehen, was die beiden Sparten separat wert sind“, sagt Lerer gegenüber Recode. Laut ihm liege die Bewertung von Thrillist bei dieser Investition über der von 2013, als das Unternehmen 13 Millionen US-Dollar bei einer Bewertung von 150 Millionen US-Dollar einsammelte. Die 54 Millionen US-Dollar werden zu der Zeit auf beide Sparten aufgeteilt, wobei nicht klar ist, wie viel in den Content- und den Commerce-Bereich fließt. Sicher ist, dass Springers Geld ausschließlich an die Mediengruppe geht.

In JackThreads investieren Oak Investment Partners und SBNY, ein auf New York spezialisierter Investor von SoftBank. Ben Lerer bleibt CEO von Thrillist und wird bei JackThreads Vorstandsvorsitzender – sein Vater rückt als Aufpasser in den Aufsichtsrat der Thrillist Media Group. Die Entwicklung zeigt, das werbevermarktete Publisher mittlerweile mit höheren Bewertungen rechnen können – Business Insider brachte über 340 Millionen US-Dollar, Refinery29 gab schon 2013 sein Commerce-Business auf, um sich auf Ads zu konzentrieren.

Die Rückkehr zum klassischen Advertising

Das musste am Ende auch Ben Lerer akzeptieren. Er widmet sich jetzt wieder komplett dem Content-Teil bei Thrillist. „Die Spaltung widerspricht nicht dem Content-Commerce-Modell, man muss sich nur das aktuelle Investment anschauen. […] Es gibt mehr interessante Dinge, die man im Advertising heute machen kann, als noch vor drei Jahren“, sagte Ben Lerer kurz nach der Spaltung gegenüber Fortune. Das Problem: Gerade weil der Fokus so lange auf dem umsatzstärkeren JackThreads lag, wurde die Publisher-Sparte sträflich vernachlässigt. Ben Lerer muss zur Konkurrenz aufholen.

Mittlerweile ist das Konzept von Thrillist dem von Buzzfeed, Refinery29, Business Insider & Co. wieder sehr nah. Über Plattformen wie Facebook versucht der Publisher neue Leser und Zuschauer zu gewinnen – und vom Bewegtbild-Hype des Netzwerks mit Food-Videos zu profitieren. Auf Facebook hat Thrillist über 1,9 Millionen Fans. Die Reichweite vermarktet Thrillist klassisch über Adsense und native Advertising – wobei ein Teil der Banner in eine größere Kampagne mit Werbepartnern eingebettet ist. So erklärt Lerer gegenüber Digiday, dass er sich mittlerweile eher an Vice orientiere und mit Thrillist die Aufgaben von Werbeagenturen übernehmen wolle.

Zuletzt hat sein Team ein virales Video für eine Cider-Brand erstellt, das auf Facebook mittlerweile über 87 Millionen Aufrufe generiert hat. Dazu hat er ein 50-Mann-Team in der sogenannten „CoLab“-Abteilung aufgebaut, die im Schatten des Redaktionsteams mit Partnern arbeitet. In naher Zukunft wolle Lerer auch den Sprung ins Fernsehen schaffen, um die Bekanntheit der Brand zu steigern. Egal ob auf einem traditionellen Kanal oder bei Netflix.

Die Schwester bekommt ihr eigenes Baby

Ben Lerer darf also seine Erfahrungen mit Thrillist machen und hat insgesamt ein sehr erfolgreiches Publishing-Produkt aufgebaut – nicht jeder bekommt ein 54 Millionen US-Dollar Investment. Kein Wunder also, dass seine Schwester Isabel „Izzie“ Lerer auch ein Unternehmen führen will. Also finanziert ihr Daddy Ken Lerer im Januar 2014 eine erste Seed-Runde über zwei Millionen US-Dollar, damit Izzies Projekt The Dodo abheben kann. Izzie Lerer liebt Tiere und so ist es nur folgerichtig, dass sich The Dodo komplett auf dieses Thema konzentriert und mit Tiergeschichten mittlerweile laut Similar Web über acht Millionen Visits pro Monat anlockt.

Monatliche Visits von The Dodo (Quelle: Similar Web)

The Dodo ist noch viel stärker ein Plattform-Projekt. Der Publisher hat anders als Thrillist keine verlässliche Leserschaft über einen Newsletter aufgebaut, sondern ist stark von Facebook abhängig. Hier hat The Dodo über 4,4 Millionen Fans. Süße Videos aber auch grausame Bilder misshandelter Tiere ziehen viele Nutzer an, die dann bei The Dodo die Geschichte hinter den Fotos und Videos nachlesen wollen. Tier-Content ist verdammt viral: Eine Geschichte über einen 103 Jahre alten Killerwal erreichte 2014 sieben Millionen Leser.

Als das Unternehmen gegründet wird, ist Izzie Lerer noch nicht einmal mit ihrem Studium fertig. 2014 sitzt sie noch an ihrer Doktorarbeit mit dem Fokus auf das Mensch-Tier-Verhältnis. „Ich wollte etwas machen, das mit meiner Forschung verbunden ist und gleichzeitig einen echten Einfluss auf die Welt hat“, sagt sie gegenüber Business Insider. Während sie ihr Studium beendet führen President Jonathan Trichter und ihr Vater als Editorial Chief die Geschicke von The Dodo. Als Izzie Lerer nach ihrem Abschluss als CEO übernimmt, ist das ihr erster Job überhaupt – ein nettes Geschenk von ihrem Vater.

Kein Umsatz und vollständige Abhängigkeit von Plattformen

Trotzdem schafft es Izzie mit der Hilfe von Papa ein erfolgreiches Social-Media-Business mit The Dodo aufzubauen. Die Viralität der Geschichten bringt das Team dazu, den kompletten Fokus auf Plattformen wie Facebook, Instagram, Snapchat, Twitter und Pinterest zu legen und die eigentliche Webseite zu vernachlässigen. Das sieht man Thedodo.com an, die Reichweite wird mit Content-Empfehlungen über das Traffic-Tausch-Netzwerk PubExchance zu Partnern wie Huffington Post vermarktet – vor allem werden Leser mit Verweisen auf die sozialen Netzwerke beschossen und aufgefordert die Geschichte zu teilen.

Ein großes Augenmerk liegt bei The Dodo auf Videos. Diese haben bei Facebook meist zwischen 200.000 und 500.000 Views – einige kommen auf weit über eine Million. Das ist in Sachen Reichweite natürlich ziemlich gut – Umsätze bringt das allerdings bisher nicht. Ein Gawker-Artikel ätzt gegen Izzies Projekt und die Gründerin: Das Unternehmen verdiene keinen Cent, die Mitarbeiter-Fluktuation sei riesig, Izzie zeige keine Führungsqualitäten und ein Großteil der Facebook-Reichweite sei mit dem Geld des Vaters und anderer Investoren erkauft. So soll The Dodo vor allem zu Beginn hohe Beträge für Sponsored Posts auf der Plattform ausgegeben und so eine Reichweite simuliert haben, die neue Investoren anziehen sollte.

Insgesamt ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass The Dodo extrem starke Engagement-Zahlen bei Facebook vorweisen kann. Im April 2016 reichten 12,5 Millionen Interaktionen auf der Plattform für Platz sieben der Facebook-Seiten mit dem meisten Engagement – weltweit. Damit lag die Seite auch vor Buzzfeed.

Ende 2015 sammelte The Dodo so nochmals 11,5 Millionen US-Dollar ein. Der japanische Investment-Riese SoftBank (auch in NowThis und zum Beispiel Alibaba investiert) steckte Geld in das Projekt – und natürlich Lerer Hippeau Ventures.

MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

Alle Artikel von Martin Gardt

Ähnliche Artikel

Kostenlose Online-Seminare

Kai Spriestersbach

Perfekte Prompts für ChatGPT & Co: 5 Tipps, die du kennen musst

27.11.2024 11:00 - 12:00 Uhr
Stephan Böhme

Ideenfindung leicht gemacht: Kreativitätstechniken für jeden Tag

3.12.2024 10:00 - 11:00 Uhr
Aktuelle Stories und die wichtigsten News für Marketeers direkt in dein Postfach!